Schwache Ableitung
Eine schwache Ableitung ist in der Funktionalanalysis, einem Teilgebiet der Mathematik, eine Erweiterung des Begriffs der gewöhnlichen (klassischen) Ableitung. Er ermöglicht es, Funktionen eine Ableitung zuzuordnen, die nicht (stark bzw. im klassischen Sinne) differenzierbar sind.
Schwache Ableitungen spielen eine große Rolle in der Theorie der partiellen Differentialgleichungen. Räume schwach differenzierbarer Funktionen sind die Sobolev-Räume. Ein noch allgemeinerer Begriff der Ableitung ist die Distributionenableitung.
Definition
Schwache Ableitung für reelle Funktionen
Betrachtet man eine auf einem offenen Intervall
(klassisch) differenzierbare Funktion
,
deren Ableitung
eine
-Funktion
(lokal in
integrierbar) ist, und eine Testfunktion
(das heißt,
ist beliebig oft differenzierbar und besitzt einen kompakten Träger), dann
gilt
.
Hierbei wurde die partielle
Integration verwendet, wobei die Randterme auf Grund der Eigenschaften der
Testfunktionen wegfallen
. Lässt man die Forderung an die Integrabilität der Ableitung weg, ist das
Integral auf der linken Seite der obigen Gleichung im Allgemeinen nicht
wohldefiniert.
Ist
selbst eine
-Funktion,
dann kann, auch wenn
nicht differenzierbar ist, eine Funktion
existieren, die die Gleichung
für jede Testfunktion
erfüllt. Eine solche Funktion
heißt schwache Ableitung von
.
Man schreibt wie bei der klassischen Ableitung
.
Höhere schwache Ableitungen
Sinngemäß zum oben beschriebenen Fall können schwache Ableitungen auch für Funktionen auf höherdimensionalen Räumen definiert werden. Entsprechend kann man auch die höheren schwachen Ableitungen definieren.
Es seien ,
eine lokal integrierbare Funktion, das heißt,
,
und
ein Multiindex.
Eine Funktion
heißt
-te
schwache Ableitung von
,
falls für alle Testfunktionen
gilt:
.
Hierbei ist
und
.
Häufig schreibt man
.
Man kann statt
offenbar auch nur
für
fordern. Die Teilmenge der Funktionen aus
,
in der
schwache Ableitungen existieren, ist ein sogenannter Sobolev-Raum.
Liegt eine Funktion
vor, so fordert man die schwache Differenzierbarkeit in jeder der
Bildkomponenten.
Erweiterungen
Die Definition der schwachen Ableitung lässt sich auf unbeschränkte Mengen
also ganz
oder
,
Räume periodischer Funktionen oder Räume auf der Kugel oder höherdimensionalen
Sphären erweitern.
In einer weiteren Verallgemeinerung lassen sich auch Ableitungen gebrochener Ordnung gewinnen.
Eigenschaften
Eindeutigkeit
Die schwache Ableitung ist, wenn sie existiert, eindeutig: Gäbe es zwei
schwache Ableitungen
und
,
dann müsste nach der Definition
für alle Testfunktionen
gelten, was aber nach dem Lemma von Du
Bois-Reymond
bedeutet (im
-Sinne,
d.h. fast
überall), da die Testfunktionen dicht in
liegen (für
).
Beziehung zur klassischen (starken) Ableitung
Bei jeder klassisch differenzierbaren Funktion ,
deren Ableitung
eine
-Funktion
ist, existiert die schwache Ableitung und stimmt mit der klassischen Ableitung
überein, so dass man von einer Verallgemeinerung des Ableitungsbegriffs sprechen
kann. Im Gegensatz zur klassischen Ableitung ist die schwache Ableitung aber
nicht punktweise, sondern nur für die ganze Funktion definiert. Punktweise muss
eine schwache Ableitung nicht einmal existieren. Gleichheit ist daher im
-Sinne
zu verstehen, d.h. fast überall.
Es lässt sich zeigen, dass hinreichend oft vorhandene schwache
Differenzierbarkeit auch wieder Differenzierbarkeit im klassischen Sinne nach
sich zieht. Dies ist gerade die Aussage des Einbettungssatz
von Sobolew: Unter gewissen Bedingungen existieren Einbettungen eines Sobolew-Raums
mit
schwachen Ableitungen in Räume
-fach
differenzierbarer Funktionen
mit
.
Existenz
- Eine absolutstetige Funktion besitzt eine schwache Ableitung.
Beispiele
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- Die Betragsfunktion
(vgl. Beispiel nicht differenzierbare Funktion) ist in jedem Punkt außer
klassisch differenzierbar und besitzt daher in dem Intervall
für
keine klassische Ableitung. Allerdings gilt für
mit
- und einer beliebigen Testfunktion
gerade
- Somit ist
eine schwache Ableitung von
.
- Da
eine Nullmenge ist und daher bei der Integration unbedeutend ist, kann man den Wert an der Stelle 0 beliebig setzen. Die oben gewählte Ableitung ist die Signumfunktion. Die Signumfunktion selbst ist nicht mehr schwach differenzierbar, aber man kann sie im Sinne von Distributionen ableiten.
- Die Funktion
- ist klassisch differenzierbar auf dem Intervall
, aber nicht schwach differenzierbar. Das Problem ist, dass die Ableitung
- auf jeder beliebigen
enthaltenden, kompakten Teilmenge von
nicht Lebesgue-integrierbar ist. Damit ist insbesondere das Integral
nicht für alle Testfunktionen
wohldefiniert.
Literatur
- Dirk Werner: Funktionalanalysis, Springer-Verlag, Berlin, ISBN 978-3-540-72533-6.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 15.09. 2022