Computeralgebra
Die Computeralgebra ist das Teilgebiet der Mathematik und Informatik, das sich mit der automatisierten symbolischen Manipulation algebraischer Ausdrücke beschäftigt.
Überblick
Hauptziel der Computeralgebra ist es, durch konservative Rechnungen algebraische Ausdrücke umzuformen und eine möglichst kompakte Darstellung zu erzielen. Die Wertigkeit und Präzision der Gleichung wird dabei nicht angetastet. Rundungen oder Näherungen werden nicht zugelassen. Eine Nebenbedingung ist hierbei, die verwendeten Algorithmen und Methoden effizient zu gestalten.
Die Disziplinen Mathematik und Informatik sind in der Computeralgebra eng miteinander verwoben, einerseits über die Komplexitätstheorie für die Analyse, andererseits über die Softwaretechnik für die praktische Umsetzung computeralgebraischer Algorithmen.
Einen Schwerpunkt bildet das exakte Rechnen mit ganzen, rationalen und algebraischen Zahlen sowie mit Polynomen über diesen Zahlenräumen. Eine weitere Anwendung ist das symbolische Lösen von Gleichungen aller Arten, das symbolische Summieren von Reihen, die symbolische Berechnung von Grenzwerten und das symbolische Differenzieren und Integrieren (auch Algebraische Integration genannt).
Praktische Anwendung erfahren solche Ergebnisse durch den Einsatz effizienter Algorithmen bei der Entwicklung und Verbesserung von Computeralgebrasystemen, die die rechnergestützte Manipulation algebraischer Ausdrücke ermöglichen. Diese Systeme sind auch ein immer wichtiger werdendes Werkzeug für Mathematiker und Naturwissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen.
Zugrundeliegende Strukturen
Anders als in der Numerik, wo mit Gleitkomma-Approximationen der auftretenden Zahlen gerechnet wird, hat die Computeralgebra den Anspruch, stets exakt zu rechnen. Entsprechend ist es grundsätzlich notwendig, Anforderungen an die zugrundeliegenden Strukturen (in der Regel Gruppen, Ringe oder Körper) zu spezifizieren.
Gruppen
Alle endlichen Gruppen lassen sich im Computer darstellen, für unendliche Gruppen gibt es unter bestimmten Voraussetzungen Algorithmen, etwa für polyzyklische Gruppen.
Berechenbare Ringe
Ein Ring heißt berechenbar (oder „effektiv“), wenn folgende Bedingungen gelten:
- Die Elemente des Rings können auf einem Computer dargestellt werden, insbesondere muss die Darstellung der Elemente endlich sein,
- Gleichheit zwischen zwei Elementen kann in endlicher Zeit entschieden werden,
- es gibt Algorithmen, mit denen die Ringoperationen „+“ und „·“ durchgeführt werden können.
Beispiele
Berechenbar sind etwa:
- die natürlichen
Zahlen
- die ganzen
Zahlen
- die rationalen
Zahlen
- alle Formen von endlichen Körpern.
Aus einem berechenbaren Ring
lassen sich weitere berechenbare Ringe konstruieren:
- Polynomringe über
- Rationale
Funktionen über
- Matrizen
über
- Alle endlichen algebraischen Erweiterungen der obigen Körper,
- Alle endlichen transzendenten Erweiterungen der obigen Körper.
Formale Objekte
In der Computeralgebra werden neben den Elementen der zugrundeliegenden Bereiche noch weitere „formale“ Objekte betrachtet wie etwa
- Integrale,
- Reihen,
- (formale) Potenzreihen,
- Differential- und Differenzengleichungen (bzw. -operatoren).
Hierbei geht es in der Regel nicht um die Berechnung von Zahlwerten, sondern beispielsweise um die Bestimmung von „geschlossenen Formeln“ als Lösungen.
Anwendungen
Bei den Anwendungen mathematischer Methoden in Naturwissenschaft und Technik stehen traditionell numerische Methoden im Vordergrund. Mit den symbolischen Methoden der Computeralgebra haben sich neue Anwendungsgebiete eröffnet, bei denen es auf exakte Lösungen ankommt und bei denen strukturmathematische Überlegungen, z.B. zur Beschreibung von Symmetrien, eingehen; ferner die Behandlung von Problemen, die von unbestimmten Parametern abhängen.
Dazu gehören etwa:
- In der Physik und ihren technologischen Anwendungen: Gemischt symbolisch-numerische Berechnungen komplexer Probleme in der Himmelsmechanik, der Hochenergiephysik (Feynman-Integrale) und der Relativitätstheorie (Differentialgeometrie); Integration und Lösung von Differentialgleichungen in geschlossener Form; symbolische Berechnungen in den Algebren der Quantenmechanik; Klassifikation höherdimensionaler kristallographischer Gruppen zur Beschreibung von inkommensurabel modulierten Strukturen, Quasikristallen und magnetischen Strukturen.
- In der Chemie: Anwendungen der Darstellungstheorie auf die Klassifikation von Graphen chemischer Verbindungen, insbesondere von Isomeren; Lösung großer Gleichungssysteme zur Bestimmung chemischer Reaktionsgleichgewichte bei variablen Reaktionsbedingungen, z.B. bei Verbrennungsprozessen und der Abgasregulierung.
- In der Informationssicherheit: Algebraische Methoden der Fehlererkennung und -korrektur bei der Nachrichtenübertragung; kryptographische Kodierung von vertraulichen Nachrichten durch Public-Key-Verfahren mit Methoden der Zahlentheorie und der algebraischen Gruppen; Verifikation von Sicherheitsmechanismen (Protokollen).
- In der Robotik: Bewegungsplanung und
Regulierung autonomer Roboter z.B. in der Raumfahrt;
zylindrisch algebraische Zellenzerlegung des
; geometrische Bildverarbeitung beim Maschinensehen.
- Im computergestützten Entwurf (CAD): Flexible Inferenzsysteme für die geometrische Modellierung parametrisierter Probleme; Konstruktion von Übergangsflächen.
- In der Kontrolltheorie: Untersuchung der Stabilität und Sicherheit von Kontrollsystemen mit Rückkopplung.
- In der Genforschung: Klassifikation von DNA-Strukturen.
- In der Ausbildung: Computeralgebrasysteme versprechen eine Verbesserung des Mathematikunterrichts, da es durch ihren Einsatz möglich wird, sich mehr auf die Unterrichtsinhalte zu konzentrieren. Ferner ist die Behandlung realistischerer anwendungsbezogener Aufgaben möglich.
Die Methoden der Computeralgebra erlauben in diesen Anwendungsbereichen eine automatische Behandlung von Problemen, die sonst nur mühsam mit Ad-hoc-Ansätzen angegangen werden konnten. Das große Potential dieser Methoden ist dabei noch lange nicht ausgeschöpft. Kontinuierliche Förderung dieser Anwendungen und der zugrundeliegenden Algorithmen kombiniert mit immer leistungsstärkerer Hardware werden dem Gebiet Computeralgebra weitere Entwicklungsmöglichkeiten geben.
Komplexitätsbetrachtungen
Effiziente exakte Arithmetik mit ganzen Zahlen
Will man die Zeitkomplexität von Aufgaben und Algorithmen zur exakten
Arithmetik mit ganzen
Zahlen klassifizieren, so muss zunächst ein Rechnermodell zugrunde gelegt
werden. Ein
relativ eingängiges Modell ist die Mehrband-Turingmaschine, eine Variante der
klassischen Turingmaschine,
die mehrere Bänder mit je einem Schreib-/Lesekopf besitzt. Für
Komplexitätsabschätzungen mit der Landau-Notation wird
bei Bedarf unter der Bezeichnung
ein Logarithmus zu einer nicht
spezifizierten Basis
verwendet. Als Maß für die Zeit wird die Zahl der benötigten Bitoperationen
gewählt, die in Landau-Notation von der Bitlänge des Inputs abhängig gemacht
wird.
Die präzise mathematische Angabe von (Bit-)Komplexitäten für die exakte
Arithmetik mit ganzen Zahlen muss zunächst mit der genauen Festlegung der
Bitlänge einer ganzen Zahl starten: Ist die Zahl
nicht null, so wird
gesetzt; zusätzlich wird
definiert. Für die konkrete Speicherung einer ganzen Zahl wird zusätzlich
mindestens noch ein Bit für das Vorzeichen
benötigt.
Die Aufgaben der Vorzeichenbestimmung
der Berechnung des Negativen
sowie der Betragsbildung
sind alle in linearer Zeit
mit
durchführbar; die Addition
sowie der Vergleich zweier Zahlen
sind in linearer Zeit
mit
zu bewältigen. Der n-Shift
ist in
durchführbar.
Ein nicht-triviales Ergebnis der Computeralgebra ist die Erkenntnis, dass die
Multiplikation
wesentlich schneller als in
(was dem naiven Multiplikationsalgorithmus entspricht) lösbar ist. Eine
Beschleunigung erreichte zunächst Anatoli
Karazuba mit dem Karazuba-Algorithmus;
dieser wurde dann als ein Spezialfall einer noch allgemeineren
Algorithmenfamilie erkannt, die unter den Begriff Toom-Cook-Algorithmus
subsumiert werden. Bahnbrechend war dann der von Arnold Schönhage
und Volker
Strassen 1971 vorgestellte auf diskreten Fourier-Transformationen basierende
Schönhage-Strassen-Algorithmus,
für den die Autoren selbst eine Komplexität von
nachwiesen. Bedenkt man, wie aufwendig der „naive“ Multiplikationsalgorithmus ist, so erscheint diese Komplexität unglaublich „schnell“. Da der Algorithmus allerdings ziemlich komplex und schwierig programmierbar ist, gibt es bis heute keine effiziente Implementierung in einem Computeralgebrasystem.
Da die Komplexität der Integer-Multiplikation in der gesamten Computeralgebra von absolut tragender Bedeutung ist, wurde hierfür eine Kurznotation
eingeführt. Ausgestattet mit dieser „schnellen“ Integer-Multiplikation kann
nun der Katalog der Grundrechenarten
für die Arithmetik in
wie folgt vervollständigt werden: Die Aufgabe der Berechnung von
ist in
durchführbar; für die (simultane) Berechnung der Binomialkoeffizienten
wird
benötigt. Die ganzzahlige Division
(mit Quotient und Rest als Ergebnis) benötigt
.
Die Berechnung des größten gemeinsamen Teilers
benötigt
.
In gleicher Komplexität ist auch
berechenbar, d.h. die Kofaktoren
mit
werden mitberechnet.
Effiziente exakte Arithmetik mit rationalen Zahlen
Bevor exakte Arithmetik in
konkret durchgeführt werden kann, muss erst eine kanonische Darstellung
(Repräsentation) rationaler Zahlen gefunden werden; dieses Problem tauchte bei
der exakten Arithmetik der ganzen Zahlen noch nicht auf. Rationale Zahlen sind
Äquivalenzklassen „bedeutungsgleicher“ Brüche aus ganzen Zahlen; zum Beispiel
sind
und
unterschiedliche Repräsentanten der gleichen rationalen Zahl.
Die gängigste kanonische Darstellung rationaler Zahlen wird festgelegt, indem alle gemeinsamen Teiler aus Zähler und Nenner herausgekürzt werden: Jede rationale Zahl ist dann eindeutig durch einen gekürzten Bruch
mit
und
repräsentierbar. Ist diese Festlegung einmal getroffen, so beinhaltet jede
elementare Operation in
wie Addition und Multiplikation auch notwendigerweise die Aufgabe des
Herauskürzens des größten
gemeinsamen Teilers aus Zähler und Nenner des Ergebnisbruches.
Dank der Resultate der exakten Arithmetik in
sind damit die Operationen
alle in der Komplexität
durchführbar. Von der Hoffnung, die Addition rationaler Zahlen in linearer Komplexität bewerkstelligen zu können, muss man hierbei Abschied nehmen.
Glücklicherweise kann die Berechnung des größten gemeinsamen Teilers sehr effizient mit Hilfe des Euklidischen Algorithmus berechnet werden. Der Euklidische Algorithmus spielt an vielen Stellen in der Computeralgebra in wechselnden Varianten eine tragende Rolle.
Effiziente exakte Arithmetik mit Polynomen in ℚ[x]
Es genügt hierbei, die Arithmetik in
zu betrachten, da Operationen mit rationalen Polynomen in naheliegender Weise
durch jeweiliges Ausklammern der Hauptnenner auf Operationen mit ganzzahligen
Polynomen zurückgeführt werden können. Für Polynome
definiert man die (Koeffizienten-)Länge
als das Maximum der Längen der einzelnen Koeffizienten.
Für die folgende Laufzeitentabelle wichtiger Berechnungsprobleme in
setzen wir folgendes voraus:
- vom Grad
bzw.
ferner
,
- von der Länge
bzw.
ferner
und
,
- daneben sei
mit Bitlänge
.
Dann führen die (gemäß Bitkomplexität) schnellsten bislang bekannten Algorithmen zu folgender Laufzeittabelle:
Operation | Komplexität als |
bei ungleichen Eingabegrößen |
Literatur
- Michael Kaplan: Computeralgebra. Springer, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-540-21379-1.
- Attila Pethö: Algebraische Algorithmen. Herausgegeben von Michael Pohst. Vieweg, Braunschweig u. a. 1999, ISBN 3-528-06598-2.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.12. 2022