Orthogonalitätsrelationen
Im mathematischen Teilgebiet der Gruppentheorie sind die Orthogonalitätsrelationen bestimmte Beziehungen zwischen Charakteren von Darstellungen einer Gruppe. Der Name rührt daher, dass man auf einem geeigneten Funktionenraum, der die Charaktere enthält, ein inneres Produkt definieren kann, bzgl. dessen verschiedene Charaktere tatsächlich orthogonal sind.
Definitionen
Im Folgenden sei
eine endliche
Gruppe. Für einen Körper
betrachten wir die Menge
aller Funktionen
.
Da man solche Funktionen mittels der Definition
- >
für
addieren und mit Elementen aus dem Körper multiplizieren kann, liegt ganz offenbar ein K-Vektorraum vor. Man kann zwei solche Funktionen sogar multiplizieren, das heißt, es handelt sich sogar um eine K-Algebra.
Endlichdimensionale Darstellungen
der Gruppe
über einem Körper
sind Homomorphismen
in die allgemeine
lineare Gruppe über einem endlichdimensionalen
-Vektorraum
.
Bezeichnet
die Spur
,
so nennt man die Komposition
den Charakter der Darstellung. Charaktere von Darstellungen sind offenbar
Elemente des Raums
.
Den Charakter einer irreduziblen
Darstellung nennt man ebenfalls irreduzibel.
Wir betrachten von nun an den Fall, dass die Charakteristik
des Körpers kein Teiler
der Gruppenordnung
ist. Das ist bei Körpern der Charakteristik 0 und damit für die wichtigen Körper
oder
stets gegeben. Insbesondere können wir im Körper durch die Gruppenordnung
dividieren und damit
definieren. Leicht zeigt man, dass
eine symmetrische,
nicht-ausgeartete K-Bilinearform auf
ist. Man spricht daher von einem inneren Produkt, auch wenn diese Bezeichnung
bei vielen Autoren für die Körper
oder
reserviert ist.
ist wegen der zusätzlichen algebraischen
Abgeschlossenheit der weitaus wichtigste Anwendungsfall.
Die Orthogonalitätsrelationen
Es seien
eine endliche Gruppe,
ein Körper, dessen Charakteristik kein Teiler der Gruppenordnung ist, und
und
seien zwei verschiedene, irreduzible Charaktere der Gruppe über
.
Dann gilt:
, das heißt, verschiedene irreduzible Charaktere sind orthogonal.
- Ist
algebraisch abgeschlossen, so gilt
, das heißt, die irreduziblen Charaktere sind orthonormal.
Charaktertafel
Wir betrachten den Körper .
Eine endliche Gruppe hat bekanntlich genau so viele irreduzible Charaktere
wie Konjugationsklassen
.
Ferner sind die Charaktere auf Konjugationsklassen konstant, sodass es genügt,
die Werte
für beliebig gewählte Elemente
zu kennen. Legt man fest, dass
stets die einelementige Konjugationsklasse des neutralen Elements
und
stets der Charakter der trivialen Darstellung sein soll, dann kann man die
Gesamtheit der Charaktere leicht in folgendem, Charaktertafel genannten,
quadratischen Schema überblicken, wobei die Einträge
die Dimensionen der zu den Charakteren gehörigen irreduziblen Darstellungen
sind.
Die Orthogonalitätsrelationen schlagen sich wie folgt in der Charaktertafel nieder.
Orthogonalität der Zeilen
Die Orthogonalitätsrelationen schreiben sich unter Verwendung des Kronecker-Deltas kompakt als
,
denn die Charaktere sind auf Konjugationsklassen konstant und
für Charaktere
.
Trotz der auftretenden Faktoren
nennt man diese Beziehung die Orthogonalität der Zeilen der
Charaktertafel. Man kann diese Gleichungen auch als Matrizenmultiplikation
lesen. Definiert man nämlich
und
,
so ist obige Gleichung nichts anderes als
,
wobei
die Einheitsmatrix
ist. Insbesondere sind
und
invertierbar.
Orthogonalität der Spalten
Multipliziert man obige Matrixgleichung von links mit
und von rechts mit
,
so erhält man:
In Komponentenschreibweise bedeutet das
oder, da das
unter der Summe konstant ist:
Diese Beziehung nennt man in naheliegender Weise die Orthogonalität der Spalten.
Orthogonalitätsrelationen für Darstellungen
Da Charaktere die Spuren von Darstellungen sind, wird man ähnliche
Orthogonalitätsrelationen für Darstellungen erwarten, tatsächlich werden diese
für den Beweis obiger Orthogonalitätsrelationen verwendet. Da Darstellungen ihre
Werte aber nicht im Körper ,
sondern in allgemeinen linearen Gruppen über Vektorräumen annehmen, ist die
Formulierung etwas aufwändiger. Wie schon oben beschränken wir uns auf
endlichdimensionale Darstellungen und wählen als Vektorraum einer
-dimensionalen
Darstellung den Koordinatenraum
,
was letztlich der nicht eindeutigen Wahl einer Basis entspricht. Eine
Darstellung
hat damit Werte in den
-reihigen
quadratischen Matrizen über
und man kann die Komponentenfunktionen
betrachten. Mit diesen Definitionen besteht folgender Satz:
Es seien
eine endliche Gruppe,
ein Körper, dessen Charakteristik kein Teiler der Gruppenordnung ist;
und
seien zwei irreduzible Darstellungen der Gruppe über
.
Dann gilt:
- Sind
und
nicht äquivalent, so ist
-
für alle Komponentenfunktionen von
und
.
- Ist
algebraisch abgeschlossen, so gilt
-
für alle Komponentenfunktionen von
.
Anwendungen
Die Orthogonalitätsrelationen bilden einen Eckpfeiler der sehr weit
ausgebauten Darstellungstheorie
der Gruppen. Wir beschränken uns im Folgenden auf den Fall
und bringen nur einige sehr elementare Anwendungen, um den Einsatz der
Orthogonalitätsrelationen zu verdeutlichen.
Summen irreduzibler Charaktere
Die verschiedenen, irreduziblen Charaktere
einer Gruppe sind nicht nur orthonormal, aus Dimensionsgründen erzeugen sie auch
den Raum der sogenannten Klassenfunktionen, das heißt von Funktionen, die
auf Konjugationsklassen konstant sind. Die irreduziblen Charaktere bilden daher
eine Orthonormalbasis im Raum der Klassenfunktionen. Insbesondere ist jede
Klassenfunktion eine eindeutige Linearkombination irreduzibler Charaktere.
Nach dem Satz
von Maschke ist jede endlichdimensionale Darstellung einer endlichen Gruppe
direkte Summe irreduzibler Darstellungen. Durch Spurbildung erhält man, dass
jeder Charakter
Summe irreduzibler Charaktere ist, das heißt:
mit
Die Koeffizienten
lassen sich mittels Orthogonalität sofort bestimmen:
Irreduzibilitätkriterium
Ist
eine endlichdimensionale Darstellung mit Charakter
,
so ist
genau dann irreduzibel, wenn
.
Beweis: Dass Charaktere irreduzibler Darstellungen diese Eigenschaft haben,
ist der zweite Punkt obiger Orthogonalitätsrelationen. Umgekehrt ist jeder
Charakter
Summe irreduzibler Charaktere und daraus folgt wegen der Orthonormalität
mit natürlichen Zahlen
.
Ist dies gleich 1, so bleibt nur die Möglichkeit
für ein
und
für alle anderen Koeffizienten. Daraus folgt
,
das heißt
ist irreduzibel und damit auch
.
Vervollständigung von Charaktertafeln
Mittels der Orthogonalitätsrelationen können Teile von Charaktertafeln
erschlossen werden. Als Beispiel betrachten wir die symmetrische
Gruppe S3. Neben der trivialen Konjugationsklasse
haben wir die Konjugationsklasse
der drei Transpositionen
und
der beiden Elemente der Ordnung 3.
Als offensichtliche eindimensionale Darstellungen haben wir die triviale
Darstellung
und die Signum-Funktion
.
Da es genau so viele Charaktere wie Konjugationsklassen gibt, fehlt noch ein
Charakter
,
dessen Werte wir noch nicht kennen. Die Charaktertafel hat also die Gestalt
mit noch unbekannten .
Diese lassen sich mittels der Orthogonalitätsrelationen bestimmen, ohne die
fehlende irreduzible Darstellung zu kennen, es werden nicht einmal weitere
Details der Gruppe benötigt.
Aus der Orthogonalität für Spalten folgt für die erste Spalte
,
also .
Da in der ersten Spalte aber die Dimensionen (Spuren von Einheitsmatrizen)
stehen, muss
sein, also
.
Für die zweite Spalte folgt
,
und da bleibt nur .
Da die dritte Spalte zur ersten orthogonal ist, folgt
,
also .
Damit ist die Charaktertafel der Gruppe S3 vollständig bestimmt.
Bemerkungen
Die Orthogonalitätsrelationen gehen auf eine Arbeit von Ferdinand Georg Frobenius aus dem Jahre 1896 zurück, dort werden auch Charaktertafeln besprochen.[1] Eine Überarbeitung dieser Theorie wurde von Issai Schur unternommen, man findet daher auch die Bezeichnung schursche Orthogonalitätsrelationen.
Endliche Gruppen sind kompakte
Gruppen, deren haarsches
Maß jeder einelementigen Menge das Maß
zuordnet. Man erhält analoge Resultate für unendliche kompakte Gruppen, wenn man
Summationen der Form
durch Integrale nach dem haarschen Maß ersetzt. John von Neumann hatte
1934 erste Ergebnisse in dieser Richtung erzielt, allerdings noch unter
Verwendung fastperiodischer
Funktionen.
Eine modernere Darstellung, die das haarsche Maß verwendet, findet sich zum
Beispiel im unten genannten Lehrbuch „Representations of Finite and Compact
Groups“ von Barry Simon.
Anmerkungen
- ↑
F. G. Frobenius: Über Gruppencharktere.
Preussische Akademie der Wissenschaften Berlin: Sitzungsberichte der
Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1896,
(ETH Zürich) hier als pdf erhältlich.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 31.03. 2021