Analytische Fortsetzung

In der Analysis versteht man unter der analytischen Fortsetzung einer Funktion, die auf einer Teilmenge M der reellen oder komplexen Zahlen definiert ist, eine analytische Funktion, die auf einem komplexen Gebiet, das M umfasst, definiert ist und auf der Teilmenge M mit der ursprünglichen Funktion übereinstimmt. Hier sind fast ausschließlich die Fälle von Interesse, in denen die Fortsetzung (und in der Regel auch ein maximales Gebiet) durch die vorgegebene Menge M und die auf ihr definierte Funktion f eindeutig bestimmt ist.

In der Funktionentheorie, insbesondere bei Untersuchungen von Funktionen in mehreren komplexen Variablen, wird der Begriff abstrakter gefasst. Hier bedeutet analytische Fortsetzung das Fortsetzen einer holomorphen Funktion bzw. eines holomorphen Funktionskeims. Dabei wird unterschieden zwischen der Fortsetzung des Keimes entlang eines Weges und der Fortsetzung zu einer Funktion auf einem Gebiet.

Bedeutungsvoll ist, dass holomorphe Funktionen – anders als etwa stetige oder lediglich beliebig oft differenzierbare Funktionen – bereits aus lokalen Daten auf einer sehr kleinen Umgebung sehr gut rekonstruiert werden können.

Analytische Fortsetzung in der Analysis

Hauptartikel: Identitätssatz für holomorphe Funktionen

Für die elementare Analysis wichtige Aussagen über Fortsetzbarkeit sind die folgenden:

  • wenn für jeden Punkt des Intervalls eine offene Umgebung existiert, auf der sich die Funktion durch eine absolut konvergente Potenzreihe darstellen lässt, oder
  • wenn f in jedem Punkt des Intervalls beliebig oft differenzierbar ist und die Taylorreihe zu jedem Punkt des Intervalls einen nicht verschwindenden Konvergenzradius hat.
In beiden Fällen liefern die genannten Reihen – theoretisch nur lokal, in vielen praktisch wichtigen Fällen aber bei geeigneter Wahl des Entwicklungspunktes auf einem komplexen Gebiet, das das gesamte Intervall M umfasst – eine Beschreibung der hier eindeutig bestimmten analytischen Fortsetzung als Potenzreihe.
  • wenn sie mit f auf einer unendlichen Teilmenge von M, die sich in M häuft, übereinstimmt oder
  • wenn in irgendeinem festen Punkt von M die Funktionswerte und alle Ableitungen von g und h übereinstimmen.

Die hier genannten und einige andere Sätze über die analytische Fortsetzbarkeit und die Eindeutigkeit der Fortsetzung sind in den nachfolgenden, abstrakteren Formulierungen der Funktionentheorie als Spezialfälle enthalten.

Beispiele

Keim

Um eine präzise Definition einer analytischen Fortsetzung im Sinne der Funktionentheorie zu geben, müssen zuerst die Begriffe Halm und Funktionskeim erläutert werden: Sei X eine komplexe Mannigfaltigkeit und a\in X ein Punkt. Zudem seien U, V zwei Umgebungen von a und f:U\rightarrow {\mathbb  {C}},\;g:V\rightarrow {\mathbb  {C}} zwei holomorphe Funktionen. Die beiden Funktionen heißen äquivalent im Punkt a, falls eine Umgebung W\subseteq U\cap V von a existiert mit f|W=g|W. Die Menge all dieser Äquivalenzklassen wird als Halm {\mathcal  {O}}_{a} bezeichnet, die Äquivalenzklassen als (Funktions-)Keime. Die Projektion einer Funktion f auf ihren Keim im Punkt a wird mit \rho _{a}(f) notiert.

Anschaulich beschreibt der Keim \rho _{a}(f) einer Funktion das Verhalten von f in „unmittelbarer“ Umgebung von a. Das ist mehr als der bloße Funktionswert f(a), denn auch die Ableitungen f'(a),f''(a) usw. lassen sich aus dem Keim ablesen, da sie sich aus jeder noch so kleinen Umgebung von a ergeben.

Der Halm {\mathcal  {O}}_{a} trägt auf natürliche Weise die Struktur einer \mathbb {C} -Algebra. Er ist isomorph zur \mathbb {C} -Algebra der in a konvergenten Potenzreihen, da das lokale Verhalten einer holomorphen Funktion durch ihre Potenzreihenentwicklung eindeutig bestimmt ist.

Fortsetzung entlang eines Weges

Sei X eine zusammenhängende komplexe Mannigfaltigkeit, a,b\in X zwei Punkte und \varphi \in {\mathcal  {O}}_{a} sowie \psi \in {\mathcal  {O}}_{b} zwei Funktionskeime. \psi heißt analytische Fortsetzung von \varphi entlang des Weges c:[0,1]\rightarrow X mit c(0)=a,c(1)=b, falls folgendes gilt: Es existieren Punkte x_{0},x_{1},\dots ,x_{n}\in c([0,1]) mit offenen Umgebungen U_{0},U_{1},\dots ,U_{n}\subseteq X und holomorphen Funktionen f_{k}:U_{k}\rightarrow {\mathbb  {C}},\;k=0,1,\dots ,n derart, dass

Mit anderen Worten: Es gibt eine endliche Folge von offenen Umgebungen, welche die Kurve überdecken. Auf diesen Umgebungen sind jeweils holomorphe Funktionen definiert, welche in den Bereichen übereinstimmen, wo sich die Umgebungen überlappen. Häufig wählt man offene Kreise als Mengen U_{k}, denn diese treten als Konvergenzbereiche von Reihenentwicklungen auf; in diesem Fall spricht man von einer Kreiskette.

Diese Fortsetzung hängt im Allgemeinen von der Wahl des Weges ab (nicht jedoch von den Zwischenpunkten x_{k} und den Umgebungen U_{k}). Auch gibt es im Allgemeinen keine in einer Umgebung U von ganz c([0,1]) holomorphe Funktion f mit \rho _{a}(f)=\varphi und \rho _{b}(f)=\psi .

Definition

Sei X eine zusammenhängende komplexe Mannigfaltigkeit, a\in X ein Punkt und \varphi \in {\mathcal  {O}}_{a} ein Funktionskeim. Das Quadrupel (Y,p,f,b) heißt eine analytische Fortsetzung von \varphi , falls gilt:

Die auf diese Weise definierte analytische Fortsetzung hängt mit der Fortsetzung entlang eines Weges zusammen: Wenn c:[0,1]\rightarrow Y ein Weg mit Anfangspunkt c(0)=b und Endpunkt c(1)=d ist, dann ist p\circ c:[0,1]\rightarrow X ein Weg mit Anfangspunkt a=p(b) und Endpunkt p(d). Die Funktion f:Y\rightarrow {\mathbb  {C}} definiert in einer Umgebung von p(d) durch f\circ p^{{-1}} einen Funktionskeim in {\mathcal  {O}}_{{p(d)}}.

Beispiel

X={\mathbb  {C}},a=1 und sei \varphi der Keim in 1 desjenigen Zweiges der holomorphen Quadratwurzel mit {\sqrt  {1}}=1. Analytische Fortsetzungen davon beispielsweise sind:

Alle Beispiele haben gemeinsam, dass Y als Teilmenge von X={\mathbb  {C}} aufgefasst werden kann. Die beiden letzten Beispiele zeigen zudem, dass es innerhalb von \mathbb {C} kein größtes Gebiet gibt, auf dem die Funktion holomorph fortgesetzt werden kann. Die Frage nach der größtmöglichen Fortsetzung führt zur Definition der maximalen analytischen Fortsetzung:

Maximale Analytische Fortsetzung

Maximal analytic continuation.jpg

Sei X eine zusammenhängende komplexe Mannigfaltigkeit, a\in X ein Punkt und \varphi \in {\mathcal  {O}}_{a} ein Funktionskeim. Eine analytische Fortsetzung (Y,p,f,b) von \varphi heißt maximale analytische Fortsetzung, falls für jede andere analytische Fortsetzung (Z,q,g,c) von \varphi gilt: Es existiert eine holomorphe Abbildung F:Z\rightarrow Y mit f\circ F=g, F(c)=b und q=p\circ F.

Existenz und Eindeutigkeit

Direkt aus der Definition folgt die Eindeutigkeit der maximalen analytischen Fortsetzung bis auf holomorphe Isomorphie. Die Existenz kann mit Hilfe der Garbentheorie gezeigt werden: Z ist die Zusammenhangskomponente des Überlagerungsraumes der Garbe der holomorphen Funktionen {\mathcal {O}}, welche ein fest gewähltes Urbild des Keimes \varphi enthält.

Beispiel

X={\mathbb  {C}},\;a=1 und \varphi sei der Keim desjenigen Zweiges der holomorphen Quadratwurzel mit {\sqrt  {1}}=1. Die maximale analytische Fortsetzung (Y,b,p,f) ist gegeben durch:

Y:=\left\{(y_{1},y_{2})\in {\mathbb  {C}}^{2}\,:\,y_{2}=y_{1}^{2},y_{1}\neq 0\right\}\subset {\mathbb  {C}}^{2}
b=(1,1)
p(y_{1},y_{2})=y_{2}
f(y_{1},y_{2})=y_{1}

Zu einer anderen analytischen Fortsetzung (Z,q,g,c) wird die Abbildung F:Z\rightarrow Y definiert durch F(z):=\left(g(z),q(z)\right).

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 13.10. 2020