Galoistheorie
Die Galoistheorie ist ein Teilgebiet der Algebra. In klassischer Sicht beschäftigt sich die Galoistheorie mit den Symmetrien der Nullstellen von Polynomen (das sind die Lösungen bzw. Wurzeln der zugehörigen Polynomgleichung). Diese Symmetrien können grundsätzlich durch Gruppen von Permutationen, also Untergruppen der symmetrischen Gruppe, beschrieben werden. Évariste Galois entdeckte, dass diese Symmetrien Aussagen über die Lösbarkeit der Gleichung erlauben. In moderner Sicht werden Körpererweiterungen mit Hilfe ihrer Galoisgruppe untersucht.
Die Galoistheorie hat viele Anwendungen bei klassischen Problemen, wie etwa »Welche regelmäßigen Polygone lassen sich mit Zirkel und Lineal konstruieren?«, »Warum kann ein Winkel nicht dreigeteilt werden?« (wieder nur mit Zirkel und Lineal) und »Warum gibt es keine geschlossene Formel zur Berechnung der Nullstellen von Polynomen fünften oder höheren Grades, die nur mit den vier Grundrechenarten und Wurzelziehen auskommt?« (Der Satz von Abel-Ruffini).
Klassischer Ansatz
Eine »Symmetrie der Nullstellen von Polynomen« ist eine Permutation der Nullstellen, so dass jede algebraische Gleichung über diesen Nullstellen auch dann noch gültig ist, nachdem man die Nullstellen mittels der Permutation vertauscht hat. Diese Permutationen bilden eine Gruppe. Abhängig von den Koeffizienten, die in den algebraischen Gleichungen erlaubt sind, ergeben sich unterschiedliche Galoisgruppen.
Galois selbst beschrieb eine Methode, mit der eine einzelne von den Nullstellen erfüllte Gleichung konstruiert werden kann (die sog. Galois-Resolvente), so dass die Galois-Gruppe aus den Symmetrien dieser einen Gleichung besteht.
Beispiel
Die Galoisgruppe des Polynoms
soll über dem Körper
der rationalen
Zahlen bestimmt werden. Damit sind bei den algebraischen Gleichungen, welche
von den Nullstellen erfüllt werden, nur rationale Zahlen als Koeffizienten
erlaubt.
Die Nullstellen des Polynoms sind
,
,
,
.
Es gibt
Möglichkeiten, diese vier Nullstellen zu permutieren (zu vertauschen), aber
nicht alle diese Permutationen gehören auch zur Galoisgruppe. Dies liegt daran,
dass alle algebraischen Gleichungen mit ausschließlich rationalen Koeffizienten
– die die Variablen
,
,
und
enthalten – auch unter den Permutationen der Galoisgruppe ihre Gültigkeit
bewahren müssen. Betrachtet man beispielsweise
,
so ist diese Gleichung richtig, sofern man keine der Nullstellen miteinander
vertauscht. Unter der Permutation, die
und
gleich lässt und
und
vertauscht, entsteht bei der Gleichung aber eine falsche Aussage. Denn
wird auf
und
auf
abgebildet, aber
ist ungleich
.
Deshalb gehört diese Permutation nicht zur Galois-Gruppe.
Eine weitere Gleichung, welche die Nullstellen erfüllen, ist .
Deshalb können wir
auf
abbilden, da wir auch
haben. Aber wir können nicht
auf
abbilden, da
.
Andererseits können wir
auf
abbilden, obwohl
und
,
da die Gleichung
mit
eine irrationale Zahl als Koeffizient besitzt, so dass diese Gleichung nicht für
die Definition der Galoisgruppe relevant ist.
All diese Anforderungen eliminieren Permutationen aus der Galoisgruppe, so dass diese letztendlich nur die folgenden vier Permutationen enthält und isomorph zur Kleinschen Vierergruppe ist:
oder in Zyklenschreibweise:
(Identität),
,
und
.
Moderner Ansatz
Der moderne Ansatz formuliert die Galoistheorie in der Sprache der algebraischen
Strukturen: Ausgehend von einer Körpererweiterung
definiert man die Galoisgruppe als die Gruppe aller Körperautomorphismen von
,
welche die Elemente von
einzeln festhalten.
Dabei ist
ein Zerfällungskörper
des gegebenen Polynoms, also ein kleinster Erweiterungskörper von
,
in dem das Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Er heißt normaler oder
Galoisscher Erweiterungskörper von
.
Die Galoisgruppe, bestehend aus denjenigen Automorphismen von
,
die den Unterkörper
elementweise fest lassen, lässt damit notwendig auch jeden Term fest, dessen
Wert ein Element aus
ist.
Im Beispiel oben berechnen wir die Galoisgruppe der Körpererweiterung .
Die Kenntnisse über auflösbare Gruppen in der Gruppentheorie
erlaubt uns, herauszufinden, ob ein Polynom durch Radikale auflösbar ist, und
zwar abhängig davon, ob dessen Galoisgruppe auflösbar
ist oder nicht. Jede Körpererweiterung
gehört zu einer Faktorgruppe
der Hauptreihe der Galoisgruppe. Falls eine Faktorgruppe der Hauptreihe zyklisch
von der Ordnung
ist, ist die zugehörige Körpererweiterung eine radikale Erweiterung, und die
Elemente von
können als die
-ten
Wurzeln eines Elements aus
aufgefasst werden.
Wenn alle Faktorgruppen der Hauptreihe zyklisch sind, wird die Galoisgruppe
als auflösbar bezeichnet, und alle Elemente des zugehörigen Körpers können durch
sukzessives Wurzelziehen, Produktbilden und Summieren aus den Elementen des
Grundkörpers (normalerweise )
erhalten werden.
Einer der größten Triumphe der Galoistheorie war der Beweis, dass für jedes
ein Polynom mit Grad
existiert, welches nicht durch Radikale auflösbar ist. Dies beruht auf der
Tatsache, dass für
die Symmetrische Gruppe
einen einfachen nichtzyklischen Normalteiler
enthält.
Hauptsatz der Galoistheorie
Wenn
eine endliche Galoiserweiterung des Körpers
ist, und
die zugehörige Galoisgruppe,
dann ist
galoissch
über jedem Zwischenkörper
,
und es existiert eine inklusionsumkehrende Bijektion
Normale Körpererweiterungen
entsprechen unter dieser Bijektion Normalteilern von
.
Außerdem gilt:
Eine etwas allgemeinere Formulierung wird im Artikel Galoisgruppe erläutert.
Kroneckerscher Satz
Der Kroneckersche Satz zu Galoiserweiterungen des Körpers der rationalen Zahlen ist einer der klassischen Sätze des Mathematikers Leopold Kronecker und gilt als einer der schönsten Sätze der algebraischen Zahlentheorie. Der Satz besagt:[1]
- Jede Galoiserweiterung
mit abelscher Galoisgruppe
ist in einem der Kreisteilungskörper
enthalten.
Verallgemeinerungen
Im Fall einer unendlichen Erweiterung
kann man die Automorphismengruppe
mit der so genannten Krulltopologie
(nach Wolfgang Krull) versehen. Ist
separabel und normal
(also eine Galoiserweiterung), gibt es dann eine natürliche Bijektion zwischen
Teilerweiterungen
und abgeschlossenen Untergruppen von
.
Ist
eine nicht notwendigerweise algebraische unendliche Erweiterung, so gibt es
keine derartige allgemeine Theorie mehr: Ist beispielsweise
ein vollkommener Körper der Charakteristik
,
so ist durch
ein Körperautomorphismus definiert, der so genannte Frobeniushomomorphismus.
Die von
erzeugte Untergruppe
von
ist im Allgemeinen »viel« kleiner als die Gruppe der Automorphismen von
,
aber es gilt
.
Ist
ein algebraischer
Abschluss von
,
so liegt allerdings die vom Frobeniusautomorphismus erzeugte Untergruppe dicht in
,
das heißt ihr Abschluss
ist gleich der Galoisgruppe.
Ist jedoch
eine Körpererweiterung mit
(das impliziert nicht, dass L/K algebraisch und damit insbesondere nicht
galoissch ist), so gilt trotzdem noch:
und
sind zueinander inverse, inklusionsumkehrende Bijektionen zwischen der Menge der
kompakten Untergruppen
von
und der Menge der Zwischenkörper
,
bei denen
galoissch über
ist.
Es gibt auch eine Verallgemeinerung der Galoistheorie für Ringerweiterungen statt Körpererweiterungen.
Das Umkehrproblem der Galoistheorie
Es ist einfach, Körpererweiterungen mit einer beliebigen vorgegebenen endlichen Gruppe als Galoisgruppe zu konstruieren, wenn man den Grundkörper nicht festlegt. Alle endlichen Gruppen treten daher als Galoisgruppen auf.
Dazu wählt man einen Körper
und eine endliche Gruppe
.
Nach dem Satz
von Cayley ist
isomorph zu einer Untergruppe der symmetrischen Gruppe auf den Elementen von
.
Wählt man Variablen
für jedes Element
von
und adjungiert sie zu
,
so erhält man
.
In
enthalten ist der Körper
der symmetrischen rationalen Funktionen in den
.
Dann ist
,
und der Fixkörper
von
unter
hat Galoisgruppe
nach dem Hauptsatz der Galoistheorie.
Das skizzierte Vorgehen stellt die Strategie von Emmy Noether (1918)
für die Lösung des inversen Galoisproblems dar,
wobei sie als Grundkörper
die rationalen Zahlen betrachtete. Ist der Fixkörper M ein
rationaler
Funktionenkörper über den rationalen Zahlen, kann man nach Noether mit dem
Irreduzibilitätssatz
von Hilbert eine Galoissche Körpererweiterung von
konstruieren mit Galoisgruppe
.
Ein Gegenbeispiel für ihre Strategie wurde allerdings 1969 von Richard Swan gefunden. Es
ist ein im Allgemeinen ungelöstes Problem, wie und ob man eine solche
Konstruktion für einen festen Grundkörper, etwa
,
ausführen kann.
Das Umkehrproblem der Galoistheorie ist im Allgemeinen ungelöst und fragt für
einen gegebenen Körper K und speziell
(die rationalen Zahlen) danach, ob jede endliche Gruppe als Galoisgruppe einer
Körpererweiterung von K realisiert werden kann. Falls K ein endlicher Körper
ist, ist dies nicht der Fall, da in diesem Fall die Galoisgruppe zyklisch ist.
Das Umkehrproblem ist aber für jede endliche Gruppe für den Fall des
Funktionenkörpers in einer Variablen über den komplexen Zahlen oder allgemeiner
über algebraisch abgeschlossenen Körpern mit Charakteristik 0 lösbar. Schon für
den Fall der rationalen Zahlen gibt es nur Teilresultate. Für endliche abelsche
Gruppen
wurde es schon im 19. Jahrhundert gelöst (Leopold Kronecker, Heinrich Weber) und es ist auch
für endliche auflösbare Gruppen gelöst (Igor Schafarewitsch). Das Problem ist auch für
die sporadischen Gruppen
über
mit Ausnahme der Mathieugruppe M23 gelöst (für die Mathieugruppen Heinrich Matzat, für
die Monstergruppe John Griggs Thompson, womit gleichzeitig auch die meisten Fälle der sporadischen
Gruppen erledigt waren).
Siehe auch
Anmerkungen
- ↑ Der kroneckersche Satz wird auch mit dem Namen von Heinrich Weber verbunden und als Satz von Kronecker-Weber bezeichnet.



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.12. 2022