Norm (Mathematik)
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Eine Norm (von lateinisch
norma „Richtschnur“) ist
in der Mathematik eine Abbildung, die
einem mathematischen
Objekt, beispielsweise einem Vektor,
einer Matrix,
einer Folge
oder einer Funktion,
eine Zahl zuordnet, die auf gewisse Weise die Größe des
Objekts beschreiben soll. Die konkrete Bedeutung von „Größe“ hängt dabei vom
betrachteten Objekt und der verwendeten Norm ab, beispielsweise kann eine Norm
die Länge
eines Vektors, den größten Singulärwert
einer Matrix, die Variation
einer Folge oder das Maximum
einer Funktion darstellen. Eine Norm wird durch zwei senkrechte Striche
links und rechts des Objekts symbolisiert.
Formal ist eine Norm eine Abbildung, die einem Element eines Vektorraums über den reellen oder komplexen Zahlen eine nicht-negative reelle Zahl zuordnet und die drei Eigenschaften Definitheit, absolute Homogenität und Subadditivität besitzt. Eine Norm kann (muss aber nicht) von einem Skalarprodukt abgeleitet werden. Wird ein Vektorraum mit einer Norm versehen, erhält man einen normierten Raum mit wichtigen analytischen Eigenschaften, da jede Norm auf einem Vektorraum auch eine Metrik und damit eine Topologie induziert. Zwei zueinander äquivalente Normen induzieren dabei die gleiche Topologie, wobei auf endlichdimensionalen Vektorräumen alle Normen zueinander äquivalent sind.
Normen werden insbesondere in der linearen Algebra und der Funktionalanalysis studiert, sie spielen aber auch in der numerischen Mathematik eine wichtige Rolle.
Grundbegriffe
Definition
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Eine Norm ist eine Abbildung
von einem Vektorraum
über dem Körper
der reellen oder der komplexen Zahlen in die
Menge der nichtnegativen reellen
Zahlen
,
,
die für alle Vektoren
und alle Skalare
die folgenden drei Axiome erfüllt:
(1) Definitheit: | |
(2) absolute Homogenität: | |
(3) Subadditivität oder Dreiecksungleichung: |
Hierbei bezeichnet
den Betrag
des Skalars.
Diese axiomatische Definition der Norm wurde von Stefan Banach 1922 in
seiner Dissertation aufgestellt.
Das heute übliche Normsymbol wurde erstmals von Erhard
Schmidt 1908 als Abstand
zwischen Vektoren
und
verwendet.
Beispiel
Das Standardbeispiel einer Norm ist die euklidische
Norm eines Vektors
(mit Ursprung im Nullpunkt)
in der Ebene
,
,
die der anschaulichen Länge
des Vektors entspricht. Beispielsweise ist die euklidische Norm des Vektors
gleich
.
Die Definitheit bedeutet dann, dass, wenn die Länge eines Vektors null ist, dieser der Nullvektor sein muss. Die
absolute Homogenität besagt, dass, wenn jede Komponente eines Vektors mit einer
Zahl multipliziert wird, sich seine Länge um den Faktor des Betrags dieser Zahl
ändert. Die Dreiecksungleichung sagt schließlich aus, dass die Länge der Summe
zweier Vektoren höchstens so groß wie die Summe der beiden Längen ist.
Grundlegende Eigenschaften
Aus der absoluten Homogenität folgt durch Setzen von
direkt
,
also die umgekehrte Richtung der Definitheit. Daher besitzt ein Vektor
genau dann die Norm Null, wenn er der Nullvektor ist. Weiterhin folgt aus der
absoluten Homogenität durch Setzen von
und damit
,
also Symmetrie
bezüglich Vorzeichenumkehr.
Aus der Dreiecksungleichung folgt dann durch Setzen von ,
dass eine Norm immer nichtnegativ
ist, also
gilt. Damit besitzt jeder vom Nullvektor verschiedene Vektor eine positive Norm. Weiterhin gilt für Normen die umgekehrte Dreiecksungleichung
,
was durch Anwendung der Dreiecksungleichung auf
und Berücksichtigung der Symmetrie gezeigt werden kann. Damit ist jede Norm eine
gleichmäßig
stetige Abbildung. Zudem ist eine Norm aufgrund der Subadditivität und
absoluten Homogenität eine sublineare
und damit konvexe
Abbildung, das heißt für alle
gilt
.
Normkugeln
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Für einen gegebenen Vektor
und einen Skalar
mit
heißt die Menge
bzw.
offene bzw. abgeschlossene Normkugel und die Menge
Normsphäre um
mit Radius
.
Die Begriffe „Kugel“ bzw. „Sphäre“ sind
dabei sehr allgemein zu sehen – beispielsweise kann eine Normkugel auch Ecken
und Kanten
besitzen – und fallen nur im Spezialfall der euklidischen
Vektornorm mit dem aus der Geometrie
bekannten Kugelbegriff zusammen. Wählt man in der Definition
und
,
so nennt man die entstehenden Mengen Einheitskugel
bzw. Einheitssphäre.
Jede Normkugel bzw. Normsphäre entsteht aus der entsprechenden Einheitskugel
bzw. Einheitssphäre durch Skalierung
mit dem Faktor
und Translation
um den Vektor
.
Ein Vektor der Einheitssphäre heißt Einheitsvektor;
zu jedem Vektor
erhält man durch Normierung
den zugehörigen Einheitsvektor.
In jedem Fall muss eine Normkugel eine konvexe
Menge sein, da sonst die entsprechende Abbildung die Dreiecksungleichung
nicht erfüllen würde. Weiterhin muss eine Normkugel aufgrund der absoluten
Homogenität immer punktsymmetrisch
bezüglich
sein. Eine Norm lässt sich in endlichdimensionalen Vektorräumen auch über die
zugehörige Normkugel definieren, wenn diese Menge konvex, punktsymmetrisch
bezüglich des Nullpunktes, abgeschlossen und beschränkt ist und
den Nullpunkt im Inneren
hat. Die entsprechende Abbildung wird auch Minkowski-Funktional
oder Eichfunktional genannt. Hermann
Minkowski untersuchte solche Eichfunktionale bereits 1896 im Rahmen zahlentheoretischer
Fragestellungen.
Induzierte Normen
Eine Norm kann, muss aber nicht notwendigerweise, von einem Skalarprodukt
abgeleitet werden. Die Norm eines Vektors
ist dann definiert als
,
also die Wurzel aus dem Skalarprodukt des Vektors mit sich selbst. Man spricht in diesem Fall von der durch das Skalarprodukt induzierten Norm oder Hilbertnorm. Jede durch ein Skalarprodukt induzierte Norm erfüllt die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung
und ist invariant unter unitären Transformationen. Nach dem Satz von Jordan-von Neumann ist dabei eine Norm genau dann durch ein Skalarprodukt induziert, wenn sie die Parallelogrammgleichung erfüllt. Einige wichtige Normen sind jedoch nicht von einem Skalarprodukt abgeleitet; historisch gesehen bestand sogar ein wesentlicher Schritt bei der Entwicklung der Funktionalanalysis in der Einführung von Normen, die nicht auf einem Skalarprodukt basieren. Zu jeder Norm gibt es jedoch ein zugehöriges semi-inneres Produkt.
Normen auf endlichdimensionalen Vektorräumen
Zahlnormen
Betragsnorm
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Der Betrag einer reellen Zahl
ist ein einfaches Beispiel für eine Norm. Man erhält die Betragsnorm
durch Weglassen des Vorzeichens
der Zahl, also
Der Betrag einer komplexen Zahl
ist entsprechend dazu durch
definiert, wobei
die komplex
konjugierte Zahl zu
ist und
bzw.
den Real- bzw. Imaginärteil der komplexen Zahl angibt. Der Betrag einer
komplexen Zahl entspricht damit der Länge ihres Vektors in der Gaußschen
Zahlenebene.
Die Betragsnorm ist vom Standardskalarprodukt zweier reeller bzw. komplexen Zahlen
für
bzw.
für
induziert.
Vektornormen
Im Folgenden werden reelle oder komplexe Vektoren
endlicher Dimension
betrachtet. Ein Vektor (im engeren Sinn) ist dann ein Tupel
mit Einträgen
für
.
Für die folgenden Definitionen ist es unerheblich, ob es sich um einen Zeilen-
oder einen Spaltenvektor handelt. Für
entsprechen alle folgenden Normen der Betragsnorm des vorangegangenen
Abschnitts.
Maximumsnorm
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Die Maximumsnorm, Tschebyschew-Norm oder ∞-Norm (Unendlich-Norm) eines Vektors ist definiert als
und entspricht dem Betrag der betragsgrößten Komponente des Vektors. Die Einheitssphäre der reellen Maximumsnorm hat in zwei Dimensionen die Form eines Quadrats, in drei Dimensionen die Form eines Würfels und in allgemeinen Dimensionen die Form eines Hyperwürfels.
Die Maximumnorm ist nicht von einem Skalarprodukt induziert. Die von ihr
abgeleitete Metrik heißt Maximum-Metrik,
Tschebyschow-Metrik oder, insbesondere in zwei Dimensionen, Schachbrett-Metrik,
da sie den Abstand entsprechend der Anzahl der Schritte misst, die ein König im Schach machen muss, um von einem
Feld auf dem Schachbrett
zu einem anderen Feld zu kommen. Da der König diagonal ziehen kann, ist
beispielsweise der Abstand der Mittelpunkte der beiden schräg gegenüberliegenden
Eckfelder eines Schachbretts in der Maximum-Metrik gleich .
Die Maximumsnorm ist ein Spezialfall der Produktnorm
über dem Produktraum
von
normierten Vektorräumen
mit
und
.
Euklidische Norm
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Die euklidische Norm oder 2-Norm eines Vektors ist definiert als
und entspricht der Wurzel aus der Summe der Betragsquadrate der Komponenten des Vektors. Bei reellen Vektoren kann in der Definition auf die Betragsstriche verzichtet werden, bei komplexen Vektoren jedoch nicht.
Die Einheitssphäre der reellen euklidischen Norm hat in zwei Dimensionen die Form eines Kreises, in drei Dimensionen die Form einer Kugeloberfläche und in allgemeinen Dimensionen die Form einer Sphäre. In zwei und drei Dimensionen beschreibt die euklidische Norm die anschauliche Länge eines Vektors in der Ebene bzw. im Raum. Die euklidische Norm ist als einzige Vektornorm invariant unter unitären Transformationen, beispielsweise Drehungen des Vektors um den Nullpunkt.
Die euklidische Norm wird vom Standardskalarprodukt zweier reeller bzw.
komplexer Vektoren
gegeben durch
bzw.
induziert. Ein mit der euklidischen Norm versehener Vektorraum wird euklidischer Raum
genannt. Die von der euklidischen Norm abgeleitete Metrik heißt euklidische
Metrik. Beispielsweise ist der Abstand der Mittelpunkte der beiden schräg
gegenüberliegenden Eckfelder eines Schachbretts in der euklidischen Metrik nach
dem Satz
des Pythagoras gleich .
Summennorm
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Die Summennorm, (genauer) Betragssummennorm, oder 1-Norm (lies: „Einsnorm“) eines Vektors ist definiert als
und entspricht der Summe der Beträge der Komponenten des Vektors. Die Einheitssphäre der reellen Summennorm hat in zwei Dimensionen die Form eines Quadrats, in drei Dimensionen die Form eines Oktaeders und in allgemeinen Dimensionen die Form eines Kreuzpolytops.
Die Summennorm ist nicht von einem Skalarprodukt induziert. Die von der
Summennorm abgeleitete Metrik heißt speziell im reellen zweidimensionalen Raum
auch Manhattan-Metrik
oder Taxi-Metrik, da sie den Abstand zweier Punkte wie die Fahrtstrecke auf
einem gitterförmigen Stadtplan
misst, auf dem man sich nur in senkrechten und waagerechten Abschnitten bewegen
kann. Beispielsweise ist der Abstand der Mittelpunkte der beiden schräg
gegenüberliegenden Eckfelder eines Schachbretts in der Manhattan-Metrik gleich
.
p-Normen
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Allgemein lässt sich für reelles
die
-Norm
eines Vektors durch
definieren. Für
erhält man so die Summennorm, für
die euklidische Norm und als Grenzwert für
die Maximumsnorm. Die Einheitssphären der
-Normen
haben im reellen Fall in zwei Dimensionen die Form von Superellipsen
bzw. Subellipsen
und in drei und höheren Dimensionen die Form von Superellipsoiden
bzw. Subellipsoiden.
Alle -Normen
inklusive der Maximumsnorm erfüllen die Minkowski-Ungleichung
sowie die Hölder-Ungleichung.
Sie sind für wachsendes
monoton
fallend und zueinander äquivalent. Als eingrenzende Faktoren ergeben sich
für
,
wobei im Fall der Maximumsnorm der Exponent
gesetzt wird. Die
-Normen
unterscheiden sich somit maximal um den Faktor
.
Die analog zu den
-Normen
für
definierten Abbildungen sind keine Normen, da die resultierenden Normkugeln
nicht mehr konvex sind und somit die Dreiecksungleichung verletzt wird.
Matrixnormen
Im Folgenden werden reelle oder komplexe Matrizen
mit
Zeilen und
Spalten betrachtet. Für Matrixnormen wird neben den drei Normeigenschaften
manchmal die Submultiplikativität
mit
als weitere definierende Eigenschaft verlangt. Ist eine Matrixnorm
submultiplikativ, dann ist der Spektralradius
der Matrix (der Betrag des betragsgrößten Eigenwerts) maximal so groß wie die
Norm der Matrix. Es gibt jedoch auch Matrixnormen mit den üblichen
Normeigenschaften, die nicht submultiplikativ sind. Meist wird bei der
Definition einer Matrixnorm eine Vektornorm zugrunde gelegt. Eine Matrixnorm
heißt dabei mit einer Vektornorm verträglich, wenn
für alle
gilt.
Matrixnormen über Vektornormen
Indem alle Einträge einer Matrix untereinander geschrieben werden, kann eine
Matrix auch als entsprechend langer Vektor aus
angesehen werden. Damit können Matrixnormen direkt über Vektornormen definiert
werden, insbesondere über die
-Normen
durch
,
wobei
die Einträge der Matrix sind. Beispiele für so definierte Matrixnormen sind die
auf der Maximumsnorm basierende Gesamtnorm
und die auf der euklidischen Norm basierende Frobeniusnorm,
die beide submultiplikativ und mit der euklidischen Norm verträglich sind.
Matrixnormen über Operatornormen
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Eine Matrixnorm heißt von einer Vektornorm induziert oder natürliche Matrixnorm, wenn sie als Operatornorm abgeleitet ist, falls also gilt:
.
Anschaulich entspricht eine so definierte Matrixnorm dem größtmöglichen Streckungsfaktor nach Anwendung der Matrix auf einen Vektor. Als Operatornormen sind solche Matrixnormen stets submultiplikativ und mit der Vektornorm, aus der sie abgeleitet wurden, verträglich. Eine Operatornorm ist sogar unter allen mit einer Vektornorm verträglichen Matrixnormen diejenige mit dem kleinsten Wert. Beispiele für so definierte Matrixnormen sind die auf der Maximumsnorm basierende Zeilensummennorm, die auf der euklidischen Norm basierende Spektralnorm und die auf der Summennorm basierende Spaltensummennorm.
Matrixnormen über Singulärwerte
Eine weitere Möglichkeit, Matrixnormen über Vektornormen abzuleiten, ist es
eine Singulärwertzerlegung
einer Matrix
in eine unitäre Matrix
,
eine Diagonalmatrix
und eine adjungierte
unitäre Matrix
zu betrachten. Die nichtnegativen, reellen Einträge
von
sind dann die Singulärwerte von
und gleich den Quadratwurzeln der Eigenwerte von
.
Die Singulärwerte werden dann zu einem Vektor
zusammengefasst, dessen Vektornorm betrachtet wird, also
.
Beispiele für so definierte Matrixnormen sind die über die -Normen
des Vektors der Singulärwerte definierten Schatten-Normen
und die auf der Summe der größten Singulärwerte basierenden Ky-Fan-Normen.
Weiterführende Begriffe
>Normierte Räume
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Wird ein Vektorraum
mit einer Norm versehen, so erhält man einen normierten Raum
mit wichtigen analytischen Eigenschaften. So induziert jede Norm zwischen
Vektoren
durch Differenzenbildung eine Metrik
.
Mit dieser Fréchet-Metrik
wird ein normierter Raum zu einem metrischen
Raum und weiterhin mit der von der Metrik induzierten Topologie zu einem topologischen
Raum, sogar zu einem Hausdorff-Raum.
Die Norm ist dann eine stetige
Abbildung bezüglich dieser Normtopologie.
Eine Folge
strebt damit genau dann gegen einen Grenzwert
,
wenn >
gilt. Konvergiert
in einem normierten Raum jede Cauchy-Folge
gegen einen Grenzwert in diesem Raum, so spricht man von einem vollständigen
normierten Raum oder Banachraum.
Normierte Algebren
Versieht man den Vektorraum
zudem mit einem assoziativen
und distributiven
Vektorprodukt
,
dann ist
eine assoziative
Algebra. Ist nun
ein normierter Raum und diese Norm submultiplikativ, das heißt für alle Vektoren
gilt
,
dann erhält man eine normierte Algebra. Ist der normierte Raum vollständig,
spricht man auch von einer Banachalgebra.
Beispielsweise ist der Raum der quadratischen Matrizen
mit der Matrizenaddition
und -multiplikation
sowie einer submultiplikativen Matrixnorm eine solche Banachalgebra.
Halbnormen
Wird auf das erste Normaxiom Definitheit verzichtet, dann ist
nur eine Halbnorm (beziehungsweise eine Seminorm). Aufgrund der Homogenität und
der Subadditivität ist dann die Menge
der Vektoren mit Norm Null ein Untervektorraum
von .
Auf diese Weise kann eine Äquivalenzrelation
auf
durch
definiert werden. Identifiziert man nun in einem neuen Raum
alle so äquivalenten Elemente als gleich, dann ist
zusammen mit der Norm
ein normierter Raum. Man nennt diesen Vorgang Restklassenbildung
in
bezüglich der Halbnorm und bezeichnet
als Faktorraum
.
Durch eine Menge von Halbnormen lassen sich auch spezielle topologische
Vektorräume, die lokalkonvexen
Räume, definieren.
Äquivalenz von Normen
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Zwei Normen
und
heißen äquivalent, wenn es zwei positive Konstanten
und
gibt, sodass für alle
gilt, also wenn eine Norm durch die andere Norm nach oben und nach unten abgeschätzt werden kann. Äquivalente Normen induzieren dieselbe Topologie. Konvergiert eine Folge bezüglich einer Norm, so konvergiert sie auch bezüglich einer zu ihr äquivalenten Norm.
Auf endlichdimensionalen Vektorräumen sind alle Normen zueinander äquivalent,
da die Normkugeln dann nach dem Satz
von Heine-Borel kompakte Mengen sind. Auf unendlichdimensionalen Räumen sind
jedoch nicht alle Normen zueinander äquivalent. Ist ein Vektorraum aber
bezüglich zweier Normen vollständig,
so sind diese beiden Normen bereits dann äquivalent, wenn es eine positive
Konstante
gibt, sodass
gilt, da es eine stetige lineare Abbildung zwischen den beiden Banachräumen gibt, deren Inverse nach dem Satz vom stetigen Inversen ebenfalls stetig ist.
Duale Normen
Der Dualraum
eines normierten Vektorraums
über einem Körper
ist der Raum der stetigen
linearen Funktionale von
nach
.
Beispielsweise kann der Dualraum zu dem Raum der
-dimensionalen
(Spalten-)Vektoren als der Raum der Linearkombinationen der Vektorkomponenten,
also der Raum der Zeilenvektoren der gleichen Dimension gesehen werden. Die zu
einer Norm
duale Norm
eines Funktionals
ist dann definiert durch
.
Mit dieser Norm ist der Dualraum ebenfalls ein normierter Raum. Der Dualraum mit der Dualnorm ist stets vollständig, unabhängig von der Vollständigkeit des Ausgangsraums. Sind zwei Normen zueinander äquivalent, dann sind die zugehörigen dualen Normen ebenfalls zueinander äquivalent. Für duale Normen ergibt sich aus obiger Definition als Supremum sofort folgende wichtige Ungleichung
.
Normen auf unendlichdimensionalen Vektorräumen
Folgennormen
Nun werden reell- oder komplexwertige Folgen
mit Folgengliedern
für
betrachtet. Folgen sind damit eine direkte Verallgemeinerung von Vektoren
endlicher Dimension. Im Gegensatz zu endlichdimensionalen Vektoren können Folgen
unbeschränkt sein, wodurch die bisherigen Vektornormen nicht direkt auf Folgen
übertragen werden können. Beispielsweise ist das Betragsmaximum oder die
Betragssumme der Folgenglieder einer unbeschränkten Folge unendlich und damit
keine reelle Zahl mehr. Daher müssen die betrachteten Folgenräume entsprechend
eingeschränkt werden, damit die zugeordneten Normen endlich sind.
Supremumsnorm
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Die Supremumsnorm einer beschränkten Folge ist definiert als
.
Die Menge der beschränkten Folgen ,
die Menge der konvergenten
Folgen
und die Menge der gegen Null konvergenten Folgen (Nullfolgen)
sind zusammen mit der Supremumsnorm vollständige normierte Räume.
bv-Norm
Die -Norm
einer Folge von beschränkter Variation ist definiert als
.
Mit der -Norm
wird der Folgenraum
ein vollständiger normierter Raum, da jede Folge mit beschränkter Variation eine
Cauchy-Folge ist. Für den
Teilraum
der Nullfolgen mit beschränkter Variation erhält man die
-Norm
durch Weglassen des ersten Terms, also
,
und mit dieser Norm ist der Raum
ebenfalls vollständig.
ℓp-Normen
Die -Normen
sind die Verallgemeinerung der
-Normen
auf Folgenräume, wobei lediglich die endliche Summe durch eine unendliche
ersetzt wird. Die
-Norm
einer in
-ter
Potenz betragsweise summierbaren Folge ist für reelles
dann definiert als
.
Versehen mit diesen Normen werden die -Räume
jeweils zu vollständigen normierten Räumen.
Für den Grenzwert
ergibt sich der Raum der beschränkten Folgen
mit der Supremumsnorm. Der Raum
ist ein Hilbertraum mit dem
Skalarprodukt
zweier Folgen. Die zu einer -Norm
mit
duale Norm ist die
-Norm
mit
.
Der Raum
ist jedoch nicht dual zum Raum
,
sondern dual zum Raum der konvergenten Folgen
und zum Raum der Nullfolgen
jeweils mit der Supremumsnorm.
Funktionennormen
Im Folgenden werden reell- oder komplexwertige Funktionen
auf einer Menge
betrachtet. Oft ist
ein topologischer
Raum, damit man über Stetigkeit sprechen kann, in vielen Anwendungen ist
eine Teilmenge des
Ebenso wie Folgen können auch Funktionen prinzipiell unbeschränkt sein. Daher
müssen die betrachteten Funktionenräume
entsprechend eingeschränkt werden, damit die zugeordneten Normen endlich sind.
Die wichtigsten solcher Funktionenräume sind Klassen beschränkter, stetiger,
integrierbarer oder differenzierbarer Funktionen. Allgemeiner können die
folgenden Funktionenräume und -normen auch für Banachraum-wertige Funktionen
definiert werden, wenn der Absolutbetrag
durch die Norm des Banachraums ersetzt wird.
Supremumsnorm
Die Supremumsnorm einer beschränkten Funktion, also einer Funktion, deren Bild eine beschränkte
Teilmenge von
ist, ist definiert als
.
Die Menge der beschränkten Funktionen ist mit der Supremumsnorm ein vollständiger normierter Raum.
BV-Norm
Die -Norm
einer eindimensionalen Funktion mit beschränkter Variation auf einem Intervall
ist in Analogie zur
-Norm
einer Folge definiert als
,
wobei
eine Partition
des Intervalls
und das Supremum über alle möglichen Partitionen genommen wird. Eine Funktion
ist genau dann von beschränkter Variation, wenn sie sich als Summe einer monoton
steigenden und einer monoton fallenden Funktion darstellen lässt. Die Menge der
Funktionen beschränkter Variation ist mit der
-Norm
ein vollständiger normierter Raum. Alternativ kann als Normierungsterm statt
auch das Integral der Funktion über das Intervall gewählt werden.
Für
-Normen
und die zugehörigen Räume von Funktionen beschränkter Variation gibt es eine
Reihe mehrdimensionaler Verallgemeinerungen, beispielsweise die Fréchet-Variation,
die Vitali-Variation
und die Hardy-Variation.
Maximumsnorm
Die Maximumsnorm einer stetigen Funktion auf einer kompakten Menge ist definiert als
.
Nach dem Extremwertsatz nimmt eine stetige Funktion auf einer kompakten Menge ihr Maximum an. Der Raum der stetigen Funktionen auf einer kompakten Menge ist mit der Maximumsnorm ein vollständiger normierter Raum.
Hölder-Normen
Die Hölder-Norm einer Hölder-stetigen
Funktion mit Hölderexponent
ist definiert als
,
wobei die Hölder-Konstante der Funktion durch
gegeben ist. Die Hölder-Konstante ist eine spezielle Form eines Stetigkeitsmoduls und
stellt selbst eine Halbnorm dar. Die Räume der Hölder-stetigen Funktionen sind
mit den jeweiligen Hölder-Normen vollständige normierte Räume. Im Spezialfall
spricht man von einer Lipschitz-stetigen
Funktion, der Lipschitz-Konstante und der Lipschitz-Norm.
Wesentliche Supremumsnorm
Die -Norm
einer fast
überall beschränkten Funktion auf einem Maßraum
ist definiert als
,
wobei
eine Nullmenge, also ein Element
aus der σ-Algebra
mit
-Maß
Null, ist. Eine fast überall beschränkte Funktion kann also an manchen Punkten
einen betragsmäßig höheren Wert als ihr wesentliches Supremum annehmen. Die
wesentliche Supremumsnorm ist im Allgemeinen nur eine Halbnorm, da die Menge der
Funktionen mit Norm Null nicht nur die Nullfunktion,
sondern beispielsweise auch alle Funktionen umfasst, die davon abweichend auf
Nullmengen Werte ungleich Null annehmen. Daher betrachtet man die Menge der
Äquivalenzklassen
von Funktionen
,
die fast überall gleich sind, und nennt den entsprechenden Faktorraum
.
Auf diesem Raum ist die wesentliche Supremumsnorm definiert als
tatsächlich eine Norm, wobei der Wert auf der rechten Seite unabhängig von
der Wahl des Repräsentanten
aus der Äquivalenzklasse
ist. Oft wird ungenau
statt
geschrieben, wobei dann davon ausgegangen wird, dass
nur ein Repräsentant der Äquivalenzklasse ist. Der Raum der Äquivalenzklassen
von wesentlich beschränkten Funktionen
ist mit der wesentlichen Supremumsnorm ein vollständiger normierter Raum.
Lp-Normen
Die -Normen
einer in
-ter
Potenz Lebesgue-integrierbaren
Funktion mit
sind in Analogie zu den
-Normen
definiert als
,
wobei die Summe durch ein Integral ersetzt wurde. Ebenso wie bei der
wesentlichen Supremumsnorm sind diese Normen zunächst nur Halbnormen, da nicht
nur die Nullfunktion, sondern auch alle Funktionen, die sich nur an einer Menge
mit Maß Null von der Nullfunktion unterscheiden, zu Null integriert werden.
Daher betrachtet man wieder die Menge der Äquivalenzklassen von Funktionen ,
die fast überall gleich sind, und definiert auf diesen
-Räumen
die
-Normen
durch
.
Nach dem Satz
von Fischer-Riesz sind alle -Räume
mit der jeweiligen
-Norm
vollständige normierte Räume. Der Raum
ist der Raum der (Äquivalenzklassen von) Lebesgue-integrierbaren Funktionen. Der
Raum
der quadratisch integrierbaren Funktionen ist ein Hilbertraum mit Skalarprodukt
und für den Grenzwert
ergibt sich der Raum der wesentlich beschränkten Funktionen
.
Die zu der
-Norm
für
duale Norm ist die
-Norm
mit
.
Die
-Normen
und -Räume lassen sich von dem Lebesgue-Maß
auf allgemeine Maße
verallgemeinern, wobei die Dualität für
nur in bestimmten Maßräumen
gilt, siehe Dualität
von Lp-Räumen.
Cm-Normen
Die -Norm
einer
-mal
stetig
differenzierbaren Funktion auf einer offenen
Menge
,
deren partielle
Ableitungen auf dem Abschluss
der Menge
stetig
fortsetzbar sind, ist definiert als
,
wobei
ein Multiindex aus
nichtnegativen ganzen Zahlen,
die zugehörige gemischte partielle Ableitung der Funktion und
die Ordnung der Ableitung sind. Die
-Norm
entspricht damit der Supremumsnorm und die
-Norm
dem Maximum der Funktion und ihrer ersten Ableitungen. Die Räume
sind mit der jeweiligen
-Norm
vollständige normierte Räume. Alternativ wird die
-Norm
über die Summe der Einzelnormen statt über ihr Maximum definiert, beide Normen
sind aber zueinander äquivalent.
Analog ist die -Norm
einer
-mal
stetig differenzierbaren Funktion auf einer offenen Menge, deren gemischte
partielle Ableitungen auf dem Abschluss der Menge stetig fortsetzbar sind und
deren Hölder-Konstanten der Ableitungen bis zum Grad
beschränkt sind,
,
definiert als
.
Die Räume dieser Hölder-stetig differenzierbaren Funktionen sind mit den
jeweiligen -Normen
ebenfalls vollständige normierte Räume.
Sobolev-Normen
Die Sobolev-Norm einer -mal
schwach
differenzierbaren Funktion auf einer offenen Menge, deren gemischte schwache
Ableitungen
bis zum Grad
in
-ter
Potenz Lebesgue-integrierbar sind, ist für
definiert als
und für
als
.
Betrachtet man in der Summe nur die gemischten Ableitungen der Ordnung ,
so erhält man nur eine Halbnorm, die auf allen Polynomen vom Grad kleiner als
verschwindet. Die Sobolev-Räume
der Funktionen, deren gemischte schwache Ableitungen bis zum Grad
in
liegen, sind mit der jeweiligen Sobolev-Norm vollständige normierte Räume.
Insbesondere sind die Räume
Hilberträume mit Skalarprodukt
.
Sobolev-Normen spielen eine wichtige Rolle in der Lösungstheorie partieller Differentialgleichungen als natürliche Definitionsbereiche der Differentialoperatoren oder bei Fehlerabschätzungen von Finite-Elemente-Verfahren zur Diskretisierung partieller Differentialgleichungen.
Normen auf Operatoren
Im Folgenden werden lineare
Operatoren
zwischen zwei Vektorräumen
und
betrachtet. Dabei wird angenommen, dass diese Vektorräume bereits selbst
normierte Räume sind.
Operatornorm
Die Operatornorm eines beschränkten linearen Operators zwischen zwei normierten Räumen ist definiert als
.
Ist
eine lineare Abbildung zwischen endlich dimensionalen Vektorräumen, so ist ihre
Operatornorm nach Wahl einer Basis eine natürliche Matrixnorm. Ist der
Vektorraum
vollständig, dann ist auch der Raum der beschränkten (und damit stetigen)
linearen Operatoren von
nach
vollständig. Operatornormen sind immer submultiplikativ, sind demnach die beiden
Vektorräume gleich und vollständig, dann ist der Raum der stetigen linearen
Operatoren mit der Operatornorm und der Komposition
eine Banachalgebra.
Nukleare Norm
Die nukleare Norm eines nuklearen Operators zwischen zwei Banachräumen ist definiert als
,
wobei
eine Folge von Vektoren im Dualraum
und
eine Folge von Vektoren in
ist, so dass
die Gestalt
hat, und das Infimum
über alle solche nuklearen Darstellungen genommen wird. Sind die beiden
Vektorräume Hilberträume
wird die entsprechende nukleare Norm auch Spurnorm genannt. Der Raum der
nuklearen Operatoren ist mit der nuklearen Norm ein vollständiger normierter
Raum.
Hilbert-Schmidt-Norm
Die Hilbert-Schmidt-Norm eines Hilbert-Schmidt-Operators zwischen zwei Hilberträumen ist definiert als
,
wobei
eine Orthonormalbasis
von
ist. Die Hilbert-Schmidt-Norm verallgemeinert die Frobeniusnorm auf den Fall
unendlichdimensionaler Hilberträume. Die Hilbert-Schmidt-Norm ist von dem
Skalarprodukt
,
wobei
der adjungierte
Operator zu
ist, induziert. Die Menge der Hilbert-Schmidt-Operatoren bildet mit der
Hilbert-Schmidt-Norm selbst einen Hilbertraum und für
eine Banachalgebra, sogar eine H*-Algebra.
Schatten-Normen
Die Schatten--Norm
eines kompakten linearen Operators zwischen zwei separablen
Hilberträumen ist für
definiert als
,
wobei
die Folge der Singulärwerte des Operators ist. Im Fall
ergibt sich die Spurnorm und im Fall
die Hilbert-Schmidt-Norm. Die Menge der kompakten linearen Operatoren, deren
Singulärwerte in
>
liegen, bildet mit der jeweiligen Schatten-
-Norm
einen vollständigen normierten Raum und für
eine Banachalgebra.
Verallgemeinerungen
Gewichtete Normen
Gewichtete Normen sind Normen auf gewichteten Vektorräumen.
Beispielsweise erhält man induzierte gewichtete Funktionennormen durch
Multiplikation mit einer geeigneten positiven Gewichtsfunktion
über
mit
,
wobei
ein gewichtetes
-Skalarprodukt
ist. Die Einführung von Gewichtsfunktionen erlaubt es Funktionenräume zu
erweitern, beispielsweise auf Funktionen, deren Norm im ungewichteten Fall
unbeschränkt wäre, oder einzuschränken, beispielsweise auf Funktionen, die ein
bestimmtes Abfallverhalten aufweisen.
Quasinormen
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Wird die Dreiecksungleichung dahingehend abgeschwächt, dass lediglich eine
reelle Konstante
existiert, sodass für alle
gilt, so nennt man die entsprechende Abbildung Quasinorm und einen mit
einer solchen Quasinorm versehenen Vektorraum quasinormierter Raum.
Beispielsweise sind die -Normen
für
Quasinormen und die zugehörigen
-Räume
quasinormierte Räume, sogar Quasi-Banachräume.
Bewertete Körper und Moduln
Der Begriff einer Norm kann allgemeiner gefasst werden, indem statt
Vektorräumen über dem Körper
der reellen oder komplexen Zahlen beliebige Vektorräume über bewerteten Körpern
,
also Körpern mit einem Absolutbetrag
,
zugelassen werden.
Eine weitere Verallgemeinerung besteht darin, dass der Vektorraum durch einen
-(Links)-Modul
über einem unitären
Ring mit Betrag
ersetzt wird. Eine Funktion
heißt dann Norm auf dem Modul
,
wenn für alle
und alle Skalare
die drei Normeigenschaften Definitheit, absolute Homogenität und Subadditivität
erfüllt sind. Wenn im Grundring
der Betrag durch einen Pseudobetrag
ersetzt wird und im Modul
die Homogenität zur Subhomogenität abgeschwächt wird, erhält man eine Pseudonorm.
Siehe auch
Literatur
- Hans Wilhelm Alt: Lineare Funktionalanalysis: Eine anwendungsorientierte Einführung. 7. Auflage. Springer-Verlag, 2007, ISBN 3-540-34187-0.
- Albrecht Beutelspacher: Lineare Algebra. Eine Einführung in die Wissenschaft der Vektoren, Abbildungen und Matrizen. 5. Auflage. Vieweg, 2009, ISBN 3-528-66508-4.
- Hans Rudolf Schwarz, Norbert Köckler: Numerische Mathematik. 8. Auflage. Vieweg & Teubner, 2011, ISBN 978-3-8348-1551-4.
- Dirk Werner: Funktionalanalysis. Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-72533-6.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 14.03. 2023