Spektralmaß
In der Mathematik, insbesondere in der Funktionalanalysis ist ein Spektralmaß eine Abbildung, die gewissen Teilmengen einer fest gewählten Menge orthogonale Projektionen eines Hilbertraums zuordnet. Spektralmaße werden verwendet, um Ergebnisse in der Spektraltheorie linearer Operatoren zu formulieren, wie z. B. den Spektralsatz für normale Operatoren. Daneben wird der Begriff, jedoch mit anderer Bedeutung, in der Stochastik verwendet.
Definition
Es seien
ein Messraum,
ein reeller bzw. komplexer Hilbertraum,
der Banachraum der stetigen linearen
Operatoren auf
und
die Menge der orthogonalen Projektoren
von
.
Ein Spektralmaß für das Tripel
ist eine Abbildung
mit den folgenden Eigenschaften:
- Es gilt
. Dabei ist
die Identität auf
.
- Für jedes
ist
, d.h.
ist Projektor-wertig.
- Für alle
ist
mit
ein komplexes bzw. signiertes Maß auf
.
Das Quadrupel
heißt ein Spektralmaßraum.
Häufig wird die auf diese Weise definierte Abbildung
auch als Zerlegung der Einheit
(engl.: resolution of identity) bezeichnet. Auch ist es üblich von einem
Projektor-wertigen Maß (engl.: projection-valued measure, häufig
kurz PVM) zu sprechen.
Ist
ein topologischer
Raum,
seine Topologie und
seine Borelalgebra,
so heißt ein Spektralmaß
,
dem der Borelsche Messraum
zugrunde liegt, ein Borelsches Spektralmaß. Ist speziell
bzw.
,
so heißt das Borelsche Spektralmaß ein reelles bzw. komplexes Spektralmaß. Der
Träger eines Borelschen Spektralmaßes ist als
definiert. Dies ist das Komplement der größten offenen Teilmenge
von
,
für die
ist.
Eigenschaften
Es sei
ein Spektralmaß für das Datum
.
Dann gelten die folgenden Aussagen:
- Modularität: Es gilt
für alle
.
- Multiplikativität: Es gilt
für alle
. Insbesondere kommutieren die Projektoren
und
miteinander und das Bild von
ist senkrecht zum Bild von
, wenn
gilt.
Insbesondere ist jedes Spektralmaß ein endlich additives vektorielles Maß.
Setzt man
für
,
so gilt für alle
aufgrund der Polarisationsidentität
im komplexen Fall bzw.
im reellen Fall. Insbesondere sind die Maße
bekannt, wenn die Maße
bekannt sind, so dass man häufig nur mit diesen arbeitet.
Äquivalente Definition
Häufig findet man die folgende Charakterisierung von Spektralmaßen in der
Literatur als Definition. Eine Abbildung
ist genau dann ein Spektralmaß, wenn
gilt,
projektorwertig ist und
- für jede Folge
von
-messbaren, paarweise disjunkten Mengen
-
- im Sinne der starken
Operatortopologie gilt. Diese Eigenschaft wird gelegentlich als
punktweise
-Additivität bezeichnet.
- im Sinne der starken
Operatortopologie gilt. Diese Eigenschaft wird gelegentlich als
punktweise
Die Bezeichnung Zerlegung der Einheit für
lässt sich nun wie folgt erklären. Ist
eine abzählbare
Zerlegung
von
in
-messbare
Mengen, so gilt
bzw.
wobei
die orthogonale
Summe im Sinne von Hilberträumen der Familie
von abgeschlossenen Unterräumen ist. Dies entspricht der Tatsache, dass die
Eigenräume eines normalen Operators des
eine orthogonale Summenzerlegung von
bilden.
Beispiele
Es sei
ein normaler linearer Operator. Dann ist das Spektrum von
nicht leer und besteht aus den Eigenwerten
von
.
Die Eigenräume zu den paarweise
verschiedenen Eigenwerten von
stehen senkrecht aufeinander und besitzen
als (innere) direkte Summe. Dies ist äquivalent dazu, dass
gilt. Dabei ist
die orthogonale Projektion von
auf den Eigenraum von
zum Eigenwert
.
Aus dieser Darstellung von
erhält man die
„Spektralauflösung“ von
Das Spektralmaß von
ist
.
Ist
ein beliebiger normaler
Operator, so kann das Spektrum von
kontinuierlich sein oder sich in einem Punkt häufen und man ersetzt obige Summe
durch einen kontinuierlichen Summationsbegriff, nämlich durch ein
(operatorwertiges) Integral.
- Jeder normale
Operator
eines Hilbertraumes bestimmt ein Spektralmaß. Nach dem Spektralsatz für normale Operatoren ist der Operator
eindeutig durch dieses Spektralmaß beschrieben.
- Es sei L2[0,1] der
Hilbertraum der im Lebesgueschen
Sinne quadrat-summierbaren Funktionen auf dem Einheitsintervall
und
die Borelalgebra von
. Für eine wesentlich beschränkte Funktion
auf
bezeichne
den durch Multiplikation mit
induzierten Operator auf
. Bezeichnet
die charakteristische Funktion für eine Borelmenge
des Einheitsintervalls und setzt man
, so wird hierdurch ein Spektralmaß
für das Tupel
definiert. Dieses ist das Spektralmaß des Multiplikationsoperators
.
Integration bezüglich eines Spektralmaßes
Es sei
ein Spektralmaßraum. Mithilfe der zu
assoziierten komplexen Maße
kann man für gewisse
-messbare Funktionen
einen (in der Regel unbeschränkten) linearen Operator
des Hilbertraumes
erklären. Dieser Operator wird als Spektralintegral von
und der Prozess, durch den er aus
entsteht, als Integration von
bzgl. des Spektralmaßes
bezeichnet.
Spektralmaß eines normalen Operators
Es seien
ein Hilbertraum und
ein normaler Operator mit Spektrum
.
Dann erklärt man wie folgt ein Spektralmaß
auf der Borelalgebra
von
.
Es sei
der Funktionalkalkül
der beschränkten Borelfunktionen von
.
Da
ein Morphismus von
-Algebren
ist, ist für jede Borelmenge
des Spektrums von
durch
eine orthogonale Projektion von
gegeben. Man kann zeigen, dass
ein Spektralmaß ist, das Spektralmaß des normalen Operators
.
Der Spektralsatz für normale
Operatoren besagt nun, dass
gilt. Dabei steht auf der rechten Seite dieser Gleichung das Spektralintegral
der beschränkten Borelfunktion
bzgl. des Spektralmaßes
.
Spektralschar
Definition der Spektralschar
Eine Familie
von orthogonalen Projektoren
heißt eine Spektralfamilie oder Spektralschar, wenn die folgenden
Bedingungen erfüllt sind:
.
.
- Die Familie
ist rechtsseitig stetig, in dem Sinne dass
gilt.
- Die Familie
ist monoton wachsend: Gilt
, so gilt
. Diese Bedingung ist äquivalent zu der folgenden Bedingung: Für alle
gilt
.
Dabei sind alle auftretenden Limiten im Sinne der starken Operatortopologie, also punktweise zu betrachten.
Beziehung zum Spektralmaß
Der Begriff der Spektralfamilie ging historisch dem Begriff des Spektralmaßes
voraus und wurde von John
von Neumann unter der Bezeichnung Zerlegung der Einheit eingeführt. Der
Zusammenhang zwischen beiden Begriffen ist wie folgt gegeben: Zu jedem
reellen Spektralmaß
gehört genau eine Spektralschar
und umgekehrt. Dabei bestimmen sich das Spektralmaß
und die Spektralschar
gegenseitig durch die Beziehung
Der Träger der Spektralschar
ist die Menge
Mithilfe einer Spektralschar, deren Träger kompakt
ist, kann man in Anlehnung an das Stieltjes-Integrals
für eine stetige Funktionen
einen, als
notierten, Operator definieren. Dieser ist eindeutig dadurch bestimmt, dass er die Beziehung
erfüllt, wobei nun rechter Hand ein herkömmliches Stieltjes-Integral steht. Es gilt dann
,
wenn
das zu
gehörige Spektralmaß bezeichnet.
Spektralmaß eines beschränkten selbstadjungierten Operators
Die Spektralschar eines beschränkten selbstadjungierten Operators hat
kompakten Träger in ,
wobei
bzw.
sei.
wird manchmal als Spektralprojektion bezeichnet. Man stellt sich das Bild dieser
orthogonalen Projektion als eine Art verallgemeinerten Eigenraum vor.
Spektralmaß unbeschränkter selbstadjungierter Operatoren (Quantenmechanik)
Die messbaren Größen der Quantenmechanik entsprechen (fast ausschließlich unbeschränkten, dicht definierten) wesentlich selbstadjungierten Hilbertraum-Operatoren auf separablen Hilberträumen („Observablen“, → Mathematische Struktur der Quantenmechanik), und zwar mit einer Spektralzerlegung in drei Teile, im Einklang mit den obigen Aussagen:
- Der erste Anteil ist das Punktspektrum (das Spektrum ist abzählbar; die Physiker bezeichnen es irreführenderweise als „diskret“). Hier hat man es mit Summen zu tun.
- Der zweite Anteil ist das absolut-kontinuierliche Spektrum (das Spektrum ist kontinuierlich-überabzählbar; die Physiker nennen es einfach „kontinuierlich“). An die Stelle von Summen treten hier gewöhnliche Integrale.
- Sehr selten kommt ein singulär-kontinuierlicher Spektralanteil hinzu (das Spektrum ist eine Cantormenge). Hier muss man mit Stieltjes-Integralen arbeiten (erzeugt durch nicht-differenzierbare monoton-wachsende Funktionen).
Alle Observablen zeigen eine solche Aufteilung und besitzen übliche Spektralmaße und übliche Spektralprojektionen. Die oben genannte Kompaktheit des Spektrums gilt aber nicht.
Die Aufteilung in drei Teile ergibt insgesamt, bei Gewichtung mit den Quadraten aus den Beiträgen der Eigenfunktionen bzw. der verallgemeinerten Eigenfunktionen, genau den Wert 1, im Einklang mit der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik.
Im Fall eines reinen Punktspektrums entsprechen die Spektraleigenschaften dem Postulat von der Vollständigkeit der Eigenfunktionen (Entwicklungssatz). Im Falle eines zusätzlichen absolut-kontinuierlichen Spektralanteils arbeiten die Physiker, wie erwähnt, mit sog. verallgemeinerten Eigenfunktionen und Wellenpaketen (der Zusammenhang mit dem Spektralmaß ergibt sich aus der Distributionstheorie über sog. Gelfandsche Raumtripel). Ein singulär-kontinuierlicher Spektralanteil wird gewöhnlich überhaupt nicht diskutiert, außer z. B. in Kristallen mit speziellen „inkommensurablen“ Magnetfeldern. Näheres in einschlägigen Lehrbüchern der Quantenmechanik und der Maßtheorie reeller Funktionen.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 31.03. 2021