Unendliche Diedergruppe

Die unendliche Diedergruppe ist eine im mathematischen Teilgebiet der Gruppentheorie betrachtete Gruppe. Es handelt sich um eine abzählbar unendliche Version der Diedergruppen.

Geometrische Definition

So wie die Diedergruppen D_{n} als die Symmetriegruppen einer geometrischen Figur, nämlich eines regelmäßigen n-Ecks, eingeführt werden können, kann die unendliche Diedergruppe {\displaystyle D_{\infty }} als die Gruppe aller Isometrien, die eine Teilmenge eines euklidischen Raums in sich abbilden, definiert werden. {\displaystyle D_{\infty }} ist die Gruppe aller Isometrien auf {\displaystyle \mathbb {R} =\mathbb {R} ^{1}}, die {\displaystyle \mathbb {Z} \subset \mathbb {R} } in sich abbilden.

Diese Isometrien sind Translationen um n

{\displaystyle \tau _{n}\colon \mathbb {R} \rightarrow \mathbb {R} ,\quad x\mapsto x+n}

für eine ganze Zahl n\in \Z und Spiegelungen an n/2

{\displaystyle \sigma _{n}\colon \mathbb {R} \rightarrow \mathbb {R} ,\quad x\mapsto n-x}

für eine ganze Zahl n\in \Z. Die Gruppe dieser Isometrien heißt die unendliche Diedergruppe {\displaystyle D_{\infty }}. Manche Autoren bezeichnen diese Gruppe mit D_{0} oder nach der englischen Bezeichnung „dihedral group“ für Diedergruppe auch mit {\displaystyle \mathrm {Dih} _{\infty }}.

Die unendliche Diedergruppe wird schon von {\displaystyle \tau :=\tau _{1}} und {\displaystyle \sigma :=\sigma _{0}} erzeugt, denn offenbar gilt

{\displaystyle \tau _{n}=\tau \circ \ldots \circ \tau }, n-fache Hinteinanderausführung für n>0
{\displaystyle \tau _{n}=\tau _{-n}^{-1}} für n<0
\tau_0 ist das neutrale Element
{\displaystyle \sigma _{n}=\tau _{n}\circ \sigma } für alle n\in \Z,

das heißt, die von {\displaystyle \{\tau ,\sigma \}} erzeugte Untergruppe enthält bereits alle Isometrien \tau _{n} und \sigma_n und das heißt, dass {\displaystyle D_{\infty }} von \tau und \sigma erzeugt wird.

Ferner besteht die Beziehung

{\displaystyle \sigma \circ \tau \circ \sigma =\tau ^{-1}},

denn für jedes {\displaystyle r\in \mathbb {R} } gilt

{\displaystyle \sigma (\tau (\sigma (r)))=\sigma (\tau (-r))=\sigma (-r+1)=r-1=\tau ^{-1}(r)},

und es gilt

\sigma ^{2}=1,

wobei 1 das neutrale Element bezeichne, denn \sigma ist eine Spiegelung.

D als Untergruppe der Symmetriegruppe des Kreises

Sei s die Spiegelung des Einheitskreises an der x-Achse und d eine Drehung des Kreises um 2\pi r für eine irrationale Zahl r. Die von d erzeugte zyklische Untergruppe der Symmetriegruppe des Kreises ist wegen der Irrationalität von r unendlich und daher zu \mathbb {Z} isomorph. Dann gilt offenbar

{\displaystyle s^{2}=1,\,sds=d^{-1}}

und man kann zeigen, dass {\displaystyle \sigma \mapsto s,\,\tau \mapsto d} einen Isomorphismus von {\displaystyle D_{\infty }} auf die von {\displaystyle \{s,d\}} erzeugte Untergruppe der Symmetriegruppe des Kreises definiert. Insbesondere hängt deren Isomorphieklasse nicht von der Wahl der irrationalen Zahl r ab.

Präsentationen von D

Nach Obigem erfüllen die Erzeuger \tau und \sigma die Relationen

{\displaystyle \sigma \circ \tau \circ \sigma =\tau ^{-1}}   und   \sigma ^{2}=1.

Man kann zeigen, dass keine weiteren, davon unabhängigen Relationen bestehen. Präzise heißt das, dass {\displaystyle D_{\infty }} die Präsentation

{\displaystyle D_{\infty }\,=\,\langle x,y|\,x^{2}=1,\,xyx=y^{-1}\rangle }

besitzt. Die zweite Relation kann man wegen x^2=1 auch als {\displaystyle xy=y^{-1}x} schreiben. Jedes Produkt aus den Erzeugern x und y kann daher durch wiederholte Anwendung der Relationen auf die Form {\displaystyle x^{i}y^{n}} mit {\displaystyle i\in \{0,1\}} und n\in \Z gebracht werden. Für das Rechnen in der Gruppe gilt demnach

{\displaystyle D_{\infty }=\{x^{i}y^{n}|\,i\in \{0,1\},n\in \mathbb {Z} \}}   und   {\displaystyle x^{i}y^{n}\cdot x^{j}y^{m}=x^{i+j}y^{(1-2j)n+m}},

wobei der Exponent {\displaystyle i+j} modulo 2 zu verstehen ist.

Setzt man {\displaystyle z:=xy}, so ist

{\displaystyle z^{2}=xyxy=y^{-1}y=1}.

Da man umgekehrt das Element y mittels {\displaystyle y=xz} aus x und z zurückgewinnen kann, wird {\displaystyle D_{\infty }} von den zwei Involutionen x und z, das heißt von Elementen, deren Quadrat das neutrale Element ist, erzeugt, und man kann sich überlegen, dass keine weiteren Relationen bestehen. Wir erhalten also eine zweite Präsentation

{\displaystyle D_{\infty }=\langle x,z|\,x^{2}=1,\,z^{2}=1\rangle }.

Demnach ist die unendliche Diedergruppe die größte von zwei Involutionen erzeugte Gruppe, jede andere ist isomorph zu einer Faktorgruppe davon.

Geometrisch entspricht der Erzeuger z dem Produkt \sigma \tau , und das ist die Spiegelung an {\displaystyle \textstyle -{\frac {1}{2}}}. Die oben geometrisch beschriebene unendliche Diedergruppe wird also auch von den beiden Spiegelungen an 0 und {\displaystyle \textstyle -{\frac {1}{2}}} erzeugt. Das wird sofort verständlich, indem man sich klarmacht, dass die Spiegelung an {\displaystyle \textstyle -{\frac {1}{2}}}, gefolgt von der Spiegelung an 0, nichts anderes als die Translation um 1 ist.

D als semidirektes Produkt

Betrachte den Homomorphismus {\displaystyle \alpha \colon \mathbb {Z} _{2}\rightarrow \mathrm {Aut} (\mathbb {Z} )} von der Gruppe 2 in die Automorphismengruppe von \mathbb {Z} , der die Restklasse von 1 auf {\displaystyle \alpha _{1}\colon \mathbb {Z} \rightarrow \mathbb {Z} ,\,n\mapsto -n} abbildet. Mit diesem \alpha bilde das semidirekte Produkt

{\displaystyle \mathbb {Z} \rtimes _{\alpha }\mathbb {Z} _{2}:=\{(n,i)|\,n\in \mathbb {Z} ,i\in \{0,1\}\}}.

Die Verknüpfung ist bekanntlich durch die Formel

{\displaystyle (n,i)\cdot (m,j):=(n+\alpha _{i}(m),i+j)}

definiert, wobei {\displaystyle \alpha _{0}:=\mathrm {id} _{\mathbb {Z} }} und die Summe {\displaystyle i+j} modulo 2 zu verstehen ist. Daraus liest man die Isomorphie zu {\displaystyle D_{\infty }} ab.

Nun ist obiges {\displaystyle \alpha \colon \mathbb {Z} _{2}\rightarrow \mathrm {Aut} (\mathbb {Z} )} sogar ein Isomorphismus, denn neben \alpha _{1} gibt es keine weiteren nichttrivialen Automorphismen auf \mathbb {Z} .

Daher ist {\displaystyle D_{\infty }} der Holomorph von \mathbb {Z} , das heißt

{\displaystyle D_{\infty }\cong \mathbb {Z} \rtimes _{\alpha }\mathbb {Z} _{2}\cong \mathbb {Z} \rtimes \mathrm {Aut} (\mathbb {Z} )=\mathrm {Hol} (\mathbb {Z} )}.

D als freies Produkt

Die unendliche Diedergruppe ist das kleinste denkbare freie Produkt nichttrivialer Gruppen, es gilt

{\displaystyle D_{\infty }\cong \mathbb {Z} _{2}*\mathbb {Z} _{2}}.

Es ist klar, dass {\displaystyle \mathbb {Z} _{2}*\mathbb {Z} _{2}} von zwei Involutionen erzeugt wird. Daher erhält man aus obiger Präsentation einen Epimorphismus {\displaystyle D_{\infty }\rightarrow \mathbb {Z} _{2}*\mathbb {Z} _{2}}, von dem man zeigt, dass er ein Isomorphismus ist. Manche Autoren definieren die unendliche Diedergruppe auf diese Weise.

D als Matrizengruppe

Wir betrachten die Menge

{\displaystyle M:={\bigl \{}{\begin{pmatrix}e&n\\0&1\end{pmatrix}};\,e\in \{-1,+1\},n\in \mathbb {Z} {\bigr \}}}

von 2\times 2-Matrizen. Das Matrizenprodukt

{\displaystyle {\begin{pmatrix}(-1)^{i}&n\\0&1\end{pmatrix}}\cdot {\begin{pmatrix}(-1)^{j}&m\\0&1\end{pmatrix}}={\begin{pmatrix}(-1)^{i+j}&(-1)^{i}m+n\\0&1\end{pmatrix}}}

zeigt, dass die Menge M mit dem Matrizenprodukt als Multiplikation eine zu {\displaystyle D_{\infty }} isomorphe Gruppe ist.

Untergruppen von D

Die unendliche Diedergruppe {\displaystyle D_{\infty }=\langle x,y|\,x^{2}=1,\,xyx=y^{-1}\rangle } enthält folgende Untergruppen ({\displaystyle k,n,r} ganze Zahlen):

{\displaystyle U_{k}:=\langle y^{k}\rangle }   für   {\displaystyle k\geq 0},
{\displaystyle V_{0,n}:=\langle y^{n}x\rangle \cong \mathbb {Z} _{2}}   für   n\in \Z,
{\displaystyle V_{k,r}:=\langle y^{k},y^{r}x\rangle \cong D_{\infty }}   für   {\displaystyle 0\leq r<k}.

Das sind bereits alle Untergruppen von {\displaystyle D_{\infty }}.

Wegen {\displaystyle \{1\}\leq \langle y\rangle \leq D_{\infty }} mit {\displaystyle D_{\infty }/\langle y\rangle \cong \mathbb {Z} _{2}} ist die unendliche Diedergruppe auflösbar, sogar überauflösbar, metabelsch und polyzyklisch.

Trenner
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
Seitenende
Seite zurück
© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.05. 2021