Satz von Stokes
Der Satz von Stokes oder stokessche Integralsatz ist ein nach Sir George Gabriel Stokes benannter Satz aus der Differentialgeometrie. In der allgemeinen Fassung handelt es sich um einen sehr grundlegenden Satz über die Integration von Differentialformen, der den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung erweitert und eine Verbindungslinie von der Differentialgeometrie zur Algebraischen Topologie eröffnet. Dieser Zusammenhang wird durch den Satz von de Rham beschrieben, für den der Satz von Stokes grundlegend ist.
Es geht darum, -dimensionale
Volumenintegrale über das Innere in
-dimensionale
Randintegrale über die Oberfläche des Volumenstücks umzuwandeln. Häufig
werden nur spezielle Varianten des allgemeinen Satzes betrachtet, aus denen das
allgemeine Prinzip mehr oder minder gut ersichtlich ist, die aber für die
jeweiligen Anwendungen wichtig sind. Die beiden wichtigsten Spezialfälle, der Gauß'sche
Integralsatz und der spezielle Stokes'sche Integralsatz (siehe unten)
entstammen der Vektoranalysis.
In der Physik
und der Elektrotechnik
erlaubt der spezielle Satz von Stokes beziehungsweise der von Gauß elegante
Schreibweisen physikalischer Zusammenhänge, zum Beispiel bei den integrierten
Formen der Maxwell'schen
Gleichungen.
Integralsatz von Stokes
Aussage
Sei
eine orientierte n-dimensionale
kompakte differenzierbare
Mannigfaltigkeit mit abschnittsweise glattem Rand
mit induzierter Orientierung.
Dies ist für die meisten anschaulichen Beispiele, wie die Vollkugel mit Rand
(Sphäre) oder den Torus (Rettungsring), gegeben.
Sei ferner
eine auf
(bzw. in einer hinreichend großen offenen Umgebung) definierte alternierende
Differentialform vom Grad
,
die als stetig
differenzierbar vorausgesetzt wird.
Dann gilt die folgende Aussage, die nach Stokes benannt wurde:
wobei
die Cartan-Ableitung
bezeichnet. Das rechte Integral kann man als Oberflächenintegral
verstehen oder allgemeiner als Integral über die Mannigfaltigkeit
.
Die Cartan-Ableitung
ist hier gewissermaßen „dual“ zu der topologischen Operation
,
wodurch sich die in dieser Formel enthaltene Querbeziehung zwischen Aspekten der
Analysis und topologisch-algebraischen Aspekten ergibt.
Anmerkungen
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Unter der sehr allgemeinen Voraussetzung, dass
gilt, mit
-dimensionalen
Basisformen
,
zum Beispiel mit
und mit dem äußeren
Produkt ,
das unter anderem die Bedingung der Antisymmetrie
erfüllt,
,
besagt die äußere Ableitung konkret das Folgende:
Besonders einfach wird der Beweis des „Hauptsatzes“, wenn wie beim
nebenstehenden Beispiel eines Normalgebietes die Integrationsmannigfaltigkeit
(in der Zeichnung
genannt) in vertikale Streifen (in
-Richtung)
so segmentiert werden kann, dass nur an der gelb eingezeichneten „Oberseite“ und
an der rot eingezeichneten „Unterseite“ nichttriviale Beiträge entstehen, und
zwar wegen der ebenfalls eingezeichneten Orientierung (die Pfeilrichtungen) mit
entgegengesetztem Vorzeichen.
Folgerung
Sei
offen und
eine stetig differenzierbare
-Form
in
.
Dann gilt für jede orientierte kompakte randlose
-dimensionale
Untermannigfaltigkeit
die Aussage:
Anwendungen
Der (allgemeine) Satz von Stokes wird vor allem in der Mathematik verwendet. Er
- enthält als Spezialfälle für Physiker und Elektro-Ingenieure den Satz von Gauß und den speziellen Satz von Stokes (siehe unten), und
- bildet zweitens eine konkrete Verbindung zwischen
differentialgeometrischen und algebraischen
Aspekten der Topologie,
indem etwa in einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit zwei verschiedene Wege
und
, die vom gleichen Anfangspunkt ausgehen und zum gleichen Endpunkt führen, als topologisch homolog definiert werden, wenn für gewisse einstufige Differentialformen
das Kurvenintegral
verschwindet. Entsprechende Begriffe der algebraischen Topologie kann man auch mit dem höherdimensionalen Stokes'schen Satz aufbauen.
Integralsatz von Stokes für Ketten
Integration über Ketten
Sei
ein glatter
-Simplex
und
eine glatte, geschlossene
Differentialform auf der glatten
Mannigfaltigkeit
.
Dann ist das Integral über
definiert durch
.
Dabei bezeichnet
den Rücktransport
von
bezüglich
.
Die Definition ergibt Sinn, da
eine glatte Untermannigfaltigkeit mit Rand und induzierter Orientierung von
ist. (Oder man versteht
einfach als abgeschlossene Teilmenge des
.)
Im Fall
entspricht die Definition dem gewöhnlichen Kurvenintegral.
Ist
eine glatte
-Kette des singulären
Komplexes, dann ist das Integral von
über
definiert als
Für den Fall
findet man die Definition und weitere Informationen im Artikel Zyklus
(Funktionentheorie).
Aussage
Sei
eine glatte
-Kette
des singulären Komplexes und
eine glatte
-Differentialform
auf der glatten Mannigfaltigkeit
.
Dann gilt
Mit
wird der Randoperator
des singulären Komplexes bezeichnet.
Anwendung
Dieser Satz zeigt eine Verbindung zwischen differentialgeometrischen und
topologischen Eigenschaften einer glatten Mannigfaltigkeit auf. Betrachtet man
nämlich die De-Rham-Kohomologie
und die singuläre
Homologie
von
,
so erhält man durch
mit
einen Homomorphismus.
Aufgrund des Satzes von Stokes ist dieser Homomorphismus wohldefiniert und es
kommt nicht auf die Wahl des Repräsentanten
der Homologieklasse an. Seien
und
zwei Repräsentanten der gleichen singulären Homologieklasse, dann gilt
,
denn zwei Repräsentanten unterscheiden sich nur um ein Element des Randes. Daher
folgt mit dem Satz von Stokes
Die letzte Gleichheit gilt, da
ein Element der De-Rham-Kohomologie ist und daher
gilt. Ist
eine exakte
Differentialform dann gilt
Nach dem zentralen Satz von de Rham ist der Homomorphismus sogar ein Isomorphismus.
Zugrundeliegendes topologisches Prinzip
Hinter dem Stokes'schen Satz steckt ein allgemeines topologisches Prinzip, das in seiner einfachsten Form besagt, dass sich bei „orientierter Pflasterung eines Flächenstücks“ im Innern die Wege „wegen Gegenverkehrs“ paarweise aufheben, sodass nur die Randkurve übrig bleibt.
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Links in der Skizze sieht man vier kleine, gleich orientierte „Pflastersteine“. Die in der Mitte eingezeichneten „inneren Wege“ werden paarweise in entgegengesetzter Richtung durchlaufen; ihre Beiträge zum Linienintegral heben sich deshalb gegenseitig auf, sodass nur der Beitrag der Randkurve übrigbleibt. Es genügt also, die Integralsätze nur für möglichst kleine „Pflastersteine“ zu beweisen.
Bei hinreichender Verfeinerung der Pflasterung ist das im Allgemeinen fast elementar.
Spezialfälle
Mehrere Spezialfälle des allgemeinen Satzes von Stokes sind in der
klassischen Vektoranalysis von Bedeutung. Dazu gehört natürlich der klassische
Satz von Stokes. Er folgt aus dem allgemeinen Satz mit .
Außerdem sind auch der Hauptsatz
der Differential- und Integralrechnung, der Satz
von Green und der Gauß’sche Integralsatz Spezialfälle des allgemeinen
Stokes'schen Satzes.
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
Sei
ein offenes Intervall und
eine stetig differenzierbare Funktion. Dann ist
eine 1-Form (sog. Pfaff'sche
Form), und der allgemeine Stokes'sche Integralsatz entartet zu
Dies ist der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung.
Gaußscher Integralsatz
Für eine kompakte Teilmenge
des
und ein n-dimensionales Vektorfeld
erhält man als einen weiteren Spezialfall den gaußschen Integralsatz.
Dabei ist
der
-dimensionale
Normalen-Einheitsvektor und die Integrale sind jetzt
-
beziehungsweise
-dimensional,
wobei die Größe
auch als
geschrieben wird. Wählt man
so ergibt sich der gaußsche Integralsatz aus dem stokesschen.
Man kann diesen Satz auch zur Definition der Divergenz eines Vektorfeldes benutzen, wobei diese Definition unabhängig von den benutzten Koordinaten ist.
Klassischer Integralsatz von Stokes
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Der klassische Integralsatz von Stokes ist auch als Satz von
Kelvin-Stokes oder Rotationssatz bekannt. Er findet bei Physikern und
Elektrotechnikern Anwendung vor allem im Zusammenhang mit den Maxwell'schen
Gleichungen. Er besagt, dass ein Flächenintegral über die Rotation eines
Vektorfeldes in ein geschlossenes Kurvenintegral über die
Tangentialkomponente des Vektorfeldes umgewandelt werden kann. Dies ist
hilfreich, da das Kurvenintegral das Vektorfeld allein enthält und in der Regel
einfacher zu berechnen ist als Flächenintegrale, zumal dann, wenn die
betrachtete Fläche gekrümmt ist. Darüber hinaus sind die Kurvenintegrale in
vielen Anwendungen unmittelbar betroffen – und erst in zweiter Linie die
zugehörigen Flächenintegrale – zum Beispiel beim faradayschen Induktionsgesetz. Ist
speziell
gegeben, so führt die Tatsache, dass viele verschiedene
Mannigfaltigkeiten
in eine einzige geschlossene Randmannigfaltigkeit
„eingezwängt“ werden können, zu der Eichinvarianz
von Theorien wie der von Maxwell.
Aussage
Es sei
eine offene Teilmenge des dreidimensionalen Raumes und
ein auf
definiertes einmal stetig differenzierbares Vektorfeld. Dies wird gefordert,
damit der Ausdruck
gebildet werden kann. Weiter sei
eine in
enthaltene zweidimensionale reguläre
Fläche, die durch ein Einheitsnormalenfeld
orientiert ist (das heißt, es sei definiert, was die „Oberseite“ der Fläche
ist). Außerdem ist
der Tangenteneinheitsvektor der Randkurve. Mit der Eigenschaft regulär
wird sichergestellt, dass der Rand hinreichend glatt ist.
Der Rand von
wird mit
bezeichnet. Im Folgenden wird dieser Rand
stets mit einer geschlossenen Kurve identifiziert. Mit all diesen
Voraussetzungen gilt
.
In den Anwendungen schreibt man auch
,
mit
und
.
Ferner ist
die Rotation, und
(beziehungsweise
)
das Skalarprodukt der zwei
Vektoren
.
Die Form
ist die Volumenform der
zweidimensionalen Fläche
und
ist das Längenelement der Randkurve.
Anmerkungen
In dem Fall, dass
eine flache
Teilmenge darstellt, gilt in geeigneten Koordinaten
.
Ist
nicht flach, so lässt sich unter der Voraussetzung, dass sich die
zweidimensionale Fläche mit der Parametrisierung
mit
in
Segmente zerlegen lässt, die Volumenform für festes
durch
berechnen. Auch der Vektor
lässt sich analog berechnen, und zwar ist
der aus den drei Komponenten des Vektorprodukts
gebildete Einheitsvektor, das heißt
.
Beispiel
Es sei
eine als Normalgebiet
bezeichnete flache Mannigfaltigkeit, welche den Anforderungen des Satzes genügt,
und das Vektorfeld
gegeben durch
.
Das Einheitsnormalenfeld
sei gegeben durch
Dann gilt
Nach dem Satz von Stokes gilt
Dieses Beispiel zeigt, dass der Satz von Green ein Spezialfall des stokesschen Integralsatzes ist.
Literatur
- Konrad Königsberger: Analysis. Band 2. 4. überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u. a. 2002, ISBN 3-540-43580-8.
- Hans Grauert, Ingo Lieb: Differential- und Integralrechnung. Band 3: Integrationstheorie. Kurven- und Flächenintegrale, Vektoranalysis (= Heidelberger Taschenbücher 43). 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 1977, ISBN 3-540-08383-9.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 18.08. 2021