Drehmatrix
Eine Drehmatrix oder Rotationsmatrix ist eine reelle, orthogonale Matrix mit Determinante +1. Ihre Multiplikation mit einem Vektor lässt sich interpretieren als (sogenannte aktive) Drehung des Vektors im euklidischen Raum oder als passive Drehung des Koordinatensystems, dann mit umgekehrtem Drehsinn. Bei der passiven Drehung ändert sich der Vektor nicht, er hat bloß je eine Darstellung (Koordinatenwerte) im alten und im neuen Koordinatensystem. Dabei handelt es sich stets um Drehungen um den Ursprung, da die Multiplikation einer Matrix mit dem Nullvektor diesen auf sich selbst abbildet.
In ungeraden Dimensionen
werden durch eine Drehung weitere Vektoren auf sich selbst abgebildet, .
Im dreidimensionalen Raum handelt es sich also um eine Gerade, die Drehachse.
Eine Drehmatrix enthält trigonometrische
Ausdrücke des Drehwinkels und der Orientierung des invarianten Unterraumes. In
geraden Dimensionen muss die Drehmatrix keinen reellen Eigenwert
haben.
Drehmatrix der Ebene ℝ²
In der euklidischen
Ebene
wird die Drehung eines Vektors
(aktive Drehung, Überführung in den Vektor
)
um einen festen Ursprung
um den Winkel
mathematisch positiv (gegen den Uhrzeigersinn) durch die
Multiplikation mit der Drehmatrix
erreicht:
Jede Rotation um den Ursprung ist eine lineare Abbildung. Wie bei jeder linearen Abbildung genügt daher zur Festlegung der Gesamtabbildung die Festlegung der Bilder der Elemente einer beliebigen Basis. Wird die Standardbasis gewählt, sind die Bilder der Basisvektoren gerade die Spalten der dazugehörigen Abbildungsmatrix.
Hier wirkt
auf die beiden Basisvektoren wie folgt:
Für die Drehmatrix einer Drehung um
ergibt sich damit
Ein Punkt
geht in den Punkt
über, dessen (als Spaltenvektor geschriebenen) Ortsvektor
man aus
durch Anwenden der obigen Formel
erhält:
Diese Matrixmultiplikation ergibt:
Bei der passiven Drehung wird das Koordinatensystem mathematisch positiv
gedreht. Der Vektor
erscheint im gedrehten Koordinatensystem als im Uhrzeigersinn zurückgedrehter
Vektor
.
Seine Koordinaten im gedrehten Koordinatensystem findet man durch Multiplikation
mit der Matrix
:
Die Drehmatrix für die passive Drehung ist:
Die Verkettung zweier positiver Drehungen um die Winkel
bzw.
ist erneut eine Drehung, und zwar um den Winkel
(siehe auch Kreisgruppe).
Die zur Verkettung gehörende Matrix kann mittels Multiplikation
aus den beiden einzelnen Drehmatrizen berechnet werden:
Drehmatrizen des Raumes R³
Die elementaren Drehungen im
sind Drehungen um die üblichen kartesischen
Koordinatenachsen. Die folgenden Matrizen drehen einen Punkt (bzw. Vektor)
um den Winkel
bei festen Koordinatenachsen. In der Physik werden häufig Drehungen des
Koordinatensystems benutzt, dann müssen bei den untenstehenden Matrizen die Vorzeichen aller
Sinus-Einträge geändert werden. Die Drehung eines Vektors um einen bestimmten
Winkel in einem Koordinatensystem führt auf dieselben Spaltenvektoren wie die
Drehung des Koordinatensystems um den gleichen Winkel in umgekehrter Richtung
(Drehung um negativen Winkel).
Die Matrizen gelten sowohl für Rechts-
als auch für Linkssysteme. Drehungen mit positiven Drehwinkeln sind im
Rechtssystem Drehungen entgegen dem Uhrzeigersinn. Im Linkssystem wird bei
positiven Winkeln mit dem Uhrzeigersinn gedreht. Der Drehsinn ergibt sich, wenn
man entgegen der positiven Drehachse auf den Ursprung schaut. In Rechtssystemen
kann auch eine Rechte-Hand-Regel
angewandt werden: Zeigt der Daumen der rechten Hand in Richtung der Drehachse,
so geben die gebeugten restlichen Finger die Richtung des Drehwinkels an. Im
Ergebnis ist das Vorzeichen der Sinus-Einträge der Drehung um die -Achse
anders als bei den beiden anderen Matrizen.
- Drehung um die
-Achse:
- Drehung um die
-Achse:
- Drehung um die
-Achse:
- Drehung um eine Ursprungsgerade,
deren Richtung und Orientierung durch den beliebigen Einheitsvektor
gegeben ist:
Diese beliebige Drehung lässt sich auch über drei aufeinanderfolgende Drehungen mit den eulerschen Winkeln um bestimmte Koordinatenachsen erzielen, sodass sich diese Matrix auch mit diesen Winkeln formulieren lässt.
Eine Drehung um eine beliebige Achse
(mit
)
um den Winkel
lässt sich im
schreiben als:
Dies lässt sich mit der Graßmann-Identität
für doppelte Kreuzprodukte und dem dyadischen
Produkt
umformen zu:
Dabei ist
die Einheitsmatrix
und
sind die kanonischen Einheitsvektoren.
ist die Kreuzproduktmatrix
von
.
Der Term in geschweiften Klammern stellt die Drehmatrix im
dar. In Komponentendarstellung schreibt sich diese so:
Dabei sind
das Kronecker-Delta
und
das Levi-Civita-Symbol.
Eine Drehmatrix
im
hat den Eigenwert 1,
dieser ist nicht entartet, und der zugehörige Eigenraum
bildet die Drehachse.
Parametrisierung
Für Drehmatrizen im dreidimensionalen Raum sind mehrere Parametrisierungen bekannt:
- Euler-, Kardan- und Tait-Bryan-Winkel werden in der Kreiseltheorie, Luftfahrt, Schifffahrt und im Automobilbau verwendet.
- Die Euler-Rodrigues-Formel basiert auf den Quaternionen und wird in der Robotik und Computergrafik angewendet.
- Rotationsvektoren
sind in vielfältiger Weise definierbar, siehe die folgende Auflistung.
Darin ist
der Drehwinkel,
der Einheitsvektor
in Richtung der Drehachse
und
ist die Kreuzproduktmatrix
des Rotationsvektors. Die Auflistung gibt vier Darstellungen derselben
Drehmatrix, die mit Winkel
um die Drehachse
dreht.
Drehmatrizen des Raumes ℝⁿ
Im -dimensionalen
Raum wird eine Drehung nicht durch eine Drehachse, sondern durch die Ebene
definiert, die bei der Drehung auf sich selbst abgebildet wird. Das gilt auch in
zwei Dimensionen, wo die Dreh-„Achse“ nur ein Punkt ist. Seien im
die Vektoren
und
zwei zueinander orthogonale Einheitsvektoren (also
und
),
die demnach eine Ebene aufspannen. Seien
,
,
und
die Einheitsmatrix. Dann vermittelt die Matrix
eine Drehung um den Winkel
in der
im
.
Dabei wurde
und
definiert. Die Darstellung >
ergibt sich aus den Identitäten
sowie
Eigensystem der Drehmatrizen
Von
wird jeder auf
und
senkrecht stehende Vektor
(mit
)
auf sich selbst abgebildet. Also sind diese Vektoren
Eigenvektoren von
mit Eigenwert 1. Zwei Eigenwerte von
sind >
mit den Eigenvektoren
,
worin
die imaginäre
Einheit definiert. Aus diesen komplexen Eigenwerten und Eigenvektoren kann
man also den Drehwinkel und die Drehebene rekonstruieren. Des Weiteren gilt bei
Drehung in einer Ebene:
Allerdings kann eine Drehung im -dimensionalen
Raum gleichzeitig in
(falls
gerade) oder
(falls
ungerade) Ebenen auch mit mehreren unterschiedlichen Winkeln stattfinden.
Dadurch kann es in geraden Dimensionen dazu kommen, dass eine allgemeine
Drehmatrix nicht den Eigenwert 1 hat.
Allgemeine Definition
Eine -Matrix
mit reellen Komponenten heißt Drehmatrix, wenn sie
- a) die Länge von Vektoren und die Winkel zwischen Vektoren erhält
(ausgedrückt durch das Skalarprodukt),
wenn also für alle Vektoren
und
des
gilt:
und
- b) orientierungserhaltend
ist, wenn also
gilt.
Drehmatrizen sind orthogonale Matrizen mit der Determinante +1.
Eigenschaften
Weitere Eigenschaften von Rotationsmatrizen :
- Quadratische Matrix mit reellen Komponenten
(orthogonal), folgt aus dem ersten Teil der Definition:
(Transponierte und Inverse von R sind gleich), folgt aus der Orthogonalität.
(Determinante), entspricht dem zweiten Teil der Definition.
- Die Ausrichtung des Koordinatensystems (Rechts-
oder Linkssystem) wird beibehalten, da
positive Orientierung.
- Die Kombination einer Drehung
mit anschließender Drehung
erfolgt mit der Matrix
. Weil die Matrizenmultiplikation nicht kommutativ ist, führt die umgekehrte Reihenfolge
im Allgemeinen zu einem anderen Ergebnis. Nur bei infinitesimal kleinen Drehungen ist die Reihenfolge vertauschbar, siehe #Kommutativität infinitesimaler Drehungen.
- Die Menge aller Drehmatrizen eines Raumes bildet die Drehgruppe, nämlich die spezielle orthogonale Gruppe:
- Zusätzlich zur algebraischen Struktur einer Gruppe besitzt
die Menge aller Drehmatrizen auch eine topologische
Struktur: Die Operationen Multiplikation und Inversion von Drehmatrizen
sind stetig differenzierbare Funktionen ihrer Parameter, der Drehwinkel. Die
bildet eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und ist somit eine Lie-Gruppe. Diese hat die Dimension
.
- Mit der Lie-Gruppe
ist eine Lie-Algebra
verknüpft, ein Vektorraum mit einem bilinearen alternierenden Produkt (Lie-Klammer), wobei der Vektorraum bezüglich der Lie-Klammer abgeschlossen ist. Dieser Vektorraum ist isomorph zum Tangentialraum am neutralen Element der
(neutrales Element ist die Einheitsmatrix), sodass insbesondere
gilt. Die Lie-Algebra besteht aus allen schiefsymmetrischen
-Matrizen und ihre Basis sind die sog. Erzeugenden. Die Exponentialabbildung verknüpft die Lie-Algebra mit der Lie-Gruppe:
Speziell bei Drehungen in einer Ebene gilt für Rotationsmatrizen :
- Zwei Vektoren spannen die Drehebene auf und
Vektoren werden von
auf sich abgebildet. In drei Dimensionen wird ein Vektor auf sich abgebildet, der dann die Drehachse erzeugt.
- Die zur Drehebene senkrechten Vektoren
sind Lösung von
-
- Da
für ungerade Dimensionen nicht regulär ist, ist die Berechnung dieser Vektoren über eine Eigenwertzerlegung durchzuführen. Die Vektoren
sind Eigenvektor von
mit Eigenwert 1. In geraden Dimensionen muss kein Eigenvektor zum Eigenwert 1 existieren, was im Fall
anschaulich klar ist.
- Der Drehwinkel
ergibt sich über das Skalarprodukt:
-
- mit
in der Drehebene, in drei Dimensionen also orthogonal zur Drehachse, oder aus der Spur der Drehmatrix
- (siehe auch Formel für die Matrix einer Drehung um eine allgemeine Achse oben).
Infinitesimale Drehungen
Betrachtet man Drehungen um infinitesimal kleine Winkel ,
so ist es ausreichend, die Winkelfunktionen der endlichen Drehung bis zur ersten
Ordnung zu entwickeln (
bzw.
).
Damit lassen sich nun infinitesimale Drehungen darstellen als
wobei
die Einheitsmatrix und
die Erzeugende einer infinitesimalen Drehung darstellt. Die Erzeugenden
sind die Ableitungen der Rotationsmatrix an der Stelle der Identität und bilden
die Basis der Lie-Algebra
(Beispiel siehe unten).
Eine endliche Drehung lässt sich durch Hintereinanderausführung infinitesimaler Drehungen erzeugen:
Dabei wurde die Exponentialfunktion identifiziert. Die Exponentialfunktion von Matrizen ist über die Reihendarstellung definiert, wie im letzten Schritt gezeigt. Es lässt sich zeigen, dass Erzeugende spurfrei sein müssen:
und schiefsymmetrisch sind:
Mit dem Konzept der Erzeugenden lässt sich die lokale Gruppenstruktur der
in der Umgebung der identischen Abbildung ausdrücken, und zwar durch die
infinitesimalen Drehungen. Wegen des Zusammenhangs über die Exponentialfunktion
wird aus einer Multiplikation von Drehmatrizen eine Addition ihrer Erzeugenden.
Die Erzeugenden bilden einen Vektorraum derselben Dimension
wie die Drehgruppe
;
somit gibt es
linear unabhängige Erzeugende der Gruppe
.
Die Erzeugenden
bilden mit dem Lie-Produkt (Kommutator)
die sog. Lie-Algebra
.
Eine Algebra
besitzt zwei Gruppenstrukturen, die kommutative Addition und eine Multiplikation
(Lie-Produkt). Der Kommutator zweier Erzeugenden liegt wieder in der Menge der
Erzeugenden (Abgeschlossenheit):
Die Koeffizienten
sind charakteristische Konstanten der Gruppe. Für alle doppelten Kommutatoren
gilt die Jacobi-Identität:
In der theoretischen Physik spielen Lie-Gruppen eine wichtige Rolle, z.B. in der Quantenmechanik (siehe Drehimpulsoperator) oder der Elementarteilchenphysik.
Ebene ℝ²
Für Drehungen im
lauten die infinitesimale Drehung und ihre Erzeugende:
Für die
gibt es nur eine linear unabhängige Erzeugende.
Eine endliche Drehung lässt sich über die Exponentialfunktion des Drehwinkels und der Erzeugenden darstellen. Dies wird hier auf eine weitere Art gezeigt: Die Drehmatrix wird in einen symmetrischen und antisymmetrischen Anteil zerlegt und die trigonometrischen Funktionen werden durch ihre Taylorreihe dargestellt.
Mit
bzw.
folgt das von oben bekannte Ergebnis:
Raum ℝ³
Für Drehungen im
um die kartesischen Koordinatenachsen lauten die infinitesimalen Drehungen und
ihre Erzeugenden:
Für die
gibt es drei linear unabhängige Erzeugende. Gegenüber endlichen Drehungen
vertauschen infinitesimale Drehungen miteinander (der Kommutator
verschwindet in erster Ordnung in
).
Eine infinitesimale Drehung und ihre Erzeugende um eine beliebige Achse
(mit
)
lässt sich auch schreiben als:
Hieran sieht man, dass eine beliebige Erzeugende stets eine schiefsymmetrische Matrix ist.
Eine endliche Drehung um eine beliebige Achse
(mit
)
um den Winkel
lässt sich so darstellen:
Die Erzeugenden ,
,
bilden die sog. Lie-Algebra
,
d.h., der Kommutator (Lie-Produkt) zweier Erzeugenden liegt wieder in der
Menge der Erzeugenden:
und ebenso für alle zyklischen Permutationen der Indizes.
Kommutativität infinitesimaler Drehungen
Zwei infinitesimale Drehungen sind in ihrer Reihenfolge vertauschbar, was bei
großen Drehungen im Allgemeinen nicht der Fall ist, siehe #Eigenschaften.
Ersichtlich ist das am Produkt zweier infinitesimaler Drehungen
und
denn die Terme, die proportional zum Produkt
zweier infinitesimaler Größen sind, können gegenüber den anderen vernachlässigt
werden.
Bestimmung der Drehung zwischen zwei Lagen
Gegeben sei die Lage eines Körpers in zwei Positionen. Außerdem sei die
Positionsänderung durch Drehung um den Ursprung erfolgt. Gesucht ist die oder
eine Drehmatrix, die diese Drehung beschreibt. Im -dimensionalen
Raum wird die Lage des Körpers durch
Punkte
beschrieben, welche die Matrix
bilden. Die Ausgangslage werde durch
,
die verdrehte Lage durch
beschreiben. Dann gilt für die Drehung
Ist
regulär, dann kann die Drehmatrix einfach durch Rechtsmultiplikation mit
bestimmt werden:
Ist
nicht regulär, weil zum Beispiel einer der Punkte des Körpers im Ursprung liegt,
dann kann die Inverse nicht gebildet werden. Auch die Pseudoinverse führt hier
nicht zum Ziel. Allerdings kann eine Singulärwertzerlegung
durchgeführt werden. Diese liefert für eine Matrix
die unitären
Matrizen
und
sowie die Diagonalmatrix
der Singulärwerte:
Man kann zeigen, dass die Singulärwerte gegenüber einer Rotation invariant
sind. Es gilt also
und damit
Siehe auch
Literatur
- Gerd Fischer: Lineare Algebra. Eine Einführung für Studienanfänger. 17. aktualisierte Auflage. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8348-0996-4 (Studium. Grundkurs Mathematik).
- Max Koecher: Lineare Algebra und analytische Geometrie. 4. ergänzte und aktualisierte Auflage. Springer, Berlin u.a. 1997, ISBN 3-540-62903-3 (Grundwissen Mathemati– Springer-Lehrbuch).
- Florian Scheck: Theoretische Physik. Band 1: Mechanik, von den Newtonschen Gesetzen zum deterministischen Chaos. 8. Auflage. Springer, Berlin u.a. 2007, ISBN 978-3-540-71377-7.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.08. 2022