Variation der Konstanten
Die Variation der Konstanten ist ein Verfahren aus der Theorie linearer gewöhnlicher Differentialgleichungen zur Bestimmung einer speziellen Lösung eines inhomogenen linearen Differentialgleichungssystems erster Ordnung bzw. einer inhomogenen linearen Differentialgleichung beliebiger Ordnung. Vorausgesetzt wird hierfür eine vollständige Lösung (Fundamentalsystem) der zugehörigen homogenen Differentialgleichung.
Leonhard Euler benutzte einen Vorläufer dieser Methode bereits 1748 im Zusammenhang mit astronomischen Problemen. In seiner heutigen Form wurde das Verfahren von dem Mathematiker Joseph-Louis Lagrange entwickelt.
Motivation
Lineare Differentialgleichung erster Ordnung
Seien
und
stetige Funktionen, dann lautet die lineare Differentialgleichung erster
Ordnung
Sei weiter
eine Stammfunktion von
,
so gilt
wobei
geeigneten Randbedingungen
genügen muss. Dann ist
die Menge aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung .
Zur Lösung der inhomogenen Differentialgleichung wird nun die Funktion
eingeführt und der Ansatz der Variation der Konstanten gewählt
.
Dies ergibt eine eindeutige Zuordnung zwischen den Funktionen
und
,
denn
ist eine stets positive, stetig differenzierbare Funktion. Die Ableitung dieser
Ansatzfunktion ist
Also löst
die inhomogene Differentialgleichung
genau dann, wenn
gilt. Beispielsweise ist
eine solche Funktion und somit
die spezielle Lösung mit .
Also ist
die Menge aller Lösungen der inhomogenen Differentialgleichung .
Beispiel
Liegt an einer Spule mit der Induktivität
und dem elektrischen
Widerstand
eine Gleichspannung
an, so gilt für die Spannung an dem Widerstand
Nach dem ohmschen Gesetz gilt zudem
.
Es handelt sich also um eine inhomogene lineare Differentialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten, die nun mithilfe des Verfahrens der Variation der Konstanten gelöst werden soll.
Für die zugehörige homogene Differentialgleichung
lautet die Lösung für jede Konstante
.
Als Ansatz für die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ersetze man
die Konstante
durch einen variablen Ausdruck
.
Man setzt also
und versucht, eine differenzierbare Funktion
so zu bestimmen, dass
die inhomogene Differentialgleichung erfüllt. Es folgt
Demnach ist die inhomogene Differentialgleichung genau dann gelöst, wenn gilt
.
Diese Randwertbedingung ist gleichbedeutend mit
oder nach Integration mit
.
Somit lautet die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung
.
Die Konstante
lässt sich aus der Anfangsbedingung bestimmen und ergibt für
die Lösung
.
Inhomogene lineare Differentialgleichungssysteme erster Ordnung
Das obige Verfahren lässt sich auf folgende Weise verallgemeinern:
Formulierung
Seien
und
stetige Funktionen und
eine Fundamentalmatrix
des homogenen Problems
sowie
diejenige Matrix, die aus
entsteht, indem man die
-te
Spalte durch
ersetzt. Dann ist
mit
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems
und
.
Beweis
Setze
Es ist ,
und wegen
sieht man durch Differenzieren, dass
die Differentialgleichung
erfüllt. Nun löst
für festes
das lineare Gleichungssystem
Nach der cramerschen Regel ist somit
Also gilt
Spezialfall: Resonanzfall
Falls die Inhomogenität
selber Lösung des homogenen Problems ist, d. h.
,
so bezeichnet man dies als Resonanzfall. In diesem Fall ist
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems
und
.
Inhomogene lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung
Das Lösen einer Differentialgleichung höherer Ordnung ist äquivalent zum Lösen eines geeigneten Differentialgleichungssystems erster Ordnung. Auf diese Weise kann man obiges Verfahren nutzen, um eine spezielle Lösung für eine Differentialgleichung höherer Ordnung zu konstruieren.
Formulierung
Seien
stetige Funktionen und
eine Fundamentalmatrix
des homogenen Problems
,
deren erste Zeile
lautet, sowie
diejenige Matrix, die aus
entsteht, indem man die
-te
Spalte durch
ersetzt. Dann ist
mit
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems
und
.
Beweis
Man betrachte zunächst das hierzu korrespondierende
Differentialgleichungssystem erster Ordnung, bestehend aus
Gleichungen
Es gilt:
löst die skalare Gleichung
-ter
Ordnung genau dann, wenn
Lösung obigen Systems erster Ordnung ist. Per definitionem ist
eine Fundamentalmatrix für dieses System erster Ordnung. Darauf wende man
schließlich das oben bewiesene Verfahren der Variation der Konstanten an.
Alternative: Grundlösungsverfahren
Im Fall konstanter Koeffizienten ist es gelegentlich von Vorteil, das
Grundlösungsverfahren zur Konstruktion einer speziellen Lösung zu
verwenden: Ist
diejenige homogene Lösung von
,
welche
erfüllt, dann ist
diejenige spezielle Lösung von
mit
.
Beweis
Durch Differenzieren überprüft man
und
Es ergibt sich
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.09. 2022