Zustand (Mathematik)
Ein Zustand ist ein mathematischer Begriff, der in der Funktionalanalysis untersucht wird. Es handelt sich um bestimmte lineare Funktionale auf reellen oder komplexen Vektorräumen, die in gewisser Weise normiert sind. Oft sind die Definitionen so angelegt, dass die Zustände bezüglich einer Ordnungsstruktur positiv sind, das heißt, dass sie die positiven Elemente dieser Ordnung auf nicht-negative reelle Zahlen abbilden. Ferner bildet der Zustandsraum, das ist die Menge der Zustände, einen topologisch oder geometrisch interessanten Raum.
Involutive Algebren
Der für Anwendungen wichtigste Fall ist der eines Zustandes auf einer
involutiven Algebra, der wie folgt erklärt ist. Es sei
eine normierte
-Algebra,
wobei
für einen der Körper
oder
stehe, auf der zusätzlich eine Involution
definiert sei.
Ein Zustand auf
ist ein stetiges, lineares Funktional
mit
für alle
.
Die Menge aller Zustände heißt Zustandsraum und wird oft mit
bezeichnet (S steht für das englische Wort state für Zustand). Ersetzt
man die Bedingung
durch
,
so spricht man von einem Quasizustand; der Quasizustandsraum
ist die Menge aller Quasizustände. Hat
ein Einselement
,
so fordert man zusätzlich noch
.
Beispiele
Vektorzustände
Sei
eine involutive Unteralgebra von
,
der Algebra der beschränkten,
linearen Operatoren auf einem Hilbertraum
mit Einselement
.
Ist dann
ein Vektor der Norm 1, so definiert dieser durch
für
einen Zustand
auf
,
den sogenannten durch
definierten Vektorzustand, denn es gilt für jedes
und
Hier gilt Gleichheit, denn .
Daher ist
ein Zustand.
Ist
eine Zahl vom Betrag 1, ein insbesondere in der Physik sogenannter Phasenfaktor,
so definieren
und
denselben Zustand, denn für
ist
.
In der Quantenmechanik
identifiziert man auf 1 normierte Hilbertraumvektoren mit quantenmechanischen
Zuständen, meint aber eigentlich die durch sie definierten Vektorzustände, denn
der Messwert einer Observablen
im Zustand
ist
.
Damit wird klar, dass ein Hilbertraumvektor einen Zustand nur bis auf einen
Phasenfaktor, der in der Form
auftritt, eindeutig bestimmt.
Räume von Maßen
Sei
die C*-Algebra der stetigen Funktionen
,
die Involution wird durch die komplexe
Konjugation definiert. Der Dualraum
ist bekanntlich der Raum der signierten
Borelmaße, wobei die
Operation eines solchen Maßes
auf eine stetige Funktion
durch
gegeben ist. Da
,
sind die Zustände auf
genau die positiven Borelmaße mit Totalvariationsnorm
.
Diese Überlegungen können auf beliebige Algebren von C0-Funktionen
verallgemeinert werden.
Lokalkompakte Gruppen
Es sei
die Gruppenalgebra
einer lokalkompakten
Gruppe, das ist die Faltungsalgebra
der bezüglich des Links-Haarmaßes
integrierbaren
Funktionen. Der Dualraum
ist bekanntlich
,
das heißt der Raum der wesentlich
beschränkten Funktionen. Eine
-Funktion
operiert auf
durch die Definition
,
wobei
das Haarsche Maß ist.
ist genau dann ein Zustand auf
,
wenn
stimmt fast überall mit einer stetigen, positiv-definiten Funktion überein.
Dabei heißt eine Funktion
positiv-definit, falls die Matrix
für jede endliche Anzahl von Elementen
positiv
definit ist.
Bedeutung, GNS-Konstruktion
Eine Hilbertraum-Darstellung
einer involutiven
Banachalgebra ist ein *-Homomorphismus
in die Algebra der beschränkten linearen Operatoren auf einem Hilbertraum
.
Der Einfachheit halber nehmen wir an,
habe ein Einselement
und es sei
.
(Hat
kein Einselement, so kann man nötigenfalls eines adjungieren
oder Algebren mit einer Approximation
der Eins betrachten.) Ist nun
ein Vektorzustand auf
und
,
so ist
ein Zustand auf
,
denn
.
Die wesentliche Bedeutung der Zustände resultiert aus der Tatsache, dass man
diese Überlegung umkehren kann, das heißt, man kann von einem Zustand
zu einer Hilbertraum-Darstellung
und einem Vektor
kommen, sodass
für alle
.
Zur Konstruktion, die man nach Israel Moissejewitsch Gelfand,
Mark Neumark und Irving Segal auch
GNS-Konstruktion nennt, bildet man zum Zustand
zunächst das Linksideal
.
Auf dem Faktorraum
wird durch die Formel
ein Skalarprodukt
definiert, das
zu einem Prähilbertraum
macht, dessen Vervollständigung
ein Hilbertraum
ist. Mittels der Linksidealeigenschaft von
kann man zeigen, dass jedes
eine stetige, lineare Abbildung
definiert, die sich eindeutig zu einer stetigen, linearen Abbildung
fortsetzt. Die dadurch definierte Abbildung
ist eine Hilbertraum-Darstellung und mit der Definition
folgt die gewünschte Beziehung, denn für
ist
.
Jeder Zustand kann also mittels einer Hilbertraum-Darstellung als Vektorzustand geschrieben werden.
Eigenschaften
C*-Algebren
Für C*-Algebren mit Einselement kann man Zustände ohne Bezugnahme auf die Involution definieren. Für den Zustandsraum gilt
,
die Eigenschaft
folgt automatisch.
Es gilt sogar allgemeiner für C*-Algebren ohne Einselement:
Ist
ein stetiges, lineares Funktional und gilt
für irgendeine 1-beschränkte
Approximation der Eins
von
,
so ist
ein Zustand.
Konvexe Hülle des Spektrums
Da der Zustandsraum
einer C*-Algebra
mit Einselement konvex und schwach-*-kompakt ist, und da für jedes
die Abbildung
linear und schwach-*-stetig ist, ist auch
konvex und kompakt. Man kann zeigen, dass das Spektrum
von
stets in dieser Menge enthalten ist,
das heißt, es gilt
,
wobei
für die konvexe
Hülle einer Menge steht. Für normale
Elemente gilt Gleichheit,
im Allgemeinen ist die Inklusion aber echt, wie das Beispiel
zeigt. Das Spektrum dieses nilpotenten
Elements
ist
,
stimmt also mit der eigenen konvexen Hülle überein, aber für den Einheitsvektor
ist
nicht in der konvexen Hülle des Spektrums enthalten.
Besondere Zustände
Normale Zustände
Auf Von-Neumann-Algebren hat man neben der Normtopologie weitere Operatortopologien und es ist daher von Interesse, welche Zustände bzgl. dieser Topologien stetig sind. Die ultraschwach-stetigen Zustände heißen normal, es sind genau diejenigen, die sich als abzählbare Summe von Vielfachen von Vektorzuständen schreiben lassen. Sie können auf verschiedene Weisen charakterisiert werden und spielen eine wichtige Rolle in der Theorie der Von-Neumann-Algebren, insbesondere auch deshalb, weil die GNS-Konstruktion zu einem Homomorphismus zwischen Von-Neumann-Algebren führt.
Treue Zustände
Ein Zustand
heißt treu, wenn aus
schon
folgt. In diesem Fall ist das Linksideal
aus der GNS-Konstruktion gleich dem Nullideal und die Konstruktion vereinfacht
sich erheblich, die konstruierte Darstellung ist treu, das heißt injektiv. Auf
separablen C*-Algebren
gibt es stets treue Zustände.
Die Existenz treuer, normaler Zustände charakterisiert die σ-endlichen
Von-Neumann-Algebren.
Reine Zustände
Der Quasizustandsraum ist konvex und schwach-*-kompakt, besitzt also nach dem Satz von Krein-Milman viele Extremalpunkte. Die von 0 verschiedenen Extremalpunkte des Quasizustandsraums sind Zustände und heißen reine Zustände, da sie nicht Mischungen, das heißt Konvexkombinationen, anderer Zustände sein können.
Im Falle kommutativer C*-Algebren
sind die reinen Zustände genau die *-Homomorphismen
.
Im Falle nicht-kommutativer C*-Algebren sind die reinen Zustände genau
diejenigen, deren GNS-Konstruktion zu irreduziblen
Darstellungen führen.
Banachalgebren
Die Charakterisierung der Zustände auf einer C*-Algebra mit Einselement als
solche stetigen, linearen Funktionale, für die
gilt, lässt sich auf beliebige Banachalgebren
mit Einselement übertragen. Man definiert
,
für ein
heißt Zustandsraum,
numerischer
Wertebereich. Wie schon im oben beschriebenen Fall der C*-Algebren ist
eine konvexe, kompakte Teilmenge der komplexen Ebene, die das Spektrum von
umfasst. Diese Begriffsbildung hat viele Anwendungen in der Theorie der
Banachalgebren,
sie führt insbesondere zu Charakterisierungen der C*-Algebren unter allen
Banachalgebren (Satz
von Vidav-Palmer).
Geordnete Vektorräume
Ist
ein geordneter
Vektorraum mit einer Ordnungseinheit
,
so nennt man ein lineares Funktional
einen Zustand, falls
und
für alle
.
Der Zustandsraum, das heißt die Menge aller Zustände, ist konvex, die
Extremalpunkte dieser Menge heißen reine Zustände. Ein Zustand ist genau dann
rein, wenn für jedes lineare Funktional
mit
für alle
schon folgt, dass
.
Nimmt man als
den Raum der selbstadjungierten
Elemente einer C*-Algebra mit Einselement
,
so fungiert
auch als Ordnungseinheit. Man befindet sich damit in der oben beschriebenen
Situation der Zustände auf C*-Algebren.
Geordnete Gruppen
Der Begriff des Zustands kann sogar auf geordnete
abelsche Gruppen verallgemeinert werden. Ist
eine solche Gruppe mit positiver Halbgruppe
und ist darin eine Skala
ausgezeichnet, so heißt eine Abbildung
ein Zustand, falls
ist ein Gruppenhomomorphismus in die additive gruppe der reellen Zahlen,
,
.
Der für die C*-Algebrentheorie wichtige Anwendungsfall ist die K0-Gruppe einer C*-Algebra, insbesondere von AF-C*-Algebren. Zustände der K0-Gruppe gehören zu Spuren auf den AF-C*-Algebren.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 05.09. 2022