Wurzel (Mathematik)


In der Mathematik versteht man
unter Wurzelziehen oder Radizieren die Bestimmung der Unbekannten
in der Potenz
Hierbei ist
eine natürliche
Zahl (meist größer als 1) und
ein Element aus einem Körper
(häufig eine nichtnegative reelle
Zahl). Das Ergebnis des Wurzelziehens bezeichnet man als Wurzel oder
Radikal (von lat.
radix „Wurzel“). Das Radizieren ist eine Umkehrung des Potenzierens.[1]
Im Fall
spricht man von Quadratwurzeln,
bei
von Kubikwurzeln.
Wurzeln werden mit Hilfe des Wurzelzeichens
notiert, im Beispiel ist
die Wurzel bzw. das Radikal.
Definition, Sprech- und Schreibweisen
Es sei
eine natürliche Zahl. Ist
eine nichtnegative reelle Zahl, so besitzt die Gleichung
genau eine nichtnegative reelle Lösung. Diese wird als -te
Wurzel aus
bezeichnet. Man schreibt dafür:
Hierbei bezeichnet man
als Wurzel, Radikal oder Radix,
als Wurzelzeichen,
als Wurzelexponent,
als Radikand.[2]
Im Spezialfall
erhält man
.
Quadrat- und Kubikwurzel
Üblicherweise wird die zweite Wurzel als Quadratwurzel oder einfach nur als die Wurzel bezeichnet und der Wurzelexponent weggelassen:
Die Wurzel mit dem Wurzelexponenten 3 (dritte Wurzel) bezeichnet man auch als Kubikwurzel.
Beispiel:
(Sprich: Die dritte Wurzel aus 8 ist 2 oder Die Kubikwurzel aus 8 ist 2)
Mathematische Grundlagen
Die folgende Beschreibung des Radizierens als einer rechtseindeutigen
Wurzelfunktion bezieht sich auf den angeordneten Körper
der reellen Zahlen, also
gewissermaßen auf die Schulmathematik.
Ein allgemeinerer Wurzelbegriff, der den hier beschriebenen umfasst, wird im
Artikel Adjunktion
(Algebra) behandelt.[3]
Zusammenhang mit Potenzen
Das Radizieren mit dem Wurzelexponenten
und das Potenzieren mit dem Exponenten
heben sich gegenseitig auf. Gemäß obenstehender Definition der Wurzel gilt für
alle reellen Zahlen
und für alle natürlichen Zahlen
:
Das Radizieren mit dem Wurzelexponenten
wirkt wie das Potenzieren mit dem Exponenten
.
Nach den Rechenregeln für Potenzen gilt nämlich:
Daher kann das Radizieren mit dem Wurzelexponenten n auch als Potenzieren mit dem Exponenten 1/n interpretiert werden:
Eindeutigkeit von Wurzeln aus positiven Zahlen
Obwohl die eingangs genannte Fragestellung bei geradzahligen Wurzelexponenten
und positiven Radikanden zwei Lösungen mit unterschiedlichen Vorzeichen besitzt,
steht die Schreibweise mit dem Wurzelzeichen
grundsätzlich für die positive Lösung.[4][5]
Beispielsweise hat die Gleichung
die beiden Lösungen
und
.
Der Term
hat jedoch den Wert +2 und nicht den Wert −2. Allgemein gilt daher für
geradzahlige Wurzelexponenten
Wurzeln aus negativen Zahlen
Die Behandlung von Wurzeln aus negativen Zahlen ist nicht einheitlich. Es gilt beispielsweise
und
ist die einzige reelle Zahl, deren dritte Potenz
ist. Allgemein ergeben sich für ungerade Potenzen negativer Zahlen wieder
negative Zahlen.
Bezüglich der ungeraden Wurzeln aus negativen Zahlen werden folgende Positionen vertreten:
- Wurzeln aus negativen Zahlen sind generell nicht definiert. Beispielsweise
ist
also undefiniert. Die Lösung der Gleichung
wird geschrieben als
.
- Wurzeln aus negativen Zahlen sind definiert, wenn der Wurzelexponent eine
ungerade Zahl ist (3, 5, 7, …). Für ungerade Zahlen
gilt generell
-
.
- Diese Festlegung ist mit manchen Eigenschaften der Wurzeln, die für
positive Radikanden gelten, nicht vereinbar. Beispielsweise ist
- Auch funktioniert diese Festlegung nicht mit der Gleichung
, da der (natürliche) Logarithmus von negativen Zahlen nicht definiert ist (
darf also nicht negativ sein).
Wurzeln zu geraden Exponenten aus negativen Zahlen können keine reellen
Zahlen sein, weil gerade Potenzen reeller Zahlen nie negativ sind. Es gibt keine
reelle Zahl ,
sodass
,
somit kann man auch keine Wurzel
finden, die in den reellen Zahlen liegt. Der Bedarf für Wurzeln aus negativen
Zahlen führte zur Einführung der komplexen
Zahlen;
allerdings gibt es beim Wurzelbegriff im Bereich der komplexen Zahlen gewisse
Schwierigkeiten mit der eindeutigen Auszeichnung einer der Wurzeln, siehe
unten.
Irrationale Wurzeln aus ganzen Zahlen
Ist
eine nichtnegative ganze Zahl und
eine positive ganze Zahl, so ist
entweder eine ganze oder eine irrationale Zahl. Das beweist man durch Anwendung
der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung:
Ist ,
so ist
,
also eine ganze Zahl. Sonst gibt es eine bis auf die Reihenfolge der Faktoren
eindeutige Primfaktorzerlegung
mit paarweise verschiedenen Primzahlen
und positiven ganzen Exponenten
.
Sind alle
für
durch
teilbar, so ist
,
also eine ganze Zahl.
Zu zeigen ist jetzt noch: Gibt es mindestens ein
mit
,
so dass
nicht durch
teilbar ist, so ist
irrational. Der Beweis für die Irrationalität erfolgt indirekt, also durch
Widerlegen der gegenteiligen Annahme wie beim Beweis
der Irrationalität der Wurzel aus 2 bei Euklid, der im Wesentlichen der
Spezialfall
dieses Beweises ist.
Angenommen,
wäre rational. Dann könnte man die Zahl als Bruch zweier natürlicher Zahlen
und
schreiben:
.
Durch Potenzieren der Gleichung erhält man
und daraus folgt
.
Der Primfaktor
kommt in
bzw.
jeweils
-mal
so oft vor wie in
bzw.
,
jedenfalls in einer durch
teilbaren Vielfachheit, wobei natürlich auch das 0-malige Auftreten zugelassen
ist. In
kommt er voraussetzungsgemäß in der nicht durch
teilbaren Vielfachheit
vor. Also kommt er auf der linken Seite dieser Gleichung nicht in einer durch
teilbaren Vielfachheit vor, auf der rechten hingegen schon, und wir erhalten
einen Widerspruch zur Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung. Daher ist
irrational.
Die Wurzelgesetze
Die Rechenregeln für Wurzeln ergeben sich aus jenen für Potenzen.
Für positive Zahlen
und
und
gelten die folgenden Rechengesetze:
- Produktregel:
- Quotientenregel:
- "Verschachtelungsregel" oder Iterationsregel:
- Definition für gebrochenen Exponenten:
- Definition für negativen Exponenten:
- Bei gleichem Radikand gilt:
Bei negativen Zahlen
und
dürfen diese Rechengesetze nur angewendet werden, wenn
und
ungerade Zahlen sind. Bei komplexen Zahlen sind sie gänzlich zu vermeiden, bzw.
gilt die Gleichheit nur bei geeigneter Wahl der Nebenwerte. Anders gesagt:
werden in einem Beispiel auf der linken Seite irgendwelche Wurzeln (bspw. nur Hauptwerte)
ausgewählt, so gibt es für die rechte Seite geeignete Nebenwerte, die die
Gleichheit erfüllen – linke und rechte Seite unterscheiden sich um eine Einheitswurzel.
Grenzwerte
Es gelten die folgenden Grenzwerte:
für
- Dies folgt aus der Ungleichung
, die man mit Hilfe des binomischen Lehrsatzes zeigen kann.
, wobei
eine beliebige, aber feste natürliche Zahl ist.
,
- wie aus der Exponentialdarstellung von
hervorgeht.
Wurzelfunktionen
Funktionen der Form
oder allgemeiner
heißen Wurzelfunktionen. Sie sind Potenzfunktionen,
es gilt .
Berechnung
Wurzeln können durch schriftliches Wurzelziehen bestimmt werden. Dieses Verfahren ähnelt der schriftlichen Division und basiert auf den binomischen Formeln. Es wurde bis in die 1960er Jahre am Gymnasium noch gelehrt, ist heute jedoch von geringer praktischer Bedeutung.
Rückführung auf andere Funktionen
Höhere Wurzeln aus positiven Zahlen
kann man wie jede Potenz durch Exponentialfunktion
und Logarithmus ausdrücken:
Numerische Berechnung
Um einen Näherungswert für eine Wurzel zu erhalten, kann man mehrere Verfahren anwenden. Dazu gehören unter anderem das Intervallhalbierungsverfahren.
Ein weiteres Näherungsverfahren zur Berechnung von
ergibt sich, indem man mit dem Newton-Verfahren eine
Nullstelle der Funktion
annähert:
- Wähle einen (möglichst guten) Startwert
- Iteriere nach der Vorschrift
Für
erhält man gerade das Heron-Verfahren.
Beispiel für eine Näherung für
nach dem obigen Iterationsverfahren:
Die Iterationsvorschrift lautet mit
und
.
Mit dem Startwert
erhält man:
Startwert: | 2,000000000000 |
Schritt 1: | 1,500000000000 |
Schritt 2: | 1,296296296296 |
Schritt 3: | 1,260932224741 |
Schritt 4: | 1,259921860565 |
Schritt 5: | 1,259921049895 |
Schritt 6: | 1,259921049894 |
Methode der „Rechenkünstler“
Man kann, wie es Rechenkünstler machen, eine Wurzel auch durch Abschätzung und Anwendung elementarer Zahlentheorie bestimmen, sofern bekannt ist, dass die Wurzel eine natürliche Zahl ist. Das lässt sich besonders gut am Beispiel der dritten Wurzel zeigen. Dazu muss man zwei Dinge wissen, nämlich die Größenordnung der Kubikzahlen, und die letzte Ziffer der Zahl:
|
|
Beispiele:
- Die dritte Wurzel von 103.823:
Die Zahl liegt zwischen 64.000 und 125.000, deshalb muss die Zehnerstelle der dritten Wurzel 4 sein. Die letzte Ziffer der Zahl ist eine 3, demnach ist die dritte Wurzel von 103.823 abgeschätzt 47. - Die dritte Wurzel von 12.167:
Die Zahl liegt zwischen 8.000 und 27.000, deshalb muss die Zehnerstelle der dritten Wurzel 2 sein. Die letzte Ziffer der Zahl ist eine 7, demnach ist die dritte Wurzel von 12.167 abgeschätzt 23.
Das Ganze funktioniert aber nur dann, wenn man davon ausgehen kann, dass es sich bei der vorgegebenen Zahl um die dritte Potenz einer natürlichen Zahl handelt.
Bei den Aufgaben der Rechenkünstler geht es natürlich um viel höhere Potenzen mehrstelliger Zahlen – zum Beispiel die Berechnung der 25. Wurzel aus 880.794.982.218.444.893.023.439.794.626.120.190.780.624.990.275.329.063.400.179.824.681.489.784.873.773.249 (Lösung: 1729) und extremere Aufgaben.
Wurzeln aus komplexen Zahlen


Die komplexen
Zahlen
werden definiert durch die Adjunktion
der Lösung (Wurzel)
der Gleichung
zu den reellen Zahlen
.
Fasst man die komplexen Zahlen als Ebene
auf, in der die reellen Zahlen als eine ausgezeichnete Gerade
die Ebene in zwei Halbebenen teilt und die positiven Zahlen sich rechts
befinden, dann wird die Zahl
in die obere und
in die untere Halbebene platziert. Gleichzeitig mit dieser Orientierung wird der
Nullpunkt
durch die Funktion
für wachsendes reelles
im mathematisch
positiven Sinn (also entgegen dem Uhrzeigersinn) umlaufen, so dass
ist. Mit dieser Maßgabe lassen sich inhärent mehrdeutige Wurzeln im Komplexen
auf eindeutige Real- und Imaginärteile (Hauptwerte)
festlegen. Gleichwohl ist bei der Anwendung der Wurzelgesetze
die dort erwähnte Sorgfalt zu beachten.
Als die -ten
Wurzeln einer komplexen
Zahl
bezeichnet man die Lösungen der Gleichung
.
Ist
in der Exponentialform
dargestellt, so sind die
-ten
Wurzeln aus
genau die
komplexen Zahlen
Der Sonderfall
wird als
-te
Kreisteilungsgleichung bezeichnet, die Lösungen als
-te
Einheitswurzeln. Die
Bezeichnung „Kreisteilungsgleichung“ erklärt sich, wenn man ihre Lösungen in der
Gaußschen Ebene betrachtet: die
-ten
Einheitswurzeln teilen den Kreis mit dem Radius
und dem Koordinatenursprung als Mittelpunkt in
gleiche Teile, sie bilden die Eckpunkte eines in den Kreis einbeschriebenen
regulären
-Ecks.
Anders als bei reellen Zahlen kann man nicht so einfach eine der Wurzeln als
die Wurzel auszeichnen; dort wählt man die einzige nichtnegative Wurzel.
Man kann jedoch eine (holomorphe)
-te
Wurzelfunktion für komplexe Zahlen, die keine nichtpositiven reellen Zahlen
sind, über den Hauptzweig des komplexen
Logarithmus definieren:
Die so ausgezeichnete Wurzel bezeichnet man auch als Hauptwert, die anderen als Nebenwerte.
Man kann den Logarithmus auch (unstetig) auf die negative reelle Achse
fortsetzen, es gilt dann aber mit der so definierten Wurzelfunktion
beispielsweise
und nicht
.[6]
Literatur
- Hans Kreul, Harald Ziebarth: Mathematik leicht gemacht. 7. Auflage. Verlag Harri Deutsch, 2009, ISBN 978-3-8171-1836-6.
Anmerkungen
- ↑ Die andere Umkehrung ist das Logarithmieren.
- ↑
Der Wurzelexponent
beim Radizieren entspricht dem Logarithmus beim Logarithmieren und dem Exponenten beim Potenzieren. Der Radikand
entspricht dem Numerus (Logarithmand) beim Logarithmieren und dem Ergebnis des Potenzierens
- ↑ Für die Schwierigkeiten mit der Rechtseindeutigkeit s.a. den Wurzeln aus komplexen Zahlen.
- ↑ DIN 1302:1999 Allgemeine mathematische Zeichen und Begriffe
- ↑ EN ISO 80000-2:2020 Größen und Einheiten – Teil 2: Mathematik
- ↑
Dies lässt sich vermeiden mit der Auszeichnung
derjenigen Wurzel unter allen, deren Argument
modulo
den absolut kleinsten Rest liefert. Bei Gleichheit zweier Werte ist dann der in der rechten (positiver Realteil) und der in der oberen Halbebene (positiver Imaginärteil) auszuwählen. Diese Regel ist mit den oben aufgestellten Regeln für reelle Radikanden voll kompatibel. Einige Beispiele:
angegeben:
-
Obwohl und und ist mit den absoluten Resten des Arguments
weil die mittlere Wurzelbei dem gleichen absoluten Rest
einen positiven Realteil hat.
Außerdem bleiben bei dieser Definition die Wurzelgesetze für viele Wurzelexponenten auch bei komplexen Radikanden erhalten, solange für die so ausgewählten Wurzeln die Summen der Reste modulo
der Argumentwerte absolut unterhalb
bleiben.



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 05.06. 2021