Nuklearer Raum

Unter einem nuklearen Raum versteht man in der Mathematik eine spezielle Klasse lokalkonvexer Vektorräume. Viele in den Anwendungen wichtige Räume, z.B. Räume differenzierbarer Funktionen, sind nuklear. Während normierte Räume, insbesondere Banachräume oder Hilberträume, Verallgemeinerungen endlichdimensionaler Vektorräume über {\mathbb K} ({{\mathbb  R}} oder {{\mathbb  C}}) unter Beibehaltung der Norm aber unter Verlust von Kompaktheitseigenschaften darstellen, liegt der Schwerpunkt bei den nuklearen Räumen, die im unendlichdimensionalen Fall nicht normierbar sind, auf den Kompaktheitseigenschaften. Ferner erweisen sich unbedingte Konvergenz und absolute Konvergenz von Reihen in nuklearen Räumen als äquivalent. In diesem Sinne sind die nuklearen Räume näher an den endlichdimensionalen Räumen als die Banachräume.

Die auf Alexander Grothendieck zurückgehenden nuklearen Räume lassen sich auf vielfältige Weise einführen. Als Definition wird hier die am einfachsten formulierbare Variante gewählt, anschließend folgt eine Liste äquivalenter Charakterisierungen, die gleichzeitig eine Reihe wichtiger Eigenschaften nuklearer Räume darstellen. Es folgen Beispiele und weitere Eigenschaften.

Definition

Ein lokalkonvexer Raum E (immer als Hausdorffraum angenommen) heißt nuklear, wenn für jeden Banachraum F jeder stetige lineare Operator E\rightarrow F ein nuklearer Operator ist.

Charakterisierungen

Kanonische Abbildungen

Ist p eine stetige Halbnorm auf dem lokalkonvexen Raum E, so ist N_{p}:=\{x\in E;p(x)=0\} ein abgeschlossener Untervektorraum von E und durch \|x+N_{p}\|_{p}:=p(x) wird eine Norm auf dem Faktorraum E_{p}:=E/N_{p} erklärt. Die Vervollständigung dieses normierten Raums wird mit B_{p} bezeichnet. Ist q eine weitere stetige Halbnorm mit p\leq q, so definiert x+N_{q}\mapsto x+N_{p} einen stetigen linearen Operator E_{q}\rightarrow E_{p}, der sich stetig zu einem linearen Operator \kappa _{{qp}}\colon B_{q}\rightarrow B_{p} fortsetzen lässt. Die B_{p} heißen die lokalen Banachräume und die Operatoren \kappa _{{qp}} heißen kanonische Abbildungen von E.

Mit diesen Begriffen gelingt eine innere Charakterisierung nuklearer Räume, das heißt ohne Bezugnahme auf andere Räume:

Es genügt natürlich, sich auf ein gerichtetes System erzeugender Halbnormen zu beschränken.

Hilberträume

Die nun folgenden Charakterisierungen rücken die nuklearen Räume in die Nähe der Hilberträume.

Ist \langle \cdot ,\cdot \rangle eine Hermitesche Form auf E mit \langle x,x\rangle \geq 0 für alle x\in E (d.h. die Hermitesche Form ist nicht-negativ), so ist durch x\mapsto \langle x,x\rangle ^{{{\frac  {1}{2}}}} eine Halbnorm auf E definiert. Solche Halbnormen nennt man Hilbert-Halbnormen.

Tensorprodukte

Es gibt zwei wichtige Methoden, das Tensorprodukt E\otimes F zweier lokalkonvexer Räume mit einer geeigneten lokalkonvexen Topologie auszustatten. Seien U\subset E und V\subset F abgeschlossene, absolutkonvexe Nullumgebungen. \pi _{{U,V}} sei das Minkowski-Funktional der absolutkonvexen Hülle von U\otimes V:=\{x\otimes y;x\in U,y\in V\}. Weiter bezeichne U^{{\circ }}:=\{\varphi \in E^{{\,\prime }}\,;\,{\rm {{Re}(\varphi (x))\leq 1\ \forall \,x\in U\}}} die Polare von U und analog V^{{\circ }} die Polare von V. Man erhält eine weitere Halbnorm \epsilon _{{U,V}} auf E\otimes F durch die Definition \textstyle \epsilon _{{U,V}}(\sum _{{j=1}}^{n}x_{j}\otimes y_{j}):=\sup\{|\sum _{{j=1}}^{n}\phi (x_{j})\psi (y_{j})|;\,\phi \in U^{{\circ }},\psi \in V^{{\circ }}\}.

Das projektive Tensorprodukt oder \pi -Tensorprodukt E\otimes _{\pi }F ist der Tensorproduktraum mit dem System der Halbnormen \pi _{{U,V}}, wobei U\subset E und V\subset F die abgeschlossenen, absolutkonvexen Nullumgebungen durchlaufen. Entsprechend ist das injektive Tensorprodukt oder \epsilon -Tensorprodukt E\otimes _{\epsilon }F der mit dem System der Halbnormen \epsilon _{{U,V}} ausgestattete Tensorproduktraum.

Leicht überlegt man sich, dass stets \epsilon _{{U,V}}\leq \pi _{{U,V}} gilt, d.h. id:E\otimes _{\pi }F\rightarrow E\otimes _{\epsilon }F ist stetig. Diese Abbildung ist im Allgemeinen kein Homöomorphismus. Es gilt:

Diese Charakterisierung ist die ursprüngliche von Grothendieck verwendete Definition der Nuklearität.

Bilinearformen

Ist U\subset E eine absolutkonvexe Nullumgebung, so ist die Polare U^{{\circ }} eine absolutkonvexe und absorbierende Menge im Vektorraum \textstyle E_{{U^{{\circ }}}}:=\bigcup _{{\lambda >0}}\lambda U^{{\circ }}\subset E\,', \|\cdot \|_{{U^{{\circ }}}} sei das zugehörige Minkowski-Funktional. Eine Bilinearform b:E\times F\rightarrow {{\mathbb  K}} heißt nuklear, falls es absolutkonvexe Nullumgebungen U\subset E und V\subset F sowie Folgen (a_{n})_{n} in E_{{U^{{\circ }}}} und (b_{n})_{n} in E_{{V^{{\circ }}}} gibt mit \textstyle \sum _{{n=1}}^{\infty }\|a_{n}\|_{{U^{{\circ }}}}\|b_{n}\|_{{V^{{\circ }}}}<\infty und \textstyle b(x,y)=\sum _{{n=1}}^{\infty }a_{n}(x)b_{n}(y) für alle x\in E und y\in F.

Diese Charakterisierung nuklearer Räume nennt man auch die abstrakte Form des Satzes vom Kern.

Summierbarkeit

Ist U\subset E eine absolutkonvexe Nullumgebung, so sei p_U das zugehörige Minkowski-Funktional. {{\mathcal  U}} sei eine Nullumgebungsbasis aus absolutkonvexen Mengen. Sei \textstyle \ell ^{1}\{E\}:=\{(x_{n})_{n}\in E^{{{\mathbb  N}}}\,;\,\sum _{{n=1}}^{\infty }p_{U}(x_{n})<\infty \,\forall U\in {{\mathcal  U}}\} mit den Halbnormen \textstyle q_{U}((x_{n})_{n}):=\sum _{{n=1}}^{\infty }p_{U}(x_{n}) versehen. Der dadurch entstehende lokalkonvexe Raum heißt in naheliegender Weise Raum der absoluten Cauchy-Reihen. In dieser Definition wird nicht verlangt, dass die Reihe \textstyle \sum _{{n=1}}^{\infty }x_{n} in E konvergiert.

Weiter betrachten wir den Raum \ell ^{1}[E]:=\{(x_{n})_{n}\in E^{{{\mathbb  N}}}\,;\,(f(x_{n}))_{n}\in \ell ^{1}\,\,\forall f\in E'\} mit den Halbnormen \textstyle \epsilon _{U}((x_{n})_{n}):=\sup _{{f\in U^{{\circ }}}}\sum _{{n=01}}^{\infty }|f(x_{n})|, wobei U^{{\circ }} wie oben die Polare von U bezeichnet und U die Nullumgebungsbasis {{\mathcal  U}} durchläuft. Dieser lokalkonvexe Raum heißt Raum der unbedingten Cauchy-Reihen, denn aus dem riemannschen beziehungsweise steinitzschen Umordnungssatz folgt leicht, dass mit (x_{n})_{n} auch jede permutierte Folge (x_{{\sigma (n)}})_{n} in \ell ^{1}[E] liegt.

Sowohl \ell ^{1}\{E\} als auch \ell ^{1}[E] sind unabhängig von der speziellen Wahl der Nullumgebungsbasis. Die nuklearen Räume erweisen sich nun als diejenigen, in denen absolute Cauchy-Reihen und unbedingte Cauchy-Reihen zusammenfallen:

Satz von Kōmura-Kōmura

Der hier vorgestellte auf T. Kōmura und Y. Kōmura zurückgehende Satz zeigt, dass der in den Beispielen angegebene Folgenraum s> der schnell fallenden Folgen ein Generator aller nuklearen Räume ist.

Beispiele

Normierte Räume

Unter den normierten Räumen sind genau die endlichdimensionalen nuklear.

Schnell fallende Folgen

Sei s:=\{(x_{n})_{n}\in {{\mathbb  K}}^{{{\mathbb  N}}};(x_{n}n^{k})_{n}\in \ell ^{1}\,\,\forall k\in {{\mathbb  N}}\} mit den Halbnormen \textstyle p_{k}((x_{n})_{n}):=\sum _{{n=1}}^{\infty }|x_{n}n^{k}|. Dieser lokalkonvexe Raum heißt Raum der schnell fallenden Folgen und ist nach obigem Satz von Kōmura-Kōmura ein Prototyp eines nuklearen Raums.

Differenzierbare Funktionen

Wichtige Beispiele sind auch Räume differenzierbarer Funktionen. Sei \Omega \subset {{\mathbb  R}}^{n} offen und {{\mathcal  E}}(\Omega ) der Raum der beliebig oft differenzierbaren Funktionen f:\Omega \rightarrow {{\mathbb  R}} mit den Halbnormen p_{{K,m}}(f):=\sup _{{|\alpha |\leq m}}\sup _{{x\in K}}|D^{\alpha }f(x)|, wobei m\in {{\mathbb  N}} und K\subset \Omega kompakt ist. Dabei wurde für \alpha =(\alpha _{1},\ldots ,\alpha _{n}) die Multiindex-Schreibweise verwendet. Dann ist {{\mathcal  E}}(\Omega ) ein nuklearer Raum.

Testfunktionen

Sei \Omega \subset {{\mathbb  R}}^{n} offen und {{\mathcal  D}}(\Omega )\subset {{\mathcal  E}}(\Omega ) der Unterraum der beliebig oft differenzierbaren Funktionen mit einem kompakten Träger in \Omega . Für kompaktes K\subset \Omega sei {{\mathcal  D}}_{K}(\Omega ) der Raum der Funktionen mit Träger in K mit der von {{\mathcal  E}}(\Omega ) induzierten Teilraumtopologie. Dann gibt es eine feinste lokalkonvexe Topologie auf {{\mathcal  D}}(\Omega ), die alle Einbettungen {{\mathcal  D}}_{K}(\Omega )\subset {{\mathcal  D}}(\Omega ) stetig macht. {{\mathcal  D}}(\Omega ) mit dieser Topologie heißt der Raum der Testfunktionen und spielt eine wichtige Rolle in der Distributionstheorie. {{\mathcal  D}}(\Omega ) ist ein Beispiel für einen nicht-metrisierbaren nuklearen Raum.

Schnell fallende Funktionen

Sei {{\mathcal  S}}({{\mathbb  R}}^{n}) der Raum aller Funktionen f:{{\mathbb  R}}^{n}\rightarrow {{\mathbb  R}}, für die alle Suprema \textstyle p_{{k,m}}(f):=\sup _{{|\alpha |\leq k}}\sup _{{x\in {{\mathbb  R}}^{n}}}|(1+|x|^{2})^{m}D^{\alpha }f(x)| endlich sind. Dabei wurde wieder von der Multiindex-Schreibweise Gebrauch gemacht. Der Raum {{\mathcal  S}}({{\mathbb  R}}^{n}) mit den Halbnormen \{p_{{k,m}};\,k,m\in {{\mathbb  N}}_{0}\} heißt Raum der schnell fallenden Funktionen und ist ebenfalls nuklear.

Holomorphe Funktionen

Sei \Omega \subset {{\mathbb  C}} offen und {{\mathcal  H}}(\Omega ) der Raum aller holomorphen Funktionen \Omega \rightarrow {{\mathbb  C}}. Dann ist {{\mathcal  H}}(\Omega ) mit den Halbnormen p_{K}:=p_{{K,0}}, wobei K \subset \Omega kompakt ist, ein nuklearer Raum.

Permanenzeigenschaften

Nukleare Räume haben sehr gute Permanenzeigenschaften. Unterräume, Faktorräume nach abgeschlossenen Unterräumen, beliebige Produkte, abzählbare direkte Summen, Tensorprodukte und Vervollständigungen nuklearer Räume sind wieder nuklear.

Eigenschaften

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.12. 2020