Inversionsmethode
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Die Inversionsmethode ist ein Simulationsverfahren, um aus gleichverteilten Zufallszahlen andere Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu erzeugen.
Intention
Die Erzeugung dieser Zufallszahlen wird durch künstlich herbeigeführte Realisierungen einer statistischen Zufallsvariablen nachgestellt. Man kann Zufallszahlen verschiedener diskreter und stetiger Wahrscheinlichkeitsverteilungen erzeugen. Diese Folgen von Zufallszahlen werden beispielsweise verwendet, um das Verhalten komplexer Systeme, die man nur unter Schwierigkeiten mit mathematischen Funktionen analysieren kann, zu untersuchen. Beispiele wären die Warteschlangentheorie oder die Verteilung von bestimmten Stichprobenfunktionen, etwa der nichtzentralen Betaverteilung.
Die Basis für die Erzeugung der Zufallszahl
einer bestimmten Verteilung
ist in der Regel eine Rechteckverteilung oder Gleichverteilung
im Intervall
.
Ausgehend davon, dass auch die Verteilungsfunktion
einen Bildbereich
zwischen Null und Eins aufweist, wählt man nun in diesem Intervall zufällig eine
Zahl, die man als Wert der gewählten Wahrscheinlichkeitsverteilung
interpretiert und damit den dazugehörigen Wert der Zufallsvariablen selbst, ihr
sogenanntes Quantil,
als die letztlich gesuchte Zufallszahl findet (die diese Zahl liefernde
Quantilfunktion ist dabei also nichts anderes als die Umkehrfunktion der
entsprechenden Verteilungsfunktion).
Simulationslemma
Formulierung
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Die Inversionsmethode basiert auf dem Simulationslemma, einem Lemma, das besagt, dass man aus einer gleichverteilten Zufallsvariablen eine Zufallsvariable mit einer anderen Verteilungsfunktion erzeugen kann.
Sei
eine Verteilungsfunktion und
eine Wahrscheinlichkeit (also eine Zahl aus dem Intervall
).
Das
-Quantil
beziehungsweise die Quantilfunktion
der Verteilungsfunktion
ist definiert als
.
Falls für
die Menge auf der rechten Seite leer und das Infimum nicht
definiert ist, setzt man
.
Sei nun
eine auf dem Intervall
gleichverteilte Zufallsvariable.
Dann ist
eine reelle Zufallsvariable, die der Verteilungsfunktion
genügt.
Die Quantilfunktion
wird benötigt, um auch den Fall einer nicht injektiven
Verteilungsfunktion, etwa der einer diskreten Zufallsvariablen, mit abzudecken.
Ist die Verteilungsfunktion streng
monoton steigend, kann die gewöhnliche Umkehrfunktion
der Verteilung verwendet werden.
Beweis
Zwar ist
nicht im strengen Sinne eine Umkehrabbildung zu
,
aber dennoch gilt wenigstens
wegen der rechtsseitigen Stetigkeit von .
Damit gilt aber
.
Der letzte Schritt ist korrekt, da
laut Annahme eine stetig gleichverteilte Zufallszahl auf dem Intervall
ist und daher
für alle
gilt.
Fazit
Viele Verteilungsfunktionen lassen sich unter Ausnutzung des Simulationslemmas aus gleichverteilten Zufallszahlen erzeugen. Allerdings ist es zu vielen Verteilungsfunktionen in der Praxis nicht möglich, mit vertretbarem Aufwand die Quantilfunktion zu bestimmen.
Anwendung bei diskreter Verteilung
Zugrunde liegen den Beispielen Zufallszahlen aus dem Intervall .
Beispiel einer Verteilung mit zwei Werten
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In einer Porzellanfabrik werden Kaffeekannen hergestellt. Die Henkel und Schnäbel der Kannen werden vor dem Brennen von Hand angeklebt. Erfahrungsgemäß sind 25 % der Teile nicht ordnungsgemäß befestigt. Nach dem Brennen werden die Kannen nacheinander geprüft.
- Ist die Kanne in Ordnung, wird eine Eins vergeben: Das ist in 75 % aller Kannen der Fall.
- Ist sie zu beanstanden, vergibt der Prüfer eine Zwei: Das kommt bei 25 % aller Kannen vor.
Wir wollen nun eine Folge von Kannen simulieren:
Definieren wir die obige Vorgabe als Verteilung einer Zufallsvariablen :
- Für alle anderen Werte von
ist
.
Man könnte nun so vorgehen: Es wird eine Zufallszahl
(
)
im Intervall
erzeugt. Liegt
zwischen 0 und 0,75, bekommt die Zufallszahl
den Wert 1, sonst den Wert 2. Auf diese Weise erzeugen wir 75 % Einsen und 25 %
Zweien. Es ergibt sich also beispielsweise in der Tabelle unten eine Folge von
(1;2)-Zufallszahlen. Die Grafik verdeutlicht den Vorgang der Zuordnung anhand
des ersten Wertes. Die Gleichverteilung produzierte ein
.
Hier wird
vergeben.
A: Nr. der Kanne B: Gleichverteilte Zufallszahl C: Zustand der Kanne A B C 1 0,39 1 2 0,34 1 3 0,41 1 4 0,93 2 5 0,05 1 6 0,44 1 7 0,95 2 8 0,43 1 9 0,07 1 10 0,77 2 11 0,02 1 12 0,93 2 13 0,68 1 14 0,26 1 15 0,94 2 16 0,88 2 17 0,23 1 18 0,91 2 19 0,51 1 20 0,69 1
Beispiel Poisson-verteilter Zufallszahlen
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Um den Kundenservice zu optimieren, wird die Zahl der Kunden erfasst, die
innerhalb einer Minute an einen bestimmten Bankschalter kommen. Man weiß aus
Erfahrung, dass pro Minute im Durchschnitt 1,2 Kunden an den Schalter kommen.
Die Zahl der ankommenden Kunden soll simuliert werden. Eine gute Näherung für
die Verteilung ist die Poisson-Verteilung
mit dem Parameter
Kunden/Minute. Ihre Werte für diesen Fall lauten:
x: Zahl der Kunden in einer Minute f(x): Wahrscheinlichkeit für genau x Kunden F(x): Wahrscheinlichkeit für höchstens x Kunden --- x f(x) F(x) 0 0,3 0,3 1 0,36 0,66 2 0,22 0,88 3 0,09 0,97 4 0,03 0,99 5 ca.0 ca. 1
Analog zu oben verwenden wir hier wieder die Verteilung
für die Simulation.
A: Minuten-Index: B: Gleichverteilte Zufallszahl: F(x) C: Zahl der neu hinzu kommenden Kunden: 1,2 Kunden / Minute: x D: Zahl der verbleibenden Kunden nach Bedienung von 1,5 Kunden / Minute (siehe unten) E: Wie D, gerundet auf ganze Zahlen (siehe unten) ---- A B C D E 1 0,63 1 0 0 2 0,55 1 0 0 3 0,21 0 0 0 4 0,93 3 1,5 2 5 0,85 2 2 2 6 0,96 3 3,5 4 7 0,81 2 4 4 8 0,68 2 4,5 5 9 0,88 2 5 5 10 0,04 0 3,5 4 11 0,51 1 3 3 12 0,07 0 1,5 2 13 0,28 0 0 0 14 0,59 1 0 0 15 0,55 1 0 0 16 0,68 2 0,5 1 17 0,61 1 0 0 18 0,08 0 0 0 19 0,57 1 0 0 20 0,56 1 0 0 21 0,52 1 0 0 22 0,1 0 0 0 23 0,27 0 0 0 24 0,17 0 0 0 25 0,72 2 0,5 1 26 0,06 0 0 0 27 0,55 1 0 0 28 0,92 3 1,5 2 29 0,72 2 2 2 30 0,03 0 0,5 1
In der ersten Minute liegt die gleichverteilte Zufallszahl
zwischen 0,3012 und 0,6626, wie in der Grafik angedeutet. Hier erhält
den Wert 1.
In der zweiten Minute liegt
wieder zwischen 0,3012 und 0,6626,
erhält wieder den Wert 1 usw.
Es ergibt also die Folge der ankommenden Kunden wie in der Tabelle.
Man könnte nun mit der Simulation untersuchen, ob die Schlange der Kunden sehr groß werden kann, ob man beispielsweise einen weiteren Schalter offenhalten sollte.
Exkurs in die Warteschlangentheorie
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In einer sehr vereinfachten Systemsimulation wird die entstehende Warteschlange der Bankkunden untersucht: Im Mittel kommen, wie im Beispiel oben, 1,2 Kunden pro Minute. Bedient werden sollen im Durchschnitt 1,5 Kunden pro Minute. Man könnte vermuten, dass es keine Warteschlangen gibt, weil ja im Mittel mehr Kunden bedient werden als ankommen. Eine Simulation mit der Poisson-Verteilung ergibt aber folgendes Bild:
Es haben sich in einer knappen Stunde Schlangen mit bis zu fünf Personen gebildet. Die Ursache liegt darin, dass die Bearbeitungskapazität in den Zeiträumen nicht genutzt wird, wenn keine Kunden anwesend sind (es gibt keine negativen Kundenzahlen).
Anwendung bei stetiger Verteilung
Für die Verteilung einer stetigen Zufallsvariablen ergibt sich statt einer Treppenfunktion eine stetige, streng monoton steigende Verteilungskurve.
Beispiel einer Gleichverteilung
Gleichverteilte Zufallszahlen aus dem Intervall
werden für die Simulation eines Random
Walk herangezogen. Es gilt dann für die stetige
Gleichverteilung auf den Intervall
:
.
Anschaulich: Die Zufallszahlen werden um 0,5 vermindert, d.h. .
Die Zahlen werden als Schrittlängen interpretiert, die je nach Vorzeichen vorwärts
oder rückwärts gesetzt werden.
Beispiel für Exponentialverteilung
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Die Verteilungsfunktion etwa der Exponentialverteilung ist
Als Umkehrfunktion erhalten wir dann
Die Zeit, die zwischen zwei Anfragen an einen bestimmten Wikipedia-Server
liegt, sei exponentialverteilt mit dem Parameter .
Es sollen die Zeiten x simuliert werden, die zwischen zwei Anfragen an den
Server liegen. Den Beispielen zugrunde liegen Zufallszahlen aus dem Intervall
.
Die Verteilungsfunktion
ist in der Grafik rechts dargestellt. Der Ordinatenwert
entspricht der Zufallszahl
,
der entsprechende Abszissenwert ist die gesuchte exponentialverteilte
Zufallszahl.
Rechnerisch einfacher ist es, mit der Umkehrfunktion
zu arbeiten und zu berücksichtigen, dass sich an den Zufallszahlen
aus dem Intervall
nichts ändert, wenn wir
durch
ersetzen:
In der Tabelle-1 ist eine Folge von exponentialverteilten Zufallszahlen dargestellt. Die Grafik unten gibt diese Zahlen als Zeitreihe wieder.
Tabelle-1 lambda = 2 Zugriffe / Zeiteinheit A: Index B: exponentialverteilte Zufallszahl C: B aufsummiert = Zeitpunkte des Eintreffens --- A B C 0 0,00 0,00 1 0,58 0,58 2 1,17 1,76 3 0,31 2,07 4 0,02 2,09 5 0,25 2,34 6 1,58 3,92 7 0,15 4,07 8 0,25 4,32 9 0,06 4,38 10 0,17 4,55 11 0,21 4,76 12 0,20 4,96 13 0,70 5,66 14 0,22 5,88 15 0,17 6,05 16 0,42 6,47 17 0,00 6,47 18 1,89 8,36 19 0,40 8,76 20 0,76 9,52 21 0,37 9,88 22 0,53 10,42 23 0,54 10,96 24 0,36 11,32 25 0,41 11,73 26 0,38 12,11 27 1,31 13,42 28 0,13 13,55 29 0,05 13,61 30 1,95 15,55 31 1,60 17,15 32 0,35 17,50 33 0,81 18,31 34 0,29 18,60 35 0,32 18,92 36 0,30 19,22 37 1,43 20,65 38 0,55 21,20 39 0,01 21,21 40 0,33 21,54 41 0,48 22,03 42 1,13 23,16 43 0,97 24,13 44 0,42 24,54 Mittelwert von B: 0,56 (berechnet: 1/lambda = 0,5) Standardabweichung von B: 0,51 (berechnet: 0,5)
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Während die zeitliche Abfolge der Zugriffe exponentialverteilt ist, folgt die Zahl der Zugriffe pro Zeiteinheit einer Poisson-Verteilung. Beispielsweise werden 4 Intervalle beobachtet, innerhalb derer kein Ereignis auftritt und 8 Intervalle mit einem Ereignis, siehe Tabelle-2. Für die beiden Fälle macht die Poisson-Verteilung die Vorhersagen von 3,1 bzw. 6,2 -- in Anbetracht der geringen Anzahl der Werte eine gute Übereinstimmung.
Tabelle-2 A: Zahl der Ereignisse pro Intervall, basierend auf C in Tabelle-1 B: Gemessene Ereignisse C: Berechneter Wert für E nach Poisson-Verteilung --- A B C 0 4 3,11 1 8 6,23 2 5 6,23 3 4 4,15 4 2 2,08 5 1 0,83 6 0 0,28
Weitere Beispiele
Hier sind einige Beispiele aufgelistet, wie sich aus einer gleichverteilten
Zufallsvariable
mit
gegebene Verteilungen
bzw.
erzeugen lassen.
Dichtefunktion | Verteilungsfunktion | Quantilfunktion | Bereich |
---|---|---|---|
> | |||
Probleme
Nicht immer lässt sich die im Simulationslemma benutzte Quantilfunktion bestimmen. Dann lässt sich die Inversionsmethode nicht anwenden. Als Lösung bietet sich in solchen Fällen häufig die Verwerfungsmethode an.
Normalverteilung
Da für die Normalverteilung die Inverse nicht unmittelbar ermittelt werden kann, bleibt auch für sie das Simulationslemma eine theoretische Idee.
Verschiedene Ansätze zur Erzeugung normalverteilter Zufallszahlen sind im Artikel Normalverteilung, Abschnitt Erzeugung normalverteilter Zufallszahlen zusammengefasst.
Bei der Erzeugung von multivariaten normalverteilten Zufallszahlen müssen die erzeugten stochastisch unabhängigen Zufallszahlen noch korreliert werden. Man erreicht das, indem die Datenmatrix der unabhängigen Zufallszahlen mit S1/2 multipliziert wird. Hierbei bezeichnet S1/2 die Cholesky-Zerlegung von S und S die Kovarianzmatrix der zu simulierenden Normalverteilung.
Literatur
- Michael Kolonko: Stochastische Simulation: Grundlagen, Algorithmen und Anwendungen. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8351-0217-0.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 05.08. 2022