Retraktion und Koretraktion
In der Kategorientheorie
versteht man unter einer Retraktion einen Morphismus
,
der ein Rechtsinverses besitzt, das heißt, zu dem es einen Morphismus
gibt mit
.
Der duale
Begriff einer Retraktion ist der der Koretraktion (oder Schnitt),
das heißt ein Morphismus, der ein Linksinverses besitzt. Das Rechtsinverse einer
Retraktion ist eine Koretraktion und umgekehrt.
Ein Objekt
einer Kategorie
heißt Retrakt eines Objekts
,
wenn es in
einen Morphismus
und eine Retraktion
zu
,
also einen Morphismus
mit
,
gibt.
Jede Retraktion ist ein extremer und sogar regulärer Epimorphismus. Ebenso ist jede Koretraktion extremer und sogar regulärer Monomorphismus und sogar Differenzkern.
Spezielle Kategorien
Topologische Räume
Der Begriff der Retraktion findet Anwendung in der algebraischen
Topologie. In der Kategorie
der topologischen Räume sind alle extremen
Monomorphismen und damit auch alle Koretraktionen topologische
Einbettungen.
Dies ermöglicht im Falle topologischer Räume eine andere Sichtweise und
Definition: Eine Retraktion ist ein stetiges Linksinverses einer topologischen
Einbettung. Oder konkret formuliert: Eine Retraktion ist eine stetige Abbildung
von einem topologischen Raum in sich selbst, sodass jedes Element der Bildmenge
Fixpunkt
ist.
Dies erlaubt auch eine konkrete Definition des Retrakts: Ein Teilraum
eines topologischen
Raums
heißt Retrakt von
,
wenn es eine Retraktion
zur Einbettung
gibt.
ist genau dann Retrakt von
,
wenn jede stetige Abbildung
stetig zu einer Abbildung
fortgesetzt werden kann:
- Gibt es eine Retraktion
, so ist
stetige Fortsetzung.
- Eine Fortsetzung von
zu einer stetigen Abbildung
ist eine Retraktion.
In einem Hausdorffraum
ist jedes Retrakt abgeschlossen: Sei
Retrakt mit Retraktion
.
Betrachte nun ein konvergentes Netz
auf
.
Das Bildnetz
konvergiert gegen
(da
stetig) und ist gleich dem ursprünglichen Netz. Da der Grenzwert eines Netzes in
Hausdorffräumen eindeutig ist, gilt somit
und
ist abgeschlossen. In Nicht-Hausdorffräumen gilt dies nicht: In Nicht-T₁-Räumen existieren
nicht-abgeschlossene einelementige Mengen, die aber offensichtlich Retrakte
sind. Als Beispiel für einen T₁-Raum mit nicht-abgeschlossenem Retrakt betrachte
die kofinite
Topologie auf
:
mit
und
für
ist eine Retraktion, das Bild ist jedoch nicht abgeschlossen.
Deformationsretrakt
heißt Deformationsretrakt von
,
wenn
homotop zu
relativ
ist.
Deformationsretraktionen sind spezielle Homotopieäquivalenzen, die diese Äquivalenzrelation erzeugen.
Beispiele
Elementares Beispiel
Die folgende Abbildung ist ein anschauliches Beispiel für eine Retraktion in den reellen Zahlen:
Fixpunktsatz von Brouwer im eindimensionalen Fall
Der Fixpunktsatz
von Brouwer besagt, dass jede stetige Abbildung einer Vollkugel
in sich selbst einen Fixpunkt besitzt. Eine eindimensionale Vollkugel entspricht
topologisch gesehen gerade einem abgeschlossenen Intervall, etwa .
Gäbe es nun eine stetige, fixpunktfreie Abbildung
,
so ergäbe sich dadurch eine Retraktion
mittels
(da der Nenner nie verschwinden würde), d.h.
müsste Retrakt von
sein. Eine solche Retraktion kann aber nicht existieren, da Zusammenhang
unter stetigen Abbildungen erhalten ist.
Abgeschlossene Teilräume des Baire-Raums
Im Baire-Raum
gilt: Für jedwede abgeschlossene Teilräume (dies sind stets polnische Teilräume)
ist
Retrakt von
.
Man beachte, dass der Baire-Raum total
unzusammenhängend ist, und daher der Zusammenhangsbegriff keinerlei
Einschränkungen für Retrakte liefert.
Pfeilkategorie
Sei
eine Kategorie, die zugehörige Pfeilkategorie
ist dann die Kategorie der Funktoren
von der Kategorie mit zwei Objekten und drei Morphismen in die Kategorie
.
Diese werden Pfeile genannt und können mit den Morphismen in
identifiziert werden. Ein Pfeil
ist Retrakt eines Pfeils
,
wenn es eine natürliche
Transformation (d.h. ein kommutierendes Quadrat)
und eine Retraktion
gibt, also das folgende Diagramm kommutiert:
Mengenlehre
In der Kategorie
aller Mengen
und den Funktionen
zwischen ihnen ist ein Morphismus (das heißt eine Funktion zwischen zwei Mengen)
genau dann eine Retraktion, wenn er surjektiv ist. Diese Aussage
ist äquivalent zum Auswahlaxiom
der Mengenlehre. Entsprechend
ist ein Morphismus genau dann eine Koretraktion, wenn er injektiv ist und es
einen Morphismus in der Gegenrichtung gibt. Diese Aussage benötigt jedoch nicht
das Auswahlaxiom. Aus diesen Aussagen folgt, dass in jeder konkreten Kategorie
die Retraktionen surjektiv und die Koretraktionen injektiv sein müssen, was für
allgemeine Epi- bzw. Monomorphismen, welche in der Kategorie der Mengen mit den
Retraktionen bzw. Koretraktionen übereinstimmen, im Allgemeinen nicht gilt.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 28.11. 2023