Neutronenstreuung
Die Neutronenstreuung, ein Hauptgebiet der Forschung mit Neutronen, untersucht Kondensierte Materie durch Beobachten der Streuung von langsamen oder thermischen Neutronen an einem Probekörper (engl.: Target).
Langsame und thermische Neutronen wechselwirken mit Atomkernen und mit den magnetischen Momenten von Elektronen und eignen sich daher zur Untersuchung der Struktur, der Dynamik sowie der magnetischen Ordnung kondensierter Materie auf atomarem Maßstab. Bei der Neutronenstreuung wird zwischen inelastischer, elastischer und quasielastischer Streuung unterschieden. Die inelastische Streuung ist mit der An- oder Abregung eines Phonons, eines Magnons oder eines anderen internen Freiheitsgrades des Targets verbunden. Durch Messung der Änderung der kinetischen Energie des Neutrons lässt sich die Energie der Anregung ermitteln. Bei elastischer Streuung ist die Wechselwirkung mit keiner Energieübertragung verbunden. Da die De-Broglie-Wellenlänge thermischer Neutronen in der Größenordnung eines Atomdurchmessers liegt, treten bei der elastischen Streuung von Neutronen an kondensierter Materie Interferenzeffekte auf, die für Strukturuntersuchungen ausgenutzt werden können. Diese Untersuchungsmethode wird häufig auch als Neutronenbeugung (oder -diffraktometrie) bezeichnet. Eine dritte Methode ist die quasielastische Streuung, die zur Untersuchung von Diffusionsmechanismen auf atomarer Ebene verwendet wird.
Anwendungen
Da Neutronen keine elektrische Ladung besitzen, dringen sie recht tief in Materie ein: die freie Weglänge thermischer Neutronen in kondensierter Materie ist von der Größenordnung Millimeter (der genaue Wert hängt von der Dichte und Zusammensetzung der Probe ab). Deshalb ist Neutronenstreuung geeignet, Volumeneigenschaften von Materie zu untersuchen – im Gegensatz etwa zur Elektronenbeugung, die auf oberflächennahe Bereiche beschränkt ist.
Wie alle Teilchen haben Neutronen nicht nur Teilchen-, sondern auch Welleneigenschaften. Die Wellenlänge langsamer Neutronen beträgt ungefähr 0,1 bis 1 nm und ist somit von der gleichen Größenordnung wie Atomabstände in Molekülen und Festkörpern. Ähnlich wie bei der Beugung von Licht an einem Gitter kommt es auch bei der Streuung von Neutronen an einer regelmäßig aufgebauten Probe zu wellenmechanischen Interferenzen; die Winkelverteilung der gestreuten Neutronen besitzt die Regelmäßigkeit eines Beugungsbildes, aus dem auf die atomare Struktur der untersuchten Probe zurückgeschlossen werden kann.
Die bis hierhin genannten Eigenschaften – elektrische Neutralität und Wellenlänge im nm-Bereich – haben Neutronen mit der Röntgenstrahlung gemeinsam. Für Strukturuntersuchungen setzt man daher in erster Linie die grundsätzlich ähnliche, praktisch aber einfachere und billigere Röntgenbeugung ein. Neutronenstreuung ist jedoch von Vorteil, wenn man die folgenden weiteren Eigenschaften des Neutrons ausnutzen kann:
- Der Streuquerschnitt von Neutronen hängt von Eigenschaften der streuenden Atomkerne ab und variiert deshalb von Nuklid zu Nuklid und sogar von Isotop zu Isotop. Im Gegensatz dazu wird Röntgenstrahlung vor allem von Elektronen gestreut, weshalb der Streuquerschnitt mit der Ordnungszahl ansteigt und beispielsweise Wasserstoff für Röntgenbeugung beinahe unsichtbar ist. Insbesondere bei der Untersuchung biologischer Proben wird Neutronenstreuung komplementär (ergänzend) zur Röntgenbeugung eingesetzt, um die Position von Wasserstoffatomen zu bestimmen. Durch Isotopenaustausch kann die Aussagekraft von Neutronenstreuexperimenten gezielt gesteigert werden.
- Neutronen besitzen ein magnetisches Moment und werden daher an magnetischen Gittern gestreut. Neutronenstreuung ist daher eine wichtige Methode zur Untersuchung magnetischer Strukturen.
- Die Energie langsamer Neutronen beträgt wenige meV und ist daher von gleicher Größenordnung wie die Anregungsenergie von Phononen und Magnonen. Inelastische Neutronenstreuung ist daher die Standardmethode zur Vermessung der Dispersion von Phononen und Magnonen.
- Durch Neutronenstreuung können im Periodensystem der Elemente benachbarte Elemente wie z.B. Na, Mg und Al gut unterschieden werden, da die Streuung vom Isotop und dessen Kern-Spin abhängt. Röntgenstreuung liefert hier schlechtere Ergebnisse ohne Kontrast, da die Elektronenhülle vermessen wird, welche sich bei den genannten Fällen nur wenig unterscheidet.
Forschungseinrichtungen
Neutronenstreuung wird an Forschungsreaktoren und Spallationsneutronenquellen betrieben.
Geschichte
Die Neutronenstreuung wurde in den 1950er Jahren als physikalische Untersuchungsmethode etabliert. Für ihre Pionierleistungen erhielten Clifford Shull und Bertram Brockhouse 1994 den Physiknobelpreis. Sie reihen sich damit in die Reihe der Nobelpreisträger mit der längsten Lücke zwischen Entdeckung (1946) und Verleihung des Nobelpreises (1994) ein. Unter Heinz Maier-Leibnitz wurde am Forschungsreaktor München in Garching bei München der Neutronenleiter erfunden. Maier-Leibnitz leitete auch den Bau des Hochflussreaktors in Grenoble. Spätestens seit den 1990er Jahren wurden weltweit viele kleine Forschungsreaktoren stillgelegt; die Neutronenstreuung konzentriert sich auf einige wenige große Institute.
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de Seite zurück© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 06.04. 2022