Zyklus (Funktionentheorie)
Kette und Zyklus sind mathematische Objekte, die insbesondere in der Funktionentheorie betrachtet werden, aber auch als Spezialfälle in der algebraischen Topologie auftreten. Die Kette ist eine Verallgemeinerung einer Kurve und der Zyklus ist eine Verallgemeinerung einer geschlossenen Kurve. Sie werden in Funktionentheorie vor allem im Bereich der Integration verwendet.
Um anzudeuten, dass Kette und Zyklus Spezialfälle aus der Homologietheorie der algebraischen Topologie sind, spricht man auch von der 1-Kette und dem 1-Zyklus. In der algebraischen Topologie selbst hat sich anstatt des Begriffs 1-Zyklus der Begriff 1-Zykel beziehungsweise p-Zykel durchgesetzt. Außerdem ist zu beachten, dass der Plural von der Zyklus die Zyklen, der Plural von der Zykel jedoch die Zykel heißt.
Definitionen
Kette
Unter einer Kette auf
beziehungsweise auf einer riemannschen
Fläche
versteht man eine formale endliche ganzzahlige Linearkombination
von stetigen Kurven
.
Die Menge aller Ketten auf
,
die auf natürliche Weise eine abelsche
Gruppe bilden, wird mit
notiert.
Integration über eine Eins-Kette
Sei
eine geschlossene
komplexe
(1,0)-Differentialform, dann ist das Integral über die Kette
durch
definiert. Ist
die komplexe Ebene
so ist das Kalkül
der Differentialformen nicht notwendig. In diesem Fall gilt nämlich
,
wobei
eine differenzierbare
Funktion ist. Die Definition vereinfacht sich dann zu
.
Zyklus
Ein Zyklus ist eine Kette, bei der jeder Punkt
unter Berücksichtigung der Vielfachheit
genauso oft als Anfangs- wie als Endpunkt der Kurven
auftritt.
Diese Definition kann man mit Hilfe der Divisorengruppe
umformulieren. Sei
eine Abbildung. Für eine Kurve
setzt man
,
falls
.
Andernfalls ist
der Divisor, der den Wert +1 in
,
den Wert −1 in
und sonst den Wert 0 annimmt. Für eine Kette
ist
durch
definiert. Der Kern
der Abbildung
ist die Gruppe der Zyklen.
Windungszahl
Die Spur ist die Vereinigung der Bilder der einzelnen Kurven, d.h.
.
Ist
eine Teilmenge, dann heißt
ein Zyklus in
genau dann, wenn die Spur
in
liegt.
Die Umlaufzahl
wird analog zu der einer geschlossenen Kurve definiert, nur unter Verwendung des
oben definierten Integrals, d.h. für
schreibt man
.
Das Innere (Interior) eines Zyklus sind genau diejenigen Punkte, für die die Windungszahl nicht verschwindet:
Analog dazu ist das Äußere (Exterior) genau die Menge der Punkte, für die die Windungszahl verschwindet:
Ein Zyklus heißt nullhomolog in
genau dann, wenn das Innere
vollständig in
liegt. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Windungszahl für alle Punkte aus
verschwindet.
Zwei Zyklen ,
heißen homolog in
genau dann, wenn ihre formale Differenz
nullhomolog in
ist.
Integralsätze
Die Ketten und Zyklen sind in der Funktionentheorie deshalb wichtig, weil man wie schon angesprochen mit ihnen das Kurvenintegral verallgemeinern kann. Insbesondere kann das Integral über einen Zyklus als Verallgemeinerung des geschlossenen Kurvenintegrals verstanden werden. Der Cauchysche Integralsatz, die Cauchysche Integralformel und der Residuensatz können für Zyklen bewiesen werden.
Der Satz
von Stokes kann auch für Ketten erklärt werden. Sei
eine Kette auf
bei der alle Kurven
glatt sind und sei
eine glatte Funktion. Dann lautet die Aussage des Satzes von Stokes
,
wobei
der Operator aus dem Abschnitt Eins-Zyklus und
die Ableitung ist. Das zweite Integral muss außerdem als
verstanden werden. Ist
sogar ein Zyklus, dessen Kurven glatt sind, dann vereinfacht sich der Satz von
Stokes zu
,
da dann die Summe
null ist.
Einordnung in die Homologietheorie
Bei den Begriffen der Kette und des Zyklus handelt es sich um Spezialfälle von Objekten der Topologie. In der algebraischen Topologie betrachtet man Komplexe von p-Ketten und bildet daraus Homologiegruppen. Diese Gruppen sind Invarianten in der Topologie. Eine sehr wichtige Homologietheorie ist die der singulären Homologiegruppen.
Eine Kette, wie sie hier im Artikel definiert wurde, ist eine 1-Kette des singulären
Komplexes, der ein bestimmter Kettenkomplex ist. Der im Abschnitt zum Zyklus
definierte Operator
ist der erste Randoperator
des singulären Komplexes und die Gruppe der Divisoren ist daher identisch mit
der Gruppe der 0-Ketten. Die Gruppe der Zyklen definiert als der Kern des
Randoperators
ist ein 1-Zykel
im Sinn des singulären Komplexes.
Neben dem Kern des Randoperators betrachte man in der algebraischen Topologie auch das Bild dieses Operators und konstruiert aus diesen beiden Mengen eine entsprechende Homologiegruppe. Im Fall des singulären Komplexes erhält man die singuläre Homologie. In diesem Kontext haben auch die zuvor definierten Begriffe homologe Kette und nullhomologe Kette eine abstraktere Bedeutung.
Literatur
- Wolfgang Fischer, Ingo Lieb: Funktionentheorie. 8. Auflage. Vieweg, Braunschweig 2003, ISBN 3-528-77247-6.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.08. 2020