Lp-Raum
Die -Räume,
auch Lebesgue-Räume, sind in der Mathematik
spezielle Räume, die aus allen
p-fach integrierbaren Funktionen bestehen. Das L in der
Bezeichnung geht auf den französischen Mathematiker Henri Léon
Lebesgue zurück, da diese Räume über das Lebesgue-Integral
definiert werden. Im Fall Banachraum-wertiger
Funktionen (wie im Folgenden für allgemeines
dargestellt) bezeichnet man sie auch als Bochner-Lebesgue-Räume.
Das p in der Bezeichnung ist ein reeller Parameter: Für jede Zahl
ist ein
-Raum
definiert. Die Konvergenz in diesen Räumen wird als Konvergenz im
p-ten Mittel bezeichnet.
Definition
ℒp mit Halbnorm
Sei
ein Maßraum,
und
.
Dann ist die folgende Menge ein Vektorraum:
Die durch
gegebene Abbildung ist für alle
eine Halbnorm auf
.
Die Dreiecksungleichung
für diese Halbnorm wird Minkowski-Ungleichung
genannt und kann mit Hilfe der Hölder-Ungleichung
bewiesen werden.
Genau dann ist
eine Norm auf
,
wenn die leere Menge die einzige Nullmenge
in
ist. Gibt es nämlich eine Nullmenge
,
so ist die charakteristische
Funktion
ungleich der Nullfunktion,
aber es gilt
.
Lp mit Norm
Um auch im Fall einer Halbnorm
zu einem normierten
Raum zu kommen, identifiziert man Funktionen miteinander, wenn sie fast überall gleich
sind. Formal bedeutet das: Man betrachtet den (von
unabhängigen) Untervektorraum
und definiert den Raum
als den Faktorraum
.
Zwei Elemente von
sind also genau dann gleich, wenn
gilt, also wenn
und
fast überall gleich sind.
Der Vektorraum
ist durch
normiert. Die Normdefinition hängt nicht von dem Repräsentanten aus
ab, das heißt, für Funktionen
in der gleichen Äquivalenzklasse gilt
.
Das begründet sich damit, dass das Lebesgue-Integral invariant gegenüber
Änderungen des Integranden auf Nullmengen ist.
Der normierte Vektorraum
ist vollständig
und damit ein Banachraum,
die Norm
wird Lp-Norm
genannt.
Auch wenn man von sogenannten -Funktionen
spricht, handelt es sich dabei um die gesamte Äquivalenzklasse einer klassischen
Funktion. Allerdings liegen im Falle des Lebesgue-Maßes auf dem
zwei verschiedene stetige Funktionen nie in der gleichen Äquivalenzklasse,
so dass der
-Begriff
eine natürliche Erweiterung des Begriffs stetiger Funktionen darstellt.
Sonderfall p = ∞
Auch für
kann man mithilfe des wesentlichen Supremum
(in Zeichen:
)
einen
-Raum
definieren, den Raum der wesentlich beschränkten Funktionen. Hierfür gibt es
verschiedene Möglichkeiten, die aber für σ-endliche
Maßräume alle
zusammenfallen. Am verbreitetsten ist:
;
dabei ist
Betrachtet man analog zu oben ,
erhält man wieder einen Banachraum.
Beispiele
Lebesgue-Räume bezüglich des Lebesgue-Maßes
Ein sehr wichtiges Beispiel von -Räumen
ist durch einen Maßraum
gegeben,
ist dann die borelsche
σ-Algebra
,
und
das Lebesgue-Maß
.
In diesem Zusammenhang wird die kürzere Notation
benutzt.
Der Folgenraum ℓp
Betrachtet man den Maßraum
,
wobei hier also
als die Menge
der natürlichen
Zahlen,
deren Potenzmenge und
als das Zählmaß
gewählt wurde, dann besteht der Raum
aus allen Folgen
mit
für
bzw.
für .
Dieser Raum wird mit
bezeichnet. Die Grenzfälle
und
sind der Raum der absolut summierbaren Zahlenfolgen und der Raum der
beschränkten Zahlenfolgen. Für alle
gilt
.
Allgemeiner ℓp-Raum
Völlig analog kann man zu einer beliebigen Indexmenge
den Maßraum mit dem Zählmaß betrachten. In diesem Fall nennt man den
-Raum
,
es gilt
,
wobei die Konvergenz der Summe implizieren möge, dass nur abzählbar viele Summanden ungleich null sind (siehe auch unbedingte Konvergenz).
Sobolev-Räume quadratintegrierbarer Funktionen
Wählt man ,
als die borelsche
σ-Algebra und
,
wobei
und
das
-dimensionale
Borel-Lebesgue-Maß
ist, dann erhält man den Maßraum
.
Der Lebesgue-Raum
der bezüglich dieses Maßes quadratintegrierbaren Funktionen ist ein echter
Unterraum des Raums
der temperierten
Distributionen. Er wird unter der Fourier-Transformation
bijektiv auf den Raum
der quadratintegierbaren Sobolev-Funktionen zur Differentiationsordnung
,
ebenfalls ein echter Unterraum von
,
abgebildet. Dabei überführt die Fourier-Transformation die entsprechenden Normen
ineinander:
Für
sind obige Räume dichte Teilräume von
,
sodass man in diesem Fall auch die Fourier-Transformation auf
statt auf
betrachten kann.
Wichtige Eigenschaften
Vollständigkeit
Nach dem Satz
von Fischer-Riesz sind die -Räume
vollständig für alle
,
also Banachräume.
Einbettungen
Ist
ein endliches Maß, gilt also
,
so gilt
für
(folgt aus der Ungleichung
der verallgemeinerten Mittelwerte)
Für allgemeine Maße gilt für
stets
.
Dies wird auch als konvexe oder Hölder-Interpolation
bezeichnet.
Dichtheit und Separabilität
Sei
ein separabler
Messraum,
ein Maß auf
und
,
dann ist
separabel. Der Raum
ist hingegen im Allgemeinen nicht separabel.
Sei
offen. Für
liegt der Testfunktionenraum
dicht
in
.
Kompaktheit
Der Satz von Kolmogorow-Riesz beschreibt präkompakte bzw. kompakte Mengen in Lp-Räumen.
Dualräume und Reflexivität
Für
sind die Dualräume der
-Räume
wieder Lebesgue-Räume. Konkret gilt
worin
durch
definiert ist, außerdem ist der kanonische, isometrische
Isomorphismus
gegeben durch
Daraus folgt, dass für
die
-Räume
reflexiv sind.
Für
ist
zu
isomorph (der Isomorphismus analog zu oben), falls
σ-endlich
oder allgemeiner lokalisierbar
ist. Ist
nicht
-endlich,
so lässt sich
(wieder unter demselben Isomorphismus) als der Banachraum der lokal messbaren
lokal im Wesentlichen beschränkten Funktionen darstellen.
Die Räume
und
sind nicht reflexiv.
Der Hilbertraum L2
Definition
Der Raum
hat eine besondere Rolle unter den
-Räumen.
Dieser lässt sich nämlich als einziger mit einem kanonischen Skalarprodukt versehen
und wird somit zu einem Hilbertraum.
Sei dazu wie oben
ein Maßraum,
ein Hilbertraum (häufig
mit dem Skalarprodukt
)
und
.
Dann definiert
ein Skalarprodukt auf .
Die von diesem Skalarprodukt induzierte
Norm ist die oben definierte
-Norm
Da diese Funktionen der Norm nach zum Quadrat integrierbar sind, werden die
-Funktionen
auch quadratintegrierbare Funktionen genannt.
Beispiel
Die Funktion ,
welche durch
definiert ist, ist eine
-Funktion
mit
-Norm:
Die Funktion ist aber keine -Funktion,
weil
Andere Beispiele für -Funktionen
sind die Schwartz-Funktionen.
Erweiterter Hilbertraum
Wie weiter oben schon erwähnt, sind die -Räume
vollständig. Also ist der Raum
mit dem Skalarprodukt wirklich ein Hilbertraum. Der Raum der
Schwartz-Funktionen
und der Raum
der glatten Funktionen mit kompaktem Träger (ein Teilraum des
Schwartz-Raums)
liegen dicht
in
Daher erhält man die Inklusionen
und
Dabei wird mit
der entsprechende topologische
Dualraum bezeichnet, insbesondere heißt
Raum der Distributionen
und
Raum der temperierten
Distributionen. Die Paare
und
sind Beispiele für erweiterte Hilberträume.
Bochner-Lebesgue-Räume
Die Bochner-Lebesgue-Räume sind eine Verallgemeinerung der bisher betrachteten Lebesgue-Räume. Sie umfassen im Gegensatz zu den Lebesgue-Räumen banachraumwertige Funktionen.
Definition
Sei
ein Banachraum und
ein Maßraum. Für
definiert man
,
wobei sich „messbar“ auf die borelsche
σ-Algebra der Normtopologie
von
bezieht. Die Abbildung
ist ebenfalls eine Halbnorm
auf ,
wenn
gilt. Die Bochner-Lebesgue-Räume
sind nun genauso wie die Lebesgue-Räume als Faktorraum definiert.
Eigenschaften
Für die Bochner-Lebesgue-Räume gelten ebenfalls die Aussagen, die unter Eigenschaften
aufgeführt sind. Nur bei den Dualräumen gibt es einen Unterschied. Für alle
gilt nämlich
wobei
durch
definiert ist und
den Dualraum von
bezeichnet. Entsprechend sind Bochner-Lebesgue-Räume nur dann reflexiv, wenn der
Banachraum
reflexiv ist.
Beispiel: Zufallsvariable
In der Stochastik betrachtet man
-Räume,
die mit einem Wahrscheinlichkeitsmaß
ausgestattet sind. Unter einer Zufallsvariable
versteht man dann eine messbare Funktion
.
Weiter ist der Erwartungswert
für quasiintegrierbare
als
definiert. Zufallsvariablen, die -Funktionen
sind, besitzen also einen endlichen Erwartungswert. Des Weiteren sind
Zufallsvariablen genau dann in
,
wenn man ihnen eine Varianz
zuweisen kann. Da das für praktische Anwendungen häufig gefordert ist, sind
-Räume
gerade in der Stochastik wichtig.
Den Lebesgue-Räumen verwandte Räume
Oftmals betrachtet man auch -Funktionen
für
Außerdem werden in der Funktionalanalysis die Sobolev-Räume und die Hardy-Räume
untersucht, welche man als Spezialfälle der
-Räume
verstehen kann und in der Differentialgeometrie
gibt es auf Mannigfaltigkeiten eine Verallgemeinerung der
-Räume.
Lp für p < 1
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Es gibt auch die Verallgemeinerung der -Räume
bzw.
für
.
Diese sind allerdings keine Banachräume mehr, weil die entsprechende Definition
keine Norm liefert. Immerhin sind diese Räume vollständige topologische
Vektorräume
mit der Quasinorm
bzw. der Pseudonorm oder Fréchet-Metrik
oder der translationsinvarianten Metrik
Für die Quasinorm wird die Dreiecksungleichung abgeschwächt, die positive Homogenität bleibt erhalten:
Für die Fréchet-Metrik wird hingegen die positive Homogenität abgeschwächt, die Dreiecksungleichung bleibt erhalten:
Diese Räume sind im Allgemeinen nicht lokalkonvex,
der Satz
von Hahn-Banach also im Allgemeinen nicht anwendbar, sodass es
möglicherweise „sehr wenige“ lineare stetige Funktionale gibt. Insbesondere ist
nicht gesichert, dass die schwache
Topologie auf
Punkte trennen
kann. Ein derartiges Beispiel liefert
mit
.
Raum der lokal integrierbaren Funktionen
Eine lokal integrierbare Funktion ist eine messbare Funktion, die nicht
notwendigerweise auf ihrem kompletten Definitionsbereich integrierbar sein muss,
jedoch muss sie für jedes Kompaktum,
das im Definitionsbereich enthalten ist, integrierbar sein. Sei also
offen. Dann heißt eine Funktion
lokal integrierbar, falls für jedes Kompaktum
das Lebesgue-Integral
endlich ist. Die Menge dieser Funktionen wird mit
bezeichnet. Analog zu den
-Räumen
bildet man auch hier Äquivalenzklassen von Funktionen, die sich nur auf einer
Nullmenge unterscheiden, und erhält dann den Raum
als Faktorraum.
Mit der Familie aller Halbnormen
(für kompakte Mengen
)
wird dieser zu einem hausdorffschen,
lokalkonvexen
und vollständigen
topologischen
Vektorraum; durch Auswahl abzählbar vieler Kompakta, die
geeignet approximieren, sogar ein Fréchet-Raum.
Dieser Raum kann als Raum der regulären
Distributionen verstanden werden und lässt sich daher stetig in den Raum der
Distributionen
einbetten. Analog zu
lassen sich auch die Räume
der lokal p-integrierbaren Funktionen definieren.
Sobolev-Räume
Neben den schon angeführten Sobolev-Räumen mit quadratintegierbaren Funktionen, gibt es noch weitere Sobolev-Räume. Diese werden mithilfe der schwachen Ableitungen definiert und umfassen p-integrierbare Funktionen. Verwendet werden diese Räume insbesondere zur Untersuchung von partiellen Differentialgleichungen.
Hardy-Räume
Untersucht man statt den messbaren Funktionen nur die holomorphen
beziehungsweise die harmonischen
Funktionen auf Integrierbarkeit, so werden die entsprechenden -Räume
Hardy-Räume genannt.
Lebesgue-Räume auf Mannigfaltigkeiten
Auf einer abstrakten differenzierbaren Mannigfaltigkeit,
die nicht in einen euklidischen Raum eingebettet ist, existiert zwar kein
kanonisches Maß und somit kann man keine -Funktionen
definieren. Es ist aber trotzdem möglich, ein Analogon zum
-Raum
zu definieren, indem man statt Funktionen auf der Mannigfaltigkeit sogenannte
1-Dichten untersucht. Weitere Informationen sind im Artikel Dichtebündel zu
finden.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 08.02. 2021