Lebesgue-Maß
Das Lebesgue-Maß [ləˈbɛg] (nach Henri Léon Lebesgue) ist das Maß im euklidischen Raum, das geometrischen Objekten ihren Inhalt (Länge, Flächeninhalt, Volumen, …) zuordnet. Es ist ein Spezialfall des Lebesgue-Stieltjes-Maßes und dient zur Konstruktion des Lebesgue-Integrals.
Hintergrund
Das Lebesgue-Maß ist aus der Sicht der modernen Mathematik der natürliche Begriff für Flächeninhalt und Volumen. Dieses Konzept ist das Endprodukt einer ganzen Reihe von Ideen, die versuchten, Begriffe wie Flächeninhalt und Volumen mathematisch exakt zu fassen. Erst mit dem Lebesgue-Maß kann dieser Prozess als abgeschlossen gelten. Das Lebesgue-Maß ordnet nicht nur einfachen geometrischen Objekten, sondern auch viel allgemeineren Mengen einschließlich aller offenen und abgeschlossenen Mengen einen Inhalt zu. Die Existenz einer nicht Lebesgue-messbaren Menge (etwa der Vitali-Mengen) lässt sich nicht-konstruktiv unter Verwendung des Auswahlaxioms beweisen. Es existieren verschiedene Sätze, dass eine solche Nicht-Konstruktivität in einem bestimmten Sinn notwendig ist, und dies unter bestimmten Annahmen sogar auf eine stärkere Weise als bei vielen anderen grundlegenden Sätzen der Analysis.
Definition
Das Lebesgue-Borel-Maß
auf der Borel-σ-Algebra
(auch als Borel-Lebesgue-Maß oder nur Borel-Maß bezeichnet) ist
das eindeutige Maß
mit der Eigenschaft, dass es
-dimensionalen
Hyperrechtecken ihr
-dimensionales
Volumen
zuordnet:
-
.
Das heißt, es ist das Maß, das Intervallen
ihre Länge zuordnet (im Eindimensionalen), Rechtecken
ihren Flächeninhalt zuordnet (im Zweidimensionalen), Quadern
ihr Volumen zuordnet (im Dreidimensionalen) usw. Durch diese Bedingung wird der
Inhalt
beliebiger Borel-Mengen eindeutig festgelegt. Die Borel-Mengen werden auch
Borel-messbar oder B-messbar genannt. Das Borel-Maß ist
bewegungsinvariant und normiert, aber nicht vollständig.
Die Existenz des Lebesgue-Borel-Maßes wurde im Eindimensionalen zum ersten Mal
von Émile Borel 1895
bewiesen, eine modernere Konstruktion über den
Maßerweiterungssatz
geht auf Constantin Carathéodory (1918) zurück.
Das Lebesgue-Maß ist das vollständige
Maß ,
das man aus diesem Maß erhält, wenn man zu
alle Mengen
hinzufügt, die zwischen zwei Borel-Mengen liegen (
),
welche denselben Inhalt haben, genauer
,
und so
festlegen. Die Mengen, für die das Lebesgue-Maß auf diese Weise definiert ist,
heißen Lebesgue-messbar (oder L-messbar) und bilden die
Lebesgue-
-Algebra.
B-messbar und L-messbar
Es lässt sich zeigen, dass die Menge der L-messbaren Mengen
wesentlich größer als die Menge der B-messbaren Mengen ist[1]
wobei
für Kardinalität
und
für die Potenzmenge einer Menge steht.
Nullmengen
Mengen, deren Lebesgue-Maß gleich 0 ist, werden Lebesgue-Nullmengen genannt. Abzählbare Mengen wie z. B. die Menge der rationalen Zahlen sind immer Lebesgue-Nullmengen. Ein Beispiel für eine überabzählbare Lebesgue-Nullmenge ist das Cantorsche Diskontinuum.[2] Gilt eine mathematische Aussage für ein Gebiet mit Ausnahme einer Lebesgue-Nullmenge innerhalb des Gebietes, so sagt man: Die Aussage gilt Lebesgue-fast überall.
Eigenschaften
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Das Lebesgue-Maß ist das Haar-Maß
auf der lokalkompakten
topologischen
Gruppe
mit der Addition, die Existenz folgt
daher bereits aus der Existenz des Haarmaßes. Insbesondere ist es translationsinvariant,
das bedeutet, dass sich das Maß einer Menge unter Translation nicht
ändert. Zudem ist es invariant unter Spiegelungen
und Drehungen, also sogar bewegungsinvariant.
Das Lebesgue-Maß ist σ-endlich
und regulär.
Charakterisierung der Lebesgue-Messbarkeit
Eine Teilmenge
des
ist Lebesgue-messbar genau dann, wenn sie die folgende
charakteristische
Eigenschaft aufweist:
- Zu jeder vorgegebenen Schranke
gibt es im
stets eine offene Menge
sowie eine abgeschlossene Menge
mit
und
.
Konstruktion des Lebesgue-Maßes
Eine mögliche Definition des Lebesgue-Maßes ist die Konstruktion von Constantin Carathéodory.
Sei
die Menge der dyadischen
Elementarzellen und
das Volumen von
,
da diese Mengen nur aus Produkten von Intervallen bestehen, definiert man das
Volumen einfach als Produkt der einzelnen Seitenlängen.
ist ein Halbring
und
ein σ-endlicher Inhalt,
also ein Prämaß. Dieses Prämaß
wird auch das Lebesguesche
Prämaß genannt. Nach dem
Maßerweiterungssatz
von Carathéodory lässt es sich eindeutig zu einem Maß auf der erzeugten
-Algebra,
das sind gerade die Borel-Mengen, fortsetzen. Diese Fortsetzung ist das
Lebesgue-Borel-Maß.
Konkret lässt sich der Beweis wie folgt führen (der Beweis des allgemeinen
Maßerweiterungssatzes geht in den wesentlichen Punkten analog): Für eine
gegebene Menge
definiert man
.
Die Funktion
ist auf der gesamten Potenzmenge
definiert und einmetrisches
äußeres Maß, jedoch kein Maß.
Um zu einem Maß zu kommen, kann man wie folgt von der Potenzmenge zu einem
kleineren Mengensystem übergehen.
Eine Menge
ist
-messbar,
wenn für alle
gilt:
(siehe Messbarkeit nach Carathéodory).
Alle bezüglich
messbaren Mengen aus
bilden eine σ-Algebra
und
darauf ein Maß,
d.h.,
ist ein Maß.
Siehe auch
weiterführende Informationen
- ↑ Beispiele für nicht B-messbare L-messbare Mengen sind zum ersten Mal von Suslin gegeben worden. Er hat dabei das System der sogenannten analytischen Mengen entwickelt, das eine echte Erweiterung des Systems der Borelschen Mengen ist und komplett im System der L-messbaren Mengen liegt.
- ↑ Das cantorsche Diskontinuum ist auch eine borelsche Nullmenge. Da das Lebesgue-Maß vollständig ist, sind alle Untermengen des cantorschen Diskontinuums L-messbar. Daraus folgt die erste von den oben erwähnten Ungleichungen – nämlich, dass das System der L-messbaren Mengen echt mächtiger als das Kontinuum ist.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 09.04. 2023