Halbwertszeit

Die Halbwertszeit (abgekürzt HWZ, Formelzeichen meist )
ist die Zeitspanne, nach der eine mit der Zeit abnehmende Größe die Hälfte des
anfänglichen Werts erreicht. Bei Wachstum spricht man entsprechend von
Verdoppelungszeit oder (in der Biologie) von Generationszeit.
Im Spezialfall exponentiell abnehmender Werte ist die Halbwertszeit eine Konstante, die weder von der Anfangsmenge noch von der bereits verstrichenen Zeit abhängt und daher den jeweiligen Vorgang selbst charakterisiert. Aufgrund dieser besonderen Eigenschaft wird die Halbwertszeit vor allem bei exponentiellen Prozessen betrachtet.
Halbwertszeiten in verschiedenen Vorgängen
Exponentielle Abnahme
Bei exponentieller Abnahme einer Größe
hängt die Halbwertszeit weder von der Wahl des Anfangszeitpunkts
noch von dem dann vorliegenden Startwert
ab. In diesem Fall ist also immer
- nach Verstreichen von
der Wert auf
,
- nach
auf
,
- nach
auf
,
- allgemein nach
auf
gefallen.
Radioaktive Zerfälle


Der radioaktive Zerfall verläuft exponentiell. Die Halbwertszeit ist die Zeitspanne, in der die Menge und damit auch die Aktivität eines gegebenen Radionuklids durch den Zerfall auf die Hälfte gesunken ist. 50 % der Atomkerne haben sich – i. A. unter Aussendung von ionisierender Strahlung – in ein anderes Nuklid umgewandelt; dieses kann seinerseits ebenfalls radioaktiv sein oder nicht. Für jedes Nuklid ist die Halbwertszeit eine feste Größe, die sich nicht beeinflussen lässt.
Die Halbierung gilt allerdings nur als statistischer Mittelwert. Man findet sie
umso genauer bestätigt, je mehr nicht zerfallene Atome die betrachtete Probe
noch enthält. Die Umwandlung eines einzelnen Atomkerns kann zeitlich nicht
vorhergesagt werden, sondern es kann lediglich eine Wahrscheinlichkeit
der Umwandlung pro Zeiteinheit angegeben werden (Zerfallskonstante ,
siehe unten).
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein betrachteter einzelner Kern sich innerhalb der
ersten Halbwertszeit umwandelt, beträgt 50 %, dass er sich innerhalb von
zwei Halbwertszeiten umwandelt, 50 % + 25 ;% = 75 %, bei 3
Halbwertszeiten 50 % + 25 % + 12,5 % = 87,5 %, usw.
Es gibt radioaktive Halbwertszeiten im gesamten Bereich von weniger als 1 Mikrosekunde bis zu einigen Quadrillionen Jahren. Polonium-212 beispielsweise hat 0,3 µs Halbwertszeit, Tellur-128 dagegen etwa 7·1024 (7 Quadrillionen) Jahre.
Eng verknüpft mit der Halbwertszeit eines Radionuklids ist seine spezifische Aktivität, also die Aktivität pro Masseneinheit, ausgedrückt z.B. in Becquerel pro Milligramm, Bq/mg. Der Zusammenhang zwischen spezifischer Aktivität und der Halbwertszeit ist umgekehrt proportional: je kürzer die Halbwertszeit, desto größer ist bei gegebener Substanzmenge die Aktivität und umgekehrt.
Die folgende Tabelle enthält einige Beispiele. In den Zahlenwerten ist hier nur die Masse des Radionuklids selbst berücksichtigt; in der Praxis werden spezifische Aktivitäten eher auf das jeweilige natürliche Isotopengemisch oder das Gesamtmaterial der Probe bezogen.
Isotop | Halbwertszeit | spezifische Aktivität |
---|---|---|
131I | 8 Tage | 4.600.000.000.000 Bq/mg |
137Cs | 30 Jahre | 3.300.000.000 Bq/mg |
239Pu | 24.110 Jahre | 2.307.900 Bq/mg |
235U | 703.800.000 Jahre | 80 Bq/mg |
238U | 4.468.000.000 Jahre | 12 Bq/mg |
232Th | 14.050.000.000 Jahre | 4 Bq/mg |
Erst Ende des 20. Jahrhunderts sind einige früher als stabil geltende Nuklide als extrem langlebige Radionuklide „entlarvt“ worden, zum Beispiel 149Sm, 152Gd (beides Lanthanoide), 174Hf, 180W und 209Bi mit Halbwertszeiten von bis zu einigen Trillionen Jahren. Aufgrund dieser sehr langen Halbwertszeiten ist die entsprechend geringe Aktivität nur mit großem Aufwand nachweisbar.
Für manche praktischen Zwecke, etwa bei der Betrachtung des gesamten Radioaktivitätsinventars eines Labors oder einer kerntechnischen Anlage, sieht man als Faustregel die Aktivität einer bestimmten Strahlenquelle nach 10 Halbwertszeiten als vernachlässigbar an, denn sie hat dann auf das 2−10-fache (= 1/1024), also weniger als ein Tausendstel des Anfangswertes abgenommen.
Messung radioaktiver Halbwertszeiten
Zur Messung der Halbwertszeit sind wegen der verschiedenen Größenordnungen
verschiedene Methoden nötig. In einem mittleren Bereich, für Halbwertszeiten
etwa von Sekunden bis zu Tagen, kann man direkt die Abnahme bis auf die halbe
Aktivität verfolgen. Sehr lange Halbwertszeiten misst man durch Zählen der
Zerfälle pro Zeiteinheit an einer bekannten Masse
der Substanz; man bestimmt also nicht ,
sondern die Zerfallskonstante
(siehe unten). Für sehr kurze Halbwertszeiten gibt es Techniken, die z. B. den
Ort des Zerfalls feststellen, wenn das Atom oder Molekül mit bekannter
Geschwindigkeit an einer Reihe von Detektoren vorbeifliegt, und andere
Methoden.
Datensammlungen
Die Halbwertszeiten aller Radionuklide sind in der Liste der Isotope zu
finden. Allgemein werden sie neben weiteren Daten in Nuklidkarten angegeben. Eine
sehr viel verwendete gedruckte Sammlung ist die Karlsruher Nuklidkarte.
Als Online-Nuklidkarte ist beispielsweise eine Darstellung vom Korean Atomic
Energy Research Institute verfügbar.
[
KAERI-Nuklidkarte.]
Geschichte
Die erste Beobachtung, dass die Aktivität eines Radionuklids in gleichen
Zeiträumen um den gleichen Faktor abnimmt – also durch eine feststehende
Halbwertszeit beschrieben werden kann – wurde 1900 von Ernest Rutherford
veröffentlicht.
Die von Rutherford untersuchte Substanz war in heutiger Bezeichnungsweise das Radon-Isotop .
Biologische Halbwertszeit
Die biologische Halbwertszeit oder Eliminationshalbwertszeit (Plasmahalbwertszeit) ist die Zeitspanne, in der in einem Organismus (Mensch, Tier, Pflanze, Einzeller) der Gehalt einer inkorporierten Substanz durch die Wirkung aller beteiligten biologischen Prozesse (Stoffwechsel, Ausscheidung etc.) auf die Hälfte abgesunken ist.
In der Pharmakokinetik ist Halbwertszeit die Zeit, in der die Hälfte des aufgenommenen Arzneimittels verstoffwechselt und/oder ausgeschieden ist. Pharmakokinetische Halbwertszeiten können sehr verschieden sein. Beim Erwachsenen werden beispielsweise für Penicillin-G 0,5 Stunden angegeben, für Phenobarbital 120 Stunden. Da an der Mengenabnahme verschiedene Prozesse mit teilweise verschiedenen Konzentrationsabhängigkeiten beteiligt sind, hängt die Eliminationshalbwertszeit mancher Stoffe von der Ausgangskonzentration ab; für Phenytoin beträgt sie z. B. bei geringer Konzentration sieben Stunden, bei höherer bis zu 40 Stunden.
Effektive Halbwertszeit
Die effektive Halbwertszeit eines Radionuklids ist die Zeitspanne, innerhalb deren die halbe Menge eines inkorporierten (in einen Organismus aufgenommenen) Radionuklids verschwindet. Hier sind zwei Prozesse beteiligt, der radioaktive Zerfall und unabhängig davon die Wiederausscheidung durch den Stoffwechsel. Beide verlaufen exponentiell mit meist unterschiedlichen Halbwertszeiten. Die resultierende Funktion kann durch eine einzige Exponentialfunktion und damit ebenfalls durch eine Halbwertszeit beschrieben werden.
Die effektive Halbwertszeit ist immer kleiner als die kleinere der beiden einzelnen Halbwertszeiten. Sind die biologische und die physikalische Halbwertszeit sehr verschieden, so entspricht die effektive Halbwertszeit etwa der kürzeren. Bei gleich langen Halbwertszeiten ist effektive Halbwertszeit die Hälfte jeder der ursprünglichen Halbwertszeiten.
Bibliometrische Halbwertszeiten
In der Bibliometrie lassen sich bei der Untersuchung von Publikationen verschiedene Halbwertszeiten feststellen. Brooks untersuchte als einer der ersten Halbwertszeiten auf diesem Gebiet.
Die Halbwertszeit von Literatur beträgt etwa 5 Jahre. Dies gilt sowohl für die Lektüre als auch die Anzahl der Zitationen. Das heißt, dass ein Werk durchschnittlich jedes Jahr um etwa 13 % weniger oft zitiert oder aus einer Bibliothek entliehen wird als im vorangegangenen (abgesehen von Klassikern und den neuesten Werken).
Die Halbwertszeit von Hyperlinks im WWW beträgt etwa 51 Monate. Das heißt, dass nach einem Jahr etwa 15 % aller Hyperlinks nicht mehr gültig sind.
Mathematische Definition
Vorbemerkung:
Das Zerfallsgesetz
setzt als „Menge“ eine kontinuierliche, als reelle Zahl
darstellbare Größe voraus. Es ist aber auch auf ganzzahlige Größen wie
z.B. die Anzahl der Atome in der radioaktiven Substanzprobe anwendbar,
denn es beschreibt jeweils den messtechnischen Erwartungswert, also Mittelwert
über viele (gedachte) Einzelmessungen.
Exponentieller Zerfall
Man nimmt an, dass ein Vorgang die Menge
einer Substanz mit einer festen Zerfallskonstante
verringert. Dies bedeutet, dass während einer kurzen Zeitspanne
sich die Menge um
ändert, also der
-te
Teil der aktuellen Substanzmenge
zerfällt. Daraus ergibt sich eine einfache Differentialgleichung,
die diesen Vorgang beschreibt:
Diese Gleichung hat als Lösung eine Exponentialfunktion
wobei
die Anfangsmenge der Substanz ist. Die Halbwertszeit ist nun die Zeit
,
nach der nur noch die Hälfte der Substanz vorhanden ist, es gilt also
.
Daraus ergibt sich durch Einsetzen
und allgemeiner für die Zeit ,
nach der nur noch der
-te
Teil der Substanz vorhanden ist, für die also
gilt,
Allgemeiner Zerfall
Für allgemeinere Zerfälle ist die Definition für die Halbwertszeit
weiterhin
allerdings folgt dann die Größe
keiner einfachen Exponentialfunktion mehr. Ein Beispiel hierfür sind chemische
Reaktionen zweiter Ordnung,
wie etwa Dimerisierungen der Form
bei denen sich immer zwei Moleküle N zu einem Molekül P verbinden. Aus dem Massenwirkungsgesetz ergibt sich hierfür analog zum exponentiellen Zerfall eine Ratengleichung (gewöhnliche Differentialgleichung), die den Zerfall beschreibt:
Hierbei ist
die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante und
die Reaktionsrate. Die Lösung dieser Gleichung ist dann
und die Halbwertszeit ergibt sich zu
Im Gegensatz zum exponentiellen Fall hängt hier
nicht nur von der Reaktionsgeschwindigkeitskonstante
ab, sondern explizit auch von der Ausgangsmenge
.
Die Zeit
,
nach der der
-te
Teil der Substanz zerfallen ist, ergibt sich zu



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 12.02. 2021