Matrixexponential
In der Mathematik ist das Matrixexponential, auch als Matrix-Exponentialfunktion bezeichnet, eine Funktion auf der Menge der quadratischen Matrizen, welche analog zur gewöhnlichen (skalaren) Exponentialfunktion definiert ist. Das Matrixexponential stellt die Verbindung zwischen Lie-Algebra und der zugehörigen Lie-Gruppe her.
Definition
Sei
eine reelle oder komplexe
-Matrix.
Das Exponential von
,
welches mit
oder
bezeichnet wird, ist die
-Matrix,
welche durch die folgende Potenzreihe
definiert ist (Taylor-Entwicklung):
.
Diese Reihe konvergiert immer. Daher ist das Exponential von
wohldefiniert. Wenn
eine
-Matrix
ist, entspricht das Matrixexponential von
der gewöhnlichen Exponentialfunktion.
Eine Verallgemeinerung, welche auch für unendliche Matrizen sinnvoll ist, ist
die Exponentialfunktion
auf beliebigen Banachalgebren.
Eigenschaften
Das Matrixexponential teilt eine Reihe der Eigenschaften der gewöhnlichen
Exponentialfunktion. Beispielsweise ist das Exponential der -Nullmatrix
gleich der
-Einheitsmatrix
:
.
Für beliebige komplexe -Matrizen
und beliebige komplexe Zahlen
und
gilt
.
Daraus folgt
,
das heißt
.
Dabei bezeichnet
die zu
inverse Matrix.
Die Exponentialfunktion erfüllt
für alle Zahlen
und
.
Dasselbe gilt für kommutierende Matrizen
und
,
das heißt aus
folgt
.
Für nichtkommutierende Matrizen stimmt diese Gleichung im Allgemeinen nicht.
In diesem Fall kann man
mit Hilfe der Baker-Campbell-Hausdorff-Formel
berechnen.
Das Exponential der zu
transponierten
Matrix ist gleich der Transposition des Exponentials von
:
Daraus folgt, dass die Matrixexponentialfunktion symmetrische Matrizen auf symmetrische Matrizen und schiefsymmetrische Matrizen auf orthogonale Matrizen abbildet. Analog gilt zwischen Adjunktion und Exponentiation die Beziehung
,
so dass die Matrixexponentialfunktion hermitesche Matrizen auf hermitesche Matrizen und schiefhermitesche Matrizenauf unitäre Matrizen abbildet.
Weiterhin gilt:
- Wenn
invertierbar ist, dann ist
.
, Hier bezeichnet
die Spur der quadratischen Matrix
.
.
Die Exponentialabbildung
Das Exponential einer Matrix ist immer eine invertierbare
Matrix. Die Inverse
von
ist durch
gegeben. Das (komplexe) Matrixexponential liefert somit eine Abbildung
aus dem Vektorraum aller (komplexen)
-Matrizen
in die allgemeine
lineare Gruppe, die Gruppe
aller (komplexen) invertierbaren Matrizen. Diese Abbildung ist surjektiv, das heißt
jede (reelle oder komplexe) invertierbare Matrix kann als die
Exponentialmatrix einer komplexen Matrix geschrieben werden. Urbilder (bzw.
lokale Schnitte)
lassen sich durch Matrixlogarithmen
berechnen.
Für je zwei Matrizen
und
gilt
,
wobei
eine beliebige Matrixnorm
bezeichnet. Daraus folgt, dass die Exponentialabbildung stetig und auf kompakten Teilmengen von
sogar lipschitzstetig
ist. Für die Norm des Matrixexponentials selbst gibt es aber eine präzisere
Schranke
mit der logarithmischen
Matrixnorm
und dem numerischen
Wertebereich.
Die Zuordnung
definiert eine glatte Kurve
in der allgemeinen linearen Gruppe, welche für
die Einheitsmatrix liefert. Dies liefert eine Einparameter-Untergruppe
der allgemeinen linearen Gruppe, da
gilt. Die Ableitung dieser Funktion am Punkt
ist durch
gegeben. Die Ableitung für
ist gerade die Matrix
,
das heißt
erzeugt diese Einparameter-Untergruppe.
Allgemeiner gilt:
Beispiele von Lie-Algebren und zugehörigen Lie-Gruppen
Lie-Gruppe | Beispiel |
---|---|
Allgemeine
lineare Gruppe: |
|
Orthogonale
Gruppe: |
|
Unitäre
Gruppe: |
|
Spezielle
unitäre Gruppe: |
|
Spezielle
orthogonale Gruppe: |
|
Spezielle
lineare Gruppe: |
Aus dem letzten Beispiel ist ersichtlich, dass die Exponentialabbildung für die Erzeugung von Lie-Gruppen (je nach Lie-Algebra) im Allgemeinen nicht surjektiv ist.
Lineare Differentialgleichungen
Einer der Vorzüge des Matrixexponentials ist, dass man es benutzen kann, um Systeme von linearen gewöhnlichen Differentialgleichungen zu lösen. Aus Gleichung (1) oben folgt zum Beispiel, dass die Lösung des Anfangswertproblems
,
wobei
eine Matrix ist, durch
gegeben ist.
Das Matrixexponential kann auch zur Lösung der inhomogenen Gleichung
,
verwendet werden. Beispiele findet man unten im Kapitel Anwendungen.
Für Differentialgleichungen der Form
mit nicht-konstantem
gibt es im Allgemeinen keine geschlossenen Lösungen. Die Magnus-Reihe
liefert jedoch eine allgemeine Lösung in Matrixschreibweise über die
Matrix-Exponentialfunktion auch im Fall nicht-konstanter Koeffizienten (als
unendliche Reihe des Exponenten).
Berechnung des Matrixexponentials
Taylor-Reihe
Die Matrix-Exponentialfunktion kann prinzipiell über ihre Taylor-Entwicklung berechnet werden
wobei
die Fakultät
von
bezeichnet. Bei ausreichender Genauigkeit (Reihe ist absolut konvergent) soll
die Reihe bei einer endlichen Zahl an Berechnungsschritten abbrechen. Je größer
die Einträge der Matrix sind, desto mehr Glieder der Reihe müssen aber berechnet
werden (z.B. für die Lösung der linearen DGL für einen großen Zeitschritt). Um
den Lösungsalgorithmus dahingehend zu verbessern, kann man die Einträge der
Matrix mittels der Rechenregel
elegant skalieren. Die Berechnung der Reihe an sich kann ebenfalls über die Padé-Approximation
verbessert werden.
Diagonalisierbare Matrizen
Ist die Matrix
eine Diagonalmatrix
,
dann kann man ihr Exponential ermitteln, indem man die übliche Exponentialfunktion auf jeden Eintrag der Hauptdiagonalen anwendet:
.
Damit kann man auch das Exponential diagonalisierbarer Matrizen berechnen. Wenn
mit einer Diagonalmatrix
und einer Basiswechselmatrix
ist, dann gilt:
.
Nilpotenter Fall
Eine Matrix
ist nilpotent,
wenn
für eine geeignete natürliche Zahl
gilt. In diesem Fall kann das Matrixexponential
aus der Reihenentwicklung berechnet werden, wobei die Reihe nach einer endlichen
Anzahl von Termen abbricht:
.
Allgemeiner Fall (Eigenwertproblem)
Zerfällt das Minimalpolynom
(bzw. das charakteristische
Polynom) der Matrix
in Linearfaktoren
(über
ist das stets der Fall), dann kann
eindeutig in eine Summe
zerlegt werden, wobei
diagonalisierbar ist,
nilpotent ist und
mit
kommutiert (d.h.
).
Damit kann man das Exponential von
berechnen, indem man es auf die vorgenannten Fälle reduziert:
.
Im letzten Schritt benötigt man die Kommutativität von
und
.
Eine andere (nah verwandte) Methode ist die Verwendung der Jordanschen
Normalform von .
Sei
die Jordansche Normalform von
mit der Basiswechselmatrix
,
das heißt, es gilt
Wegen
gilt
Daher muss man nur das Exponential eines Jordan-Blocks kennen. Nun ist jeder Jordan-Block von der Form
wobei
eine spezielle nilpotente Matrix ist. Das Exponential des Jordan-Blocks ist also
Beispiel 1
Man betrachte die Matrix
,
welche die Jordansche Normalform
mit der Übergangsmatrix
hat. Dann gilt
und
.
Somit ist
.
Das Exponential einer 1×1-Matrix ist trivial. Mit
folgt
Die Jordansche Normalform und daraus das Exponential zu berechnen, ist auf diesem Weg sehr mühsam. Meist reicht es, die Wirkung der Exponential-Matrix auf einige Vektoren zu berechnen.
Beispiel 2
Es soll folgende Matrix-Exponentialfunktion berechnet werden:
Hierzu wird die -Matrix
zunächst mittels der Eigenwerte
und den Eigenvektoren
diagonalisiert. Mit der Diagonalmatrix
und der Eigenbasis
folgt:
Die Eigenwerte werden aus dem charakteristischen Polynom 2ten Grades bestimmt zu
.
Für die beiden Eigenvektoren bzw. die Eigenbasis gilt damit:
Einsetzen für die Matrix-Exponantialfunktion liefert schließlich
als geschlossene analytische Lösung.
Numerische Verfahren
Die Jordan-Normalform-Zerlegung ist numerisch instabil, da aufgrund der Gleitkommaarithmetik Rundungsfehler in die Eigenwerte eingeführt werden, die eine Gruppierung der Eigenwerte in Gruppen identischer Eigenwerte unmöglich macht. Daher werden in der Numerik andere Techniken zur Berechnung des Matrixexponentials verwendet. Einer der effektivsten verfügbaren Algorithmen ist die Padé-Approximation mit Skalieren und Quadrieren (s. Berechnung mittels Taylorreihe). Bei großen Matrizen kann der Rechenaufwand zusätzlich reduziert werden, indem Krylowräume verwendet werden, deren Basisvektoren mit dem Arnoldi-Verfahren orthogonalisiert worden sind.
Anwendungen
Homogene lineare Differentialgleichungen
Das Matrixexponential kann für die Lösung eines Systems von linearen Differentialgleichungen verwendet werden. Eine Differentialgleichung der Form
hat die Lösung .
Wenn man den Vektor
betrachtet, dann kann man ein System von gekoppelten linearen Differentialgleichungen betrachten als
.
Wenn man den Integrationsfaktor
ansetzt und auf beiden Seiten multipliziert, erhält man
,
.
Wenn man
berechnet, erhält man eine Lösung des Differentialgleichungssystems.
Beispiel (homogen)
Gegeben sei das folgende Differentialgleichungssystem
Es lässt sich schreiben als
mit der Koeffizientenmatrix
.
Damit ergibt sich das zugehörige Matrixexponential zu
.
Als allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystems erhält man somit
.
Inhomogener Fall – Variation der Konstanten
Für den inhomogenen Fall kann man eine Methode ähnlich der Variation der
Konstanten benutzen. Es wird eine Lösung der Form
gesucht:
Um die Lösung
zu ermitteln, setzt man
Damit ergibt sich
,
wobei
durch die Anfangsbedingungen bestimmt wird.
Beispiel (inhomogen)
Gegeben sei das Differentialgleichungssystem
Mit der Matrix
von oben schreibt sich das System
mit
.
Die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung wurde bereits oben berechnet.
Die Summe aus homogenen und speziellen Lösungen ergibt die Lösung für das
inhomogene Problem. Man muss jetzt nur noch eine spezielle Lösung
finden (über die Variation der Konstanten). Von der Gleichung oben erhält man:
,
also
.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.06. 2021