Bedingter Erwartungswert

Der bedingte Erwartungswert beschreibt in der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik den Erwartungswert einer Zufallsvariablen unter der Voraussetzung, dass noch zusätzliche Informationen über den Ausgang des zugrunde liegenden Zufallsexperiments verfügbar sind. Dabei kann die Bedingung beispielsweise darin bestehen, dass bekannt ist, ob ein gewisses Ereignis eingetreten ist oder welche Werte eine weitere Zufallsvariable angenommen hat; abstrakt kann die Zusatzinformation als Unterraum des zugrunde liegenden Ereignisraums aufgefasst werden.

Abstrakte bedingte Erwartungswerte und als Spezialfall davon bedingte Wahrscheinlichkeiten verallgemeinern in der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik den elementaren Begriff der bedingten Wahrscheinlichkeit.

Bedingte Erwartungswerte spielen eine wichtige Rolle in der modernen Stochastik, beispielsweise bei der Untersuchung stochastischer Prozesse, und werden unter anderem bei der Definition von Martingalen verwendet.

Interpretation

Die Bildung des bedingten Erwartungswertes ist gewissermaßen eine Glättung einer Zufallsvariablen auf einer Teil-σ-Algebra. σ-Algebren modellieren verfügbare Information, und eine geglättete Version der Zufallsvariable, die schon auf einer Teil-σ-Algebra messbar ist, enthält weniger Information über den Ausgang eines Zufallsexperimentes. Mit der Bildung der bedingten Erwartung geht eine Reduktion der Beobachtungstiefe einher, die bedingte Erwartung reduziert die Information über eine Zufallsvariable auf eine in Hinsicht der Messbarkeit einfachere Zufallsvariable, ähnlich wie als Extremfall der Erwartungswert einer Zufallsvariablen die Information auf eine einzelne Zahl reduziert.

Geschichte

Das in einigen Aspekten sehr alte Konzept (schon Laplace hat bedingte Dichten berechnet) wurde von Andrei Kolmogorow 1933 unter Verwendung des Satzes von Radon-Nikodym formalisiert. In Arbeiten von Paul Halmos 1950 und Joseph L. Doob 1953 wurden bedingte Erwartungen auf die heute übliche Form von Teil-σ-Algebren auf abstrakten Räumen übertragen.

Einleitung

Wenn ein Ereignis B mit P(B)>0 gegeben ist, gibt die bedingte Wahrscheinlichkeit

P(A\mid B)={\frac  {P(A\cap B)}{P(B)}}

an, wie wahrscheinlich das Ereignis A ist, wenn man die Information hat, dass das Ereignis B eingetreten ist. Entsprechend gibt der bedingte Erwartungswert

{\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid B)={\frac {\operatorname {E} (1_{B}\cdot Y)}{P(B)}}}

an, welchen Wert man für die Zufallsvariable Y im Mittel erwartet, wenn man die Information hat, dass das Ereignis B eingetreten ist. Hierbei ist 1_{B} die Indikatorfunktion von B, also die Zufallsvariable, die den Wert 1 annimmt, wenn B eintritt, und {\displaystyle 0}, wenn nicht.

Beispiel: Y sei die Augenzahl beim Werfen eines regelmäßigen Würfels und B sei das Ereignis, eine 5 oder 6 zu würfeln. Dann ist

{\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid B)\,=\,{\frac {P(Y=5)\cdot 5+P(Y=6)\cdot 6}{P(B)}}\,=\,{\frac {11/6}{2/6}}\,=\,5{,}5}.

Dieser elementare Begriff von bedingten Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerten ist jedoch oft nicht ausreichend. Gesucht sind häufig vielmehr bedingte Wahrscheinlichkeiten und bedingte Erwartungswerte in der Form

(a)  P(A\,|\,X=x)   bzw.   {\displaystyle \operatorname {E} (Y\,|\,X=x)},

wenn man weiß, dass eine Zufallsvariable X einen Wert x hat,

(b)  P(A\,|\,X)   bzw.   {\displaystyle \operatorname {E} (Y\,|\,X)},

wenn man den bei (a) gefundenen Wert als Zufallsvariable (in Abhängigkeit von x) betrachtet,

(c)  P(A\,|\,{\mathcal  {B}})   bzw.   {\displaystyle \operatorname {E} (Y\,|\,{\mathcal {B}})},

wenn man für jedes Ereignis in einer σ-Algebra {\mathcal {B}} die Information hat, ob es eingetreten ist oder nicht.

Die Ausdrücke in (b) und (c) sind im Gegensatz zu (a) selbst Zufallsvariablen, da sie noch von der Zufallsvariable X bzw. der Realisierung der Ereignisse in {\mathcal {B}} abhängen. {\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid B)} wird oft Erwartungswert von Y unter der Bedingung B gesprochen. {\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid X)} und {\displaystyle \operatorname {E} (Y\,|\,{\mathcal {B}})} wird Erwartungswert von Y gegeben X bzw. Erwartungswert von Y gegeben {\mathcal  {B}} gesprochen.

Die angegebenen Varianten von bedingten Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerten sind alle miteinander verwandt. Tatsächlich genügt es, nur eine Variante zu definieren, denn alle lassen sich voneinander ableiten:

Diskreter Fall

Wir betrachten hier den Fall, dass P(X=x)>0 für alle Werte x von X gilt. Dieser Fall ist besonders einfach zu behandeln, weil die elementare Definition uneingeschränkt anwendbar ist:

P(A\mid X=x)\,=\,{\frac  {P(A\cap \{X=x\})}{P(X=x)}}

Die Funktion P(\,\cdot \,|\,X=x) (wobei \cdot das Argument bezeichnet) besitzt alle Eigenschaften eines Wahrscheinlichkeitsmaßes, es handelt sich um eine sogenannte reguläre bedingte Wahrscheinlichkeit. Die bedingte Verteilung P(Y\in \,\cdot \,|\,X=x) einer Zufallsvariable Y ist daher ebenfalls eine ganz gewöhnliche Wahrscheinlichkeitsverteilung. Der Erwartungswert dieser Verteilung ist der bedingte Erwartungswert von Y, gegeben X=x:

{\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid X=x).}

Ist Y ebenfalls diskret, so gilt

{\displaystyle \operatorname {E} (Y\mid X=x)=\sum _{y}yP(Y=y\mid X=x)=\sum _{y}y{\frac {P(X=x,Y=y)}{P(X=x)}}\,,}

wobei über alle y im Wertebereich von Y summiert wird.

Beispiel

X und Y seien die Augenzahlen bei zwei unabhängigen Würfen mit einem regelmäßigen Würfel und Z=X+Y die Augensumme. Die Verteilung von Z ist gegeben durch \textstyle P(Z=z)={\frac  {6-|7-z|}{36}}, z=2,\dotsc ,12. Wenn wir aber das Ergebnis X des ersten Wurfs kennen und wissen, dass wir z.B. den Wert 4 gewürfelt haben, erhalten wir die bedingte Verteilung

{\displaystyle P(Z=z\mid X=4)\,=\,{\frac {P(X=4,Y=z-4)}{P(X=4)}}\,=\,{\begin{cases}1/6&{\text{ falls }}z=5,\dotsc ,10\\0&{\text{ sonst}}\end{cases}}}.

Der Erwartungswert dieser Verteilung, der bedingte Erwartungswert von Z, gegeben X=4, ist

{\displaystyle \operatorname {E} (Z\mid X=4)\,=\,{\tfrac {1}{6}}(5+6+\dotsb +10)\,=\,7{,}5}.

Allgemeiner gilt für beliebige Werte x von X

{\displaystyle \operatorname {E} (Z\mid X=x)\,=\,{\tfrac {1}{6}}((x+1)+\dotsb +(x+6))\,=\,x+3{,}5}.

Wenn wir für x den Wert von X einsetzen, erhalten wir den bedingten Erwartungswert von Z, gegeben X:

{\displaystyle \operatorname {E} (Z\mid X)\,=\,X+3{,}5}.

Dieser Ausdruck ist eine Zufallsvariable; wenn das Ergebnis \omega eingetreten ist, weist X den Wert X(\omega) auf und {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X)} den Wert

{\displaystyle \operatorname {E} (Z\mid X)(\omega )\,=\,\operatorname {E} (Z\mid X=X(\omega ))\,=\,X(\omega )+3{,}5}.

Satz über die totale Wahrscheinlichkeit

Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A lässt sich durch Zerlegen nach den Werten x von X berechnen:

P(A)=\sum _{x}P(X=x)\,P(A|X=x)

Allgemeiner gilt für jedes Ereignis B=\{X\in E\} in der σ-Algebra \sigma(X) die Formel

P(B\cap A)=\sum _{{x\in E}}P(X=x)\,P(A|X=x).

Mithilfe der Transformationsformel für das Bildmaß erhält man die äquivalente Formulierung

P(B\cap A)=\int _{B}P(A|X)\,dP.

Allgemeiner Fall

Im allgemeinen Fall ist die Definition weit weniger intuitiv als im diskreten Fall, weil man nicht mehr voraussetzen kann, dass die Ereignisse, auf die man bedingt, eine Wahrscheinlichkeit >0 haben.

Ein Beispiel

Wir betrachten zwei unabhängige standardnormalverteilte Zufallsvariablen X und Y. Ohne große Überlegung kann man auch hier den bedingten Erwartungswert, gegeben X, der Zufallsvariablen Z=2X+Y-3 angeben, d.h. den Wert, den man im Mittel für den Ausdruck 2X+Y-3 erwartet, wenn man X kennt:

{\displaystyle \operatorname {E} (Z|X)=2X-3}   bzw.   {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X=x)=2x-3}

Wie zuvor ist {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X)} selbst eine Zufallsvariable, für deren Wert nur die von X erzeugte σ-Algebra \sigma(X) entscheidend ist. (Setzt man etwa X'=2X, also \sigma (X')=\sigma (X), so erhält man ebenfalls {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X')=\operatorname {E} (X'+Y-3|X')=X'-3=2X-3}.)

Die Problematik ergibt sich aus folgender Überlegung: Die angegebenen Gleichungen gehen davon aus, dass Y für jeden einzelnen Wert von X standardnormalverteilt ist. Tatsächlich könnte man aber auch annehmen, dass Y im Fall X=0 konstant den Wert 2 hat und nur in den übrigen Fällen standardnormalverteilt ist: Da das Ereignis X=0 die Wahrscheinlichkeit {\displaystyle 0} hat, wären X und Y insgesamt immer noch unabhängig und standardnormalverteilt. Man erhielte aber {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X=0)=-1} statt {\displaystyle \operatorname {E} (Z|X=0)=-3}. Das zeigt, dass der bedingte Erwartungswert nicht eindeutig festgelegt ist, und dass es nur sinnvoll ist, den bedingten Erwartungswert für alle Werte von X simultan zu definieren, da man ihn für einzelne Werte beliebig abändern kann.

Der Ansatz von Kolmogorow

Nachdem sich die elementare Definition nicht auf den allgemeinen Fall übertragen lässt, stellt sich die Frage, welche Eigenschaften man beibehalten möchte und auf welche man zu verzichten bereit ist. Der heute allgemein übliche Ansatz, der auf Kolmogorow (1933) zurückgeht[4] und der sich insbesondere in der Theorie der stochastischen Prozesse als nützlich erwiesen hat, verlangt nur zwei Eigenschaften:

(1) P(A|X) soll eine messbare Funktion von X sein. Auf die σ-Algebra {\mathcal  {B}}=\sigma (X) übertragen bedeutet dies, dass P(A|{\mathcal  {B}}) eine {\mathcal {B}}-messbare Zufallsvariable sein soll.

(2) In Analogie zum Satz über die totale Wahrscheinlichkeit soll für jedes B\in {\mathcal  {B}} die Gleichung

\int _{B}P(A|{\mathcal  {B}})\,dP\;=\;P(B\cap A)

erfüllt sein.

Nicht gefordert wird unter anderem

Für bedingte Erwartungswerte hat (2) die Form

{\displaystyle \int _{B}\operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})\,dP\;=\;\int _{B}X\,dP}

für alle Mengen B\in {\mathcal  {B}}, für die die Integrale definiert sind. Mit Indikatorfunktionen lässt sich diese Gleichung schreiben als

{\displaystyle \operatorname {E} (\mathrm {1} _{B}\operatorname {E} (X|{\mathcal {B}}))=\operatorname {E} (\mathrm {1} _{B}X)}.

In dieser Form wird die Gleichung in der folgenden Definition verwendet.

Formale Definition

Glättungseigenschaft: P ist hier die Gleichverteilung auf [0,1], {\mathcal {B}} die von den Intervallen mit Endpunkten 0, ¼, ½, ¾, 1 erzeugte σ-Algebra und {\mathcal {C}} die von den Intervallen mit Endpunkten 0, ½, 1 erzeugte σ-Algebra. Die Bildung des bedingten Erwartungswertes bewirkt eine Glättung innerhalb der durch die σ-Algebren beschriebenen Bereiche.

Gegeben sei ein Wahrscheinlichkeitsraum (\Omega ,{\mathcal {A}},P) und eine Teil-σ-Algebra {\mathcal  {B}}\subset {\mathcal  {A}}.

(1) X sei eine Zufallsvariable, deren Erwartungswert existiert. Der bedingte Erwartungswert von X, gegeben {\mathcal {B}}, ist eine Zufallsvariable Z, die die beiden folgenden Bedingungen erfüllt:

Zwei verschiedene bedingte Erwartungswerte von X gegeben {\mathcal {B}} („Versionen des bedingten Erwartungswerts“) unterscheiden sich höchstens auf einer (in {\mathcal {B}} enthaltenen) Nullmenge. Dadurch lässt sich die einheitliche Schreibweise {\displaystyle \operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})} für einen bedingten Erwartungswert Z von X gegeben \mathcal B rechtfertigen.

Die Schreibweise {\displaystyle \operatorname {E} (X\,|\,X_{1},\dotsc ,X_{n})} bezeichnet den bedingten Erwartungswert von X, gegeben die von den Zufallsvariablen X_{1},\dotsc ,X_{n} erzeugte σ-Algebra {\mathcal  {B}}=\sigma (X_{1},\dotsc ,X_{n}).

(2) Die bedingte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A\in {\mathcal {A}}, gegeben {\mathcal {B}}, ist definiert als die Zufallsvariable

{\displaystyle P(A|{\mathcal {B}})=\operatorname {E} (\mathrm {1} _{A}|{\mathcal {B}})},

d.h. als der bedingte Erwartungswert der Indikatorfunktion von A.

Da die bedingten Wahrscheinlichkeiten P(A|{\mathcal  {B}}) verschiedener Ereignisse A\in\mathcal{A} somit ohne Bezug zueinander definiert sind und nicht eindeutig festgelegt sind, muss P(\;\cdot \;|{\mathcal  {B}})(\omega ) im Allgemeinen kein Wahrscheinlichkeitsmaß sein. Wenn dies jedoch der Fall ist, d.h. wenn man die bedingten Wahrscheinlichkeiten P(A|{\mathcal  {B}}), A\in\mathcal{A} zu einem stochastischen Kern \pi von (\Omega ,{\mathcal  {B}}) nach (\Omega ,{\mathcal  {A}}) zusammenfassen kann,

P(A|{\mathcal  {B}})(\omega )=\pi (\omega ;A)     für alle  \omega \in \Omega ,\,A\in {\mathcal  {A}},

spricht man von regulärer bedingter Wahrscheinlichkeit. Eine konkrete Version des bedingten Erwartungswertes ist dann als Integral

{\displaystyle \textstyle \operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})(\omega )=\int \pi (\omega ;d\omega ')\,X(\omega ')}

gegeben.

Faktorisierung: Der bedingte Erwartungswert {\displaystyle \operatorname {E} (X|X_{1},\dotsc ,X_{n})}, der als eine Zufallsvariable (also eine Funktion von \omega ) definiert ist, lässt sich auch als eine Funktion von X_{1},\dotsc ,X_{n} darstellen: Es gibt eine messbare Funktion f, so dass

{\displaystyle \operatorname {E} (X\,|\,X_{1},\dotsc ,X_{n})(\omega )\,=\,f(X_{1}(\omega ),\dotsc ,X_{n}(\omega ))}     für alle  \omega \in \Omega .

Damit kann man formal auf einzelne Werte bedingte Erwartungswerte definieren:

{\displaystyle \operatorname {E} (X\,|\,X_{1}=x_{1},\dotsc ,X_{n}=x_{n})\,=\,f(x_{1},\dotsc ,x_{n})}.

Bei der Verwendung solcher Ausdrücke ist wegen der fehlenden Eindeutigkeit im allgemeinen Fall besondere Vorsicht geboten.

Existenz: Die allgemeine Existenz von bedingten Erwartungswerten für integrierbare Zufallsvariablen (Zufallsvariablen, die einen endlichen Erwartungswert besitzen), also insbesondere von bedingten Wahrscheinlichkeiten, folgt aus dem Satz von Radon-Nikodým; die Definition besagt nämlich nichts anderes, als dass {\displaystyle \operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})} eine Dichte des signierten Maßes {\displaystyle \nu (B)=\operatorname {E} (\mathrm {1} _{B}X)} bezüglich des Maßes \mu (B)=P(B) ist, beide definiert auf dem Messraum (\Omega ,{\mathcal  {B}}). Die Definition lässt sich noch geringfügig verallgemeinern, so dass man auch Fälle wie {\displaystyle \operatorname {E} (X||X|)=0} für eine Cauchy-verteilte Zufallsvariable erfassen kann.[1]

Reguläre bedingte Wahrscheinlichkeiten, auch in faktorisierter Form, existieren in polnischen Räumen mit der Borel-σ-Algebra, allgemeiner gilt: Ist Z eine beliebige Zufallsvariable mit Werten in einem polnischen Raum, so existiert eine Version der Verteilung P(Z\in \,\cdot \,\,|X_{1},\dotsc ,X_{n}) in der Form eines stochastischen Kerns \pi :

P(Z\in \,\cdot \,\,|X_{1},\dotsc ,X_{n})(\omega )\,=\,\pi (X_{1}(\omega ),\dotsc ,X_{n}(\omega )\,;\;\cdot \;)     für alle  \omega \in \Omega

Spezialfälle

(1) Für die triviale σ-Algebra {\mathcal  {B}}=\{\varnothing ,\Omega \} ergeben sich einfache Erwartungswerte und Wahrscheinlichkeiten:

{\displaystyle \operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})(\omega )=\operatorname {E} (X)}    für alle  \omega \in \Omega
P(A|{\mathcal  {B}})(\omega )=P(A)    für alle  \omega \in \Omega

Entsprechend gilt {\displaystyle \operatorname {E} (X|Y)(\omega )=\operatorname {E} (X)} und P(A|Y)(\omega )=P(A) für alle \omega \in \Omega bei Bedingen auf den Wert einer konstanten Zufallsvariable Y.

(2) Einfache σ-Algebren: Ist B\in {\mathcal  {B}} mit P(B)>0, und besitzt B außer sich selbst und der leeren Menge keine Teilmengen in {\mathcal {B}}, so stimmt der Wert von P(A\mid {\mathcal  {B}}) auf B mit der herkömmlichen bedingten Wahrscheinlichkeit überein:

P(A|{\mathcal  {B}})(\omega )={\frac  {P(A\cap B)}{P(B)}}     für alle  \omega \in B

Das zeigt, dass die oben aufgeführten Berechnungen im diskreten Fall mit der allgemeinen Definition konsistent sind.

(3) Rechnen mit Dichten: Ist f_{{X,Y}}\colon (a,b)\times (c,d)\to (0,\infty ) eine beschränkte Dichtefunktion der gemeinsamen Verteilung von Zufallsvariablen X,Y, so ist

f_{{X\mid Y}}(x,y)={f_{{X,Y}}(x,y) \over \int _{a}^{b}f_{{X,Y}}(u,y)du}

eine Dichte einer regulären bedingten Verteilung P(X\in \,\cdot \,\,|Y) in der faktorisierten Form und für den bedingten Erwartungswert gilt

{\displaystyle \operatorname {E} (X|Y)=\int _{a}^{b}x\cdot f_{X\mid Y}(x,Y)\,dx}.

(4) Auch in den folgenden Fällen lassen sich reguläre bedingte Verteilungen angeben:

Rechenregeln

Alle folgenden Aussagen gelten nur fast sicher (P-fast überall), soweit sie bedingte Erwartungswerte enthalten. Anstelle von {\mathcal {B}} kann man auch eine Zufallsvariable schreiben.

d.h. der bedingte Erwartungswert {\displaystyle \operatorname {E} (X|{\mathcal {B}})} ist im Sinne des Skalarprodukts von L2(P) die orthogonale Projektion von X auf den Untervektorraum der {\mathcal {B}}-messbaren Funktionen. Die Definition und der Beweis der Existenz der bedingten Erwartung kann über diesen Zugang auch auf der Theorie der Hilbert-Räume und dem Projektionssatz aufgebaut werden.
\operatorname {Var}(X\mid Y)=\operatorname {E}(X^{2}\mid Y)-{\bigl (}\operatorname {E}(X\mid Y){\bigr )}^{2}
sowie die sogenannte Varianzzerlegung
\operatorname {Var}(X)=\operatorname {E}(\operatorname {Var}(X\mid Y))+\operatorname {Var}(\operatorname {E}(X\mid Y)).

Weitere Beispiele

(1) Wir betrachten das Beispiel aus dem diskreten Fall von oben. X und Y seien die Augenzahlen bei zwei unabhängigen Würfen mit einem regelmäßigen Würfel und Z=X+Y die Augensumme. Die Berechnung des bedingten Erwartungswerts von Z, gegeben X, vereinfacht sich mithilfe der Rechenregeln; zunächst gilt

{\displaystyle \operatorname {E} (Z|X)=\operatorname {E} (X+Y|X)=\operatorname {E} (X|X)+\operatorname {E} (Y|X)}.

Weil X eine messbare Funktion von X ist und Y unabhängig von X ist, gilt {\displaystyle \operatorname {E} (X|X)=X} und {\displaystyle \operatorname {E} (Y|X)=\operatorname {E} (Y)}. Also erhalten wir

{\displaystyle \operatorname {E} (Z|X)=X+\operatorname {E} (Y)=X+3{,}5}.

(2) Wenn X und Y unabhängig und Poisson-verteilt mit Parametern \lambda und \mu sind, dann ist die bedingte Verteilung von X, gegeben X+Y=n, eine Binomialverteilung mit den Parametern n und \textstyle p={\frac  {\lambda }{\lambda +\mu }}, das heißt

P(X=k\mid X+Y=n)\,=\,{\begin{cases}{\binom  {n}{k}}\,p^{k}\,(1-p)^{{n-k}}&{\text{ falls }}k=0,\dotsc ,n\\0&{\text{ sonst}}.\end{cases}}

Es gilt also {\displaystyle \operatorname {E} (X\mid X+Y=n)=np={\tfrac {\lambda n}{\lambda +\mu }}} und somit {\displaystyle \operatorname {E} (X\mid X+Y)={\tfrac {\lambda }{\lambda +\mu }}(X+Y)}.

Anmerkungen

  1. a   b Sehr allgemein kann man beispielsweise setzen {\displaystyle \textstyle \operatorname {E} (Y|\dotso )=\lim _{n\to \infty }{\frac {1}{2^{n}}}\sum _{k=1}^{\infty }P(Y\geq {\frac {k}{2^{n}}}|\dotso )-{\,}}\textstyle \,\lim _{{n\to \infty }}{\frac  {1}{2^{n}}}\sum _{{k=1}}^{{\infty }}P(Y\leq -{\frac  {k}{2^{n}}}|\dotso ) fast überall.
  2. Diese Faktorisierung ist immer als messbare Funktion möglich. Sie ist im Allgemeinen nicht eindeutig, wenn X nicht surjektiv ist.
  3. Die mathematische Formulierung geht von folgender Abstraktion des Begriffs „bekannt“ aus: Wenn die Realisation einer Zufallsvariable oder von Ereignissen bekannt ist, ist nicht automatisch jede davon abhängige, sondern nur jede messbar davon abhängige Größe ebenfalls bekannt (oder genauer nur solche, die eine σ-Algebra erzeugen, die eine Teilmenge der anderen ist). In diesem Sinne eignen sich σ-Algebren zur Beschreibung von verfügbarer Information: Die σ-Algebra \sigma(X) besteht aus den Ereignissen, deren Realisation prinzipiell bekannt ist nach Erhalt der Information über den Wert von X. Die Menge {\mathcal {B}} wird allgemein als eine σ-Algebra angenommen.
  4. A. Kolmogoroff: Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Springer, Berlin 1933. In der Einleitung des Buches ist die Theorie der bedingten Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen als wesentliche Neuerung erwähnt. Für die Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit bezüglich einer Zufallsvariable u verwendet Kolmogorow (S. 42) die Gleichung {\mathsf  {P}}_{{\{u\subset A\}}}(B)={\mathsf  {E}}_{{\{u\subset A\}}}{\mathsf  {P}}_{u}(B), d.h.{\displaystyle P(B\,|\,\{u\in A\})=\operatorname {E} (P(B|u)\,|\,\{u\in A\})}, die für jede Wahl von A mit P(u\in A)>0 erfüllt sein soll (für das Bedingen auf \{u\in A\} wird die elementare Definition verwendet). Im anschließenden Beweis der Existenz und Eindeutigkeit zeigt Kolmogorow, dass nach Multiplikation mit P(u\in A) die linke Seite der Gleichung mit P(B\cap \{u\in A\}) übereinstimmt, die rechte mit \textstyle \int _{{\{u\in A\}}}P(B|u)\,dP, was den oben angegebenen Ausdrücken entspricht, er arbeitet dann allerdings auf der Ebene des Bildraums von u weiter. Bei bedingten Erwartungen ist die Vorgehensweise ähnlich.
Trenner
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
Seitenende
Seite zurück
©  biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 25.04. 2023