Cardanische Formeln
Die cardanischen Formeln sind Formeln zur Lösung reduzierter kubischer Gleichungen (Gleichungen 3. Grades). Damit werden alle Nullstellen eines gegebenen kubischen Polynoms berechnet. Die Formeln wurden, zusammen mit Lösungsformeln für quartische Gleichungen (Gleichungen 4. Grades), erstmals 1545 von dem Mathematiker Gerolamo Cardano in seinem Buch Ars magna veröffentlicht. Entdeckt wurde die Lösungsformel für die reduzierten kubischen Gleichungen von Nicolo Tartaglia; laut Cardano sogar noch früher durch Scipione del Ferro. Von Cardano selbst stammt die Methode zur Reduzierung der allgemeinen Gleichung dritten Grades auf diesen Spezialfall.
Die cardanischen Formeln waren eine wichtige Motivation für die Einführung der komplexen Zahlen, da man im Fall des casus irreducibilis (lat. für „nicht zurückführbarer Fall“) durch das Ziehen einer Quadratwurzel aus einer negativen Zahl zu reellen Lösungen gelangen kann. Diesen Fall zu lösen schaffte erst Franciscus Vieta um 1600 mittels der Trigonometrie.
Die cardanischen Formeln besitzen heute für eine rein numerische, d. h. angenäherte Lösung kubischer Gleichungen kaum noch eine praktische Bedeutung, da sich die Lösungen näherungsweise bequemer durch das Newton-Verfahren mittels elektronischer Rechner bestimmen lassen. Sie sind dagegen für eine exakte Berechnung der Lösungen in Radikalen von erheblicher Bedeutung. Der Nachweis, dass es keine entsprechenden Formeln für Gleichungen fünften und höheren Grades geben kann, hat allerdings die Entwicklung der Algebra entscheidend beeinflusst (siehe Galoistheorie).
Reduzierung der allgemeinen Gleichung dritten Grades
Die allgemeine Gleichung dritten Grades
mit reellen Zahlen , , , und kann durch Division durch zunächst in die Normalform
gebracht werden mit , und .
Mit Hilfe der Substitution wird in der Normalform das quadratische Glied beseitigt, und man erhält die reduzierte Form:
wobei
- und
Die reduzierte Form wird nun mit Hilfe der cardanischen Formel aufgelöst und anschließend durch Rücksubstitution die Lösungen der ursprünglichen Gleichung bestimmt.
Die cardanische Formel zur Auflösung der reduzierten Form
Im Unterschied zur quadratischen Gleichung ist es bei der kubischen Gleichung erforderlich, komplexe Zahlen zu betrachten, und zwar auch dann, wenn alle drei Lösungen reell sind.
Die drei Lösungen ergeben sich durch die Substitution :
Dann
ist
und Koeffizientenvergleich liefert:
und .
Es ergibt sich also das Gleichungssystem
und .
Nach dem Satz
von Vieta sind
und
Lösungen der so genannten quadratischen Resolvente
.
Also erhält man
- wobei
die Diskriminante (der kubischen Gleichung) ist. Zu ihrer Herleitung siehe unten. Die beiden komplexen dritten Wurzeln und müssen dabei so gewählt werden, dass die Nebenbedingung erfüllt ist (dadurch gibt es statt neun nur drei Paare ).
Die beiden anderen dritten Wurzeln ergeben sich dann jeweils durch Multiplikation mit den beiden primitiven dritten Einheitswurzeln
- und .
Wegen der Nebenbedingung ergeben sich die drei Lösungen der reduzierten Form zu
Das Lösungsverhalten hängt entscheidend vom Vorzeichen der Diskriminante ab:
- : Es gibt genau eine reelle Lösung und zwei echt komplexe Lösungen (Grafik: Fall B).
- : Es gibt entweder eine doppelte reelle Lösung und eine einfache reelle Lösung (Fall C) oder eine dreifache reelle Lösung (Fall A).
- : Es gibt drei unterschiedliche reelle Lösungen (Fall D).
Im Fall gibt es für den Verlauf des zugehörigen Graphen zwei Möglichkeiten: entweder (Fall B) oder streng monoton wachsend (nicht im Bild dargestellt).
Δ > 0
Man wählt für und jeweils die reellen Wurzeln. Es gibt genau eine reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen, die nach den obigen Formeln durch
gegeben sind.
Somit erhält man die Lösungen
Allerdings ist das Ausziehen der Kubikwurzeln nicht immer so einfach. Cardano führt als Beispiel an: . Hierbei wählen wir und reell. Somit ergibt sich und . Für die Techniken zum Ausziehen von verschachtelten Wurzeln sei auf die Fachliteratur verwiesen.
Δ = p = 0
(Dann ist auch .)
In diesem Fall ist
die einzige (dreifache) Lösung, und es gilt:
Δ = 0 und p ≠ 0
(Dann ist auch .)
In diesem Fall wählt man
reell. Nach den obigen Formeln gibt es dann eine einfache reelle Lösung
- ,
und eine doppelte reelle Lösung
- .
Somit erhält man die Lösungen
Δ < 0 (casus irreducibilis)
Man wählt und jeweils konjugiert komplex zueinander, so ergeben sich dann durch drei unterschiedliche reelle Lösungen.
Bei der Bestimmung von müssen jedoch dritte Wurzeln aus echt komplexen Zahlen (z.B. mit Hilfe des Satzes von de Moivre) berechnet werden. Deshalb wird dieser Fall casus irreducibilis genannt. Mithilfe der trigonometrischen Funktionen können die Lösungen jedoch auch reell berechnet werden: Nach den Additionstheoremen gilt für alle α die Beziehung
Schreibt man
mit Hilfe des Ansatzes um, ergibt sich
Setzt man hierin ein, dann entsteht
Dabei wurde gewählt, so dass der Klammerausdruck in (2) verschwindet. Es ergibt sich
mit ganzen Zahlen .
Einsetzen in liefert mit und die folgenden drei Lösungen:
Die Gleichung hat also die folgenden drei Lösungen:
Herleitung der Diskriminante über die Differenzialrechnung
Dazu muss man in die Differenzialrechnung überleiten. Wie in der Graphik zu erkennen ist, kann die Gleichung nur dann genau eine reelle Lösung und zwei echt komplexe Lösungen besitzen, wenn beide Extremstellen oberhalb oder unterhalb der -Achse liegen oder keine Extremstellen existieren, im Falle drei verschiedener reeller Lösungen befindet sich der Hochpunkt (Extremstelle: Maximum) oberhalb und der Tiefpunkt (Extremstelle: Minimum) unterhalb der -Achse und im Falle mehrfacher reeller Nullstellen befinden sich Extremstellen auf der -Achse. Diese sind im Falle einer doppelten Nullstelle Hoch- bzw. Tiefpunkte und im Falle einer dreifachen Nullstelle Sattelpunkte.
Extremstellen besitzen die Eigenschaft, dass dort die Funktion weder steigt noch fällt, sondern ihre Steigung genau null ist. Die Steigung einer Funktion im Punkt ergibt sich aus der Gleichung:
- (mit )
meint die erste Ableitungsfunktion.
beschreibt die zweite Ableitungsfunktion.
gilt genau dann, wenn ein Wendepunkt vorliegt.
Im Falle
liegt ein Sattelpunkt vor.
Schreiben wir als Funktion , so sieht diese wie folgt aus:
Deren erste und zweite Ableitung sind:
- und
- .
Löst man die beiden Differenzialgleichungen:
- Extremstellen: und
- Wendepunkte: ,
so erhält man:
- und
- .
Deren Funktionswerte sind:
und .
Die erste Lösung lässt sich folgendermaßen umformen:
In Fall (2) und (3) darf man nicht problemlos quadrieren, da sich nach der Quadrierung das Relationszeichen gemäß der Inversionsregel umkehren kann. wiederum kann positiv oder negativ sein, sodass man mit Hilfe von („Betrag von q“) vorgehen soll. Insgesamt sind vier Teilfälle zu unterscheiden. In den Teilfällen (a) und (b) ist jeweils die linke Seite positiv, in den Teilfällen (c) und (d) ist jeweils die linke Seite negativ.
Zuerst der Fall (2):
- Linke Seite > 0, q > 0
- Linke Seite > 0, q ≤ 0
- ist eine falsche Aussage
- Linke Seite ≤ 0, q > 0
- ist immer wahr
- Linke Seite ≤ 0, q ≤ 0
Der Fall (3) führt zu analogen Ergebnissen, nur in veränderter Reihenfolge.
Aus der Umformulierung der Gleichungen (erst Division durch 4, danach bringt man den linken Ausdruck mit auf die rechte Seite) ergibt sich:
Komplexe Koeffizienten
Das Vorgehen ist für komplexe Koeffizienten weitgehend analog, es gibt aber nur zwei Fälle:
- : Dies ist auch im Komplexen das Kriterium für mehrfache Nullstellen. Die oben für diesen Fall angegebenen Formeln gelten unverändert.
- : Die oben für den Fall angegebenen Formeln gelten analog; die beiden dritten Wurzeln sind dabei so zu wählen, dass ihr Produkt ergibt. Das Ausziehen der komplexen dritten Wurzeln auf trigonometrische Weise führt zu einem Lösungsweg, der dem für den Fall , dem casus irreducibilis, angegebenen entspricht. Dabei ist der Winkel an die komplexen Radikanden anzupassen.
Literatur
- Jörg Bewersdorff: Algebra für Einsteiger: Von der Gleichungsauflösung zur Galois-Theorie, Wiesbaden 2004, ISBN 3-528-13192-6
- Heinrich Dörrie: Kubische und biquadratische Gleichungen, München 1948
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.08. 2021