Lineare gewöhnliche Differentialgleichung

Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen bzw. lineare gewöhnliche Differentialgleichungssysteme sind eine wichtige Klasse von gewöhnlichen Differentialgleichungen.

Definition

Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen sind Differentialgleichungen der Form

y^{{(n)}}(x)=\sum _{{k=0}}^{{n-1}}a_{k}(x)y^{{(k)}}(x)+g(x)\,,

in denen eine unbekannte, auf einem Intervall I definierte reell-, komplex- oder vektorwertige Funktion y gesucht wird, die die vorgelegte Gleichung erfüllt. Dabei bezeichnet y^{{(k)}} die k-te Ableitung der gesuchten Funktion. Ist g gleich der Nullfunktion, spricht man von einer homogenen, anderenfalls von einer inhomogenen Gleichung. Die Funktion g wird auch Inhomogenität genannt. Sie ist wie auch die Koeffizientenfunktionen a_{k} eine stetige, auf ganz I definierte Funktion. Im vektorwertigen Fall sind die a_{k} quadratische Matrizen und die Gleichung stellt ein lineares Differentialgleichungssystem für die Komponenten y=(y_{1},\ldots ,y_{m}) der Lösungsfunktion dar. Im wichtigen Spezialfall, dass die a_{k} nicht von x abhängen, wird die Gleichung eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten genannt.

Eine wesentliche Eigenschaft linearer Gleichungen ist das Superpositionsprinzip: Löst y(x) die Gleichung mit Inhomogenität g(x) und z(x) mit Inhomogenität h(x), dann löst die Linearkombination \alpha y(x)+\beta z(x) die Gleichung mit Inhomogenität \alpha g(x)+\beta h(x). Insbesondere sind im homogenen Fall Summen und Vielfache von Lösungen stets wieder Lösungen. Das liegt daran, dass eine höhere Ableitung y^{{(n)}} in linearer Weise von niederen Ableitungen y,\ldots ,y^{{(n-1)}} abhängt.

Beispiele

\ y'=A(x)y+g(x)\ ,
worin A\colon I\rightarrow {\mathbb  {R}}^{{m\times m}} und g\colon I\rightarrow {\mathbb  {R}}^{m} stetige Funktionen sind. Das zugehörige homogene System lautet
\ y'=A(x)y\ .
\sum _{{i=0}}^{n}a_{i}(x)y^{{(i)}}=g(x)\ ,
worin a_{i},g\colon I\rightarrow {\mathbb  {R}} stetige Funktionen sind. Die zugehörige homogene Gleichung lautet
\sum _{{i=0}}^{n}a_{i}(x)y^{{(i)}}=0\ .

Unter letztere Gruppe fallen weiter die folgenden Differentialgleichungen:

\ y''-\lambda xy=0
\ x^{2}y''+xy'+(x^{2}-n^{2})y=0,\ n\in {\mathbb  {R}}.
\sum _{{i=0}}^{n}b_{i}(cx+d)^{i}y^{{(i)}}(x)=0
\ y''-2xy'+2ny=0,\ n\in {\mathbb  {Z}}
\ x(x-1)y''+\left((\alpha +\beta +1)x-\gamma \right)y'+\alpha \beta y=0,\ \alpha ,\beta ,\gamma \in {\mathbb  {R}}
x\,y''+(1-x)\,y'+ny=0,\ n\in {\mathbb  {N}}_{0}.
\ (1-x^{2})y''-2xy'+n(n+1)y=0
\ (1-x^{2})y''-xy'+n^{2}y=0

In der klassischen Mechanik ist die unabhängige Variable der Differentialgleichungen häufig die Zeit.

{\ddot  y}+\omega _{0}^{2}\,y=0

Globale Existenz und Eindeutigkeit

Seien x_0 \in I und y_0, \dotsc, y_{n-1} \in \mathbb{R}^m beliebig. Dann besitzt das Anfangswertproblem eines linearen Differentialgleichungssystems

\left\{{\begin{array}{l}y^{{(n)}}(x)=\sum _{{k=0}}^{{n-1}}a_{k}y^{{(k)}}(x)+g(x)\ ,\\\ y^{{(i)}}(x_{0})=y_{i}\ ,\ i=0,\dotsc ,n-1\\\end{array}}\right.

gemäß der globalen Version des Satzes von Picard-Lindelöf genau eine globale Lösung y\colon I\rightarrow {\mathbb  {R}}^{m}.

Lösungsstruktur

Homogene Probleme

Jede Linearkombination von Lösungen eines homogenen Problems ist wieder eine Lösung – dies wird als Superpositionsprinzip bezeichnet. Somit ist die Menge aller Lösungen ein Vektorraum. Bei einer linearen homogenen Differentialgleichung n-ter Ordnung und einem linearen homogenen Differentialgleichungssystem erster Ordnung von n Gleichungen ist er n-dimensional. Jede Basis des Lösungsraums heißt ein Fundamentalsystem.

Inhomogene Probleme

Die Kenntnis von Fundamentalsystem und einer speziellen Lösung y_{{sp}}\, reicht aus, um die Gesamtheit der Lösungen des inhomogenen Problems zu bestimmen. Es ist nämlich

\{y=y_{h}+y_{{sp}}\ |\ y_{h}\ {\mathrm  {L{\ddot  {o}}sung\ des\ homogenen\ Problems}}\}

die Menge aller Lösungen des inhomogenen Problems.

Spezielle Verfahren zum Auffinden einer partikulären Lösung

Hat man bereits ein Fundamentalsystem des zugehörigen homogenen Problems bestimmt, so kann man eine spezielle Lösung y_{{sp}} des inhomogenen Problems durch die Methode der Variation der Konstanten oder das dort beschriebene Grundlösungsverfahren konstruieren. Wenn die Inhomogenität eine besondere Struktur ausweist, kann man gelegentlich mit dem Exponentialansatz schneller zu einer partikulären Lösung gelangen.

Falls man kein Fundamentalsystem konstruiert hat, funktioniert gelegentlich ein Potenzreihenansatz.

Eine weitere Möglichkeit bietet die Laplace-Transformation. Die Laplace-Transformation eignet sich aufgrund ihres Differentiationssatzes unter anderem dazu, Anfangswertprobleme zu linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten zu lösen. Vorausgesetzt, man kennt die Laplace-Transformierte der Inhomogenität, erhält man aus dem Differentiationssatz die Laplace-Transformierte der Lösung. Unter Umständen kennt man dann die Inverse davon, so dass man die (untransformierte) Lösung zurückgewinnen kann.

Im Spezialfall eines Differentialgleichungssystems erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten kann man die allgemeine Lösung unter Zuhilfenahme der Matrixexponentialfunktion bestimmen, sofern man die jordansche Normalform der Koeffizientenmatrix herstellen kann.

Periodische Systeme

Seien A\colon {\mathbb  {R}}\rightarrow {\mathbb  {R}}^{{m\times m}} die stetige matrixwertige Abbildung und b\colon {\mathbb  {R}}\rightarrow {\mathbb  {R}}^{m} die Inhomogenität des Systems

y'=A(x)y+b(x)\,.

Die beiden Abbildungen A und b seien außerdem periodisch mit der Periode \omega \in \R, das heißt, es gilt A(x+\omega )=A(x) und b(x+\omega )=b(x). Zwar kann man im Allgemeinen kein Fundamentalsystem des zugehörigen homogenen Problems explizit konstruieren – jedoch kennt man deren Struktur aufgrund des Satzes von Floquet.

Es stellt sich bei periodischen Systemen die Frage nach der Existenz von periodischen Lösungen mit der gleichen Periode \omega . Zunächst ist man am Lösungsraum

L_{\omega }:=\{y\in C^{1}({\mathbb  {R}};{\mathbb  {R}}^{m})\ |\ y'(x)=A(x)y(x)\ {\textrm  {und}}\ y\ \omega {\textrm  {-periodisch}}\}

der \omega -periodischen Lösungen des zugehörigen homogenen Problems interessiert.

Sei \Phi eine Fundamentalmatrix des homogenen Problems y'=A(x)y. Dann heißen die Eigenwerte von \Phi (\omega )\Phi (0)^{{-1}} Floquet-Multiplikatoren beziehungsweise charakteristische Multiplikatoren von y'=A(x)y und sind unabhängig von der Wahl der Fundamentalmatrix. Es gilt: Das homogene System y'=A(x)y besitzt genau dann eine nichttriviale \omega -periodische Lösung, wenn 1 ein Floquet-Multiplikator von y'=A(x)y ist.

Für das inhomogene Problem betrachtet man den Raum der \omega -periodischen Lösungen vom adjungierten Problem y'=-A(x)^{T}y

L_{\omega }^{\star }:=\{y\in C^{1}({\mathbb  {R}};{\mathbb  {R}}^{m})\ |\ y'(x)=-A(x)^{T}y(x)\ {\textrm  {und}}\ y\ \omega {\textrm  {-periodisch}}\}\ .

Dann besitzt das inhomogene Problem y'=A(x)y+b(x) genau dann eine \omega -periodische Lösung, wenn

\int _{0}^{\omega }\langle y(s),b(s)\rangle {{\rm {d}}}s=0

für alle y\in L_{\omega }^{\star } gilt.

Man zeigt \dim L_{\omega }=\dim L_{\omega }^{\star }. Also besitzt y'=A(x)y+b(x) für jede Inhomogenität b eine \omega -periodische Lösung, falls 1 kein Floquet-Multiplikator von y'=A(x)y ist.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 04.10. 2021