Berliner Blau
Sicherheitshinweise | |||||||||
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Toxikologische Daten | > 8000 mg/kg (LD50, Maus, oral) |
Berliner Blau ist ein lichtechtes, tiefblaues, anorganisches Pigment, das als luft- und wasserstabiler Feststoff vorliegt. Es handelt sich um eine metallorganische Verbindung, in der Eisenionen in den Oxidationsstufen +2 und +3 vorliegen und über das Cyanid-Anion ([C≡N]−) verbunden sind. Das wesentliche Strukturelement des Berliner Blaus ist die Sequenz Fe(II)-[C≡N]-Fe(III) in einem dreidimensionalen, polymeren Gerüst.
Berliner Blau kommt in einer als „unlöslich“ und einer als „löslich“ bezeichneten Form vor, wobei die Struktur der beiden gleich ist. Die allgemeine Summenformel lautet Mnm+[Fe(III)Fe(II)(CN)6]3 • 15 H2O. Es handelt sich um ein kubisch flächenzentriertes Gitter, in dem beim löslichen Berliner Blau Alkali- oder Ammoniumionen die Plätze in den Oktaederlücken des Gitters einnehmen (M = Na, K, NH4, n = 3, m = 1) und der Ladungskompensation des Komplexes dienen, beim unlöslichen Berliner Blau übernehmen Eisen(III)-Ionen diese Funktion (M = Fe, n = 1, m = 3). Dabei liegen die löslichen Varianten in wässriger Lösung in Form kolloidaler Lösungen vor, es handelt sich nicht um eine echte Löslichkeit unter Dissoziation der Verbindung.
Der Berliner Farbenhersteller Johann Jacob Diesbach stellte um 1706 erstmals Berliner Blau her. Es erlangte sofort kommerzielle Bedeutung als Pigment für die Ölmalerei und die Färbung von Stoffen. Durch die Veröffentlichung der Rezeptur im Jahr 1724 nahmen mehrere Firmen die Herstellung von Berliner Blau unter vielen weiteren Namen auf.
Berliner Blau gilt als die erste synthetische Koordinationsverbindung. Seine tiefblaue Farbe verdankt es Metall-Metall-Charge-Transfer-Übergängen, die im gelb-roten Bereich Strahlung absorbieren und das blaue Licht als Komplementärfarbe reflektieren.
Die Namen Blausäure und Cyanid (von griechisch κυανός (kyanos) blau) leiten sich von der Farbe des Berliner Blaus ab. Die Bezeichnung Prussiate, bei denen ein Cyanoligand im Komplex durch einen anderen Liganden ersetzt ist, etwa Nitroprussid, leitet sich von der Bezeichnung Preußischblau ab. Berliner Blau ist der Namensgeber für die sogenannten Berliner-Blau-Analoga, eine Klasse mikroporöser anorganischer Feststoffe mit einer breiten Palette von katalytischen, elektronischen, optischen und magnetischen Eigenschaften. Auch über dreihundert Jahre nach der Erstsynthese ist Berliner Blau ein Forschungsobjekt, über das in jedem Jahr viele wissenschaftliche Artikel veröffentlicht werden.
Aufgrund seiner einfachen Herstellung aus einer Lösung von Eisen(III)-Salz und gelbem Blutlaugensalz wird es vorwiegend als preiswertes Farbmittel verwendet. Berliner Blau ist praktisch ungiftig und wird als Gegenmittel bei Vergiftungen mit radioaktivem Caesium oder Thallium eingesetzt. Die Therapie nutzt die Ionenaustauscheigenschaften und die hohe Affinität der Verbindung für bestimmte Metallkationen. Es steht auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation, die in einem Gesundheitssystem benötigt werden.
Strukturformel | |
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wesentliches Strukturelement des Berliner Blaus (ohne Gegenionen oder Wassermoleküle) | |
Allgemeines | |
Name | Berliner Blau |
Andere Namen |
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Summenformel | Fe4[Fe(CN)6]3 |
Kurzbeschreibung | dunkelblauer, geruchloser Feststoff |
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |
CAS-Nummer | 14038-43-8 |
EG-Nummer | 237-875-5 |
ECHA-InfoCard | 100.034.418 |
PubChem | 2724251 |
ChemSpider | 20074656 |
DrugBank | DB06783 |
Arzneistoffangaben | |
ATC-Code | AB31 |
Eigenschaften | |
Molare Masse | 859,23 g/mol |
Aggregatzustand | fest |
Dichte | 1,8 g/cm3 |
Schmelzpunkt | Wasserabgabe und teilweise Zersetzung ab 250 °C |
Löslichkeit | praktisch unlöslich in Wasser |
Nomenklatur
Berliner Blau wurde unter vielfältigen Bezeichnungen angeboten. Die Bezeichnungen nehmen Bezug auf die Namen der Erfinder oder Hersteller, die Herstellungsorte, die Farbnuancen, die Anwendungen oder die chemischen Komponenten und Verfahren. Die Varianten können sich im Farbstich unterscheiden. Alle Namen bezeichnen blaue Pigmente auf Basis des Fe(II)/Fe(III)-Cyanokomplexes und unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung nur unwesentlich. Die Art und Menge der verwendeten Alkalimetall- oder Ammoniumionen beeinflusst die Hervorbringung bestimmter Farbnuancen. Historisch wurde das Pigment als Blausalz in den Handel gebracht. Im Colour Index wird Berliner Blau als C.I. Pigment Blue 27 nach der Farbe und nach der Struktur als C. I. 77510 für kaliumdotiertes Eisenblau beziehungsweise C.I. 77520 für das Ammonium-Natrium-Eisenblau geführt.
Diesbachblau ist nach dem Namen des eigentlichen Erfinders benannt. Turnbulls Blau wurde 1828 durch John Turnbull jr. entwickelt und über die schottische Firma Turnbull & Ramsay in Glasgow vertrieben. Es handelt sich bei Turnbulls Blau um ein aus rotem Blutlaugensalz mit überschüssigen Eisen(II)-Ionen gebildetes Blaupigment. Die Gewinnung erfolgt durch das Umsetzen von Eisen(II)-Salzen mit Kaliumhexacyanidoferrat(III) in wässriger Lösung. Zunächst wurde angenommen, dass der sich bildende dunkelblaue Niederschlag eine andere Zusammensetzung als das durch Umsetzen von Eisen(III)-Salzen mit Kaliumhexacyanidoferrat(II) (gelbes Blutlaugensalz) gewonnene Berliner Blau aufwies. Mittels EPR- und Mößbauerspektroskopie konnte jedoch festgestellt werden, dass die Reaktionsprodukte weitgehend identisch sind, da folgendes Gleichgewicht besteht:
Miloriblau bezeichnet gekochte Sorten des Pigments, die einen etwas wärmeren rotstichigen Farbton aufweisen und erstmals von der Firma Milori de France hergestellt wurden. Diese hatte nach Diesbach ein Blaupigment auf einem anderen Verfahrensweg gewonnen, das im Vergleich zum Preußischblau etwas schwächer in seiner Farbstärke ist. Der Name Miloriblau hat sich bis heute erhalten. Vossenblau wurde nach der L. Vossen & Co G.m.b.H. bei Düsseldorf benannt, die ab 1905 exklusiv den Vertrieb durchführte.
Französischblau oder Pariser Blau bezieht sich auf den Firmensitz der Firma A. Milori. Preußisch Blau, auch Preußischblau, sowie Zwickauer Blau beziehen sich ebenfalls auf Produktionsstandorte.
Der Name Bronzeblau bezieht sich auf den bronzierenden roten Farbstich, der sich bei verschiedenen Bindemitteln zeigt. Insbesondere bezieht sich Bronzeblau auf den rötlichen Glanz der ungemahlenen, schwarzblauen Brocken.
Chinesisch Blau oder Chinablau hat seinen Namen von dekorativem Porzellan. Diese Produktionsvariante des Pigmentes ergibt die reinsten und brillantesten Farbtöne mit einem Grünstich. Es ergibt den besten Vollton und die höchste Deckkraft, allerdings hat es die härteste Struktur und den höchsten Ölbedarf. Sächsischblau bezieht sich auf die Farbe der Uniformen der sächsischen Armee, die mit Berliner Blau gefärbt wurden. Tonerblau oder Tintenblau bekam diesen Namen wegen der Nutzung zum Abtönen des rötlichen (braunen) Farbstichs von Ruß.
Aus der Struktur beziehungsweise Zusammensetzung des Pigments leiten sich die Namen Eisenblau, Eisencyanblau, Eisenhexacyanidoferrat, Stahlblau, Eisencyanürcyanid, Ferrozyanblau und Ferriferrocyanidblau sowie Stahlblau ab. Pottascheblau bezieht sich auf die Verwendung von Pottasche bei der Herstellung. Bis zum Ersten Weltkrieg war das Kation des Komplexsalzes vorwiegend Kalium. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Preis von Pottasche stark anstieg, wurde das Ammoniumsalz mit gleich guten Eigenschaften hergestellt. Eisenblau bezeichnet auch ein altertümliches Pigment aus dem Mineral Vivianit.
Luisenblau, Modeblau, Wasserblau sind Produktnamen für abgewandelte Farbmittel in der Textilfärberei und mögen als Namen für Modefarben entstanden sein. Das rotstichigste Pigment ist Miloriblau, die grünstichigste Variante ist das Chinesisch Blau.
Im französischen Sprachraum sind die Bezeichnungen Bleu de prusse oder Bleu de Milori geläufig, im englischen Sprachraum die Bezeichnungen iron blue, toning blue oder Prussian blue.
Geschichte
Erste Synthesen
Wahrscheinlich um 1706 stellte Johann Jacob Diesbach, ein Berliner Farbenhersteller, erstmals Berliner Blau her. Die früheste bekannte schriftliche Nennung des Pigments erfolgt in einem Brief vom 31. März 1708, von Johann Leonhard Frisch an Gottfried Wilhelm Leibniz, den Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Im August 1709 benannte er das Pigment als Preußisch blau, im November desselben Jahres änderte er die Bezeichnung in Berlinisch Blau. Frisch war verantwortlich für die frühe Vermarktung des Pigments. Er behauptete von sich, das Pigment durch eine Säurebehandlung verbessert zu haben. Frisch ist der Verfasser der ersten Publikation zum Berliner Blau in Notitia Coerulei Berolinensis nuper inventi von 1710. Diesbach stand etwa ab 1701 in Frischs Diensten.
Neben Diesbach wird Johann Konrad Dippel mit der Erfindung in Verbindung gebracht. Wie verlässlich die entsprechende Angabe durch Georg Ernst Stahl und die damit verbundene Geschichte der ersten zufälligen Herstellung des Pigments ist, kann heute schlecht beurteilt werden. Demnach war Diesbach mit der Herstellung eines roten Farbstoffs beschäftigt, als ihm die Pottasche (Kaliumcarbonat) zur Ausfällung des Farbstoffs ausging. Von seinem Kollegen Johann Konrad Dippel ließ er sich deshalb einen Ersatzstoff geben (verunreinigt mit „Dippels Tieröl“), der jedoch entgegen seinen Erwartungen ein blaues Pigment ausfällte. Das Rezept konnte einige Zeit geheim gehalten werden, bis es schließlich der Engländer John Woodward 1724 in den Philosophical Transactions veröffentlichte. Die Informationen dazu hatte er vom Berliner Apotheker Caspar Neumann.
Verwendung in der Malerei und Textilfärbung
Berliner Blau diente anfangs als Pigment für Kunstmaler, die damit das relativ teure Ultramarin aus Lapislazuli ersetzten. Das 1709 durch Pieter van der Werff in Rotterdam geschaffene Gemälde „Die Grablegung Christi“ (Bildergalerie Sanssouci, Potsdam) stellt den frühesten bisher bekannten Nachweis der Verwendung des Pigments in der Malerei dar. Um 1710 wurde es von Malern am Preußischen Hof vielfach genutzt und erreichte Paris, wo es durch Antoine Watteau und später von seinen Nachfolgern Nicolas Lancret und Jean-Baptiste Pater verwendet wurde.
Ein von Pierre-Joseph Macquer entwickeltes Färbeverfahren, wobei das Berliner Blau mittels Gelben Blutlaugensalzes direkt auf der Woll-, Baumwoll- oder Seidenfaser abgeschieden wurde, verbesserte die Farbechtheit erheblich und führte ab den 1760er Jahren zu einem Aufschwung der Berliner-Blau-Produktion. Die Erfindung verschaffte Macquer die Berufung zum Generalinspektor der Färbereien. Die erhöhte Nachfrage führte zwischen 1756 und 1799 zur Gründung von elf Berliner-Blau-Fabriken in Deutschland. Die Fabriken deckten ihren Energiebedarf und die Versorgung mit Pottasche weitgehend durch die Verbrennung von Holz. Die Verarbeitung von tierischen Abfällen ging mit einer Geruchsbelästigung einher, die einen gewissen Abstand zur Wohnbebauung erforderte. Daher lagen diese Fabriken oft in der Nähe von Wäldern. Damit begann Mitte des 18. Jahrhunderts die anorganisch-chemische Produktion in Deutschland. Die industrielle Produktion von Berliner Blau beschrieb Theodor Fontane in seinem Roman Frau Jenny Treibel, eine Berliner Familie, die im Besitz großer Fabriken zur Produktion von Berliner Blau war. Vorbild dieser Literaturgestalt ist die Unternehmerfamilie Kunheim (Chemische Fabriken Kunheim u. Co. AG und ab 1925 Rhenania- Kunheim Verein Chemischer Fabriken AG), mit der Fontanes Schwester Jenny Sommerfeld befreundet war.
Die Herstellung erfolgte unter weitgehendem Luftausschluss durch Pyrolyse stickstoffhaltiger tierischer Produkte wie Blut, Klauen oder Wolle in einer Schmelze von Pottasche bei einer Temperatur von etwa 900 bis 1000 °C in eisernen Gefäßen. Dabei bildete sich das Zielprodukt Kaliumcyanid, freigesetztes Ammoniak konnte zu Salmiak oder Hirschhornsalz weiter verarbeitet werden. Die Schmelze wurde in Wasser gelöst, wobei das Kaliumcyanid mit dem als Nebenprodukt vorhandenen Eisen(II)-sulfid zu gelbem Blutlaugensalz reagierte.
Export
Die Schwedische Ostindien-Kompanie exportierte 1759 zunächst geringe Mengen Berliner Blaus nach China und Indien. Ab 1775 wurden größere Mengen nach China exportiert und zehn Jahre später hatte sich der Export bereits vervierfacht.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde Berliner Blau von Holländern und Chinesen nach Japan exportiert, wo es Bero, Bero-Ai oder Beroin genannt wurde und im traditionellen japanischen Farbholzschnitt verwendet wurde. Die Japaner stoppten 1810 den Import aus China. Die Niederländer nahmen den Handel 1818, die Chinesen 1824 wieder auf. Berliner Blau lässt sich auf zwei japanischen Gemälden der Edo-Zeit, davon eines aus den 1760er Jahren und das andere aus dem Jahr 1817, nachweisen. Bekannte Werke wie die von Katsushika Hokusai ab 1830 geschaffene Serie 36 Ansichten des Berges Fuji verwenden oft Berliner Blau.
Moderne Entwicklungen
Der deutsche Pharmakologe Horst Heydlauf untersuchte 1968 die Wirkung von Berliner Blau als Mittel gegen Thalliumvergiftungen. Heydlauf zeigte, dass die Thalliumionen in das Gitter von Berliner Blau eingelagert werden und so vom Körper ausgeschieden werden können. Die Wirksamkeit wurde seitdem umfassend bestätigt. Der gleiche Effekt zeigte sich auf für Caesiumionen. Zum Einsatz von Berliner Blau als Gegenmittel kam es 1987 in Brasilien, als beim Goiânia-Unfall etwa 250 Personen mit radioaktivem Caesium-137 kontaminiert wurden, das aus einem entwendeten Strahlentherapiegerät eines stillgelegten Krankenhauses herausgebrochen worden war. Die Ärzte behandelten 29 stark kontaminierte Personen mit Berliner Blau, von denen 25 die Caesiumvergiftung überlebten.
Moderne Forschungsrichtungen beinhalten unter anderem mit anderen Übergangsmetallen dotierte Analoga von Berliner Blau, deren magnetische und elektrochemische Eigenschaften, ihre Fähigkeit als Gasspeicher zu wirken, oder deren Ionenaustauscheigenschaften. Des Weiteren wird der Einsatz anderer Liganden untersucht wie etwa Dicyanamid oder größere Polycyanospezies wie Tetracyanochinodimethan.
Vorkommen
Berliner Blau gilt als das erste moderne Pigment, das in dieser Form nicht in der Natur vorkommt. Einer der Hauptbestandteile, das Kaliumhexacyanidoferrat(II), kommt dagegen als seltenes Mineral Kafehydrocyanit vor.
Gewinnung und Darstellung
Die Herstellung erfolgt, indem eine Lösung von Kaliumhexacyanidoferrat(II) mit einem in Wasser gelösten Eisen(III)-Salz oder eine Lösung von Kaliumhexacyanidoferrat(III) mit einem in Wasser gelösten Eisen(II)-Salz versetzt wird. So entsteht in beiden Fällen bei einem Molverhältnis von 1:1 das gleiche kolloidal gelöste „lösliche Berliner Blau“ („lösliches Turnbulls Blau“).
Erst bei Zugabe überschüssiger Eisen(III)- oder Eisen(II)-Ionen bildet sich ein blauer Niederschlag, der als „unlösliches Berliner Blau“ oder „unlösliches Turnbulls Blau“
bezeichnet wird und als Farbpigment verwendet werden kann. Der Partikeldurchmesser liegt je nach Herstellungsverfahren zwischen 0,01 und 0,2 μm. Die intensive blaue Farbe entsteht durch den Charge-Transfer-Übergang zwischen den Fe2+- und den Fe3+-Ionen.
Industrielle Produktion
Die direkte Reaktion wird in der Pigmentproduktion seltener benutzt. Dieser Reaktionsweg wird meist für die Herstellung von Präparaten genutzt. Eisen- und Hexacyanidoferrat-Ionen werden in Wasser vermischt.
Zunächst fällt kolloidales Berliner Blau aus, mit einem Überschuss von Eisenionen bildet sich Berliner Blau.
Die industrielle Produktion nutzt den indirekten Weg über den Umsatz zum sogenannten Berliner Weiß. Häufiger werden statt der kaliumhaltigen Rohstoffe die Ammoniumsalze genutzt.
Das erhaltene Berliner Weiß, der sogenannte Weißteig, wird mit Schwefelsäure bei 75–100 °C ausgezogen und mit Natriumdichromat oder Natriumchlorat oxidiert.
Das Produkt wird gewaschen und gefiltert oder abgepresst und bei 15 bis 30 °C getrocknet. Anschließend wird das Pigment auf die erforderliche Korngröße ausgerieben und verpackt. Das fertige Produkt enthält noch 4–7 % absorbiertes und hydratisiertes Wasser. Das sehr fein gemahlene Herstellungsergebnis ist das gut in Wasser dispergierbare und beständige „lösliche“ Berliner Blau. Unterschiedliche Nachbehandlungen ergeben eine breite Produktpalette für die angestrebten Einsatzzwecke. Eine weitere Behandlung mit anionischen, nichtionischen oder kationischen Tensiden kann zu einer drastischen Änderung von Ölbedarf, Struktur und Glanz führen.
Für das Pigment Berliner Blau werden bei der Bildung noch weitere Substanzen, wie Kaliumchlorid zugesetzt. Diese Substanzen beeinflussen die Fällung physikalisch und bilden im Filterkuchen lösliche Salze. Dadurch bilden sich keine kompakten Agglomerate. Für die Anwendung als Farbpigment sollte das anorganische Produkt „weich“ sein, mit diesem Fachbegriff ist feinkörnig gemeint. Ein „weiches“ Pigment lässt sich im Bindemittel leichter dispergieren.
Mitte der 1980er Jahre erreichte die Jahresproduktion von Berliner Blau in der westlichen Welt mit etwa 50.000 Tonnen pro Jahr einen Höhepunkt. Im Jahr 2012 betrug die Weltjahresproduktion nur etwa 10.000 Tonnen.
Historische Verfahren
Bei der Methode nach Diesbach werden Cochenilleschildläuse in Alaun und Eisensulfat gekocht. Anschließend wird das Pigment mit „Dippels Tieröl“ ausgefällt. Beim sogenannten Englischen Rezept werden gleiche Teile von Kaliumnitrat (Salpeter) und Kaliumtartrat (Backtriebmittel) in einem Schmelztiegel erhitzt. Nach Zugabe von getrocknetem Tierblut wird die Mischung weiter erhitzt. Die entstandene Masse wird mit Wasser gewaschen und mit Alaun und Eisensulfat vermischt. Eine Endbehandlung mit Salzsäure verändert die zunächst grünliche Farbe in tiefes Blau.
Eigenschaften
Physikalische Eigenschaften
Unter Inertgasatmosphäre zersetzt sich Berliner Blau beim Erhitzen über die Stufen der Dehydratisierung, gefolgt von einer Änderung der Kristallstruktur und anschließender Zersetzung. Bei 400 °C bildet sich eine monokline Berliner-Blau-Phase, bei höheren Temperaturen bilden sich verschiedener Eisencarbide. Bei Temperaturen über 700 °C zersetzen sich die Eisencarbide zu Zementit (Fe3C), metallischem Eisen und Graphit.
Durch Kristallstrukturanalyse konnte die Kristallstruktur des Berliner Blaus bestimmt werden. Dabei zeigte sich, dass das Wasser zum Teil koordiniert vorliegt, zum Teil in der Käfigstruktur des Berliner Blau eingelagert ist. Bei einer Temperatur von 5,6 K findet im Berliner Blau ein ferromagnetischer Phasenübergang statt.[36]
Chemische Eigenschaften
Gegenüber schwachen Säuren ist Berliner Blau stabil. Der Cyanoferratkomplex wird wegen des geringen Löslichkeitsproduktes nicht zerstört und Cyanid-Ionen werden nicht freigesetzt, so dass keine freie Blausäure entsteht.
Durch Laugen wird das Pigment angegriffen, es bildet sich festes braunes Eisen(III)oxid-hydroxid und gelöstes Hexacyanidoferrat. Deshalb wird dieses Blaupigment nicht für Freskenmalereien eingesetzt.
Berliner Blau wird als die erste Koordinationsverbindung bezeichnet. Das wesentliche Strukturelement des Berliner Blau ist die Sequenz Fe(III)-NC-Fe(II) in einem dreidimensionalen polymerem Gerüst. Die Zuordnung der Oxidationsstufen Fe(II) zu einem Kohlenstoffoktaeder und Fe(III) zu einer Stickstoff-Wasser-Umgebung wurde durch eine Vielzahl von Infrarot-, Photoelektronen- und Mößbauerspektroskopischen Untersuchungen sowie Neutronenstreuungsstudien eindeutig nachgewiesen. Die Struktur besteht aus den Einheiten 3 Fe(II)C6, Fe(III)N6 und 3 Fe(III)N4O2. Der mittleren Abstand für Fe(II)–C wurde durch Röntgenstrukturanalyse mit 192 pm, der C–N-Abstand mit 113 pm und der Fe(III)–N-Abstand mit 203 pm bestimmt.
Elektronische Eigenschaften
Die intensive blaue Farbe des Berliner Blau ist bedingt durch sogenannte Metall-Metall-Charge-Transfer-Übergänge. Cyanid ist ein Ligand, der eine starke Ligandenfeldaufspaltung erzeugt und damit bei den Eisen(II)-Ionen im Gitter zur Ausbildung einer low-spin-Konfiguration mit Fe2+ (t2g)6(eg)0 und einem Gesamtspin von S = 0 führt.
Der Isocyanid-Ligand der Eisen(III)-Ionen führt zu einer schwächeren Ligandenfeldaufspaltung. Durch die Messung der magnetischen Suszeptibilität wurde nachgewiesen, dass die Fe(III)-Ionen in einer high-spin-Konfiguration Fe3+(t2g)3(eg)2 mit einem Gesamtspin von S = 5/2 vorliegen.
Durch Absorption von Licht erfolgt ein Übergang vom t2g-Orbital des Eisen(II) auf die t2g- und eg-Orbitale des Eisen(III). Die erforderliche absorbierte Energie dafür liegt im rot-gelben Bereich, das blaue Licht wird als Komplementärfarbe reflektiert.
Verwendung
Farbmittel
Die größten Mengen von Berliner Blau werden für chemische Beschichtungen, für Druckfarben (als ISO-Blau), Kohlepapier und in der Kunststoffindustrie eingesetzt. Eine geringere Menge wird bei der Papierherstellung zum Bläuen (Verringerung eines Gelbstiches) verwendet. In seinem Vollton ergibt dieses Pigment einen sehr dunklen, fast schwarzen Farbton; in dieser Form besitzt es eine Bedeutung für transparente Finishs auf Metallfolien, auch für Blechdruckfarben. Besonders geeignet ist die Eigenschaft im Zusammenhang mit Aluminiumpulver für glänzende Oberflächenbehandlungen. Berliner Blau wird als echtes Farbmittel zu Füllhaltertinten benutzt. Für die Kunststoffeinfärbung hat sich Berliner Blau sehr bei der Färbung von ND- und HD-Polyethylen bewährt. Bei der Papierherstellung werden wasserdispergierbare Typen allgemein eingesetzt, die als lösliches Eisenblau bezeichnet werden.
Das Pigment hat eine hervorragende Farbechtheit. Neben seiner Brillanz besitzt es ein hervorragendes Deckvermögen und eine hohe Farbstärke. Die Lichtechtheit von reinem Berliner Blau ist gut, bei gering pigmentierten Pastelltönen, etwa durch das Mischen mit einem weißen Pigment wie Bleiweiß oder Zinkoxid, verblasst es stark. Spektroskopische Untersuchungen führen diese Verblassung auf eine Reduktion der Eisen(III)-Ionen an der Oberfläche des Pigments durch Belichtung zurück.
Es blutet weder in Wasser, Ethanol oder Methylethylketon noch in unpolaren Mineralölen, Di-n-octylphthalat oder Leinölfirnis. Allerdings besitzt es nur eine geringe Alkalienbeständigkeit und ist gegen Säuren nur mäßig beständig. Die Wetterbeständigkeit ist stark von der Rezeptierung bestimmt.
Textilfärbung
Das Färben von Wolle, Baumwolle, Seide und Leinen wurde in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst wurden die Textilien dazu mit einem Eisen(III)-Salz gebeizt. Dazu wurde oft Eisen(III)-sulfat mit verdünnter Salpetersäure in Wasser aufgelöst und die Textilien mehrere Stunden in der Beize gekocht. Durch diesen Vorgang zogen Eisen(III)-Ionen auf die Faser. Im zweiten Schritt wurden die Textilien in einer Lösung von gelben Blutlaugen gefärbt. Seide wurde mit einer ammoniakalischen Lösung nachbehandelt.
Kunst
Die Farbe wurde in der späten Edo-Zeit im japanischen Farbholzschnitt beliebt. Bekannt ist vor allem das von Katsushika Hokusai geschaffene Werk Die große Welle vor Kanagawa.
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The Blue Boy
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Sternennacht (van Gogh)
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Seerosen
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Sternennacht (Munch)
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Die große Welle vor Kanagawa
Das Pigment lässt sich ausreichend dispergieren und besitzt eine gute Hitzeechtheit. Abhängig von der Anwendung beträgt der Ölbedarf des Pigments zwischen 70 und 120 kg Öl für 100 kg Pigment. Da alle diese Blaupigmente aus den gleichen Rohmaterialien hergestellt werden, sind die Prozess- und Herstellungsbedingungen entscheidend für die Eigenschaften und den vorgesehenen Verwendungszweck. Eine häufige Anwendung findet Miloriblau in Kombination mit Chromgelb (C.I. Pigment Yellow 34) zum sogenannten Chromgrün. Durch die Farbstärke und Deckkraft des Berliner Blaus wird ein sehr gutes Grünpigment erhalten.
Medizin
In der Medizin wird Berliner Blau bei einigen Vergiftungen – insbesondere bei Verbindungen mit Caesium und Thallium – als Mittel zur Bindung des Giftes verwendet, welches zusammen mit dem Pigment ausgeschieden wird. Es wurde unter dem Handelsnamen Radiogardase beispielsweise nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl eingesetzt, um Tiere zu dekontaminieren, die radioaktives Caesium-137 aufgenommen hatten. Zum umfangreichsten Einsatz von Berliner Blau in der Geschichte der Nuklearunfälle kam es im Rahmen des Goiânia-Unfalls. Dabei wurde es sowohl zur Dekontaminierung von Menschen als auch von Oberflächen verwendet. Auf Graphenschaum abgeschiedenes Berliner Blau zeigte eine 99,5 %ige Entfernungseffizienz für Caesium-137 aus kontaminiertem Wasser.
Die Wirksamkeit von Berliner Blau bei einer Thalliumvergiftung wurde durch mehrere Tierstudien belegt. Obwohl es dazu wenig Erfahrungen beim Menschen gibt, gilt Berliner Blau als Medikament der Wahl bei akuten Thalliumvergiftungen.
Intelligentes Glas
Zu den intelligenten Glastechnologien gehören elektrochrome Gläser, deren Lichtübertragungseigenschaften sich ändern, wenn Spannung angelegt wird. Berliner Blau erlaubt bei dieser Anwendung einen Farbwechsel von transparent zu intensivem blau. Durch Anlegen einer Spannung an elektrisch leitenden Gläsern lässt sich Berliner Blau zum Berliner Weiß, K2[Fe(II)Fe(II)(CN)6] reduzieren und das Glas verliert seine Farbe. Durch Umpolung lässt sich der Vorgang umkehren.
Analytische Chemie
Die Reaktion zum Berliner Blau ist eine sehr empfindliche Methode für den Eisennachweis. In der analytischen Chemie ist deshalb die Berliner-Blau-Reaktion als Nachweis von Eisen (oder von Cyaniden) eine verbreitete Methode. Auf Grund der hohen Empfindlichkeit wegen der hohen Farbstärke ist diese in der Mikrochemie und als Tüpfelprobe geeignet. Dieser Nachweis wird in der Pathologie als Reaktion auf Eisen genutzt, um Herzfehlerzellen oder eine Siderose zu diagnostizieren. Berliner Blau wird zum Nachweis von Hämosiderin im Urin verwendet, um die Diagnose eines Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangels zu bestätigen.
Die sogenannte Berliner-Blau-Methode dient zum Nachweis von Gesamtphenolen. Dabei wird rotes Blutlaugensalz durch Phenole zum gelben Blutlaugensalz reduziert, welches mit vorhandenen freien Eisen(III)-Ionen zum Berliner Blau reagiert. Der Vergleich der Extinktion der Proben bei einer Wellenlänge von 700 nm mit einem Standard ermöglicht die Bestimmung der Gesamtphenole.
Der Nachweis von Stickstoff in organischen Substanzen erfolgt durch einen Natrium-Aufschluss, wobei Natriumcyanid entsteht. Mittels nachfolgender Lassaigne-Probe, benannt nach dem französischen Chemiker Jean Louis Lassaigne, erfolgt der Nachweis des entstandenen Cyanids durch Bildung von Berliner Blau.
Sonstige Anwendungen
Bei der fotografischen Drucktechnik der Cyanotypie entsteht als Pigment unter UV-Licht aus grünem Ammoniumeisen(III)-citrat und Kaliumhexacyanidoferrat(III) Berliner Blau. Das Verfahren wurde bis ins 20. Jahrhundert als einfaches Verfahren verwendet, um Kopien von technischen Zeichnungen zu erstellen, die als Blaupausen bezeichnet werden. Die Technik der Blaupause wurde 1842 entdeckt. Eine erste Anwendung fand die Technik in dem Buch Photographs of British Algae: Cyanotype Impressions von Anna Atkins. Dies ist ein botanischer Band, der 1844 veröffentlicht wurde und enthält Bilder von Algen.
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Cystoseire granulata
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Cystoseira foeniculacea
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Fucus vesiculosus
In der Metallverarbeitung und im Maschinenbau wird Berliner Blau als Paste dünn auf Metallflächen aufgetragen (tuschieren), um die Qualität geschabter Flächen beurteilen zu können. Das Pigment wird heute im namensgleichen „Persischen Blausalz“ verwendet, einem Speisesalz, das als „absolut naturrein“ beworben wird, tatsächlich aber Berliner Blau enthält, der nach Ansicht der Tester von Stiftung Warentest „als Farbstoff in Lebensmitteln nichts zu suchen hat.“
Eine weitere Anwendung ist die Sichtbarmachung von Fingerabdrücken. Dabei können auf saugenden und elektrisch leitfähige Unterlagen kathodisch Berliner Blau auf dem Spurenträger abgeschieden werden.
Berliner Blau wurde als Komponente von Kirrfutter versuchsweise eingesetzt, um die Caesium-137-Belastung von Wildschweinen zu reduzieren. Diese betrug im Mittel etwa 522 Becquerel pro Kilogramm Muskelfleisch in einer Kontrollgruppe. Durch die Beifütterung mit Berliner Blau sank die Belastung um durchschnittlich 350 bis 400 Becquerel pro Kilogramm Muskelfleisch.
In der Weinherstellung dient die Blauschönung der Entfernung von Metallen wie Eisen, Kupfer und Zink. Dazu wird dem Wein Kaliumhexacyanidoferrat(II) zugesetzt, welches mit vorhandenes Eisenionen zunächst zu löslichem Berliner Blau reagiert. Dieses reagiert weiter zum unlöslichen Berliner Blau, wodurch sich nach einiger Zeit ein sogenannter Blautrub absetzt.
Berliner-Blau-Analoga
Die allgemeine chemische Formel für Berliner-Blau-Analoga kann als AlMn[M*m(CN)6] x H2O aufgefasst werden, wobei A einem Alkalimetall- oder Ammoniumion entspricht, M und M* stellen Übergangsmetallkationen dar. Berliner Blau und Berliner-Blau-Analoga sind poröse Koordinationspolymere, die als Strukturelement durch Cyanoliganden verbrückte Übergangsmetallionen aufweisen. Die Metallzentren M und M* weisen oft verschiedene Oxidationsstufen auf. Die Berliner-Blau-Analoga eignen sich für verschiedene Anwendungen, darunter Gasspeicherung, Batterien sowie gezielte Arzneimittelfreisetzung im Körper.
Super-Berliner-Blau
Durch die Ersetzung von Eisen(III) durch ein Ion wie das Trimethylzinnion ((CH3)3Sn+) wird ein metallorganisches Polymer erhalten. Der Abstand zwischen den Eisen(II)-Ionen beträgt dabei etwa ein Nanometer und ist damit doppelt so groß wie beim Berliner Blau. Die Käfiggröße beträgt damit etwa ein Kubiknanometer. Mit Ferrocen bildet Super-Berliner-Blau eine Interkalationsverbindung. Das Gitter nimmt auch Gase wie Stickstoffdioxid auf und könnten damit eine industrielle Anwendung in der Rauchgasentstickung finden. Die Eisencyanostruktur kann durch andere Systeme wie Rhodium(III)-Thiocyanat ([Rh(SCN)6]3-) ersetzt werden.
Sicherheitshinweise
Die Resorbierbarkeit von Berliner Blau unter physiologischen Bedingungen ist außerordentlich gering, da es praktisch unlöslich in Wasser und verdünnten Säuren ist. Es ist davon auszugehen, dass weder über die Haut noch über Atemwege oder Verdauungstrakt größere Mengen aufgenommen werden. Daher kann es als praktisch untoxisch eingestuft werden. Wird es über 250 °C erwärmt, verliert der Komplex Cyanidionen, die als giftiges, gasförmiges Dicyan freigesetzt werden.
Literatur
- Alexander Kraft: Berliner Blau. Vom frühneuzeitlichen Pigment zum modernen High-Tech-Material GNT-Verlag 2019, ISBN 978-3-86225-118-6.
- Hans-Peter Schramm, Bernd Hering: Historische Malmaterialien und ihre Identifizierung. o.V. Stuttgart, 1995. Reprint Ravensburg, 2000. ISBN 3-473-48067-3.
- Andreas Ludi: Prussian blue, an inorganic evergreen. In: Journal of Chemical Education, 58 (12), 1981, 1013.
- Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967, ISBN 3-473-48359-1 (früher: ISBN 3-473-61157-3).
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 13.12. 2024