Funktionalgleichung

Als Funktionalgleichung wird in der Mathematik eine Gleichung bezeichnet, zu deren Lösung eine oder mehrere Funktionen gesucht werden. Viele Funktionen können über eine zugrunde liegende Funktionalgleichung definiert werden. Üblicherweise werden als Funktionalgleichungen nur solche Gleichungen bezeichnet, die nicht durch Umformungen auf eine explizite geschlossene Form für die gesuchte Funktion(en) gebracht werden können, und in denen die gesuchte Funktion mit unterschiedlichen Argumenten auftritt.

Bei der Untersuchung von Funktionalgleichungen ist man an allen Lösungsfunktionen des untersuchten Funktionsraumes interessiert, nicht nur an einer. Ansonsten ist es ziemlich trivial, zu irgendeiner gegebenen Funktion eine Funktionalgleichung zu konstruieren.

“It is natural to ask what a functional equation is. But there is no easy satisfactory answer to this question.”

„Es ist natürlich, sich zu fragen, was eine Funktionalgleichung ist. Aber es gibt keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage.“

Von Cauchy untersuchte Funktionalgleichungen

Augustin Louis Cauchy hat 1821 in Kapitel 5 seines Cours d’Analyse de l’Ecole Royale Polytechnique die stetigen Lösungen \Phi der folgenden Funktionalgleichungen untersucht:

1)

\Phi\colon\R\to\R,\quad\Phi(x+y)=\Phi(x)+\Phi(y)\;

Die stetigen Lösungen dieser Funktionalgleichung, also die Lösungen unter der Annahme, dass die Funktion stetig ist, sind die "stetigen" linearen Funktionen \Phi (x)=ax\;, wobei a\; eine reelle Konstante ist. Für diese Funktionalgleichung hat sich die Bezeichnung Cauchy’sche Funktionalgleichung oder Cauchy-Funktionalgleichung eingebürgert.

2)

\Phi\colon\R^+\to\R^+,\quad\Phi(xy)=\Phi(x)\Phi(y)\;

Die stetigen Lösungen dieser Funktionalgleichung sind die Potenzfunktionen \Phi (x)=x^{a}\;, wobei a\; eine reelle Konstante ist.

3)

\Phi\colon\R\to\R^+,\quad\Phi(x+y)=\Phi(x)\Phi(y)\;

Die stetigen Lösungen dieser Funktionalgleichung sind die Exponentialfunktionen \Phi (x)=a^{x}\;, wobei a\; eine positive reelle Konstante ist.

4)

\Phi\colon\R^+\to\R,\quad\Phi(xy)=\Phi(x)+\Phi(y)\;

Die stetigen Lösungen dieser Funktionalgleichung sind die Logarithmusfunktionen \Phi(x)=\log_a(x)\;, wobei a\; eine positive reelle Konstante ist.

5) Ferner ist die Nullfunktion eine triviale Lösung jeder dieser Funktionalgleichungen.

Bekannte Funktionalgleichungen spezieller Funktionen

Gammafunktion

Die Funktionalgleichung

\Phi\colon\R^+\to\R,\quad
\Phi(x+1) = x\, \Phi(x)

wird durch die Gammafunktion \Gamma erfüllt. Betrachtet man nur Funktionen, die logarithmisch konvex sind, so werden alle Lösungen dieser Gleichung durch a \Gamma beschrieben, mit a\in \mathbb {R} . Dies ist der Satz von Bohr-Mollerup über die Eindeutigkeit der Gammafunktion als Fortsetzung der Fakultäten von \mathbb {N} _{0} nach \R^+.

Ferner ist die Gammafunktion auch eine Lösung der Funktionalgleichung

\Phi\colon\R\!\setminus\!\Z\to\R,\quad
\Phi(x) \, \Phi(1 - x) = \frac{\pi}{\sin(\pi x)}

die nur eine spezielle Art der „Reflexionssymmetrie“ um {\tfrac  12} darstellt, wie man mittels der Substitution \Phi(x) = \sqrt{\frac{\pi}{\sin(\pi x)}} e^{\Theta(x)} und anschließendem Logarithmieren der neuen Funktionalgleichung sieht.

Polygammafunktionen

Für m\in\N_0 werden die Funktionalgleichungen

\Phi_m\colon\R^+\to\R,\quad
\Phi_m(x+1)= \Phi_m(x) + \frac{(-1)^m m!}{ x^{m+1}}

durch die Polygammafunktionen \psi _{m} erfüllt. Für festes m werden alle stetigen und monotonen Lösungen durch die Funktionen a + \psi_m dargestellt mit beliebigem a\in \mathbb {R} .

Bernoulli-Polynome

Für m\in\N_0 werden die Funktionalgleichungen

\Phi_m\colon\R\to\R,\quad
\Phi_m(x+1)= \Phi_m(x) + m x^{m-1}

durch die Bernoulli-Polynome \text{B}_m erfüllt. Alle stetigen Lösungen dieser Gleichung werden durch a + \text{B}_m plus weitere (periodische) Lösungen der homogenen Funktionalgleichung beschrieben, wobei a eine beliebige reelle Zahl ist. Genaueres dazu im nachfolgenden Abschnitt.

Periodische Funktionen

Die Funktionalgleichung

\Phi\colon\R\to\R,\quad
\Phi(x+1)= \Phi(x)

stellt den homogenen Lösungsanteil der obigen Funktionsgleichungen dar, da man deren Lösung einfach auf eine Lösung irgendeiner inhomogenen Funktionsgleichung addieren kann und so eine neue erhält, solange man keine weiteren einschränkenden Bedingungen verletzt. Betrachtet man alle holomorphen Funktionen auf ganz {\displaystyle \mathbb {C} }, so werden alle Lösungsfunktionen dargestellt durch

Linearkombinationen von e^{2 \pi i n x} mit n \in \Z.

Diese Erkenntnis ist eine Grundlage der Fourieranalyse. Alle diese Funktionen sind, ausgenommen der Fall n = 0, weder konvex noch monoton.

Zetafunktion

Die Funktionalgleichung

\Phi\colon\R\to\R,\quad
\Phi(x+1) = -2\,(2\pi)^{x}\cos\left(\frac{\pi x}{2}\right)\Gamma(-x)\Phi(-x)

wird durch die Riemannsche Zetafunktion \zeta erfüllt. \Gamma bezeichnet dabei die Gammafunktion.

Anmerkung: Durch die Substitution

\Phi(x) = \frac{2\pi^{x/2}\,\Theta(x+\tfrac 1 2)}{x(x-1)\,\Gamma\left(\tfrac{x}{2}\right)}

und anschließende algebraische Vereinfachung wird diese Funktionalgleichung für \Phi in eine neue für \Theta überführt, die

 \!\ \Theta(\tfrac 1 2+x) = \Theta(\tfrac 1 2 - x)

lautet. Somit kann die ursprüngliche Funktionalgleichung durch Transformation auf eine Gestalt gebracht werden, die lediglich eine gerade Funktion um \tfrac 1 2 fordert. Die entsprechend so transformierte Riemannsche Zetafunktion ist als Riemannsche Xi-Funktion \xi bekannt.

Gerade und ungerade Funktionen

Die beiden Funktionsgleichungen

\Phi\colon\R\to\R,\quad
\Phi(x) = \pm \Phi(-x)

werden von allen geraden bzw. ungeraden Funktionen erfüllt. Eine weitere „einfache“ Funktionsgleichung ist

\Phi\colon I\!\subset\!\R\to\R,\quad
\Phi(\Phi(x)) = x

also alle Funktionen, die ihre eigene Umkehrfunktion auf dem Intervall I sind, beschreiben ihre Lösungsmenge. Bei diesen drei Funktionsgleichungen steht aber eher die Frage im Mittelpunkt, wie ihre Lösungen sinnvollerweise zu charakterisieren sind.

„reelle“ Iterierte einer Funktion

Gegeben sei eine analytische, bijektive Funktion f\colon I\subset\R \to J\subset\R, dann lautet Schröders Funktionalgleichung

\Phi\colon I\cap J \to\R,\quad
\Phi( f(x) ) = c\, \Phi(x)

mit einem festen zu bestimmenden c \in \R. Wendet man auf beiden Seiten dieser Gleichung die inverse Funktion von \Phi an, dann kann man dies verallgemeinern zur Definition von

\forall\,t\in\R\colon\quad
 f_t(x) = \Phi^{-1}( c^t \Phi(x))

und für irgendein festes t verhält sich diese Funktion f_{t} wie eine t-fach iterierte Funktion f. Ein einfaches Beispiel: gegeben sei für festes a \in \R^+ die allgemeine Potenzfunktion x^{a} für f auf \R^+. In diesem Fall lautet die Lösung der Schröderschen Gleichung \Phi(x)=\ln(x) und c=a mit dem Ergebnis, dass f_t(x) = x^{a^t} wird.

Modulformen

Die Funktionalgleichung

{\displaystyle \Phi \colon \{z\in \mathbb {C} \mid \mathrm {Im} (z)>0\}\to \mathbb {C} ,\quad \Phi \left({az+b \over cz+d}\right)=(cz+d)^{k}\Phi (z)\quad {\text{ mit }}\quad ad-bc=1}

wobei a,b,c,d, k\in \Z gegeben sind, wird in der Definition von Modulformen verwendet.

Wavelets und Approximationstheorie

Für d \in \N und a_{-d}, a_{-d+1},\ldots, a_d \in \R definiert die Funktionalgleichung

\Phi\left(\frac{x}{A}\right)=a_{-d}\Phi(x-d)+\cdots+a_0\Phi(x)+\cdots+a_d\Phi(x+d)
= \sum_{k= -d}^d a_k \Phi(x-k) \quad \text{ mit } \quad A := \sum_{k= -d}^d a_k

in der Theorie der Waveletbasen die Skalierungsfunktion einer Multiskalenanalyse. Die in der Approximationstheorie und Computergraphik wichtigen B-Splines sind Lösungen einer solchen Verfeinerungsgleichung, weitere Lösungen samt den Koeffizienten finden sich unter Daubechies-Wavelets. Es gibt Erweiterungen mit vektorwertigem Lösungsfunktionen f und Matrizen als Koeffizienten.

Sinus und Kosinus

Betrachtet man die Funktionalgleichung \Phi(x+y)=\Phi(x)\Phi(y)\!, die die Exponentialfunktion über den komplexen Zahlen erfüllt, und teilt den Wertebereich in Real- und Imaginärteil auf, also \Phi(x)=\Theta(x)+\mathrm{i}\Omega(x)\!, und schränkt ferner den Definitionsbereich auf \mathbb {R} ein, so erhält man zwei Funktionalgleichungen in zwei unbekannten Funktionen, nämlich

\Theta(x+y)=\Theta(x)\Theta(y)-\Omega(x)\Omega(y)\!

und

\Omega(x+y)=\Theta(x)\Omega(y)+\Omega(x)\Theta(y)\!

die den Additionstheoremen entsprechen und als Funktionalgleichungssystem für die reellen Sinus-und-Kosinus-Funktionen aufgefasst werden kann.

Weitere Beispiele allgemeiner Funktionalgleichungen

Rekursionsgleichungen

Eine einfache Klasse von Funktionalgleichungen besteht aus den Rekursionsgleichungen über \mathbb {Z} . Formal betrachtet wird dabei eine unbekannte Funktion {\displaystyle f\colon \mathbb {Z} ^{k}\to \mathbb {Z} } gesucht.

Ein sehr einfaches Beispiel einer solchen Rekursionsgleichung ist etwa die lineare Gleichung der Fibonacci-Folge:

 f(n+2) = f(n+1) + f(n).

Diese kann man natürlich auch eingebettet in die Menge der reellen Zahlen betrachten, also hier

\Phi\colon\R\to\R,\quad
\Phi(x+2) = \Phi(x+1)+\Phi(x)

deren analytische Lösungen dann alle die Form

 \Phi(x) = a \left(\frac{1+\sqrt 5} 2\right)^x + b \left(\frac{1-\sqrt 5} 2\right)^x

haben mit beliebigem  a,b, \in \R. Nur als Funktion f\colon \Z \to\Z lassen sich alle ihre Lösungsfunktionen z.B. als

f(n) = \frac1{\sqrt 5} \left(f(1)-\tfrac {1-\sqrt 5}{2} f(0)\right)\left(\frac{1+\sqrt 5}{2}\right)^n + \frac1{\sqrt 5} \left(\tfrac{1+\sqrt 5}{2} f(0) - f(1)\right)\left(\tfrac{1-\sqrt 5}{2}\right)^n

angeben. Obwohl in dieser Darstellung irrationale Zahlen auftreten, ergibt sich für jedes n ein ganzzahliger Wert, solange f(0), f(1) \in \Z sind.

Rechengesetze

Rechengesetze wie Kommutativgesetz, Assoziativgesetz und Distributivgesetz können ebenfalls als Funktionalgleichungen interpretiert werden.

Beispiel Assoziativgesetz: Gegeben sei eine Menge M. Für ihre binäre assoziative Verknüpfung \times\,\colon M^2 \to M bzw. zweiparametrige Funktion f\colon M^2 \to M gelten für alle a,b,c\in M

Infixnotation: (a \times b) \times c = a \times (b \times c)

und in

Präfixnotation: f(f(a,b),c) = f(a,f(b,c))

wobei f(a,b) \text{ mit } a \times b identifiziert wird.

Bezeichne g die binäre Verknüpfungsfunktion 2ter Stufe (z.B. Multiplikation) und f die Verknüpfungsfunktion 1ster Stufe (z.B. Addition), dann würde ein Distributivgesetz als Funktionalgleichung geschrieben

g(a,f(b,c)) = f(g(a,b),g(a,c)) für alle a,b,c\in M

lauten.

Anmerkungen

Allen Beispielen ist gemeinsam, dass zwei oder mehr bekannte Funktionen (Multiplikation mit einer Konstanten, Addition, oder einfach nur die identische Funktion) als Argumente der unbekannte Funktion verwendet werden.

Bei der Suche nach allen Lösungen einer Funktionalgleichung werden oft Zusatzbedingungen gestellt, beispielsweise wird bei der oben erwähnten Cauchy-Gleichung für vernünftige Lösungen Stetigkeit gefordert. Georg Hamel hat allerdings 1905 gezeigt, dass unter Voraussetzung des Auswahlaxioms auch unstetige Lösungen existieren. Diese Lösungen basieren auf einer Hamelbasis der reellen Zahlen als Vektorraum über den rationalen Zahlen und sind vor allem von theoretischer Bedeutung.

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 26.12. 2021