Baire-Raum (speziell)
Der Baire-Raum
(nach dem französischen Mathematiker René
Louis Baire) ist ein topologischer
Raum mit besonderer Bedeutung für die deskriptive
Mengenlehre, da sich viele Sätze, die für den Baire-Raum bewiesen werden
können, auf allgemeine polnische
Räume, etwa auf
oder den Hilbertwürfel
unmittelbar übertragen. In Beweisen kann der Baire-Raum einfacher zu handhaben
sein als etwa der Raum der reellen
Zahlen.
Die Grundmenge des Baire-Raums ist die Menge aller Folgen von natürlichen
Zahlen (
),
und die Topologie des Baire-Raums (die Menge der "offenen"
Mengen des Baire-Raums) besteht aus denjenigen Mengen solcher Folgen, die die
Vereinigung von Mengen aus Folgen mit gemeinsamem Präfix
sind.
Die Topologie des Baire-Raums
Die Topologie des Baire-Raums lässt sich als die abzählbare Produkttopologie der
diskreten
Topologie über
definieren, was äquivalent zu der obigen intuitiven Definition offener Mengen
ist, die Mengen von Folgen mit gemeinsamem Präfix bilden dabei eine Basis der Topologie.
Zu zeigen ist, dass der Baire-Raum tatsächlich ein polnischer Raum ist. Da die
diskrete Topologie metrisierbar
ist, ist auch das abzählbare
Produkt metrisierbar, es lässt sich auch eine einfache Metrik konkret
angeben:
,
wobei
die erste Stelle bezeichne, an der sich die Folgen
und
unterscheiden. Es handelt sich sogar um eine Ultrametrik.
Der Baire-Raum ist separabel,
da die Menge aller Folgen, die ab einer gewissen Position den Wert Null
annehmen, abzählbar ist und dicht
in
liegt. Die Vollständigkeit
lässt sich analog zu den reellen Zahlen zeigen, da der Baire-Raum auf sehr
natürliche Weise eine Intervallschachtelung zulässt.
Bedeutung für die deskriptive Mengenlehre
Seine universelle Einsetzbarkeit erhält der Baire-Raum dadurch, dass jeder
polnische Raum das Bild einer stetigen
Abbildung aus dem Baire-Raum ist, d.h., dass eine stetige Surjektion von
in jeden polnischen Raum existiert.
Im Baire-Raum sind Eigenschaften projektiver
Mengen besonders leicht zu zeigen, da jedes abzählbare Produkt des
Baire-Raums homöomorph
zum Baire-Raum selbst ist, d.h.
ist homöomorph zu
für
,
und
.
Dies macht die Definition von projektiven Mengen besonders einfach. Zudem ist
auch jede analytische
Menge im Baire-Raum Projektion einer abgeschlossenen Menge, während etwa für
die reellen Zahlen oder den Cantor-Raum
Projektionen von
-Mengen
betrachtet werden müssen.
Eigenschaften der Topologie
Jeder Punkt im Baire-Raum hat die Menge aller Mengen
als abzählbare Umgebungsbasis,
wobei hier
die Menge aller Punkte im Baire-Raum bezeichne, sodass die ersten
Stellen mit denen von
übereinstimmen. Dies erlaubt eine natürliche Charakterisierung der Stetigkeit
einer Funktion
in einem Punkt
:
ist genau dann stetig im Punkt
,
wenn für jedes
ein
existiert, sodass die ersten
Stellen von
die ersten
Stellen von
bestimmen.
Ebenso lässt sich die Konvergenz einer Folge von Punkten des Baire-Raums
charakterisieren: Eine Folge konvergiert genau dann, wenn für jedes
ein
existiert, sodass ab dem
-ten
Folgenglied die ersten
Stellen stets übereinstimmen. Dies unterscheidet den Baire-Raum von den reellen
Zahlen, bei denen Randfälle auftreten, bei denen diese Eigenschaft verletzt ist
(Die Folge 0,9, 0,99, 0,999, … konvergiert gegen die Eins).
Der Baire-Raum ist – wie jeder ultrametrisierbare Raum – total unzusammenhängend, jeder Unterraum mit mindestens zwei Elementen lässt sich in zwei disjunkte offene Mengen aufteilen. Für offene Mengen sieht man dies sehr leicht: Repräsentiert man eine offene Menge als Menge von Präfixen, was stets möglich ist, da die Mengen von Folgen mit einem bestimmten Präfix eine Basis bilden, so lässt sich die offene Menge durch „Anfügen“ zusätzlicher Zeichen an ein Präfix in disjunkte offene Teilmengen aufteilen. Ein Beispiel: Die Menge aller mit Null beginnenden Folgen im Baire-Raum ist offen, sie lässt sich in die offene Menge der Folgen beginnend mit Null, gefolgt von einer geraden Zahl und die offene Menge der Folgen beginnend mit Null, gefolgt von einer ungeraden Zahl aufteilen. Die Eigenschaft überträgt sich für nicht-offene Mengen auf die Unterraumtopologie.
Im Baire-Raum gibt es keine isolierten Punkte, d.h. es handelt sich um einen perfekten polnischen Raum.
Der Baire-Raum lässt sich auch in die reellen Zahlen einbetten: Mittels der Kettenbruchentwicklung lässt sich zeigen, dass er homöomorph zum Teilraum der irrationalen Zahlen ist. Die Funktion
(wobei
die Null enthalte)
ist ein Homöomorphismus auf ihr Bild, das gerade die Menge der irrationalen
Zahlen größer als
ist. Dieses wiederum ist mittels des Homöomorphismus
homöomorph zu den irrationalen Zahlen im Intervall
.
Somit sind die irrationalen Zahlen abzählbare topologische Summe
von zum Baire-Raum homöomorphen Mengen und somit ebenfalls homöomorph zum
Baire-Raum.
Man beachte, dass dieser Teilraum der reellen Zahlen nicht abgeschlossen und
daher die übliche, von den reellen Zahlen vererbte Metrik auf ihm nicht
vollständig ist.
Zur Universalität
Wie bereits angemerkt ist eine grundlegende Eigenschaft des Baire-Raums, dass
jeder polnische Raum stetiges Bild des Baire-Raums ist. Sei also
ein polnischer Raum. Nun lassen sich für alle endlichen Wörter
offene Teilmengen
mit den folgenden Eigenschaften konstruieren:
für
.
Hierfür benötigt man die Separabilität: Für jedes
existiert eine abzählbare dichte Teilmenge, hinreichend kleine offene
Kugeln um diese erfüllen dann die gewünschten Eigenschaften. Nun definiere
man
mit
,
wobei
das Präfix
von
der Länge
bezeichne. Aufgrund der Vollständigkeit des Raumes ist nach dem Intervallschachtelungsprinzip
eindeutig definiert.
ist stetig, da es Konvergenz erhält: Punkte des Baire-Raums mit gemeinsamem
Präfix
werden auf Punkte in
abgebildet, sodass die Bildfolge einer konvergenten Folge gegen das Bild des
Grenzwertes konvergiert. Es existiert sogar eine stetige Bijektion
von einem abgeschlossenen Teilraum nach
(man beachte, dass diese kein Homöomorphismus sein muss, sondern die Topologie
auch vergröbern kann – die Kategorie der polnischen Räume ist nicht ausgeglichen
– insbesondere ist ein solcher Teilraum total unzusammenhängend, womit er etwa
nicht homöomorph zu den reellen Zahlen sein kann). Hierfür wähle man statt
offener Mengen
-Mengen
,
die neben den obigen Bedingungen zusätzlich auf jeder Ebene paarweise disjunkt
sind, das heißt
für
.
Solche erhält man etwa durch
.
Schränkt man
nun auf die Punkte
ein, für die
nichtleer und somit gerade gleich
ist, erhält man die gewünschte stetige Bijektion.
Retrakte
Im Baire-Raum ist jeder abgeschlossene Teilraum (diese sind insbesondere
polnisch) auch ein Retrakt.
Zum Beweis überdecke man den Teilraum
wie zuvor mit offenen Mengen
mit der zusätzlichen Bedingung, dass für
für alle
.
Die wie oben konstruierte Abbildung ist dann wiederum stetig und jedes Element
von
ist ein Fixpunkt. Somit ist sie eine Retraktion und der Teilraum ein Retrakt.
Einschränkung liefert, dass auch jeder abgeschlossene Teilraum eines
abgeschlossenen Teilraums Retrakt des letzteren ist.
Umgekehrt muss wie in jedem Hausdorffraum jedes Retrakt abgeschlossen sein,
d.h. die Retrakte sind hiermit vollständig charakterisiert.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.03. 2023