Cayleygraph
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In der Mathematik ist ein Cayleygraph ein Graph, der die Struktur einer (meist endlich erzeugten) Gruppe beschreibt. Er hängt von einer gegebenen, normalerweise endlichen, Menge von Erzeugern der Gruppe ab.
Arthur Cayley hat 1878 als Erster Graphen benutzt, um Gruppen bildlich darzustellen; ein Ansatz, der von Max Dehn (1911), Otto Schreier (1927) und anderen weiterentwickelt wurde. Wegen Dehns großer Beiträge wurden Cayleygraphen manchmal auch (Dehnsche) Gruppenbilder genannt. Heute sind Cayleygraphen ein zentrales Werkzeug der geometrischen Gruppentheorie.
Definition
Sei
eine Gruppe
und
ein Erzeugendensystem.
Der Cayleygraph
ist ein gefärbter
und gerichteter
Graph, der wie folgt konstruiert wird:
- Jedem Element
von
wird ein Knoten zugeordnet: Die Knotenmenge
von
wird mit
identifiziert.
- Jedem Erzeuger
aus
wird eine Farbe
zugeordnet.
- Für
,
, werden die Knoten, die zu den Elementen
und
gehören, mit einer gerichteten Kante der Farbe
verbunden. Die Kantenmenge
besteht also aus Paaren der Form
, wobei
die Farbe bestimmt.
In der geometrischen Gruppentheorie wird meistens angenommen, dass die Menge
endlich und symmetrisch sei, das heißt
,
und das Neutralelement der Gruppe nicht enthalte. In diesem Fall ist der
Cayleygraph, abgesehen von der Färbung, ein gewöhnlicher Graph: Seine Kanten
sind nicht orientiert, und er enthält keine Schleifen.
Beispiele
- Sei
die unendliche zyklische Gruppe und die Menge
bestehe aus dem Standarderzeuger 1 und seinem Inversen (−1 in additiver Notation). Der zugehörige Cayleygraph ist dann eine unendliche Kette.
- Das Bild ist ähnlich, wenn
die endliche zyklische Gruppe von Ordnung
ist und
wieder aus zwei Elementen besteht, dem Standarderzeuger 1 von
und seinem Inversen; dann ist der Cayleygraph der n-Zykel
.
- Der Cayleygraph des direkten
Produkts von Gruppen ist das kartesische
Produkt der jeweiligen Cayleygraphen. Der Cayleygraph der freien abelschen
Gruppe
mit einer Erzeugendenmenge, die aus den vier Elementen
besteht, ist ein unendliches Gitter in der Ebene
, während der Cayleygraph für das direkte Produkt
mit analogen Erzeugern ein endliches
-Gitter auf dem Torus bildet.
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- Der Cayleygraph der Diedergruppe
D4 mit zwei Erzeugern
(90°-Drehung im Uhrzeigersinn) und
(Horizontalspiegelung) ist links dargestellt. Da
sein eigenes Inverses ist, sind die blauen Kanten, die für das Ausführen von
stehen, ungerichtet gezeichnet. Diese Wahl von
und
entspricht der Präsentierung
- Die Relationen der Gruppe zu dieser Wahl von Erzeugern finden sich im
Cayleygraph als Zyklen
wieder, zum Beispiel liefert
einen geschlossenen Weg im Graphen, ebenfalls
.
- Der Cayleygraph der freien
Gruppe mit zwei Erzeugern
und
und der Menge
ist oben im Artikel dargestellt, wobei
das Neutralelement bezeichnet. Auf einer Kante nach rechts zu gehen entspricht der Rechtsmultiplikation mit
, während nach oben zu gehen Multiplikation mit
darstellt. Da die freie Gruppe keine Relationen besitzt, enthält dieser Graph keine Zyklen.
Charakterisierung
Die Frage, welche Graphen als Cayleygraphen einer Gruppe
auftreten können, lässt sich wie folgt beantworten: Die Gruppe
wirkt
durch Linksmultiplikation auf sich selbst (siehe auch Satz von Cayley). Diese
Wirkung liefert auch eine Wirkung von
auf seinem Cayleygraphen. Konkret schickt ein Element
einen Knoten
auf den Knoten
.
Die Kantenmenge des Graphen wird durch diese Wirkung respektiert, denn eine
Kante
wird auf die Kante
abgebildet. Die Wirkung der Linksmultiplikation irgendeiner Gruppe auf sich
selbst ist einfach
transitiv. Dementsprechend ist ein Cayleygraph knotentransitiv.
Dies führt zu der folgenden Charakterisierung von Cayleygraphen:
- Ein Graph
ist ein Cayleygraph einer Gruppe
genau dann, wenn er eine auf den Knoten einfach transitive Wirkung von
durch Automorphismen des Graphen (also die Kantenmenge respektierende Abbildungen) zulässt.
Um die Färbung des Graphen durch die Gruppe
und die Erzeugermenge
zu rekonstruieren, wählt man einen Knoten
aus und beschriftet ihn mit dem Neutralelement der Gruppe. Jeder Knoten
von
wird dann mit dem eindeutigen Element
von
bezeichnet, das
nach
abbildet. Die Menge
von Erzeugern von
,
die
als Cayleygraphen liefert, ist dann die Menge der Beschriftungen der Knoten, die
zum ausgewählten Knoten
adjazent
sind. Die Erzeugermenge ist genau dann endlich, wenn der Graph lokal endlich
ist, also jeder Knoten zu endlich vielen Kanten adjazent ist.
Es ist allerdings nicht wahr, dass jeder knotentransitive Graph als Cayleygraph auftritt, und auch sonst beantwortet die obige Aussage natürlich nicht alle Fragen zur Struktur von Cayleygraphen. Beispielsweise ist die Vermutung, dass jeder endliche Cayleygraph einen Hamiltonkreis enthält, bekannt als Lovász-Vermutung, unbewiesen.
Einfache Eigenschaften
Der Cayleygraph Γ(G,S) hängt wesentlich von der Wahl der Erzeugermenge S ab. Wenn S zum Beispiel k Elemente hat, so besitzt jeder Knoten von Γ k eingehende und k ausgehende Kanten. Ist S symmetrisch gewählt, so ist Γ ein regulärer Graph von Grad k.
Zyklen, das heißt geschlossene Wege, im Cayleygraphen stellen Relationen (siehe Präsentierung einer Gruppe) zwischen den Elementen von S dar.
Wenn
ein surjektiver Gruppenhomomorphismus ist, der auf der Erzeugermenge S’
von G’ injektiv ist, dann induziert f eine Überlagerung
von Graphen
-
wobei S = f(S’).
Insbesondere ist dies der Fall, wenn eine Gruppe G von k Elementen erzeugt wird, alle von Ordnung ungleich 2, und die Menge S aus diesen Erzeugern und ihren Inversen besteht. Dann wird der Cayleygraph Γ(G,S) vom unendlichen regulären Baum von Grad 2k überlagert, der zur freien Gruppe über denselben Erzeugern gehört. Ein solcher Baum ist dann eine universelle Überlagerung des Cayleygraphen und heißt auch Cayleybaum oder Bethe-Gitter.
Auch wenn die Menge S die Gruppe G nicht erzeugt, kann ein Graph Γ(G,S) konstruiert werden. Allerdings wird er nicht zusammenhängend sein und wird nicht als Cayleygraph betrachtet. In diesem Fall entspricht jede Zusammenhangskomponente einer Nebenklasse der Untergruppe, die von S erzeugt wird.
Anwendungen in der Gruppentheorie
Durch das Studium des Cayleygraphen können Einsichten über die Struktur der Gruppe gewonnen werden. Unter anderem ist es interessant, die Adjazenzmatrix zu untersuchen, insbesondere mit den Mitteln der Spektraltheorie von Graphen, die geometrische Aussagen, die aus dem Spektrum von linearen Operatoren gewonnen werden, in einen diskreten Kontext überträgt.
Geometrische Gruppentheorie
Für unendliche Gruppen ist die grobe
Geometrie (coarse geometry) des Cayleygraphen, oder seine
Äquivalenzklasse bis auf Quasi-Isometrie,
fundamental für das Gebiet der geometrischen
Gruppentheorie. Für eine endlich
erzeugte Gruppe ist sie unabhängig von der Wahl einer endlichen Menge
von Erzeugern, also eine intrinsische Eigenschaft der Gruppe. Dies ist nur für
unendliche Gruppen interessant, da alle endlichen Gruppen – für die
gewählt werden kann – quasiisometrisch zu einem Punkt sind.
Der Cayleygraph ist in diesem Zusammenhang ein metrisches Bild der Gruppe zusammen mit der Wortmetrik, die durch die Wahl der Erzeuger bestimmt wird.
Wortmetrik
Die Wortmetrik auf dem Cayleygraphen ist gegeben durch die Festlegung, dass
alle Kanten des Graphen Länge 1 haben sollen. Äquivalent kann man den Abstand
zweier Gruppenelemente
definieren als die minimale Anzahl von Faktoren aus dem gegebenen
Erzeugendensystem, in die sich
zerlegen lässt, also
.
Die Wortmetrik hängt (ebenso wie der Cayleygraph selbst) vom
Erzeugendensystem
ab. Für verschiedene endliche Erzeugendensysteme erhält man aber
quasi-isometrische (sogar bilipschitz-äquivalente)
Cayleygraphen. Alle bis auf Quasi-Isometrie bestimmten geometrischen
Eigenschaften von Graphen entsprechen also Eigenschaften von Gruppen.
In der geometrischen Gruppentheorie versucht man, algebraische Eigenschaften
von Gruppen in geometrische Eigenschaften des Cayleygraphen zu übersetzen. Ein
spektakuläres Beispiel dafür ist Gromows
Satz, dass eine Gruppe genau dann virtuell
nilpotent
ist, wenn ihr Cayleygraph polynomielles Volumenwachstum hat, d.h. das
Volumen der Bälle vom Radius
durch ein Polynom in
nach oben begrenzt ist.
Wort-hyperbolische Gruppen
Eine Gruppe heißt wort-hyperbolisch, wenn ihr Cayleygraph δ-hyperbolisch für
ein
ist. Das bedeutet, dass in jedem geodätischen
Dreieck jeder auf einer Kante liegende Punkt Abstand
von mindestens einer der beiden anderen Kanten hat. Diese Definition ist (bis
auf den genauen Wert der Konstante
)
invariant unter Quasi-Isometrie und deshalb unabhängig vom gewählten
Erzeugendensystem.
Beispiele wort-hyperbolischer Gruppen sind: endliche Gruppen, virtuell zyklische Gruppen, endlich erzeugte freie Gruppen, Fundamentalgruppen kompakter --Flächen negativer Euler-Charakteristik und allgemein Fundamentalgruppen kompakter, negativ gekrümmter Mannigfaltigkeiten. In gewisser Weise sind zufällige Gruppen wort-hyperbolisch.
Rand im Unendlichen
Der Cayleygraph hat einen Rand im Unendlichen, formal definiert als die Menge der Äquivalenzklassen geodätischer Strahlen, wobei 2 Strahlen genau dann äquivalent sind, wenn sie endlichen Abstand haben. Die Wirkung der Gruppe auf dem Rand im Unendlichen ist ein „chaotisches“ dynamisches System und kodiert viele Eigenschaften der Gruppe.
Beispiele: für freie Gruppen ist der Rand im Unendlichen eine Cantor-Menge, für
Fundamentalgruppen kompakter negativ gekrümmter -Mannigfaltigkeiten
ist der Rand im Unendlichen eine
-Sphäre,
für die „meisten“ wort-hyperbolischen Gruppen ist der Rand im Unendlichen aber
ein Menger-Schwamm.
Geschichte
Cayley betrachtete die nach ihm benannten Graphen 1878 zunächst nur für endliche Gruppen. In seinen unveröffentlichten Notizen zur Gruppentheorie aus den Jahren 1909–10 führte Max Dehn den Cayleygraphen unter dem Namen „Gruppenbild“ ein. Seine Hauptanwendung war die Lösung des Wortproblems für die Fundamentalgruppen der Flächen vom Geschlecht ≥ 2 mit geometrischen Methoden, die heute zur Theorie der hyperbolischen Gruppen gehören. (Das ist äquivalent zur Lösung des topologischen Problems, welche Kurven in der Fläche sich auf einen Punkt zusammenziehen lassen.) Diese Arbeit war der Beginn der heutigen geometrischen Gruppentheorie.
Verwandte Konstruktionen
Aus einer Präsentierung einer diskreten Gruppe können mehrere den Cayleygraphen verwandte Objekte gebildet werden.
Cayleykomplexe
Der Cayleykomplex ist eine dem Cayleygraphen sehr ähnliche
Konstruktion. Er ist ein Zellkomplex,
der den Cayleygraphen als 1-Skelett
besitzt, in den aber zusätzlich 2-Zellen eingeklebt werden. Für die 2-Zellen
wird neben der Gruppe
und der Erzeugendenmenge
auch eine Wahl von Relationen
benötigt, so dass
eine Präsentierung
von
ist. Jede Relation in
liefert für jeden Knoten im Cayleygraphen einen Zykel, entlang dem jeweils eine
2-Zelle eingeklebt wird.
Der Cayleykomplex der Gruppe Z2 mit der Präsentierung
ist zum Beispiel eine Pflasterung der Ebene mit Einheitsquadraten, deren
1-Skelett der oben beschriebene Cayleygraph von Z2 ist.
Schreiergraphen
Wenn als Knoten anstelle von Elementen der Gruppe
Rechtsnebenklassen einer festen Untergruppe
gewählt werden, erhält man eine verwandte Konstruktion, den Schreiergraphen
,
wobei
wieder eine Erzeugermenge von
ist. Ist
die triviale
Untergruppe, so ist
einfach wieder der Cayleygraph
.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 26.03. 2021