Vollständiger Raum
Ein vollständiger Raum ist in der Analysis
ein metrischer
Raum, in dem jede Cauchy-Folge
von Elementen des Raums konvergiert.
Zum Beispiel ist der Raum der rationalen
Zahlen mit der Betragsmetrik
nicht vollständig, weil etwa die Zahl
nicht rational ist, es jedoch Cauchy-Folgen rationaler Zahlen gibt, die bei
Einbettung der rationalen Zahlen in die reellen Zahlen gegen
und somit gegen keine rationale Zahl konvergieren. Es ist aber stets möglich,
die Löcher auszufüllen, also einen unvollständigen metrischen Raum zu
vervollständigen. Im Fall der rationalen Zahlen erhält man dadurch den
Raum der reellen Zahlen.
Definition
Eine Folge
von Elementen eines metrischen
Raums
heißt Cauchy-Folge, falls
gilt. Weiter konvergiert
eine Folge
gegen ein Element
,
falls
gilt.
Ein metrischer Raum heißt nun vollständig, wenn in ihm jede Cauchy-Folge konvergiert.
Anmerkungen
- Zwar ist eine konvergente Folge stets eine Cauchy-Folge, aber die umgekehrte Richtung muss nicht notwendigerweise wahr sein. In einem vollständigen Raum besitzt nun eine Folge genau dann einen Grenzwert, wenn sie eine Cauchy-Folge ist; die beiden Begriffe fallen also zusammen.
- Oftmals fordert man in der Definition der Vollständigkeit, dass jede
Cauchy-Folge gegen ein Element „in
“ konvergiere. Der Zusatz „in
“ ist nicht unbedingt notwendig, da für Folgen in
schon gemäß der Definition der Konvergenz nur Elemente aus
als Grenzwerte in Frage kommen. Lediglich wenn mehrere metrische Räume betrachtet werden, zwischen denen es Schnittmengen gibt, werden üblicherweise Grenzwerte aus einem anderen Raum in Betracht gezogen. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass ein Teilraum eines metrischen Raums behandelt wird.
Beispiele
- Die Menge
der rationalen Zahlen ist mit der Betragsmetrik
- nicht vollständig, denn die Folge rationaler Zahlen
ist eine Cauchy-Folge, deren Grenzwert (siehe Heron-Verfahren) die irrationale Zahl
ist, die nicht in
liegt.
- Das abgeschlossene reelle Intervall
, die Menge der reellen Zahlen
und die Menge der komplexen Zahlen
sind mit der reellen bzw. komplexen Betragsmetrik jeweils vollständig.
- Das offene reelle Intervall
ist mit der Betragsmetrik nicht vollständig, denn der Grenzwert
der harmonischen Folge
liegt nicht in dem Intervall. Es gibt allerdings vollständige Metriken auf
, die dieselbe Topologie wie die Betragsmetrik erzeugen, zum Beispiel
-
für
.
- Der Raum
der p-adischen Zahlen ist vollständig für jede Primzahl
. Dieser Raum ist die Vervollständigung von
bezüglich der Metrik des p-adischen Betrags
-
,
- ebenso wie
die Vervollständigung von
für die Metrik des Absolutbetrags ist.
- Jeder endlichdimensionale Skalarproduktraum,
zum Beispiel der euklidische
Vektorraum
oder der unitäre Vektorraum
mit dem Standardskalarprodukt, ist mit der von dem Skalarprodukt abgeleiteten Metrik
- vollständig. Einen vollständigen Skalarproduktraum nennt man Hilbertraum.
- Jeder endlichdimensionale normierte
Raum, beispielsweise der Raum der reellen oder komplexen Matrizen
bzw.
mit einer Matrixnorm, ist mit der von der Norm abgeleiteten Metrik
- vollständig. Einen vollständigen normierten Raum nennt man Banachraum.
- Ist
eine beliebige nichtleere Menge, dann kann man die Menge
aller Folgen in
zu einem vollständigen metrischen Raum machen, indem man den Abstand zweier Folgen
auf
- setzt, wobei
der kleinste Index ist, für den
verschieden von
ist, und wobei der Abstand einer Folge zu sich selbst
ist.
- Für weitere Beispiele vollständiger Räume unendlicher Dimension siehe die Artikel Banachraum und Hilbertraum.
Einige Sätze
Jeder kompakte metrische Raum ist vollständig. Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn er vollständig und totalbeschränkt ist.
Eine Teilmenge eines vollständigen Raumes ist selbst genau dann vollständig, wenn sie abgeschlossen ist.
Ist
eine nichtleere Menge und
ein vollständiger metrischer Raum, dann ist der Raum
der beschränkten
Funktionen von
nach
mit der Metrik
ein vollständiger metrischer Raum.
Ist
ein topologischer
Raum und
ein vollständiger metrischer Raum, dann ist die Menge
der beschränkten stetigen
Funktionen von
nach
eine abgeschlossene Teilmenge von
und als solche mit der obigen Metrik vollständig.
In der riemannschen Geometrie ist die Aussage metrischer Vollständigkeit äquivalent zu der geodätischer Vollständigkeit (Satz von Hopf-Rinow).
Vervollständigung
Jeder metrische Raum
mit einer Metrik
kann vervollständigt werden, das heißt, es gibt einen vollständigen metrischen
Raum
mit einer Metrik
und einer Isometrie
,
so dass
dicht
in
liegt. Der Raum
heißt Vervollständigung von
.
Da alle Vervollständigungen von
isometrisch
isomorph sind, spricht man auch von der Vervollständigung von
.
Konstruktion
Die Vervollständigung von
kann man als Menge von Äquivalenzklassen
von Cauchy-Folgen in
konstruieren.
Sei dazu zunächst
die Menge der Cauchy-Folgen
in
,
und sei der Abstand
zweier Cauchy-Folgen
durch
definiert. Dieser Abstand ist wohldefiniert und eine Pseudometrik auf .
Die Eigenschaft
definiert eine Äquivalenzrelation
auf .
Der Abstand
lässt sich folgendermaßen auf die Quotientenmenge
übertragen:
- Sind
zwei Äquivalenzklassen und
und
zwei (beliebige) Repräsentanten, dann definiert man
- als Abstand in
. Er ist wohldefiniert, und
ist genau dann, wenn
äquivalent sind.
Damit ist
ein metrischer Raum.
Man kann jedem Element
die stationäre Folge
zuordnen, denn sie ist eine Cauchy-Folge. Die Äquivalenzklasse
liegt in
.
Auf diese Weise lässt sich der ursprüngliche metrische Raum
in
einbetten.
Da die Elemente
alle Cauchy-Folgen aus
sind, gibt es zu jedem
ein approximierendes
mit
.
Das Bild
liegt also dicht in
,
und das lässt sich auf
übertragen.
Im Folgenden sei der Kürze halber der Funktionsname
weggelassen.
ist überdies vollständig.
Beweis |
Sei
Im Folgenden wird an Stelle der Äquivalenzklasse Der einfacheren Darlegung halber sei vorausgesetzt, dass zwei
aufeinanderfolgende Repräsentanten Setzung: Weil Da jedes gewählt werden, analog zum Folgenglied
Ferner gibt es ein
ist. Mit Somit ist
ergibt sich
|
Damit wird die aus dem Wort „vervollständigt“ resultierende Erwartung „vollständig“ tatsächlich eingelöst, und die Vervollständigung eines bereits vollständigen Raumes bringt nichts Neues.
Ist
ein normierter
Raum, so kann man seine Vervollständigung auch einfacher bilden, indem man
als den Abschluss
des Bildes
von
im Bidualraum
unter der kanonischen
Einbettung
wählt.
Eigenschaften
Cantors Konstruktion der
reellen Zahlen aus den rationalen ist ein Spezialfall hiervon. Allerdings muss
man dabei, da die Metrik
die Existenz der reellen Zahlen schon voraussetzt, die Äquivalenzrelation
dadurch definieren, dass die Differenzfolge zweier Cauchy-Folgen eine Nullfolge
ist.
Vervollständigt man einen normierten Vektorraum, so erhält man einen Banachraum, der den ursprünglichen Raum als dichten Teilraum enthält. Daher erhält man auch einen Hilbertraum, wenn man einen euklidischen Vektorraum vervollständigt, denn die Parallelogrammgleichung bleibt in der Vervollständigung als normierter Raum erfüllt und das vollständige Skalarprodukt ergibt sich dann über die Polarisationsformel.
Gleichmäßig
stetige Abbildungen eines metrischen Raumes
in einen vollständigen metrischen Raum
lassen sich stets eindeutig zu (automatisch ebenfalls gleichmäßig) stetigen
Abbildungen auf der Vervollständigung
mit Werten in
fortsetzen.
Vollständig metrisierbare Räume
Vollständigkeit ist eine Eigenschaft der Metrik,
nicht der Topologie,
das heißt, ein vollständiger metrischer Raum kann homöomorph zu
einem unvollständigen metrischen Raum sein. Zum Beispiel sind die reellen Zahlen
vollständig, aber homöomorph zum offenen Intervall ,
das nicht vollständig ist (zum Beispiel ist
ein Homöomorphismus von
nach
).
Ein anderes Beispiel sind die irrationalen Zahlen, die zwar nicht vollständig,
aber homöomorph zum Raum der natürlichen Zahlenfolgen
(ein Spezialfall eines Beispiels von oben) sind.
In der Topologie betrachtet man vollständig metrisierbare Räume, das heißt Räume, für die mindestens eine vollständige Metrik existiert, die die vorhandene Topologie erzeugt.
Uniforme Räume
Wie viele andere Begriffe aus der Theorie metrischer Räume lässt sich auch
der Begriff der Vollständigkeit auf die Klasse der uniformen Räume
verallgemeinern: Ein uniformer Raum
heißt vollständig, wenn jedes Cauchy-Netz
konvergiert. Die meisten oben genannten Aussagen bleiben im Kontext uniformer
Räume gültig, beispielsweise besitzt auch jeder uniforme Raum eine eindeutige
Vervollständigung.
Topologische Vektorräume tragen eine natürliche uniforme Struktur und sie heißen vollständig, wenn sie bezüglich dieser uniformen Struktur vollständig sind. Sie heißen quasivollständig, wenn jedes beschränkte Cauchy-Netz konvergiert, das heißt, wenn jede beschränkte, abgeschlossene Menge vollständig ist.
Eine topologische Gruppe heißt vollständig, wenn sie bezüglich ihrer linken uniformen Struktur (oder äquivalent: zu ihrer rechten uniformen Struktur) vollständig ist.
Literatur
- Dirk Werner: Funktionalanalysis, Springer-Verlag, Berlin, 2007, ISBN 978-3-540-72533-6



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.10. 2022