Standardabweichung
Die Standardabweichung ist ein um 1860 von Francis Galton
eingeführter Begriff der Statistik
und der Wahrscheinlichkeitsrechnung
und ein Maß für die Streuung
der Werte einer Zufallsvariablen
um ihren Erwartungswert.
Sie ist für eine Zufallsvariable
definiert als die Quadratwurzel
aus deren Varianz
und wird als
notiert.
Liegt eine Beobachtungsreihe
der Länge
vor, so sind empirischer
Mittelwert und empirische
Standardabweichung zwei wichtige Maßzahlen in der Statistik zur Beschreibung
der Eigenschaften der Beobachtungsreihe.
Die Standardabweichung besitzt die gleiche Dimension wie die Messwerte der Beobachtungsreihe. Die Dimension der Varianz ist dagegen das Quadrat der Dimension der Beobachtungswerte.
Als Abkürzung findet man neben
(sprich: „Sigma“) in Anwendungen insbesondere für die empirische
Standardabweichung oft s oder SD (für englisch standard
deviation), sowie m. F. für mittlerer Fehler. In
der angewandten Statistik findet man häufig die Kurzschreibweise der Art „ø 21 ±
4“, was als „Mittelwert 21 mit einer Standardabweichung von 4“ zu lesen ist.
(Das Plusminuszeichen wird auch bei der Angabe von Toleranzen oder von
Streuintervallen
verwendet.)
Definition
Die Standardabweichung
einer Zufallsvariablen
ist definiert als die Quadratwurzel der Varianz
:
Dabei ist die Varianz
stets größer oder gleich 0. Das Symbol
bezeichnet den Erwartungswert.
Beispiele und Faustformeln
Normalverteilung
Eindimensionale Normalverteilungen
werden durch Angabe von Erwartungswert
und Varianz
vollständig beschrieben. Ist also
eine
-
-verteilte
Zufallsvariable – in Symbolen
–, so ist ihre Standardabweichung einfach
.
Streuintervalle
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Aus der Tabelle der Standardnormalverteilung ist ersichtlich, dass für normalverteilte Zufallsgrößen jeweils ungefähr
- 68,3 % der Realisierungen im Intervall
,
- 95,4 % im Intervall
und
- 99,7 % im Intervall
liegen. Da in der Praxis viele Zufallsgrößen annähernd normalverteilt sind, werden diese Werte aus der Normalverteilung oft als Faustformel benutzt. So wird beispielsweise σ oft als die halbe Breite des Intervalls angenommen, welches die mittleren zwei Drittel der Werte in einer Stichprobe umfasst.
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Diese Praxis ist aber nicht empfehlenswert, denn sie kann zu sehr großen
Fehlern führen. Zum Beispiel ist die Verteilung
optisch kaum von der Normalverteilung zu unterscheiden (siehe Bild), aber bei
ihr liegen im Intervall
92,5 % der Werte, wobei
die Standardabweichung von
bezeichnet. Solche kontaminierten
Normalverteilungen sind in der Praxis sehr häufig; das genannte Beispiel
beschreibt die Situation, wenn zehn Präzisionsmaschinen etwas herstellen, aber
eine davon schlecht justiert ist und zehnmal weniger präzise als die anderen
neun produziert.
Werte außerhalb der zwei- bis dreifachen Standardabweichung werden oft als Ausreißer behandelt. Ausreißer können ein Hinweis auf grobe Fehler der Datenerfassung sein. Es kann den Daten aber auch eine stark schiefe Verteilung zu Grunde liegen. Andererseits liegt bei einer Normalverteilung im Durchschnitt ca. jeder 20. Messwert außerhalb der zweifachen Standardabweichung und ca. jeder 500. Messwert außerhalb der dreifachen Standardabweichung.
Da der Anteil der Werte außerhalb der sechsfachen Standardabweichung mit ca. 2 ppb verschwindend klein wird, gilt ein solches Intervall als gutes Maß für eine nahezu vollständige Abdeckung aller Werte. Das wird im Qualitätsmanagement durch die Methode Six Sigma genutzt, indem die Prozessanforderungen Toleranzgrenzen von mindestens 6σ vorschreiben. Allerdings geht man dort von einer langfristigen Mittelwertverschiebung um 1,5 Standardabweichungen aus, so dass der zulässige Fehleranteil auf 3,4 ppm steigt. Dieser Fehleranteil entspricht einer viereinhalbfachen Standardabweichung (4,5σ). Ein weiteres Problem der 6σ-Methode ist, dass die 6σ-Punkte praktisch nicht bestimmbar sind. Bei unbekannter Verteilung (d.h. wenn es sich nicht ganz sicher um eine Normalverteilung handelt) grenzen zum Beispiel die Extremwerte von 1.400.000.000 Messungen ein 75%-Konfidenzintervall für die 6σ-Punkte ein.
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zσ | Prozent innerhalb | Prozent außerhalb | ppb außerhalb | Bruchteil außerhalb |
---|---|---|---|---|
0,674 490σ | 50% | 50% | 500.000.000 ppb | 1 / 2 |
0,994 458σ | 68% | 32% | 320.000.000 ppb | 1 / 3,125 |
1σ | 68,268 9492% | 31,731 0508% | 317.310.508 ppb | 1 / 3,151 4872 |
1,281 552σ | 80% | 20% | 200.000.000 ppb | 1 / 5 |
1,644 854σ | 90% | 10% | 100.000.000 ppb | 1 / 10 |
1,959 964σ | 95% | 5% | 50.000.000 ppb | 1 / 20 |
2σ | 95,449 9736% | 4,550 0264% | 45.500.264 ppb | 1 / 21,977 895 |
2,575 829σ | 99% | 1% | 10.000.000 ppb | 1 / 100 |
3σ | 99,730 0204% | 0,269 9796% | 2.699.796 ppb | 1 / 370,398 |
3,290 527σ | 99,9% | 0,1% | 1.000.000 ppb | 1 / 1.000 |
3,890 592σ | 99,99% | 0,01% | 100.000 ppb | 1 / 10.000 |
4σ | 99,993 666% | 0,006 334% | 63.340 ppb | 1 / 15.787 |
4,417 173σ | 99,999% | 0,001% | 10.000 ppb | 1 / 100.000 |
4,891 638σ | 99,9999% | 0,0001% | 1.000 ppb | 1 / 1.000.000 |
5σ | 99,999 942 6697% | 0,000 057 3303% | 573,3303 ppb | 1 / 1.744.278 |
5,326 724σ | 99,999 99% | 0,000 01% | 100 ppb | 1 / 10.000.000 |
5,730 729σ | 99,999 999% | 0,000 001% | 10 ppb | 1 / 100.000.000 |
6σ | 99,999 999 8027% | 0,000 000 1973% | 1,973 ppb | 1 / 506.797.346 |
6,109 410σ | 99,999 9999% | 0,000 0001% | 1 ppb | 1 / 1.000.000.000 |
6,466 951σ | 99,999 999 99% | 0,000 000 01% | 0,1 ppb | 1 / 10.000.000.000 |
6,806 502σ | 99,999 999 999% | 0,000 000 001% | 0,01 ppb | 1 / 100.000.000.000 |
7σ | 99,999 999 999 7440% | 0,000 000 000 256% | 0,002 56 ppb | 1 / 390.682.215.445 |
Die Wahrscheinlichkeiten
für bestimmte Streuintervalle
können berechnet werden als
,
wobei
die Verteilungsfunktion
der Standardnormalverteilung ist.
Umgekehrt können für gegebenes
durch
die Grenzen des zugehörigen Streuintervalls
mit Wahrscheinlichkeit
berechnet werden.
Ein Beispiel (mit Schwankungsbreite)
Die Körpergröße des Menschen ist näherungsweise normalverteilt. Bei einer Stichprobe von 1.284 Mädchen und 1.063 Jungen zwischen 14 und 18 Jahren wurde bei den Mädchen eine durchschnittliche Körpergröße von 166,3 cm (Standardabweichung 6,39 cm) und bei den Jungen eine durchschnittliche Körpergröße von 176,8 cm (Standardabweichung 7,46 cm) gemessen.
Demnach lässt obige Schwankungsbreite erwarten, dass 68,3 % der Mädchen eine Körpergröße im Bereich 166,3 cm ± 6,39 cm und 95,4 % im Bereich 166,3 cm ± 12,78 cm haben,
- 16 % [≈ (100 % − 68,3 %)/2] der Mädchen kleiner als 160 cm (und 16 % entsprechend größer als 173 cm) sind und
- 2,5 % [≈ (100 % − 95,4 %)/2] der Mädchen kleiner als 154 cm (und 2,5 % entsprechend größer als 179 cm) sind.
Für die Jungen lässt sich erwarten, dass 68 % eine Körpergröße im Bereich 176,8 cm ± 7,46 cm und 95 % im Bereich 176,8 cm ± 14,92 cm haben,
- 16 % der Jungen kleiner als 169 cm (und 16 % größer als 184 cm) und
- 2,5 % der Jungen kleiner als 162 cm (und 2,5 % größer als 192 cm) sind.
Diskrete Gleichverteilung, Würfel
Die diskrete
Gleichverteilung auf den Zahlen
hat einen Erwartungswert von
und eine Standardabweichung von
.
Das Ergebnis des Wurfes eines fairen sechsseitigen Würfels hat also
beispielsweise den Erwartungswert 3,5 und eine Standardabweichung von etwa
1,7.
Binomialverteilung
Ist
binomialverteilt
mit Parametern
(Anzahl der Wiederholungen) und
(Erfolgswahrscheinlichkeit), so gilt
und
,
also
Würfelt man beispielsweise 500 Mal mit einem fairen Würfel, so ist die Anzahl
der Einser binomialverteilt mit
und
.
Der Erwartungswert beträgt
und die Standardabweichung
Weil eine Binomialverteilung mit den obigen Parametern nähernd normalverteilt ist, lassen die Faustformeln also erwarten, dass in 68 % der Fälle die Anzahl der Einser zwischen 75 und 92 liegt und in 95 % der Fälle zwischen 67 und 100.
Schätzung der Standardabweichung der Grundgesamtheit aus einer Stichprobe
Allgemeiner Fall
Berechnungsgrundlagen
Sind die
Zufallsvariablen
unabhängig und identisch verteilt, also beispielsweise eine
Stichprobe, so wird die
Standardabweichung der Grundgesamtheit
der Stichprobe häufig mit der Formel
geschätzt. Dabei ist
die Schätzfunktion für die Standardabweichung
der Grundgesamtheit
der Stichprobenumfang (Anzahl der Werte)
die Merkmalsausprägung am
-ten Element der Stichprobe
der empirische Mittelwert, also das arithmetische Mittel der Stichprobe.
Diese Formel erklärt sich daraus, dass die korrigierte
Stichprobenvarianz
ein erwartungstreuer
Schätzer für die Varianz
der Grundgesamtheit ist. Im Gegensatz dazu ist aber
kein erwartungstreuer Schätzer für die Standardabweichung. Da die Quadratwurzel
eine konkave
Funktion ist, folgt aus der Jensenschen
Ungleichung
.
Dieser Schätzer unterschätzt also in den meisten Fällen die Standardabweichung der Grundgesamtheit.
Beispiel
Wählt man eine der Zahlen
oder
durch Wurf einer fairen Münze, also beide mit Wahrscheinlichkeit jeweils
,
so ist das eine Zufallsgröße mit Erwartungswert 0, Varianz
und Standardabweichung
.
Berechnet man aus
unabhängigen Würfen
und
die korrigierte Stichprobenvarianz
wobei
den Stichprobenmittelwert bezeichnet, so gibt es vier mögliche
Versuchsausgänge, die alle jeweils Wahrscheinlichkeit
haben:
Der Erwartungswert der korrigierten Stichprobenvarianz beträgt daher
.
Die korrigierte Stichprobenvarianz ist demnach also tatsächlich erwartungstreu. Der Erwartungswert der korrigierten Stichprobenstandardabweichung beträgt hingegen
.
Die korrigierte Stichprobenstandardabweichung unterschätzt also die Standardabweichung der Grundgesamtheit.
Berechnung für auflaufende Messwerte
In Systemen, die kontinuierlich große Mengen an Messwerten erfassen, ist es oft unpraktisch, alle Messwerte zwischenzuspeichern, um die Standardabweichung zu berechnen.
In diesem Zusammenhang ist es günstiger, eine modifizierte Formel zu
verwenden, die den kritischen Term
umgeht. Dieser kann nicht für jeden Messwert sofort berechnet werden, da der
Mittelwert
nicht konstant ist.
Durch Anwendung des Verschiebungssatzes
und der Definition des Mittelwerts
gelangt man zur Darstellung
die sich für jeden eintreffenden Messwert sofort aktualisieren lässt, wenn
die Summe der Messwerte
sowie die Summe ihrer Quadrate
mitgeführt und fortlaufend aktualisiert werden. Diese Darstellung ist allerdings
numerisch weniger stabil, insbesondere kann der Term unter der Quadratwurzel
numerisch durch Rundungsfehler kleiner als 0 werden.
Normalverteilte Zufallsgröße
Berechnungsgrundlagen
Für den Fall normalverteilter Zufallsgrößen lässt sich allerdings ein erwartungstreuer Schätzer angeben:
Dabei ist
die Schätzung der Standardabweichung und
die Gammafunktion. Die Formel
folgt indem man beachtet, dass
eine
Chi-Quadrat-Verteilung
mit
Freiheitsgraden hat.
Stichprobenumfang | Korrekturfaktor |
---|---|
2 | 1,253314 |
5 | 1,063846 |
10 | 1,028109 |
15 | 1,018002 |
25 | 1,010468 |
Beispiel
Es wurden bei einer Stichprobe aus einer normalverteilten Zufallsgröße die fünf Werte 3, 4, 5, 6, 7 gemessen. Man soll nun die Schätzung für die Standardabweichung errechnen.
Der Stichprobenvarianz ist:
Der Korrekturfaktor ist in diesem Fall
und die erwartungstreue Schätzung für die Standardabweichung ist damit näherungsweise
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.12. 2022