Reelle Zahl

Der Buchstabe R mit Doppelstrich
steht für die Menge der reellen Zahlen

Die reellen Zahlen bilden einen in der Mathematik bedeutenden Zahlenbereich. Er ist eine Erweiterung des Bereichs der rationalen Zahlen, der Brüche, womit die Maßzahlen der Messwerte für übliche physikalische Größen wie zum Beispiel Länge, Temperatur oder Masse als reelle Zahlen aufgefasst werden können. Die reellen Zahlen umfassen die rationalen Zahlen und die irrationalen Zahlen.

Die reellen Zahlen haben gegenüber den rationalen Zahlen besondere topologische Eigenschaften. Diese bestehen unter anderem darin, dass für jedes „stetige Problem“, für das in einem gewissen Sinne beliebig gute, nahe beieinander liegende näherungsweise Lösungen in Form von reellen Zahlen existieren, auch eine reelle Zahl als exakte Lösung existiert. Daher können sie in der Analysis, der Topologie und der Geometrie vielseitig eingesetzt werden. Beispielsweise können Längen und Flächeninhalte sehr vielfältiger geometrischer Objekte sinnvoll als reelle Zahlen, nicht aber etwa als rationale Zahlen definiert werden. Wenn in empirischen Wissenschaften mathematische Konzepte – wie zum Beispiel Längen – zur Beschreibung eingesetzt werden, spielt daher auch dort die Theorie der reellen Zahlen oft eine wichtige Rolle.

Einteilung der reellen Zahlen

Zur Bezeichnung der Menge aller reellen Zahlen wird das Symbol \mathbb {R} (Unicode U+211D: ℝoder auch \mathbf{R} verwendet. Die reellen Zahlen umfassen:

Die rationalen Zahlen sind diejenigen Zahlen, die sich als Bruch ganzer Zahlen darstellen lassen. Eine Zahl heißt irrational, wenn sie reell, aber nicht rational ist. Die ersten Beweise, dass die Zahlengerade irrationale Zahlen enthält, wurden von den Pythagoräern geführt. Irrationale Zahlen sind beispielsweise die nicht ganzzahligen Wurzeln aus ganzen Zahlen wie {\sqrt {2}} oder {\sqrt[ {3}]7}.

Eine die rationalen Zahlen umfassende Teilmenge der reellen Zahlen ist die Menge der (reellen) algebraischen Zahlen, d.h. der reellen Lösungen von Polynomgleichungen mit ganzzahligen Koeffizienten. Diese Menge umfasst unter anderem sämtliche reellen n-ten Wurzeln aus rationalen Zahlen für n\in \mathbb {N} und deren endliche Summen, aber nicht nur diese (z.B. Lösungen geeigneter Gleichungen 5. Grades). Ihr Komplement ist die Menge der (reellen) transzendenten Zahlen. Eine transzendente Zahl ist demnach stets irrational. Transzendent sind zum Beispiel die Kreiszahl \pi (Pi) und die Eulersche Zahl e. Alle bisher genannten Beispiele sind berechenbar, im Gegensatz zum Grenzwert einer Specker-Folge.

Notation für häufig verwendete Teilmengen der reellen Zahlen

Ist a\in \mathbb {R} , dann bezeichnet

\mathbb{R} ^{{\neq a}}=\mathbb{R} \setminus \{a\} die Menge aller reellen Zahlen außer der Zahl a,
{\displaystyle \mathbb {R} ^{\geq a}=\{x\in \mathbb {R} \mid x\geq a\},}
{\displaystyle \mathbb {R} ^{>a}=\{x\in \mathbb {R} \mid x>a\},}
{\displaystyle \mathbb {R} ^{\leq a}=\{x\in \mathbb {R} \mid x\leq a\},}
{\displaystyle \mathbb {R} ^{<a}=\{x\in \mathbb {R} \mid x<a\}.}

Besonders häufig wird diese Schreibweise mit a=0 verwendet, um die Menge \mathbb{R} ^{{>0}} der positiven reellen Zahlen oder die Menge \mathbb{R} ^{{\geq 0}} der nichtnegativen reellen Zahlen zu bezeichnen. Gelegentlich finden sich für den Spezialfall a=0 auch die Bezeichnungen \mathbb{R} ^{{+}} oder \mathbb{R} _{0}^{{+}}. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, da bei \mathbb{R} ^{{+}} bei manchen Autoren die Null eingeschlossen ist, bei anderen nicht.

Konstruktion der reellen aus den rationalen Zahlen

Die Konstruktion der reellen Zahlen als Zahlbereichserweiterung der rationalen Zahlen war im 19. Jahrhundert ein wichtiger Schritt, um die Analysis auf ein solides mathematisches Fundament zu stellen. Die erste exakte Konstruktion geht wohl auf Karl Weierstraß zurück, der die reellen Zahlen über beschränkte Reihen mit positiven Gliedern definierte.

Heute gebräuchliche Konstruktionen der reellen Zahlen:

Die vier genannten Konstruktionsmethoden „vervollständigen“ (komplettieren) alle die rationalen Zahlen und führen zur (bis auf Isomorphie) gleichen Struktur, dem Körper der reellen Zahlen. Jede der Methoden beleuchtet eine andere Eigenschaft der rationalen und reellen Zahlen und ihrer Beziehung zueinander:

Axiomatische Einführung der reellen Zahlen

Die Konstruktion der reellen Zahlen als Zahlbereichserweiterung der rationalen Zahlen wird in der Literatur oft in vier Schritten vorgenommen: Von der Mengenlehre über die natürlichen, die ganzen, die rationalen schließlich zu den reellen Zahlen wie oben beschrieben. Eine direkte Möglichkeit, die reellen Zahlen mathematisch zu erfassen, ist, sie durch Axiome zu beschreiben. Dazu benötigt man drei Gruppen von Axiomen – die Körperaxiome, die Axiome der Ordnungsstruktur sowie ein Axiom, das die Vollständigkeit garantiert.

  1. Die reellen Zahlen sind ein Körper.
  2. Die reellen Zahlen sind total geordnet (siehe auch geordneter Körper), d.h., für alle reellen Zahlen a,b,c gilt:
    1. Es gilt genau eine der Beziehungen a<b, a=b, b<a (Trichotomie).
    2. Aus a<b und b<c folgt a<c (Transitivität).
    3. Aus a<b folgt a+c<b+c (Verträglichkeit mit der Addition).
    4. Aus a<b und c > 0 folgt ac < bc (Verträglichkeit mit der Multiplikation).
  3. Die reellen Zahlen sind ordnungsvollständig, d.h., jede nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge von \mathbb {R} besitzt ein Supremum in \mathbb {R} .

Wenn man die reellen Zahlen axiomatisch einführt, dann ist die Konstruktion als Zahlbereichserweiterung eine Möglichkeit für den Beweis ihrer Existenz, genauer: Die Konstruktion in vier Schritten aus der Mengenlehre beweist, dass ein Modell für die durch die Axiome beschriebene Struktur in der Mengenlehre, von der die Konstruktion ausging, vorhanden ist. Außerdem kann gezeigt werden, dass durch die angegebenen Axiome der Körper der reellen Zahlen bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt ist. Dies folgt im Wesentlichen daraus, dass ein Modell der reellen Zahlen außer der Identität keinen weiteren Automorphismus zulässt.

Statt der oben genannten Axiome gibt es weitere Möglichkeiten, die reellen Zahlen axiomatisch zu charakterisieren. Besonders das Axiom der Vollständigkeit kann unterschiedlich formuliert werden. So gibt es insbesondere für die oben beschriebenen Konstruktionsmöglichkeiten auch unterschiedliche Möglichkeiten, die Vollständigkeit auszudrücken, wie der nächste Abschnitt zeigt.

Zum Supremumsaxiom gleichwertige Axiome

Alternativ zum Supremumsaxiom kann gefordert werden:

Außerdem gibt es die Möglichkeit, die Vollständigkeit durch stetige Funktionen zu beschreiben, indem man bestimmte Eigenschaften stetiger Funktionen zu Axiomen erhebt. Etwa:

Mächtigkeiten

Die Mächtigkeit von \mathbb {R} wird mit {\mathfrak  c} (Mächtigkeit des Kontinuums) bezeichnet. Sie ist größer als die Mächtigkeit der Menge der natürlichen Zahlen, die als kleinste unendliche Mächtigkeit \aleph _{0} heißt. Die Menge der reellen Zahlen ist deshalb überabzählbar. Ein Beweis für ihre Überabzählbarkeit ist Cantors zweites Diagonalargument. Informell bedeutet „Überabzählbarkeit“, dass jede Liste x_{1},x_{2},x_{3},\ldots reeller Zahlen unvollständig ist. Da die Menge der reellen Zahlen gleichmächtig zu der Potenzmenge der natürlichen Zahlen ist, gibt man ihre Mächtigkeit auch mit 2^{\aleph_0} an.

Die eingangs genannten weniger umfassenden Erweiterungen der Menge der natürlichen Zahlen sind dagegen gleichmächtig mit den natürlichen Zahlen, also abzählbar. Für die Menge der rationalen Zahlen lässt sich dies durch Cantors erstes Diagonalargument beweisen. Selbst die Menge der algebraischen Zahlen und allgemeiner die Menge der berechenbaren Zahlen sind abzählbar. Die Überabzählbarkeit entsteht also erst durch die Hinzunahme der nicht-berechenbaren transzendenten Zahlen.

In der Mengenlehre wurde nach Cantors Entdeckungen die Frage untersucht: „Gibt es eine Mächtigkeit zwischen „abzählbar“ und der Mächtigkeit der reellen Zahlen, zwischen \aleph _{0} und {\mathfrak  c}?“ – Oder, für die reellen Zahlen formuliert: „Ist jede überabzählbare Teilmenge der reellen Zahlen gleichmächtig wie die Menge aller reellen Zahlen?“ Die Vermutung, dass die Antwort auf die erste Frage „Nein!“ und auf die zweite Frage „Ja“ lautet, wird als Kontinuumhypothese (CH) bezeichnet, kurz formuliert als \aleph_1 = {\mathfrak  c} und 2^{{\aleph _{0}}}=\aleph _{1}. Es konnte gezeigt werden, dass die Kontinuumhypothese unabhängig ist von den üblicherweise verwendeten Axiomensystemen wie der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom (ZFC) d.h., sie kann im Rahmen dieser Systeme weder bewiesen noch widerlegt werden.

Topologie, Kompaktheit, erweiterte reelle Zahlen

Die übliche Topologie, mit der die reellen Zahlen versehen werden, ist diejenige, die aus der Basis der offenen Intervalle

(a,b)={]a,b[}=\{x\in \mathbb{R} \mid a<x<b\}; a,b\in \mathbb {R}

erzeugt wird. In dieser Form geschrieben ist es die Ordnungstopologie. Offene Intervalle in den reellen Zahlen lassen sich aber auch durch Mittelpunkt p und Radius r darstellen: ]p-r,p+r[, also als offene Kugeln

B_{r}(p):=\{x\in \mathbb{R} \mid |x-p|<r\}

bezüglich der durch die Betragsfunktion definierten Metrik d(x,y):=|x-y|. Die von den offenen Intervallen erzeugte Topologie ist also gleichzeitig die Topologie dieses metrischen Raums. Da die rationalen Zahlen in dieser Topologie dicht liegen, reicht es, sich bei den Intervallgrenzen bzw. den Mittelpunkten und Radien der Bälle, die die Topologie definieren, auf rationale Zahlen a,b,p,r zu beschränken, die Topologie genügt daher beiden Abzählbarkeitsaxiomen.

Im Gegensatz zu den rationalen Zahlen sind die reellen Zahlen ein lokalkompakter Raum; zu jeder reellen Zahl x lässt sich also eine offene Umgebung angeben, deren Abschluss kompakt ist. So eine offene Umgebung ist einfach zu finden; jede beschränkte, offene Menge U mit x\in U leistet das Gewünschte: nach dem Satz von Heine-Borel ist {\bar  {U}} kompakt.

Der reelle Zahlenkörper ist nur lokalkompakt, aber nicht kompakt. Eine verbreitete Kompaktifizierung sind die sogenannten erweiterten reellen Zahlen \overline {\mathbb{R} }:=\mathbb{R} \cup \{-\infty ,+\infty \}, wobei die Umgebungen von -\infty durch die Umgebungsbasis

{\displaystyle {\mathfrak {B}}:=\{B_{r}(-\infty )\mid r\in {\mathbb {Q} }^{+}\}} mit B_{r}(-\infty ):=\{x\in \mathbb{R} \mid x<-{\tfrac  1r}\}

und die Umgebungen von +\infty durch die Umgebungsbasis

{\displaystyle {\mathfrak {B}}:=\{B_{r}(+\infty )\mid r\in {\mathbb {Q} }^{+}\}} mit B_{r}(+\infty ):=\{x\in \mathbb{R} \mid x>{\tfrac  1r}\}

definiert werden. Diese Topologie genügt weiterhin beiden Abzählbarkeitsaxiomen. \overline {\mathbb{R} }\; ist homöomorph zum abgeschlossenen Intervall [0,1], beispielsweise ist die Abbildung x\mapsto \arctan x ein Homöomorphismus \overline {\mathbb{R} }\to [-\pi /2,\pi /2], und alle kompakten Intervalle sind mittels affin-linearer Funktionen homöomorph. Bestimmt divergente Folgen sind in der Topologie der erweiterten reellen Zahlen konvergent, beispielsweise handelt die Aussage

\lim _{{n\to \infty }}n^{2}=+\infty

in dieser Topologie von einem echten Grenzwert.

Mit -\infty <x<\infty für alle x\in \mathbb {R} sind die erweiterten reellen Zahlen weiterhin totalgeordnet. Es ist allerdings nicht möglich, die Körperstruktur der reellen Zahlen auf die erweiterten reellen Zahlen zu übertragen, beispielsweise hat die Gleichung \infty +x=\infty keine eindeutige Lösung.

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Literatur

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.06. 2021