Riemannsche Vermutung
Die Riemannsche Vermutung oder Riemannsche Hypothese (nach Bernhard Riemann) ist eine Annahme über die Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion. Sie besagt, dass alle nichttrivialen Nullstellen dieser komplexwertigen Funktion den Realteil ½ besitzen. Ob die Vermutung zutrifft oder nicht, ist eines der bedeutendsten ungelösten Probleme der Mathematik.
Im Jahr 2000 wurde das Problem vom Clay Mathematics Institute (CMI) auf die Liste der Millennium-Probleme gesetzt. Das Institut in Cambridge (Massachusetts) hat ein Preisgeld von einer Million US-Dollar für eine schlüssige Lösung des Problems in Form eines mathematischen Beweises ausgelobt.
Die Riemannsche Zetafunktion
Die Riemannsche Zetafunktion ist eine komplexwertige Funktion, die für eine komplexe Zahl mit einem Realteil durch die unendliche Summe
definiert ist.
Eine der wichtigsten Eigenschaften der Riemannschen Zetafunktion ist ihr Zusammenhang mit den Primzahlen. Sie stellt eine Beziehung zwischen komplexer Analysis und Zahlentheorie her (siehe: analytische Zahlentheorie) und bildet den Ausgangspunkt der Riemannschen Vermutung. Der folgende Ausdruck, der auf Leonhard Euler (1748) zurückgeht, stellt den Zusammenhang formelhaft dar als
wobei ein unendliches Produkt über alle darstellt. Der Ausdruck folgt unmittelbar aus dem Satz über die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung und der Summationsformel für die geometrische Reihe.
Die Funktion lässt sich über den ursprünglichen Konvergenzbereich der Eulerschen Summen- bzw. Produktformel hinaus auf die gesamte komplexe Ebene – mit Ausnahme von – eindeutig analytisch fortsetzen. Man erhält eine meromorphe Funktion: Im Punkt besitzt sie einen einfachen Pol.
- ,
wobei die Gammafunktion und die Bernoulli-Zahlen sind. [1]
Riemannsche Vermutung
Im Folgenden wird die Riemannsche Zetafunktion in analytischer Fortsetzung betrachtet. In dieser Form hat die Zetafunktion sogenannte „triviale Nullstellen“, die sich aus der Menge der Polstellen der Gammafunktion vermindert um die Menge der Polstellen des Klammerausdrucks durch Aufhebung ergeben. Es handelt sich dabei um die Menge der negativen geraden Zahlen .
Eine zentrale Erkenntnis Riemanns in seiner berühmten Arbeit aus dem Jahre 1859 [2] war die Feststellung, dass sich alle möglichen nichttrivialen Nullstellen in dem sogenannten kritischen Streifen
befinden müssen.
Die berühmte – und bis heute weder widerlegte noch bewiesene – Vermutung von Bernhard Riemann besagt, dass alle nichttrivialen Nullstellen auf der mittleren Geraden
liegen.
Riemann kam auf seine Vermutung bei der Untersuchung des Produkts der Zetafunktion mit der Gammafunktion
- ,
die bei der Vertauschung von mit invariant ist, das heißt, sie erfüllt die Funktionalgleichung:
Riemann selbst verwendete und erhielt damit für alle :
Die Gerade in der komplexen Zahlenebene mit dem Realteil 1/2 ist somit bei dieser Spiegelung ebenfalls invariant. Riemann selbst schreibt über die Nullstellen:
„[…] und es ist sehr wahrscheinlich, daß alle Wurzeln reell sind. Hievon wäre allerdings ein strenger Beweis zu wünschen; ich habe indeß die Aufsuchung desselben, nach einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen vorläufig bei Seite gelassen, da er für den nächsten Zweck meiner Untersuchung entbehrlich schien.“ [2]
Mit „reellen Wurzeln“ meinte Riemann, dass für ein im kritischen Streifen die Gleichung
lediglich für reelle , also , zu lösen sei.
Aus der Lage der Nullstellen der Zetafunktion lassen sich auch unabhängig von der Riemannvermutung wichtige Aussagen über die Primzahlverteilung treffen, so ist der Primzahlsatz äquivalent zur Aussage, dass die Zetafunktion keine Nullstellen auf der Geraden s=1 hat und jede Erweiterung der nullstellenfreien Regionen in den kritischen Streifen hinein führt zu einer Verbesserung des Fehlerterms im Primzahlsatz bis hin zur Riemannvermutung.
Bedeutung
Die nicht-trivialen Nullstellen und Primzahlen
Eine bedeutende Erkenntnis Riemanns war der Zusammenhang zwischen Primzahlen und den Nullstellen seiner Zetafunktion. In seiner Arbeit beschäftigte er sich mit dem Auffinden eines analytischen Ausdrucks für die Primzahlfunktion . Als Ausgangspunkt hierfür bediente er sich der Formel
die den Zusammenhang zwischen Primzahlen und der Zetafunktion fundamental untermauert. Diese lässt sich durch Logarithmieren in den folgenden Ausdruck verwandeln:
Über das Integral
konnte Riemann nun den Ausdruck in eine geschlossene Form bringen. Hierfür führte er die zahlentheoretische Funktion mit
ein, die also für jede Primzahlpotenz , die kleiner als ist, den Bruch aufsummiert. Ein einfaches Beispiel wäre
Überdies ist eine Treppenfunktion. Ein reiner Integralausdruck für ist also:
Riemann war ein Meister der Fourieranalyse und somit gelang ihm mit der nächsten Umformung ein Meilenstein der analytischen Zahlentheorie. Über eine inverse Mellin-Transformation folgerte er einen analytischen Ausdruck für :
mit einem . In den nächsten Schritten seiner Arbeit wies Riemann auf die Produktdarstellung der nach ihm benannten Riemannschen -Funktion, die sich durch
definiert, hin. Diese Produktdarstellung läuft über alle nicht-trivialen Nullstellen der Zetafunktion und hat die Form eines bis ins Unendliche faktorisierten Polynoms (ähnlich wie bei der Faktorisierung des Sinus oder Kosinus).
Daraus gewinnt man ohne große Mühe einen im wahrsten Sinne nicht-trivialen zweiten Ausdruck für .
Der letzte Teil von Riemanns Arbeit beschäftigt sich im ganzen nur noch mit der Substitution dieses zweiten Ausdrucks für in die Gleichung
Trotz schwieriger Auswertung gelangte Riemann zu dem Resultat
wobei der Integrallogarithmus ist. Mit der über die Möbius-Inversion (mit der Möbiusfunktion ) gefolgerten Verbindung zwischen und , nämlich
war ein tiefer Zusammenhang zwischen Primzahlen und den Nullstellen der Zetafunktion geschaffen.
Anmerkung: bei einer numerischen Berechnung von mit Riemanns Formel sollte der Ausdruck in der Summe durch ersetzt werden, wobei die (komplexe) Integralexponentialfunktion bezeichnet, da bei der Auswertung von über den Hauptzweig des komplexen Logarithmus nicht immer gilt und somit das Ergebnis verfälscht würde.
Folgerungen
Aus der Riemannschen Vermutung folgt beispielsweise eine Restgliedabschätzung im Primzahlsatz (Helge von Koch 1901):
Das Resultat von Koch ist äquivalent zur Riemannschen Vermutung. Es lässt sich auch schreiben
für eine Konstante , und eine etwas schwächere Form ist [3]
für beliebige .
Viele weitere Resultate der analytischen Zahlentheorie, aber auch etwa für die in der Kryptographie wichtigen schnellen Primzahltests, können bisher nur unter Annahme der Riemannhypothese bewiesen werden. In den komplexen Nullstellen der Zetafunktion sind, wie Michael Berry schrieb, die Fluktuationen um die grobe asymptotisch logarithmische Verteilung der Primzahlen, die der Primzahlsatz beschreibt, kodiert. Kennt man die genaue Verteilung, kann man auch genauere Aussagen über die Wahrscheinlichkeit treffen, wie viele Primzahlen in einem Bereich anzutreffen sind.
Die eigentliche Ursache dafür, dass viele Mathematiker so intensiv nach einer Lösung gesucht haben, ist aber – abgesehen davon, dass dies die letzte noch unbewiesene Aussage in Riemanns berühmtem Aufsatz ist – dass sich in dieser außergewöhnlich perfekten Symmetrie einer ansonsten sehr chaotischen Funktion (z.B. Universalitätssatz von Voronin: die Zetafunktion kann jede beliebige analytische von Null verschiedene Funktion innerhalb eines Kreises vom Radius 1/4 beliebig approximieren) wahrscheinlich die Spitze des Eisbergs einer fundamentalen Theorie verbirgt, so wie sich hinter der Fermatvermutung die Parametrisierung von elliptischen Kurven durch Modulfunktionen verbarg, ein Teil des Langlands-Programms.
Geschichte
Die Riemannsche Vermutung wurde schon 1859 von Bernhard Riemann in einer berühmten Arbeit, die die Grundlagen der analytischen Zahlentheorie legte, nur nebenbei erwähnt, da sie – wie er schrieb – für den unmittelbaren Fortgang der Untersuchung seines Aufsatzes nicht wesentlich sei. Er sicherte seine Vermutung durch umfangreiche numerische Berechnungen der Nullstellen ab, wie Carl Ludwig Siegel in den 1930er Jahren bei der Untersuchung von Riemanns Nachlass herausfand. 1903 veröffentlichte Jørgen Pedersen Gram numerische Näherungswerte für die ersten 15 im kritischen Bereich liegenden Nullstellen. Sie unterstützen (beweisen aber nicht) die Riemannsche Vermutung, ebenso wie alle weiteren Nullstellen, die später gefunden wurden und deren Anzahl Anfang der 1980er Jahre die 100-Millionen-Grenze überschritt. Im Jahr 2001 wurde mit Hilfe von Großrechnern gezeigt, dass die ersten zehn Milliarden Nullstellen der komplexen Zetafunktion alle die Riemannsche Vermutung erfüllen, d.h., sie liegen alle auf der Geraden mit Realteil .
Einen weiteren Meilenstein bei der numerischen Suche stellte das im August 2001 gestartete Zeta-Grid-Projekt dar. Mit Hilfe der Methode des verteilten Rechnens, an der viele Tausend Internet-Nutzer teilnahmen, wurden nach drei Jahren etwa 1 Billion Nullstellen gefunden. Das Projekt wurde inzwischen eingestellt.
Die beiden französischen Mathematiker Gourdon und Demichel starteten mit dem Verfahren von Odlyzko und Schönhage im Jahr 2004 einen neuen Versuch und hatten im Oktober 2004 die ersten 10 Billionen Nullstellen überprüft, ohne ein Gegenbeispiel zu finden. Obwohl es sich bei allen Rechnungen um numerische Verfahren handelt, zeigen diese exakt und nicht nur annähernd, dass sich die untersuchten Nullstellen auf der kritischen Geraden befinden.
Viele berühmte Mathematiker haben sich an der Riemannschen Vermutung versucht. Jacques Hadamard behauptete 1896 ohne nähere Ausführungen in seiner Arbeit Sur la distribution des zéros de la fonction ζ(s) et ses conséquences arithmétiques, in der er den Primzahlsatz bewies, dass der damals kürzlich verstorbene Stieltjes die Riemannsche Vermutung bewiesen habe, ohne den Beweis zu publizieren. Stieltjes behauptete 1885 in einem Aufsatz in den Compte Rendu der Académie des sciences einen Satz über das asymptotische Verhalten der Mertensfunktion bewiesen zu haben, aus der die Riemannsche Vermutung folgt (siehe unten). [10] Der berühmte britische Mathematiker Godfrey Harold Hardy pflegte vor der Überquerung des Ärmelkanals bei schlechtem Wetter ein Telegramm abzuschicken, in dem er behauptete, einen Beweis gefunden zu haben, dem Beispiel von Pierre de Fermat folgend, der auf dem Rand eines Buches der Nachwelt überlieferte, er hätte für seine Vermutung einen Beweis, der leider zu lang sei um auf dem Rand Platz zu finden. Sein Kollege John Edensor Littlewood bekam in Cambridge 1906 als Student sogar die Riemannhypothese als funktionentheoretisches Problem von seinem Professor Ernest William Barnes gestellt, ohne Verbindung zur Primzahlverteilung – diesen Zusammenhang musste Littlewood für sich entdecken und bewies in seiner Fellowship-Dissertation, dass der Primzahlsatz aus der Hypothese folgt, was aber in Kontinentaleuropa schon länger bekannt war. Wie er in seinem Buch A mathematician’s miscellany zugab, warf dies kein gutes Licht auf den damaligen Stand der Mathematik in England. Littlewood leistete aber bald darauf wichtige Beiträge zur analytischen Zahlentheorie im Zusammenhang mit der Riemannhypothese. Das Problem wurde im Jahr 1900 von David Hilbert in seiner Liste der 23 mathematischen Probleme als Jahrhundertproblem deklariert, wobei Hilbert selbst es als weniger schwierig als beispielsweise das Fermat-Problem einordnete: In einem Vortrag 1919 gab er der Hoffnung Ausdruck, dass ein Beweis noch zu seinen Lebzeiten gefunden würde, im Fall der Fermat-Vermutung vielleicht zu Lebzeiten der jüngsten Zuhörer; für am schwierigsten hielt er die Transzendenz-Beweise in seiner Problemliste – ein Problem, das in den 1930er Jahren durch Alexander Ossipowitsch Gelfond und Theodor Schneider gelöst wurde. Mittlerweile sind viele der Probleme auf Hilberts Liste gelöst, die Riemannsche Vermutung widerstand jedoch allen Versuchen. Da im 20. Jahrhundert kein Beweis für die Riemannsche Vermutung gefunden wurde, hat das Clay Mathematics Institute im Jahr 2000 dieses Vorhaben erneut zu einem der wichtigsten mathematischen Probleme erklärt und einen Preis von einer Million US-Dollar für einen schlüssigen Beweis ausgesetzt, allerdings nicht für ein Gegenbeispiel.
Es gibt auch zur Riemannschen Vermutung analoge Vermutungen für andere Zetafunktionen, die teilweise ebenfalls gut numerisch gestützt sind. Im Fall der Zetafunktion algebraischer Varietäten (der Fall der Funktionenkörper) über den komplexen Zahlen wurde die Vermutung in den 1930er Jahren von Helmut Hasse für elliptische Kurven und in den 1940er Jahren von André Weil für abelsche Varietäten und algebraische Kurven (auch über endlichen Körpern) bewiesen. Weil formulierte auch die Weil-Vermutungen, zu denen auch ein Analogon der Riemannhypothese gehört, für algebraische Varietäten (auch höherer Dimension als Kurven) über endlichen Körpern. Der Beweis wurde nach Entwicklung der modernen Methoden der algebraischen Geometrie in der Grothendieck-Schule in den 1970er Jahren von Pierre Deligne erbracht.
Neuere Beweis- oder Widerlegungsversuche
1945 behauptete Hans Rademacher, die Vermutung widerlegt zu haben, und erregte damit einiges Aufsehen in den USA. Kurz vor der Veröffentlichung in den Transactions of the American Mathematical Society fand aber Carl Ludwig Siegel doch noch einen Fehler. Alan Turing war ebenfalls der Meinung, die Vermutung sei falsch. Er beschäftigte sich intensiv mit der Berechnung von Nullstellen der Zetafunktion und versuchte kurz vor seiner Involvierung in Dechiffrierarbeiten in Bletchley Park, eine mechanische Maschine zu bauen, die ihm dabei helfen sollte, mindestens eine die Vermutung verletzende (und damit widerlegende) Nullstelle zu finden.
Louis de Branges de Bourcia beschäftigte sich jahrzehntelang mit dem Problem. 1985 (kurz nach seinem Beweis der Bieberbach-Vermutung) stellte er einen auf seiner Theorie der Hilberträume ganzer Funktionen basierenden Beweis vor, in dem Peter Sarnak einen Fehler fand. 1989 präsentierte er anlässlich einer Vortragsreihe im Institut Henri Poincaré einen weiteren Beweis, den er aber bald darauf selbst als fehlerhaft erkannte. 2004 veröffentlichte er einen neuen Beweis, der kritisch geprüft wurde. Bereits Jahre zuvor hatte Eberhard Freitag jedoch ein Gegenbeispiel für eine im Beweis aufgestellte Behauptung gegeben, sodass der Beweis mittlerweile als falsch angesehen wird.
Verallgemeinerte Riemannsche Vermutung
Als verallgemeinerte oder allgemeine Riemannsche Vermutung wird gewöhnlich die folgende Behauptung bezeichnet:
- Die analytische
Fortsetzung der Dirichletreihe
zu jedem beliebigen Dirichletcharakter
(-Reihe)
- hat im kritischen Streifen ausschließlich Nullstellen auf der Geraden
Aus der verallgemeinerten Riemannschen Vermutung folgt die Riemannsche Vermutung mit als Spezialfall. Andrew Granville konnte zeigen, dass die (starke) Goldbachsche Vermutung im Wesentlichen zur verallgemeinerten Riemannschen Vermutung äquivalent ist.
Verwandte Vermutungen und äquivalente Formulierungen
In der analytischen Zahlentheorie gibt es weitere Vermutungen, die mit der Riemannschen Vermutung in Beziehung stehen. Die Mertenssche Vermutung besagt
für alle . Dabei ist die Möbiusfunktion und die sogenannte Mertensfunktion. Die Mertenssche Vermutung ist stärker als die Riemannsche Vermutung, wurde jedoch 1985 widerlegt.
In diesem Zusammenhang steht auch die wahrscheinlichkeitstheoretische Interpretation der Riemannschen Vermutung von Arnaud Denjoy. Sei eine zufällige Folge von Werten (1, -1) (das heißt, diese haben gleiche Wahrscheinlichkeit), dann gilt für jedes für die Summe (unter Verwendung der Landau-Symbole)
das heißt, der Betrag der Abweichung vom Mittelwert 0 wächst asymptotisch höchstens so stark wie . Setzt man für die Möbiusfunktion ein, so ist die Riemannhypothese äquivalent zu der Aussage, dass dieses asymptotische Wachstumsverhalten auch für deren Summe (die Mertensfunktion) gilt (Littlewood 1912) [5]. Die Riemannhypothese lässt sich dann als Aussage interpretieren, dass die Verteilung der Möbiusfunktion (das heißt, ob Zahlen ohne doppelte Primfaktoren eine gerade oder ungerade Anzahl von Primfaktoren haben) völlig zufällig ist.
Wie schon erwähnt, folgen aus der Riemannschen Vermutung nach Helge von Koch Schranken für das Wachstum des Fehlerterms des Primzahlsatzes. Das Resultat von Koch ist aber auch äquivalent zur Riemannhypothese. Aus
folgt die Riemannhypothese.
In ähnlicher Form als asymptotischer Fehlerterm zum Primzahlsatz lässt sich die Riemannvermutung auch mit Hilfe der Mangoldt-Funktion oder deren Summe ausdrücken:
wobei der Primzahlsatz äquivalent zu
ist. Daraus lässt sich eine weitere zur Riemannvermutung äquivalente Vermutung ableiten: Für alle gilt:
mit dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen .
Die Lindelöfsche Vermutung über die Ordnung der Zetafunktion entlang der kritischen Geraden ist schwächer als die Riemannsche Vermutung, aber immer noch unbewiesen.
Marcel Riesz zeigte 1916 die Äquivalenz zu einer Vermutung über das asymptotische Verhalten der Riesz-Funktion. Jérôme Franel bewies 1924 die Äquivalenz zu einer Aussage über Farey-Reihen. Anschaulich besagt diese, dass die Anordnung der rationalen Zahlen im Interval (0,1) nach Dezimalbrüchen in linearer Form und die Anordnung in Farey-Folgen in einem wohldefinierten mathematischen Sinn so unterschiedlich wie möglich ist.
Jeffrey Lagarias stellte 2002 eine zur Riemannschen Vermutung äquivalente Vermutung der elementaren Zahlentheorie auf:
für alle . Dabei ist die Summe der Teiler von und die -te harmonische Zahl.
Eine 1958 widerlegte Vermutung über eine mit der Liouville-Funktion gebildete Reihe hätte ebenfalls die Riemannvermutung zur Folge gehabt.
Beweisideen aus der Physik
Neue Ideen für den Beweis der Vermutung kamen aus der Physik. Schon David Hilbert und George Polya war aufgefallen, dass die Riemannhypothese folgen würde, falls die Nullstellen Eigenwerte eines Operators wären, wobei ein hermitescher (das heißt selbstadjungierter) Operator ist, der also nur reelle Eigenwerte hat, ähnlich wie die Hamiltonoperatoren in der Quantenmechanik. In den 1970er Jahren fand dann Hugh Montgomery bei einer Unterhaltung mit Freeman Dyson, dass die Verteilung der (normalisierten) Abstände aufeinanderfolgender Nullstellen eine ähnliche Verteilung wie die Eigenwerte unitärer Zufallsmatrizen zeigte, was Andrew Odlyzko durch numerische Rechnungen bestätigte. In den 1990er-Jahren begannen dann auch Physiker wie Michael Berry nach einem solchen zugrundeliegenden System zu suchen, etwa in der Theorie des Quantenchaos. Weitere Unterstützung finden diese Überlegungen in einer Analogie der „expliziten Formeln“ in der Theorie der riemannschen Zetafunktion mit der Selberg-Spurformel, die die Eigenwerte des Laplace-Beltrami-Operators auf einer Riemannfläche mit den Längen der geschlossenen Geodäten in Beziehung setzt, und der Gutzwiller-Spurformel in der Quantenchaos-Theorie. Diese verbindet die Eigenwerte (Energien) der quantenmechanischen Version eines chaotischen klassischen Systems mit den Längen der periodischen Bahnen im klassischen Fall. Bei all diesen Spurformeln (trace formulas) handelt es sich um Identitäten zwischen den Summen der jeweiligen Nullstellen, Bahnkurven-Periodenlängen, Eigenwerte usw.
Ein vom Fields-Medaillen-Preisträger Alain Connes 1996 angegebener Operator passt „fast“. Connes konnte aber bisher nicht die Existenz weiterer Nullstellen außerhalb der kritischen Geraden ausschließen.
Eine weitere Idee aus der Physik, die in Zusammenhang mit der Riemannschen Vermutung diskutiert wurde, sind die „Yang-Lee-Nullstellen“ der ins Komplexe analytisch fortgesetzten Zustandssumme in Modellen der statistischen Mechanik. Chen Ning Yang und Tsung-Dao Lee bewiesen unter Verwendung eines Resultats von George Polya aus der Theorie der Zetafunktion, auf das sie Mark Kac aufmerksam machte, dass in bestimmten Modellen die Nullstellen auf einem Kreis lagen, bei anderen Modellen liegen sie auf einer Geraden. Die Lage der Nullstellen bestimmt das Verhalten in Phasenübergängen ähnlich, wie die Nullstellen auf der kritischen Geraden die Feinverteilung der Primzahlen steuern.
All diesen Ideen liegt eine Analogie zugrunde, die sich vereinfacht etwa so beschreiben lässt: Die Primzahlen sind „Elementarteilchen“, die über die Multiplikation in Wechselwirkung treten und so die zusammengesetzten Zahlen aufbauen. Gleichzeitig werden die „Teilchen“ durch die Addition angeordnet. In der Zetafunktion werden nun in Form einer Summen- bzw. Produktformel beide Aspekte (additiv/natürliche Zahlen und multiplikativ/Primzahlen) miteinander verbunden.
Eine Verbindung der Riemannschen Vermutung zu eindimensionalen Quasikristallen schlug Freeman Dyson 2009 vor.
Anmerkungen
- ↑ Bei der hier verwendeten Definition der Bernoulli-Zahlen gilt:
- ↑ a b Bernhard Riemann: Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe (19. Oktober 1859). In: Monatsberichte der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1860, S. 671–680
- ↑ aus Kochs Resultat ableitbar, aber nicht umgekehrt
- ↑ In Stieltjes' Nachlass fand sich kein Hinweis auf diese Beweise. Derbyshire: Prime Obsession, S. 160f. Die Mertensvermutung ist inzwischen widerlegt.
- ↑ Littlewood: Quelques conséquences de l’hypothèse que la fonction n’a pas de zéros dans le demi-plan In: Comptes Rendus. Band 154, 1912, S. 263–266. Edwards, loc. cit. S. 261. Littlewood bewies genauer, dass die Riemannhypothese äquivalent zu folgender Aussage ist: Für jedes konvergiert gegen Null für x gegen
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 25.10. 2022