Quadratische Menge
Der Begriff Quadratische Menge beschreibt in der synthetischen Geometrie Mengen, die in der analytischen Geometrie als projektive Quadriken bezeichnet werden, koordinatenfrei, allein durch Inzidenz- und Reichhaltigkeitseigenschaften. Er verallgemeinert diesen Begriff dabei so, dass er auch für nichtdesarguessche projektive Ebenen und für nicht-pappussche projektive Geometrien angewandt werden kann.[1] Quadratische Mengen und ihre Tangentialräume sind selbst wieder Geometrien in einem allgemeineren Sinn, sogenannte Inzidenzstrukturen, in einigen Fällen sind sie sogar projektive Geometrien. Besonders nützlich ist der Begriff bei endlichen Geometrien.
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Geschichte
Quadriken in der Zeichenebene, insbesondere Ellipsen werden mindestens seit der klassischen Antike erforscht. Bis ins 18. Jahrhundert wurden sie durch Beschreibung ihrer Konstruktion mit Hilfe von Zeichengeräten (siehe die Abbildung am Ende der Einleitung) oder als Geometrischer Ort weitgehend ohne Bezug auf ein Koordinatensystem definiert. Man könnte daher für diese Zeit auch von einem „synthetischen“ Begriff der Quadriken sprechen. Allerdings wurde erst im 19. Jahrhundert eine axiomatische Grundlage für die projektive Geometrie entwickelt. Vorher hatte sie als geometrie descriptive nur aus Sprachregelungen für „uneigentliche“ Objekte bestanden, die der Zeichenebene oder dem Anschauungsraum „hinzugefügt“ werden. Seit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert sind nichtdesarguessche projektive Ebenen bekannt, bis in die 1960er Jahre wurden eine Vielzahl von (vor allem endlichen) Modellen für solche Ebenen gefunden. Die analytische Beschreibung von Quadriken als Nullstellenmenge von quadratischen Koordinatengleichungen, die für pappussche Geometrien zu einer befriedigenden algebraischen Klassifikation aller Quadriken geführt hat (siehe Hauptachsentransformation, Projektive Quadrik), lässt sich bereits für Geometrien über nichtkommutativen Schiefkörpern nur eingeschränkt verwenden, für nichtdesarguessche Ebenen ist sie weitgehend nutzlos. Der Begriff „Quadratische Menge“ wurde 1969 von Buekenhout eingeführt, um auch Quadriken in solchen Ebenen beschreiben zu können. Seit den 1970er Jahren werden Quadriken auf diese Weise systematisch untersucht. Da die endlichen projektiven Ebenen auch für die Kodierungstheorie eine wichtige Rolle spielen, werden in diesem Zusammenhang von Zeit zu Zeit Ergebnisse mit überraschenden Anwendungen scheinbar weitab der abstrakten Geometrie gefunden.
Definitionen
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Quadratische Menge, Tangente
Sei
eine projektive
Geometrie beliebiger, endlicher Dimension[2]
und sei
eine Menge von Punkten dieser Geometrie.
- Wenn eine Gerade
der Geometrie entweder mit
nur einen Punkt gemeinsam hat oder wenn jeder Punkt von
in
enthalten ist, dann heißt
eine Tangente an
.
- Eine Tangente an
, die mit
nur einen Punkt
gemeinsam hat, heißt eine Tangente an
in
.
- Eine Tangente mit der Eigenschaft, dass jeder Punkt von
in
enthalten ist, heißt
-Gerade, allgemeiner heißt ein Unterraum
ein
-Unterraum, falls jeder Punkt von
in
enthalten ist.
- Für jeden Punkt
heißt die Menge
, die aus dem Punkt
und allen Punkten
besteht, die mit
durch eine Tangente verbunden sind, Tangentialraum von
an
. Dieser Tangentialraum wird auch als
notiert.
Die Menge
heißt Quadratische Menge von
,
falls die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
- („Wenn 3 dann alle!“) Jede Gerade
, die mindestens drei Punkte von
enthält, ist ganz in
enthalten. Mit anderen Worten: Jede Gerade hat mit
keinen, genau einen, genau zwei oder alle Punkte gemeinsam.
- (Tangentenaxiom) Für jeden Punkt
ist der Tangentialraum
die Menge der Punkte einer Hyperebene oder die Menge aller Punkte von
.
Radikal, ausgeartete quadratische Menge
- Für eine quadratische Menge
ist
die Menge aller Punkte
, für die
aus allen Punkten von
besteht. Diese Menge heißt das Radikal von
.
- Eine quadratische Menge heißt nichtausgeartet, falls
ist, sonst heißt sie ausgeartet.
Index einer quadratischen Menge
- Es sei
eine quadratische Menge,
die größte Dimension eines
-Unterraums. Dann heißt
der Index von
. Man nennt die
-Unterräume der Dimension
dann auch maximale
-Unterräume.
Oval und Ovoid
- Eine nichtleere Punktmenge
in einer projektiven Ebene
heißt ein Oval, falls keine drei Punkte von
kollinear sind und durch jeden Punkt von
genau eine Tangente geht.[3]
Die Verallgemeinerung des Ovals für beliebigdimensionale Räume ist das Ovoid:
- Eine nichtleere Punktmenge
in einem
-dimensionalen Raum
heißt Ovoid, falls gilt:
-
- Keine drei Punkte von
sind kollinear,
- für jeden Punkt
ist
eine Hyperebene.[3]
- Keine drei Punkte von
Nukleus und Hyperoval
- Im Falle seiner Existenz heißt der gemeinsame Schnittpunkt aller Tangenten an ein Oval in einer endlichen Ebene der Nukleus des Ovals.
- Die Menge der Punkte, die aus einem Oval zusammen mit seinem Nukleus. besteht, wird als Hyperoval bezeichnet.
Kegel
Sei
eine Hyperebene des projektiven Raumes
,
ein Punkt, der nicht in
liegt und
eine nichtausgeartete, nichtleere quadratische Menge von
.
Dann heißt die quadratische Menge
ein Kegel mit Spitze
über
.
Elliptische, parabolische und hyperbolische quadratische Mengen
Sei
eine nichtausgeartete quadratische Menge in einer
-dimensionalen
projektiven Geometrie
.
Dann werden folgende Bezeichnungen vereinbart:
Raumdimension d | Index t | Bezeichnung der quadratischen Menge |
---|---|---|
parabolisch | ||
elliptisch | ||
hyperbolisch |
Eigenschaften
Index
Es sei
eine quadratische Menge vom Index
in einer
-dimensionalen
projektiven Geometrie
.
- Dann geht durch jeden Punkt von
ein maximaler
-Unterraum.
-
- Genauer gilt: Durch jeden Punkt
von
außerhalb eines
-dimensionalen Unterraumes
gibt es einen
-dimensionalen
-Unterraum
, der in einem
-dimensionalen Unterraum schneidet.
- Genauer gilt: Durch jeden Punkt
Ist die quadratische Menge nichtausgeartet und nichtleer, dann
- ist
, falls
gerade ist und
, falls
ungerade ist.
Ist darüber hinaus
endlich, dann
- ist
, falls
gerade ist und
, falls
ungerade ist.
Mit anderen Worten: In einer endlichen projektiven Geometrie ist jede nichtausgeartete und nichtleere quadratische Menge
- parabolisch, falls die Dimension
gerade ist,
- elliptisch oder hyperbolisch, falls
ungerade ist.
Klassifikation quadratischer Mengen in der Ebene
Sei
eine quadratische Menge in einer projektiven Ebene
.
Dann ist
die leere Menge, eine einpunktige Menge, die Punktmenge einer oder zweier
Geraden, die gesamte Punktmenge oder ein Oval. Genau dann, wenn die quadratische
Menge
nichtleer und nichtausgeartet ist, ist sie ein Oval.
Satz von Segre, quadratische Mengen und Quadriken in pappusschen Räumen
Es sei
der d-dimensionale, pappussche projektive Raum über einem Körper
K, dessen Charakteristik
nicht 2 sei. Dann gilt:
- Jede projektive
Quadrik von
ist eine quadratische Menge. Eine Quadrik ist genau dann als quadratische Menge nichtausgeartet, wenn die zugehörige quadratische Form nichtausgeartet ist.
- Ist
und
ein endlicher Körper, dann ist jede quadratische Menge eine projektive Quadrik.
Die zweite Aussage folgt aus dem Satz von Segre:
- Jedes Oval in einer endlichen desarguesschen Ebene ungerader Ordnung ist ein Kegelschnitt (im Sinne der analytischen Geometrie).
- In den endlichen Ebenen gerader Ordnung
existieren im Allgemeinen Ovale, die keine projektiven Quadriken sind. Genauer gilt:
- In den desarguesschen endlichen Ebenen
und
ist jedes Oval eine projektive Quadrik.
- In jeder desarguesschen endlichen Ebene
gerader Ordnung mit
existieren Ovale, die keine projektiven Quadriken sind. Jedes solche Oval entsteht aus einem Oval
, das eine projektive Quadrik ist, indem ein beliebiger Punkt der Quadrik
durch den Nukleus dieses Ovals
ersetzt wird.
- In den desarguesschen endlichen Ebenen
Parabolische quadratische Menge
Sei
eine parabolische quadratische Menge in einem 2
-dimensionalen
projektiven Raum
.
Dann gilt:
- Ist
eine Tangentialhyperebene von
, dann ist die in
induzierte Quadrik
ein Kegel über einer parabolischen quadratischen Menge.
- Ist
eine Hyperebene, die keine Tangentialhyperebene von
ist, dann ist die in
induzierte Quadrik
eine elliptische oder hyperbolische quadratische Menge.
Hyperbolische quadratische Menge
Sei
eine hyperbolische quadratische Menge in einem
-dimensionalen
projektiven Raum
.
- Ist
eine Tangentialhyperebene von
, dann ist die in
induzierte Quadrik
ein Kegel über einer hyperbolischen quadratischen Menge.
- Ist
eine Hyperebene, die keine Tangentialhyperebene von
ist, dann ist die in
induzierte Quadrik
eine parabolische quadratische Menge.
Wenn in einem mindestens dreidimensionalen projektiven Raum eine hyperbolische quadratische Menge existiert, dann ist der Raum pappossch, also über einem kommutativen Körper koordinatisiert.
Anzahlen in endlichen Räumen
Es sei
eine quadratische Menge in einer
-dimensionalen
projektiven Geometrie
über dem endlichen Körper
.
Für einen beliebigen Punkt
sei
die Anzahl der
-Geraden
durch
.
Dann gilt:
- Die Anzahl
ist unabhängig von der Wahl von
- Ist
eine Hyperebene, was für
stets der Fall ist, dann enthält
genau
Punkte von
- Die quadratische Menge
enthält genau
Punkte.
Beispiele
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- Die leere Menge ist in jeder projektiven Geometrie eine nichtausgeartete
quadratische Menge. In einem mindestens eindimensionalen projektiven Raum über
den komplexen
Zahlen
ist sie keine projektive Quadrik.
- Ovale und Ovoide im herkömmlichen Sinn in reellen affinen Räumen, wie zum Beispiel das „Eirund“ in der Abbildung rechts sind im projektiven Abschluss des Raumes immer quadratische Mengen.
Index
In zwei- bzw. dreidimensionalen Räumen treten die folgenden
nichtausgearteten, nichtleeren, quadratischen Mengen ,
die Quadriken sind, auf:
- In zweidimensionalen Räumen hat
stets den Index 1 und ist ein parabolisches Oval, das heißt die maximale Dimension enthaltener Teilräume ist 0, Einzelpunkte sind die größten enthaltenen Teilräume. In der affinen Klassifikation unterscheidet man 3 Typen: Ellipse, Parabel und Hyperbel, diese sind aber im projektiven Abschluss äquivalent.
- In dreidimensionalen Räumen hat
den Index 1 oder 2.
- Beim Index 1 ist
elliptisch. Es handelt sich dann in der affinen Klassifikation um ein Ellipsoid, ein Paraboloid oder um ein zweischaliges Hyperboloid, die jeweils wieder projektiv äquivalent sind.
- Beim Index 2 ist
hyperbolisch: Es handelt sich in der affinen Klassifikation um ein einschaliges Hyperboloid. Durch jeden Punkt von
– und dies gilt auch im projektiven Abschluss – gehen genau zwei
-Geraden. Die Gesamtheit aller
-Geraden zerfällt in zwei Scharen, deren jede die Fläche
als Regelfläche erzeugt.
- Beim Index 1 ist
Lösungsanzahlen für homogene quadratische Gleichungen
- Die Gleichung
beschreibt in jeder projektiven Ebene über einem Körper
eine projektive Quadrik, also eine quadratische Menge
. Diese ist – sofern die Charakteristik von
nicht 2 ist – nie ausgeartet.
- Ist
der endliche Körper mit q Elementen (q ungerade), dann gilt:
- Die Gleichung
besitzt eine nichttriviale Lösung, die quadratische Menge
hat den Index 1 und ist also ein Oval.
enthält genau
projektive Punkte, drei verschiedene Punkte in
sind nie kollinear.
- Die Gleichung
hat genau
nichttriviale Lösungen.
- Die Gleichung
Fano-Ebene
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In der Fano-Ebene, der projektiven
Ebene über dem Körper mit 2 Elementen ,
ist die Nullstellenmenge der Quadrik
gleich der Nullstellenmenge der Geradengleichung
.
Die zugehörige quadratische Menge ist also eine Gerade und wie die Quadriken
und
,
die ebenfalls Geraden beschreiben, ausgeartet.
Dagegen ist
eine nicht zu den genannten äquivalente Quadrik. Ihre Erfüllungsmenge besteht
genau aus den projektiven Punkten, für die genau eine Koordinate ungleich 0 ist,
vergleiche die Abbildung, die quadratische Menge ist ein Oval. Der Mittelpunkt
des Dreiecks im Modell ist der Schnittpunkt aller drei Tangenten, also bilden
die Ecken zusammen mit dem Mittelpunkt ein Hyperoval. Alle Ovale und Hyperovale
in der Fano-Ebene gehen durch eine Projektivität
aus diesem Oval bzw. Hyperoval hervor. Hyperovale sind genau die Komplemente
der sieben Geraden, das sind alle vollständigen
Vierecke der Fano-Ebene. Lässt man aus einem solchen Hyperoval einen
beliebigen Punkt fort, so erhält man ein neues, zu dem dargestellten
äquivalentes Oval.
Literatur
- Albrecht Beutelspacher, Ute Rosenbaum: Projektive Geometrie. Von den Grundlagen bis zu den Anwendungen (= Vieweg Studium: Aufbaukurs Mathematik). 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2004, ISBN 3-528-17241-X.
Anmerkungen
- ↑ Tatsächlich ist der Begriff „quadratische Menge“ in vielen Fällen echt umfassender als „projektive Quadrik“ und damit nicht gleichwertig zu diesem analytischen Begriff. Gleichwertig sind die Begriffe in endlichen, desarguesschen Fano-Ebenen, beachte dazu die Beispiele im vorliegenden Artikel.
- ↑
ist in diesem Artikel durchgehend eine solche Geometrie.
- ↑ a b Aus der Definition folgt, dass ein Oval bzw. Ovoid eine nichtausgeartete quadratische Menge der Ebene bzw. des Raumes ist.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.10. 2021