Geometrische Gruppentheorie
Die geometrische Gruppentheorie ist derjenige Teil der Gruppentheorie, der besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel zwischen geometrischen Objekten und den auf ihnen operierenden Gruppen legt. Dabei geht es insbesondere um Gruppenoperationen auf Graphen und metrischen Räumen, letztlich werden die Gruppen selbst zu solchen geometrischen Objekten.
Gruppenoperationen
Ist
eine Kategorie
und ist
ein Objekt dieser Kategorie, so ist die Menge
der Automorphismen
eine Gruppe. Jeder Homomorphismus
einer Gruppe
in diese Automorphismengruppe
heißt dann eine Darstellung oder Operation von
auf
.
Ist zum Beispiel
die Kategorie der Vektorräume
mit den linearen
Abbildungen, so erhält man die klassische Darstellungstheorie von
Gruppen, in der man nach Wahl einer Vektorraumbasis jedes
Gruppenelement auf eine reguläre
Matrix abbildet. Ist
die Kategorie aller Mengen, so ist
nichts anderes als die Gruppe aller Permutationen
auf der Menge
.
Diese beiden Betrachtungsweisen, Matrizengruppen und Permutationsgruppen, lagen
am Beginn der Gruppentheorie.
In der geometrischen Gruppentheorie verwendet man stattdessen Kategorien, deren Objekte einen eher geometrischen Charakter haben, nämlich Graphen und metrische Räume mit geeigneten Morphismen. Die Automorphismengruppen werden schon seit langer Zeit zur Untersuchung der Symmetrieeigenschaften der Objekte herangezogen. Umgekehrt können aber Gruppeneigenschaften durch ihre Operationen auf Objekten studiert werden und Gruppen selbst können zu geometrischen Objekten gemacht werden, sodass für diese Gruppen geometrische Begriffsbildungen sinnvoll werden.
Jeder Gruppe und einem Erzeugendensystem dieser Gruppe wird der nach Arthur Cayley benannte Cayleygraph zugeordnet. Knoten dieser Graphen sind die Gruppenelemente selbst und je zwei Knoten werden durch eine Kante verbunden, wenn einer der Knoten das Produkt aus dem anderen und einem Element des Erzeugendensystems ist. Die Gruppe operiert auf diesem Graphen durch Multiplikation von links, denn die Knoten sind ja selbst Gruppenelemente. Gruppeneigenschaften übertragen sich auf Eigenschaften von Operationen auf Graphen. So kann man zum Beispiel freie Gruppen dadurch charakterisieren, dass sie frei auf einem Baum operieren. Da sich Letzteres offenbar auf Untergruppen überträgt, erhält man so einen eleganten Beweis des Satzes von Nielsen-Schreier, nach dem jede Untergruppe einer freien Gruppe wieder frei ist. Dies ist ein rein algebraischer Satz, der zwar auch rein algebraische Beweise hat, dessen hier angedeuteter geometrisch motivierter Beweis aber leichter zugänglich ist. Dies gilt als eine Standardanwendung der geometrischen Gruppentheorie.
Quasi-Isometrie
In der Regel beschränkt man sich auf endlich erzeugte Gruppen, denn nur für
endliche Erzeugendensysteme erhält man einen Cayleygraphen, bei dem von jedem
Knoten nur endlich viele Kanten ausgehen. In einem weiteren Schritt betrachtet
man endlich erzeugte Gruppen mittels ihrer Cayleygraphen als metrische Räume mit
der Weglänge zwischen zwei Knoten als Abstand. Da der Graph zusammenhängend
ist, finden sich stets Wege endlicher Länge. Ersetzt man jede Kante
überschneidungsfrei durch ein isometrisches Bild des Einheitsintervalls,
so erhält man sogar einen geodätischen
metrischen Raum, der die Knoten des Caleygraphen als Unterraum enthält. Auf
der Klasse solcher Räume betrachtet man als Morphismen Äquivalenzklassen von
Quasi-Isometrien, wobei
zwei Quasi-Isometrien äquivalent heißen, wenn sie beschränkten Abstand haben.
Hier spielt der Satz
von Švarc-Milnor eine bedeutende Rolle, der Quasi-Isometrien zwischen
Gruppen und den metrischen Räumen, auf denen sie operieren, herstellt. Nun kann
man sogar von der Quasi-Isometrie zweier Gruppen sprechen, nämlich als
Quasi-Isometrie der zugehörigen metrischen Räume, und es besteht bezüglich
Quasi-Isometrie keine Abhängigkeit vom ausgewählten endlichen Erzeugendensystem
mehr. So ist zum Beispiel die Gruppe
quasi-isometrisch zum metrischen Raum
,
nicht aber zur Gruppe
,
denn letztere ist nicht einmal endlich erzeugt. Es ist eines der Hauptziele der
geometrischen Gruppentheorie, die Klassifikation der endlich erzeugten Gruppen
bzgl. Quasi-Isometrie zu verstehen.
Der einfachste und zugleich triviale Fall ist der der endlichen Gruppen, denn
diese zeichnen sich durch Cayleygraphen endlichen Durchmessers
aus und bilden daher eine einzige Quasi-Isometrie-Klasse. Die geometrische
Gruppentheorie ist für endliche Gruppen also trivial. Der nächst einfache Fall
ist die Quasi-Isometrie-Klasse von ,
diese besteht genau aus denjenigen Gruppen, die eine zu
isomorphe Untergruppe mit endlichem Index
enthalten. Dazu gehören also Gruppen der Art
oder die unendliche
Diedergruppe.
Es gibt überabzählbar viele Quasi-Isometrie-Klassen endlich erzeugter Gruppen und eine vollständige Klassifikation scheint in weiter Ferne zu liegen. Um einer möglichen Klassifikation bis auf Quasi-Isometrie näher zu kommen, interessiert man sich für unter Quasi-Isometrie invariante Eigenschaften, solche invarianten Eigenschaften heißen geometrisch. Man erhält viele weitreichende Ergebnisse durch algebraische Charakterisierungen geometrischer Eigenschaften. Ein wichtiges Beispiel ist das Wachstum von Gruppen. Quasi-isometrische Gruppen gehören derselben Wachstumsklasse an, das heißt, die Wachstumsklasse ist eine geometrische Eigenschaft, und nach dem Satz von Gromov hat eine Gruppe genau dann polynomiales Wachstum, wenn sie eine nilpotente Untergruppe mit endlichem Index besitzt. Weitere wichtige geometrische Eigenschaften sind etwa Mittelbarkeit oder Hyperbolizität von Gruppen. Gerade Letzteres ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie rein geometrische Begriffsbildungen in der geometrischen Gruppentheorie zu Gruppeneigenschaften werden. Diese haben dann wieder rein algebraische Konsequenzen, so ist zum Beispiel das Wortproblem für hyperbolische Gruppen lösbar oder jede unendliche hyperbolische Gruppe hat ein Element unendlicher Ordnung. Umgekehrt tragen die Ergebnisse der geometrischen Gruppentheorie zum Verständnis der geometrischen Objekte bei, so ist etwa die Fundamentalgruppe einer kompakten, zusammenhängenden riemannschen Mannigfaltigkeit ohne Rand endlich erzeugt, operiert auf der universellen Überlagerung mittels Decktransformationen, und diese Operation stellt eine Quasi-Isometrie zwischen der Fundamentalgruppe und der universellen Überlagerung als metrischer Raum her. Gruppeneigenschaften der Fundamentalgruppen haben Konsequenzen für die Geometrie der riemannschen Mannigfaltigkeiten.
Literatur
- Stephan Rosebrock: Geometrische Gruppentheorie, Vieweg-Verlag 2004, ISBN 3-528-03212-X
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 10.02. 2021