Phasenraum
Der Phasenraum [Anm. 1] beschreibt die Menge aller möglichen Zustände eines dynamischen Systems. Ein Zustand wird durch einen Punkt im Phasenraum eindeutig abgebildet. In der Mechanik besteht er aus (verallgemeinerten) Ortskoordinaten (Konfigurationsraum) und zugehörigen (verallgemeinerten) Impulsen (siehe Hamilton-Mechanik).
Hauptteil
Bei
Freiheitsgraden (Anzahl
generalisierter Koordinaten oder Ortskoordinaten) ist der Phasenraum
-dimensional.
Beispielsweise hat ein Gasteilchen im dreidimensionalen Raum
Freiheitsgrade, mit den zugehörigen Impulsen sind das
Phasenraumkoordinaten. Ein System (Gas) von
Teilchen hat einen
-dimensionalen
Phasenraum. Es werden aber auch Phasenräume in anderen Anwendungen außerhalb der
Mechanik untersucht.
Die zeitliche Entwicklung eines Punktes im Phasenraum wird durch Differentialgleichungen beschrieben und durch Trajektorien (Bahnkurven, Orbit) im Phasenraum dargestellt. In der Hamilton-Mechanik sind dies Differentialgleichungen erster Ordnung in der Zeit (kanonische Gleichungen) und durch einen Anfangspunkt eindeutig festgelegt (ist die Hamilton-Funktion zeitunabhängig, sind dies autonome Differentialgleichungen). Dementsprechend kreuzen sich zwei Trajektorien im Phasenraum auch nicht,[Anm. 2] da an einem Kreuzungspunkt der weitere Verlauf nicht eindeutig ist. Geschlossene Kurven beschreiben oszillierende (periodische) Systeme.
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Für Systeme mit bis zu drei Variablen kann der Phasenraum graphisch dargestellt werden. Insbesondere für zwei Variable kann man so die Bewegung (Trajektorien, Phasenraumfluss als Vektorfeld) in einem Phasenraumportrait oder Phasenportrait anschaulich darstellen und qualitativ analysieren (Phasenraumanalyse, Nullklinen und Fixpunkte).
Der historische Ursprung der Verwendung von Phasenräumen wird häufig auf Joseph Liouville
zurückgeführt – wegen des Satzes
von Liouville (1838), dass bei konservativen
Systemen (mit Energieerhaltung) das Phasenraumvolumen benachbarter Trajektorien
zeitlich konstant ist. Liouville hatte aber kein mechanisches System im Auge,
sondern bewies den Satz für allgemeine gewöhnliche Differentialgleichungen
erster Ordnung, die Verbindung zur Mechanik schlug erst Carl Gustav Jacobi vor.
Das Phasenraumkonzept entstand erst, nachdem im weiteren Verlauf des
19. Jahrhunderts die Geometer zur Betrachtung höherdimensionaler Räume
übergegangen waren und die erste Verwendung des Phasenraums im heutigen Sinn war
bei Ludwig Boltzmann 1872
im Rahmen seiner Untersuchungen der statistischen
Mechanik, was 1879 von James
Clerk Maxwell übernommen wurde. Das
Konzept fand dann Verwendung in den Vorlesungen von Boltzmann und
Josiah Willard Gibbs zur statistischen Mechanik, im Artikel zur statistischen Mechanik in
der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften von 1911 von Paul Ehrenfest und Tatjana Ehrenfest
(die die Bezeichnung
für den Phasenraum einführten) und in der qualitativen Theorie der
Differentialgleichungen durch Henri Poincaré.
Ein dynamisches System, dessen Trajektorien den gesamten Phasenraum ausfüllen, also jedem Punkt im Phasenraum beliebig nahe kommen, nennt man ergodisch, siehe auch Ergodenhypothese. Bei konservativen mechanischen Systemen (abgeschlossene Systemen) ist nach dem Satz von Liouville das Phasenraumvolumen benachbarter Trajektorien zeitlich konstant, bei dissipativen Systemen nimmt es ab (offene Systeme).
Mathematisch ist der Phasenraum der Hamiltonschen Mechanik ein Beispiel für eine Symplektische Geometrie und die Hamiltonsche Mechanik nach den Worten von Wladimir Arnold ist die Geometrie des Phasenraums. Da die Impulse als Ableitungen der Hamiltonfunktion nach den generalisierten Koordinaten definiert sind, ist der Phasenraum dort ein Kotangentialbündel über dem Konfigurationsraum.
In der Quantenmechanik drückt die Heisenbergsche Unschärferelation eine Quantisierung des Phasenraums aus. In der älteren Quantentheorie erfolgt dies durch die Bohr-Sommerfeld Quantisierung. Übergänge von Verteilungsfunktionen vom klassischen zum quantenmechanischen Phasenraum (und umgekehrt) liefern die Wigner-Funktion und Weyl-Quantisierung.
Beispiel einer Phasenraumanalyse
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Das Phasenraumportrait gibt eine Möglichkeit, die zeitlichen Entwicklungen dynamischer Systeme graphisch zu analysieren. Dazu werden nur die dynamischen Gleichungen des Systems benötigt, eine explizite Darstellung der Zeitentwicklung, etwa durch analytisches Lösen einer Differentialgleichung, ist nicht nötig.
Als Beispiel folgen einige Elemente der Phasenraumanalyse in einem
zweidimensionalen System ,
das durch die Differentialgleichungen (
,
)
beschrieben ist:
- Einzeichnen des Vektorfelds der Dynamik: Für ein Raster von Punkten wird die Richtung der Bewegung im Phasenraum durch Pfeile dargestellt. Folgt man nun ausgehend von einem bestimmten Startpunkt dem Pfeil, kommt man zu einem neuen Punkt, wo man dieses Vorgehen wiederholen kann. So kann man anhand des Vektorfelds zusätzlich typische Trajektorien in das Phasenraumportrait einzeichnen, die das qualitative Verhalten der zeitlichen Entwicklung einzuschätzen helfen. Beim van-der-Pol-Oszillator zum Beispiel laufen alle Trajektorien auf einen Grenzzyklus zu, was sich anhand von Beispieltrajektorien innerhalb und außerhalb des Zyklus illustrieren lässt. Für einfache dynamische Systeme kann man Vektorfeld und Beispieltrajektorien oft mit der Hand einzeichnen, bei komplexeren Systemen kann dies durch Computerprogramme geschehen.
- Einzeichnen der Nullklinen: Eine Nullkline bezeichnet eine Kurve im
Phasenraum, entlang der sich eine der dynamischen Variablen nicht ändert. Im
Fall des obigen zweidimensionalen Systems ist die x-Nullkline durch die
Bedingung
und die y-Nullkline durch
definiert. Diese Gleichungen lassen sich häufig auch dann nach einer der Variablen auflösen, wenn die Gesamtdynamik nicht analytisch integriert werden kann.
- Bestimmen von Fixpunkten und ihrer Stabilität: Als Fixpunkte
werden Zustände bezeichnet, die sich mit der Zeit nicht ändern. Solche
Fixpunkte entsprechen den Kreuzungspunkten der Nullklinen im Phasenraum.
Im obigen zweidimensionalen System erklärt sich das dadurch, dass an so einem
Kreuzungspunkt die Bedingung
erfüllt ist. Durch eine lineare Stabilitätsanalyse kann auch bestimmt werden, ob Trajektorien in der Nähe dieser Punkte angezogen oder abgestoßen werden.
- Finden von Separatrizen: Als Separatrix (abgeleitet von lat. separare „trennen“) wird eine Kurve bzw. (Hyper-) Fläche bezeichnet, die Phasenraumgebiete mit unterschiedlichem (Langzeit-) Verhalten voneinander trennt. Gibt es beispielsweise zwei Fixpunkte, die Trajektorien anziehen, gibt es unter Umständen eine Separatrix, die die beiden Einzugsbereiche voneinander trennt. Mit den Orten und der Stabilität aller Fixpunkte bzw. mit dem Vektorfeld der Dynamik können in geeigneten Fällen die Separatrizen ohne weitere Berechnungen gefunden werden.
Anmerkungen
- ↑ Der Name erklärt sich daraus, dass bis Anfang des 20. Jahrhunderts Zustände auch Phasen genannt wurden. Er hat weder mit den verschiedenen Phasen einer periodischen Bewegung noch mit den Phasen thermodynamischer Phasenübergänge etwas zu tun.
- ↑ Es kann allerdings der Fall auftreten, dass im Phasenraumportrait zwei Kurven einander schneiden wie die Separatrix beim Pendel, der Kreuzungspunkt wird aber bei der Bewegung auf Trajektorien des Systems nicht erreicht.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 19.01. 2021