Stochastisch unabhängige Zufallsvariablen
Die stochastische Unabhängigkeit von Zufallsvariablen ist ein zentrales Konzept der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik, das die stochastische Unabhängigkeit von Ereignissen und die Unabhängigkeit von Mengensystemen verallgemeinert. Die stochastische Unabhängigkeit von Zufallsvariablen wird beispielsweise bei der Formulierung des Zentralen Grenzwertsatzes benötigt.
Definition für zwei Zufallsvariablen
Gegeben sei ein Wahrscheinlichkeitsraum
sowie zwei Messräume
und
und zwei Zufallsvariablen
und
.
Die beiden Zufallsvariablen heißen stochastisch unabhängig oder
einfacher unabhängig, wenn für jedes
und jedes
gilt, dass
.
Meist werden die Mengen kompakter notiert, indem man anstelle von
einfach
schreibt. Dann lautet die Definition
für alle .
Eine alternative Definition wird durch die stochastische Unabhängigkeit von Ereignissen ermöglicht. Man definiert dann
.
Die Zufallsvariablen
heißen dann stochastisch unabhängig, wenn für alle
gilt, dass die
und
stochastisch unabhängige Ereignisse sind, also
gilt.
Beispiel
Wir betrachten den Wahrscheinlichkeitsraum
mit Grundmenge
,
σ-Algebra
und als Wahrscheinlichkeitsmaß
die Gleichverteilung
auf der Grundmenge. Sei
und
.
Die Zufallsvariablen sind definiert als
Jede der σ-Algebren hat 4 Elemente: .
Demnach wären 16 Kombinationen zu überprüfen. Die Fälle, in denen eine der
beteiligten Mengen die Obermenge oder die leere Menge ist, können jedoch
ausgeschlossen werden, da jede Menge von diesen beiden unabhängig ist. Demnach
bleiben nur 4 Fälle übrig:
oder
kombiniert mit
oder
- Sei
. Dann ist
und
sowie
. Diese Ereignisse sind unabhängig, denn es ist
.
- Sei
. Dann ist
und
sowie
. Diese Ereignisse sind unabhängig, denn es ist
.
- Sei
und
. Dann ist
und
sowie
. Diese Ereignisse sind unabhängig, denn es ist
.
- Sei
und
. Dann ist
und
sowie
. Diese Ereignisse sind unabhängig, denn es ist
.
Somit sind alle Ereignisse unabhängig und demnach auch die Zufallsvariablen.
Allgemeine Definition
Die Familie von Zufallsvariablen ,
für eine beliebige Indexmenge
heißt stochastisch unabhängig, falls für jede endliche Teilmenge
von
gilt, dass
für alle
gilt.
Mit der Unabhängigkeit für Mengensysteme wird die stochastische Unabhängigkeit von Zufallsvariablen auch wie folgt definiert: Eine Familie von Zufallsvariablen sind genau dann stochastisch unabhängig, wenn ihre Initial-σ-Algebren voneinander unabhängig sind.
Diese Definition kann äquivalent auf Zufallsvektoren,
also auf -wertige
Zufallsvariablen, angewandt werden.
An die Unabhängigkeit der Komponentenabbildungen sind dabei keine weiteren
Forderungen gestellt
Kriterien für Unabhängigkeit
Erzeugendensysteme
Die Anzahl der auf Unabhängigkeit zu überprüfenden Mengen lässt sich
reduzieren, wenn ein Erzeuger bekannt ist. Existiert zu jeder σ-Algebra
ein durchschnittsstabiler
Erzeuger
,
gilt also
,
so genügt es, die Unabhängigkeit auf den Erzeugern zu überprüfen. Das Kriterium
reduziert sich dann zu
für alle
und alle endlichen Teilmengen
von
.
Für diskrete Wahrscheinlichkeitsräume wählt man als Erzeuger meist die
Punktmengen
,
für reelle Zufallsvariablen die halboffenen Intervalle als Erzeuger der Borelsche
σ-Algebra.
Endliche Familien
Ist die Familie von Zufallsvariablen und damit auch die Indexmenge endlich,
zum Beispiel mit Indexmenge ,
so genügt es
für alle
zu überprüfen. Auf die Überprüfung der Teilmengen
kann verzichtet werden. Dies folgt daraus, dass
ist. Der Fall mit
folgt dann automatisch aus dem obigen Fall, man setzt für
dann
und erhält daraus die Aussage für die kleinere Indexmenge.
Für endliche Familien diskreter Zufallsvariablen
Beide oben genannten Kriterien lassen sich für eine endliche Familie von
Zufallsvariablen, die Werte in einem diskreten Messraum annehmen zusammenfassen.
Sei
und seien die
Zufallsvariablen von
nach
und sei
diskret, also endlich oder abzählbar unendlich. Dann sind die Zufallsvariablen
genau dann unabhängig, wenn
für alle
gilt.
Für endliche Familien reeller Zufallsvariablen
Für endliche Familien reellwertiger Zufallsvariablen ergibt sich folgendes
Kriterium: Die Zufallsvariablen
sind genau dann stochastisch unabhängig, wenn
für alle
gilt. Sind also
die Verteilungsfunktionen
der
sowie
die gemeinsame
Verteilungsfunktion, dann sind die
genau dann stochastisch unabhängig, wenn
gilt. Falls die
eine gemeinsame Dichtefunktion
besitzen, so sind sie genau dann stochastisch unabhängig, wenn
gilt. Dabei bezeichnet
die Randdichte
von
.
Existenz unabhängiger Zufallsvariablen
Für abzählbar unendliche Familien von Zufallsvariablen stellt sich die Frage, ob überhaupt ein „genügend großer“ Wahrscheinlichkeitsraum existiert, so dass die gesamte Familie auf diesem Wahrscheinlichkeitsraum unabhängig ist. Es ist nicht offensichtlich, dass dies möglich ist, alternativ könnte die Unabhängigkeit eine zu starke Forderung sein, da die Initial-σ-Algebren bei vielen Zufallsvariablen immer zwangsläufig abhängig sind.
Tatsächlich lässt sich die Frage aber mittels des Produktmaßes positiv beantworten. Betrachtet man das unendliche Produktmodell
und definiert als Familie von Zufallsvariablen genau die Projektionen
auf die i-ten Komponenten ,
so ist diese Familie per Definition des Produktmodells und des Produktmaßes
unabhängig und die Projektionen
haben genau die Verteilung
auf dem Ereignisraum
.
Das Produktmodell ist also groß genug, um eine unabhängige Familie von
Zufallsvariablen zu enthalten. Andererseits wird dadurch das Problem der
Existenz von unendlich vielen unabhängigen Zufallsvariablen auf die Existenz
eines unendlichen Produktmaßes zurückgeführt, was nicht selbstverständlich ist.
Diese Existenzfrage wird Beispielsweise durch den Satz von
Andersen-Jessen für beliebige Indexmengen positiv beantwortet, kann aber
auch für abzählbare Indexmengen über den Satz von
Ionescu-Tulcea oder für Borel'sche Räume
über den Erweiterungssatz
von Kolmogorov erfolgen.
Unkorreliertheit und Unabhängigkeit
Zwei Zufallsvariablen
heißen unkorreliert, wenn ihre Kovarianz
gleich null ist.
Aus Unabhängigkeit der Zufallsvariablen
folgt immer ihre Unkorreliertheit. Sind nämlich die Zufallsvariablen unabhängig,
so gilt für den Erwartungswert
und demnach
.
Dabei folgt die erste Gleichheit aus dem Verschiebungssatz für die Kovarianz und die zweite aus der Unabhängigkeit der Zufallsvariablen und der obigen Folgerung für den Erwartungswert.
Umgekehrt folgt aus Unkorreliertheit nicht stochastische
Unabhängigkeit. Ein Beispiel dafür sind die Zufallsvariable ,
die gleichverteilt auf
ist und
.
Es gilt dann
,
die Zufallsvariablen sind also unkorreliert. Sie sind aber nicht unabhängig, denn es ist zum Beispiel
und
.
Die Abhängigkeit folgt dann aus .
Bemerkungen
Für die Analyse auf Abhängigkeit zweier Zufallsvariablen kann man auch testen, ob der Korrelationskoeffizient Null ist. Wenn die Hypothese abgelehnt wird, geht man davon aus, dass diese Variablen stochastisch abhängig sind. Der Umkehrschluss ist allerdings nicht zulässig, denn es können Abhängigkeitsstrukturen vorliegen, die der Korrelationskoeffizient nicht erfassen kann. Jedoch sind beispielsweise unkorrelierte, gemeinsam normalverteilte Zufallsvariablen auch stochastisch unabhängig.
Unabhängigkeit von Zufallsvariablen und Mengensystemen
Im Rahmen des bedingten
Erwartungswertes wird teilweise auch von der Unabhängigkeit einer
Zufallsvariable
und eines Mengensystems
gesprochen. Die Zufallsvariable und das Mengensystem heißen unabhängig, wenn das
Mengensystem
und die Initial-σ-Algebra
der Zufallsvariable unabhängige
Mengensysteme sind.
Verallgemeinerungen
Mittels des bedingten Erwartungswertes lässt sich sowohl die Unabhängigkeit von Mengensystemen als auch die Unabhängigkeit von Zufallsvariablen zur bedingten Unabhängigkeit erweitern.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.01. 2021