Mehrschrittverfahren
Mehrschrittverfahren sind Verfahren zur numerischen Lösung von Anfangswertproblemen. Im Gegensatz zu Einschrittverfahren, wie etwa den Runge-Kutta-Verfahren, nutzen Mehrschrittverfahren die Information aus den zuvor bereits errechneten Stützpunkten.
Theorie
Es sei ein Anfangswertproblem
für
mit einer Anfangsbedingung
gegeben. Ein lineares Mehrschrittverfahren (LMV) erzeugt zu einer
gegebenen Schrittweite
eine Folge
von Näherungen zu den Funktionswerten
.
Dabei besteht zwischen den Näherungswerten und der Differentialgleichung die lineare Rekursionsgleichung
.
Die Koeffizienten
sowie
bestimmen das Mehrschrittverfahren, dabei gilt
.
Man nennt das lineare Mehrschrittverfahren implizit, falls
ist, und explizit, falls
ist. Implizite Verfahren können bei gleicher Länge
der Koeffiziententupel eine um 1 höhere Konsistenzordnung als explizite
Verfahren haben. Ihr Nachteil besteht jedoch darin, dass bei der Berechnung von
bereits
benötigt wird. Dies führt zu nichtlinearen Gleichungssystemen. Für explizite
Verfahren kann man die lineare Rekursionsgleichung in die explizite Form
umstellen.
Zum Start benötigen -Schrittverfahren
Startwerte
.
Diese werden im Rahmen einer sogenannten Anlaufrechnung durch Anwendung anderer
Näherungsverfahren bestimmt. Im einfachsten Fall werden die Startwerte linear
extrapoliert
.
Im Allgemeinen lassen sich die benötigten Startwerte auch durch sukzessive
Anwendung von Mehrschrittverfahren mit steigender Schrittzahl gewinnen: Man
startet dazu mit einem beliebigen Einschrittverfahren
für den ersten Wert ,
verwendet dann höchstens ein 2-Schritt-Verfahren für den zweiten Wert
und berechnet schließlich den Wert
durch ein aus maximal
Schritten bestehendes Mehrschrittverfahren.
Analyse
Ein lineares Mehrschrittverfahren ist konvergent, wenn es konsistent und stabil
für die Gleichung
ist (diese Eigenschaft heißt auch 0-Stabilität). Konvergenz besagt, dass durch
Verkleinern der Schrittweite
die Differenz
zwischen Näherungswert und Wert der exakten Lösung für
für jedes fixierte
beliebig klein gehalten werden kann.
Konsistenz
Sei
eine beliebige, in einer Umgebung eines Punktes
definierte und einmal stetig differenzierbare Funktion. Diese erfülle die
triviale Differentialgleichung
.
Für diese kann der Fehler erster Ordnung des Mehrschrittverfahrens als
bestimmt werden. Man definiert dann:
Ein lineares Mehrschrittverfahren heißt konsistent, falls
für beliebige Wahlen von
und der Funktion
.
Es heißt konsistent der Ordnung
,
falls in Landau-Notation
gilt, das heißt
immer nach oben beschränkt ist.
Man prüft dies unter Zuhilfenahme der Taylor-Entwicklung. So ist für eine
-fach
differenzierbare Differentialgleichung die Lösung
mal differenzierbar und es gilt
wobei
die
-te
Ableitung an der Stelle
bezeichnet. Dies führt man für alle im linearen Mehrschrittverfahren
auftretenden Terme durch und setzt dies in
ein. Es ist ausreichend, dies für die Exponentialfunktion
und ihre Differentialgleichung zu untersuchen.
Stabilität
Man definiert zwei sogenannte assoziierte Polynome
Ein lineares Mehrschrittverfahren wird durch diese beiden Polynome
vollständig charakterisiert, so dass man anstelle von obiger Schreibweise des
linearen Mehrschrittverfahrens auch von einem „LMV ()“
spricht.
Sei
eine Nullstelle von
.
Ein LMV (
)
ist nullstabil, wenn für jede Nullstelle
gilt:
- sie liegt entweder im Innern des Einheitskreises,
oder
- auf dem Rand des Einheitskreises,
, wobei sie dann eine einfache Nullstelle sein muss. Ein allgemeinerer Fall wird im Artikel Stabilitätsfunktion diskutiert.
Bezüglich der A-Stabilität gilt die Zweite Dahlquist-Barriere, dass ein A-stabiles lineares Mehrschrittverfahren nicht mehr als Ordnung zwei haben kann.
Beispiele
Explizite Verfahren
Ein explizites Verfahren bedeutet in diesem Zusammenhang, dass zur
Berechnung der Näherungswerte nur Werte herangezogen werden, die zeitlich vor
dem zu Berechnenden liegen. Das wohl bekannteste explizite lineare
Mehrschrittverfahren ist die -Schritt-Adams-Bashforth-Methode
(nach John Couch Adams und Francis Bashforth). Diese hat die Form:
mit
z.B.:
usw.
Implizite Verfahren
Bei impliziten Verfahren wird zur Berechnung auch der zu berechnende
Wert selbst benutzt. Im Beispiel taucht so auf beiden Seiten der Gleichung
auf. Eine bekannte Klasse von impliziten Mehrschrittverfahren sind die
Adams-Moulton-Verfahren (nach Forest Ray Moulton und John Couch Adams). Diese haben die Form:
mit
z.B.:
Darüber hinaus sind insbesondere die BDF-Verfahren
für steife
Anfangswertprobleme im Einsatz, da diese bessere Stabilitätseigenschaften
haben. BDF-2 ist A-stabil, die weiteren noch -stabil,
ab BDF-7 allerdings instabil.
Praxis
Startwerte
Oftmals hat man es in der Praxis mit Problemen der Art
zu tun. Hier fehlt es an Startwerten. Diese werden zunächst durch Einschrittverfahren (z.B. das klassische Runge-Kutta-Verfahren) gewonnen.
Prädiktor-Korrektor-Methode
Mit dem Gedanken, die im Vergleich um 1 höhere Konsistenzordnung der
impliziten linearen Mehrschrittverfahren zu nutzen, umgeht man das Lösen der
nichtlinearen Gleichungen durch die sog. Prädiktor-Korrektor-Methode. Es
wird der in der impliziten Methode benötigte Wert für
durch eine explizite Methode berechnet, wonach durch Iteration der Wert für
zu verbessern versucht wird. Dazu gibt es verschiedene Verfahren, die
geläufigsten sind:
P(EC)mE
Beim
(P = predict, E = evaluate, C = correct) wird der durch das explizite
Prädiktorverfahren gewonnene Wert
für
wieder in das implizite Korrektorverfahren eingesetzt, wodurch man einen neuen
Wert für
,
nämlich
erhält. Dies wird so lange iteriert, bis
kleiner als eine festgelegte Fehlertoleranz ist, oder
-mal
iteriert wurde.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 30.09. 2019