Stabilitätsfunktion
Die Stabilitätsfunktion ist in der Numerik ein Hilfsmittel, um
Lösungsverfahren für gewöhnliche
Differentialgleichungen zu analysieren. Die einfache Testgleichung von Germund Dahlquist
mit
besitzt als Lösung die Exponentialfunktion
.
Bei den meisten Verfahren für gewöhnliche Differentialgleichungen kann man die
berechnete Näherungslösung nach einem Zeitschritt mit einer Schrittweite
ebenfalls als eine Funktion schreiben, die nur vom Produkt
abhängt. Diese Funktion ist die Stabilitätsfunktion und wird oft mit
bezeichnet. Durch einen Vergleich mit der Exponentialfunktion
bekommt man grundlegende Informationen über das numerische Verfahren. So
beziehen sich einige Stabilitätsbegriffe auf die Eigenschaften von
.
Stabilitätsgebiet und Stabilitätsbegriffe
Mit Hilfe der Stabilitätsfunktion
lässt sich das Stabilitätsgebiet
beschreiben und berechnen in der Form
Denn bei Einschrittverfahren
gilt für die Näherungen
zum Zeitpunkt
die Beziehung
und daher gilt
Wenn
die ganze linke komplexe Halbebene umfasst, heißt das Verfahren A-stabil. Dann ist
der Betrag von
in der ganzen offenen linken Halbebene kleiner als 1. Besonders günstig für ein
Verfahren ist es, wenn
außerdem noch den Grenzwert 0 hat, wenn
auf der reellen Achse gegen
strebt, sodass sich also der Betrag von
dort asymptotisch wie die Exponentialfunktion
verhält. Dann heißt das Verfahren L-stabil.
Beispiel
Das explizite
Euler-Verfahren
ergibt für die Testgleichung mit
nach einem Schritt
,
also gilt für seine Stabilitätsfunktion .
Sein Stabilitätsgebiet besteht daher aus allen komplexen Zahlen
mit
,
was dem Inneren des Kreises mit Mittelpunkt
und Radius
in der komplexen Zahlenebene entspricht.
Für das implizite
Euler-Verfahren
folgt dagegen mit
,
also .
Das Stabilitätsgebiet ist nun durch die Bedingung
gegeben, die mit
gleichwertig ist, was dem Äußeren des Kreises mit Mittelpunkt
und Radius
entspricht. Es enthält daher die ganze offene linke Halbebene und somit ist das
implizite Euler-Verfahren A-stabil. Wegen
ist es sogar L-stabil.
Die Stabilitätsfunktion von Runge-Kutta-Verfahren
Runge-Kutta-Verfahren
sind vollständig durch die Koeffizienten
aus ihrem Butcher-Tableau festgelegt. Bei der Testgleichung ist der Anfangswert
und für die Stufen ergibt sich im ersten Zeitschritt
Dies ist ein quadratisches lineares
Gleichungssystem für den Vektor
in der Form
mit dem Vektor
Mit dessen Lösung bekommt man dann die Runge-Kutta-Näherung
in der Form
Dies ist bei Runge-Kutta-Verfahren eine rationale Funktion, daher wird sie
gerne mit
bezeichnet.
Bei expliziten Runge-Kutta-Verfahren ist die Koeffizientenmatrix
eine strikt untere Dreiecksmatrix,
daher bricht die Neumann-Reihe
von
nach s Summanden ab und man bekommt
Daher ist die Stabilitätsfunktion eines expliziten Runge-Kutta-Verfahrens ein Polynom, solche Verfahren können nicht A-stabil sein.
Bei impliziten Runge-Kutta-Verfahren sind aber z.B. die Gauß-Legendre-Verfahren A-stabil. Die Stabilitätsfunktionen dieser speziellen Verfahren sind sogar sehr gute Approximationen an die Exponentialfunktion, nämlich die sogenannten Padé-Approximationen.
Die Stabilitätsfunktion von Mehrschrittverfahren
Wendet man ein lineares Mehrschrittverfahren
auf die Testgleichung an, ergibt sich wieder mit
die Gleichung
Dies ist eine lineare
Differenzengleichung, die man einfach lösen kann. Denn die Folge
ist eine nichttriviale Lösung dieser Differenzengleichung, wenn u eine
Nullstelle des charakteristischen Polynoms
ist, wobei man die Polynome
eingeführt hat. Also bekommt man mit den von
abhängenden Nullstellen
des Polynoms
die Lösungen
zur Testgleichung und daher liegt
im Stabilitätsgebiet
des Verfahrens, wenn alle diese Lösungen gegen 0 gehen für
.
Daher kann man die betragsmaximale Nullstelle
als Stabilitätsfunktion des Verfahrens ansehen.
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Diese Interpretation erscheint sehr unhandlich. Allerdings interessiert man
sich oft weniger für die Stabilitätsfunktion, sondern für das Stabilitätsgebiet
.
Der Rand dieses Gebietes besteht aus denjenigen
,
bei dem für die Nullstellen
gilt, wo die Nullstellen also auf dem komplexen Einheitskreis liegen. Da
gilt, ist die Bestimmung des Stabilitätsgebiets bei Mehrschrittverfahren sogar
besonders einfach, denn seinen Rand erhält man i.W. explizit durch
Als Beispiel wird das Stabilitätsgebiet für das 6-stufige BDF-Verfahren gezeigt.
Die Stabilitätsfunktion von allgemeinen linearen Verfahren
Obwohl auch Mehrschrittverfahren
in der Gestalt von allgemeinen
linearen Verfahren geschrieben werden können, ist die Struktur ähnlich
derjenigen der Runge-Kutta-Verfahren
weiter oben.
Daher bekommt man ein ähnliches Ergebnis. Für den Vektor
der Stufenlösungen gilt
und der Zeitschritt wird daher zu
In jedem Zeitschritt erfolgt also die Multiplikation mit derselben Matrix
Es gilt daher ,
wenn die Potenzen von
gegen 0 gehen, also alle Eigenwerte
von
innerhalb des komplexen Einheitskreises liegen. Daher kann man hier den Spektralradius von
als Stabilitätsfunktion
in der Definition des Stabilitätsgebiets
ansehen.
Weitergehende Bedeutung für lineare Systeme
Die obige Testgleichung von Dahlquist ist sehr einfach, hat aber eine weitergehende Bedeutung für Systeme von linearen, autonomen und homogenen Differentialgleichungen
Die exakte Lösung ist
mit dem Matrixexponential
.
Die numerische Lösung
kann man jetzt mit der Matrix-Stabilitätsfunktion
darstellen. Wenn dabei
die Jordan-Normalform
von
ist, gilt
Bei einer diagonalisierbaren Matrix
ist, ist
eine Diagonalmatrix
mit den Diagonalelementen
.
Wenn für alle Eigenwerte
von
gilt, dass
ist, dann konvergiert auch hier
.
Bei dieser Differentialgleichung sieht man gleichzeitig, dass es sinnvoll ist,
als offene Menge zu definieren. Denn im diagonalisierbaren Fall bleiben zwar
Lösungen auf dem Rand mit
noch beschränkt, aber im Allgemeinen nicht mehr, wenn mehrfache Eigenwerte mit
Jordanblöcken auftreten.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 30.09. 2019