Ising-Modell
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Das Ising-Modell ist ein von Ernst Ising auf Anregung seines Doktorvaters Wilhelm Lenz 1924 erstmals genauer untersuchtes Gittermodell in der theoretischen Physik. Es beschreibt insbesondere den Ferromagnetismus in Festkörpern (Kristallen). Das Ising-Modell zählt zu den meistuntersuchten Modellen der statistischen Physik.
Definition
In dem Modell wird angenommen, dass die Spins,
welche das magnetische
Moment der Atome oder Ionen bestimmen, nur zwei diskrete Zustände annehmen
können (Spinwert ).
Die Richtung im Raum bleibt aber offen; es handelt sich also um Vektoren (um im klassischen Bild zu
bleiben, bzw. quantenmechanisch
um Vektoroperatoren).
Der allgemeine Energieausdruck (oder Hamiltonoperator) für eine solche Situation ist durch das Heisenberg-Modell gegeben:
. [1]
Hierbei bezeichnet
einen (mehrkomponentigen) Spin des Atoms am Platz
des Kristallgitters,
die Kopplungskonstante (Stärke der Austauschkopplungs-Wechselwirkung) zwischen den Spins an den Plätzen
und
,
- der Punkt
das Skalarprodukt
die Stärke des Magnetfeldes.
Beim Ising-Modell dagegen wird die Zahl der Spinkomponenten auf Eins
reduziert (d.h. parallel oder antiparallel zu einer ausgezeichneten Achse
– hier -Achse):
:
.
Oft wird zusätzlich angenommen, dass
nur für benachbarte Spins ungleich Null ist. Ist die Austauschkopplung positiv,
so spricht man von einer ferromagnetischen
Kopplung; ist sie negativ, so wird sie antiferromagnetisch
genannt. Bei Ferromagneten bzw. Antiferromagneten dominiert das jeweilige Vorzeichen; bei den
Spingläsern
kommen beide Vorzeichen gleich häufig vor.
Durch geeignete Wahl der Wechselwirkungen können u.a. Spingläser
(hierbei ist
eine Zufallsgröße), verdünnte Magnete mit interessanten kritischen
Eigenschaften oder auch räumlich modulierte magnetische Strukturen (hierbei
liegen konkurrierende Kopplungen
vor, siehe ANNNI-Modell)
modelliert werden. Im Allgemeinen beschreibt das Ising-Modell die magnetischen
Ordnungen bei tiefen Temperaturen,
die bei höheren Temperaturen jedoch durch thermische
Fluktuationen aufgebrochen werden, wobei ein Phasenübergang
stattfindet. Eine umfassende theoretische Analyse von Phasenübergängen liefert
die Theorie der Renormierungsgruppen,
für die Kenneth
G. Wilson 1982 den Nobelpreis für Physik erhielt.
Bei der eindimensionalen Ising-Kette mit hinreichend kurzreichweitigen Wechselwirkungen beobachtet man jedoch keinen Phasenübergang. Dies hatte schon Ernst Ising in seiner Doktorarbeit mit Bedauern feststellen müssen. Fälschlicherweise vermutete er, dass dies auch für zwei und mehr Dimensionen zutrifft, was zunächst allgemein akzeptiert wurde.
Rudolf Peierls zeigte jedoch 1936, dass in zwei Dimensionen sehr wohl ein Phasenübergang vorlag. 1941 bestimmten Hendrik Anthony Kramers und Gregory Wannier durch ein Dualitätsargument die kritische Temperatur. Die exakte Lösung des zweidimensionalen Ising-Modells mit Wechselwirkungen zwischen nächsten Nachbarn und bei verschwindendem Magnetfeld wurde erstmals 1944 von Lars Onsager berechnet. Weitere Verbesserungen stammten von Bruria Kaufman (teilweise mit Onsager zusammen) und Chen Ning Yang, der 1952 die spontane Magnetisierung exakt berechnete. Eine kombinatorische Behandlung stammt von Mark Kac und John Clive Ward (1952), und der Beweis der Äquivalenz zu einem Fermionenmodell von Elliott Lieb, Theodore David Schultz und Daniel Charles Mattis (1964).
Für das dreidimensionale Ising-Modell mit Wechselwirkungen zwischen benachbarten Spins gibt es keine analytisch-exakte Lösung. Seine Eigenschaften kann man jedoch mit Hilfe der Molekularfeldnäherung (oder Landau-Theorie), Monte-Carlo-Simulationen, Reihenentwicklungen oder anderen numerischen Lösungsverfahren berechnen.
Das Ising-Modell gilt wegen seiner konzeptionellen Einfachheit und seiner vielfältigen Eigenschaften als „Drosophila“ der statistischen Physik. Es hat darüber hinaus Anwendungen in vielen Bereichen der Naturwissenschaften gefunden, bis hin zur Biologie und Hirnforschung. Die nahezu programmatische Aussage von Michael E. Fisher 'Ising models still thrive‘ (etwa: ‚Ising-Modelle sind noch im Wachsen‘) wird wohl noch für viele Jahre gültig bleiben.
Verallgemeinerungen des Ising-Modells liefern das Blume-Capel-Modell, das Potts-Modell und das Markow-Netzwerk.
Vereinfachte Darstellung
Die wesentlichen Eigenschaften des Ising-Modells lassen sich erläutern anhand
des zweidimensionalen Ising-Modells mit Wechselwirkung nur zwischen direkten
Nachbarn (links, rechts, oben, unten) in Abwesenheit eines externen Magnetfelds
().
In diesem speziellen Fall kann die Energie eines Zustands beschrieben werden durch:
.
mit
- der konstanten Anzahl
der möglichen Nachbarpaare
- der Anzahl
Nachbarpaare mit unterschiedlicher Ausrichtung, die von der Ausrichtung der einzelnen Spins abhängt (
).
Die konstante Energie
des Grundzustands trägt nicht
zum thermodynamischen
Verhalten des Systems bei. Entgegengesetzte Nachbarspins liefern einen
Energiebeitrag
,
parallele Spins liefern keinen Beitrag.
Energie, Wärme, Wahrscheinlichkeit
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Das Bild zeigt symbolisch einen winzigen „Magneten“ aus 25 „Eisen-Atomen“. Eisenatome verhalten sich wie kleine Magnete. Das Magnetfeld des Gesamtmagneten ist die Summe der Magnetfelder, die von den einzelnen Atomen ausgehen, wobei die Felder entgegengesetzt ausgerichteter Atome einander aufheben.
Fünf der Atome (schwarz) sind hier in eine Richtung ausgerichtet, die
restlichen 20 (weiß) in die andere Richtung. Die Nettomagnetisierung ist somit
Einheiten. Ein bestimmtes Schwarz-Weiß-Muster bezeichnet man als den
Zustand des Magneten.
Die
roten Kanten zeigen entgegengesetzt ausgerichtete Nachbarn. Jede rote Kante
entspricht einer im Magneten gespeicherten Energiemenge,
die
genannt wird (dies steht hier nicht für die Energieeinheit Joule, sondern für eine Kenngröße
des jeweiligen Materials).
Jede rote Kante vermindert die Wahrscheinlichkeit,
den Zustand in der Natur anzutreffen, und zwar umso mehr, je kälter es ist. Man
berechnet dies, indem man die Wahrscheinlichkeit für den Zustand „alle Atome
gleichgerichtet“ für jede rote Kante einmal mit
multipliziert. Dabei ist der Nenner das Produkt aus der Temperatur in Kelvin und der Boltzmann-Konstanten.
Beispiel: An einem warmen Sommertag (27 Grad Celsius, d.h. ca.
300 K) bewirkt in einem Material, dessen -Wert
0,0595 Elektronenvolt
beträgt, jede rote Kante eine Wahrscheinlichkeitsminderung um den
Faktor 10. Bei Abkühlung auf minus 123 Grad Celsius, d.h.
ca. 150 K, ist der Faktor schon 100 und bei minus 173 Grad,
d.h. ca. 100 K, sogar 1000.
Das Gesagte betrifft die Wahrscheinlichkeit eines individuellen Zustandes, die meist sehr klein ist. Meist gibt es aber auch eine sehr große Zahl von Zuständen, die eine bestimmte Magnetisierungsstärke des Magneten (Anzahl schwarzer Quadrate minus Anzahl weißer Quadrate) herstellen (man denke an die zahlreichen Möglichkeiten, einen Lottoschein auszufüllen).
Die große Zahl von Zuständen kann die kleine Wahrscheinlichkeit des einzelnen Zustandes ausgleichen. Tatsächlich gibt es in der Regel bei gegebener Temperatur eine bestimmte Magnetisierungsstärke, die alle anderen an Wahrscheinlichkeit deutlich übertrifft. Diese Magnetisierung wird fast ausschließlich angetroffen. Mit zunehmender Temperatur verschiebt sie sich von „voll magnetisiert“ zu „entmagnetisiert“.
Extreme Temperaturen
Um ein Gefühl für die Bedeutung des oben gesagten zu finden, betrachte man zuerst die Grenzfälle sehr geringer und sehr hoher Temperatur. Entgegen der Intuition werden die Berechnungen dabei nicht etwa durch große Zahlen erschwert, sondern so einfach, dass man schon durch „Kopfrechnung“ zu Ergebnissen kommt.
Bei extrem tiefen Temperaturen (Temperatur nähert sich dem absoluten
Nullpunkt) wird der Wahrscheinlichkeitsfaktor
so klein, dass kein Zustand außer „alle schwarz“ oder „alle weiß“ jemals
angetroffen werden kann. Der Magnet nimmt somit seine volle Magnetisierung an.
Bei extrem hohen Temperaturen hingegen wird der Wahrscheinlichkeitsfaktor der Zahl 1 immer ähnlicher, so dass er zu keiner Wahrscheinlichkeitsminderung führt und alle Zustände gleich wahrscheinlich werden. Dann gilt für jede Magnetisierung die reine Anzahl der sie realisierenden Zustände, und die ist für „50 % weiß – 50 % schwarz“ am höchsten. Der Magnet ist effektiv entmagnetisiert.
Moderate Temperatur
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Der abgebildete Zustand mit einem abweichenden Atom weist vier rote Kanten
auf. Bei einem -Wert
von 0,0017 eV ist dieser eine Zustand zehnmal weniger wahrscheinlich als
die Vollmagnetisierung (bei 27 Grad Celsius). Allerdings gibt es
25 Möglichkeiten, genau ein Atom abweichen zu lassen, und so ist eine
Magnetisierung von 24 Einheiten (25 – 1 entgegengesetzt) 2,5-mal so
wahrscheinlich wie die Vollmagnetisierung.
Kritische Temperatur
Der Zusammenbruch des Magnetismus tritt schon bei einer endlichen Temperatur
auf, der kritischen Temperatur .
Dies zu begründen erfordert umfangreiche mathematische Analysen, die hier nicht
ausgeführt werden können.
Nahe der kritischen Temperatur treten „interessante“ Muster (bezüglich der Schwarz-Weiß-Verteilung) auf.
Strukturbildung
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Auf dem Weg vom absoluten Nullpunkt zu unendlicher Temperatur gelangt man von perfekter Ordnung zu perfektem Rauschen.
Dazwischen findet man „interessante“ Muster. Bezüglich des Magnetisierungswertes bildet sich ein Kompromiss zwischen geringer Wahrscheinlichkeit und großer Anzahl eines Zustands: Eine beliebig herausgegriffene kompakte Struktur weist zwar weniger rote Kanten auf (und ist daher wahrscheinlicher) als eine beliebig herausgegriffene aufgelockerte Struktur; weil es aber mehr aufgelockerte Strukturen gibt, kann die Eigenschaft „aufgelockert“ insgesamt wahrscheinlicher sein. Man wird also einen Kompromiss vorfinden, der weder ganz kompakt noch ganz zerrissen ist, eben eine „interessante“ Struktur.
Analog kann man argumentieren bezüglich der Streuung schwarzer und weißer Quadrate, wenn Temperatur und Magnetisierung gegeben sind.
Anwendungen und Interpretationen
Die ursprüngliche Interpretation des Isingmodells ist die „magnetische“: Die Spinwerte zeigen nach „oben“ bzw. nach „unten“. Aber auch für andere binäre Probleme bietet sich das Isingmodell an.
Ein prominentes Beispiel ist das „Ising-Gittergas“, das zur Modellierung von Flüssigkeiten benutzt werden kann: Man betrachtet hierbei ein Gitter, dessen Plätze entweder „besetzt“ oder „unbesetzt“ sein können, je nachdem, ob der dem Gitterplatz zugeordnete Isingspin den Wert +1 oder −1 hat.
Mit dem Isingmodell können auch Spingläser
beschrieben werden, nämlich mit der Energie ,
wobei die
-Variablen
die Ising-Spins bedeuten und die
feste, aber zufällige Werte annehmen.
Quantenchromodynamik
Darüber hinaus existiert eine Interpretation dieses Hamiltonoperators als ein
stark vereinfachtes Modell der Quantenchromodynamik
in der Elementarteilchenphysik:
Man kann die -Variablen
als Quarks
und die
als Gluonen
interpretieren, wenn man beide Größen fluktuieren lässt. Allerdings muss man in
diesem Fall zum Hamiltonoperator noch die als Wilson-Loop-Variablen
bezeichneten Gluon-Gluon-Kopplungen der Form
hinzufügen.
Man erhält dann eichinvariante
Modelle, welche mit unkorrelierten binären Größen
und
den gekoppelten Eichtransformationen
,
,
genügen; d.h. der Hamiltonoperator bleibt bei diesen Transformationen invariant,
so wie die Lagrangefunktion
der Quantenchromodynamik gegenüber Transformationen mit den Elementen der
Gruppe SU(3)
invariant bleibt, die hier durch die
-Variablen
ersetzt sind.
Mit diesem Modell – einer Art Ising Lattice QCD – wurde die Gittereichtheorie eingeführt. Die relevante Veröffentlichung dazu stammt von Franz Wegner.
Nukleation
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Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Simulation von Phasenübergängen durch Nukleation. Homogene Nukleation entspricht bei der Modellierung ziemlich exakt dem Ferromagnetismus – für heterogene Nukleation müssen einige kleine Änderungen vorgenommen werden.
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Die erste Summe ist in diesem Fall wieder die Interaktion zwischen Nachbarn –
die neu hinzugekommene zweite Summation über
steht jedoch für die Interaktion mit einer Begrenzungsfläche.[2]
Es zeigt sich, dass im Bereich derartiger Begrenzungsflächen ein Kern
kritischer Größe um ein Vielfaches schneller entsteht.
Basierend darauf wurden auch Simulationen zur Nukleation auf poröser Oberfläche durchgeführt. Ihr Ergebnis war, dass eine bestimmte Größe der Poren gegeben sein muss, um schnellstmögliche Nukleation zu gewährleisten (in der Regel ist dies bei unregelmäßigen Poren am ehesten gegeben): Bei großen Poren ist der Anteil an Begrenzungsflächen kleiner – dadurch entsteht länger kein Nukleationskern kritischer Größe in der Pore – wenn die Pore hingegen klein ist, so ist die Initiation eines Phasenübergangs vom oberen Rand weg weniger wahrscheinlich.
Anmerkungen
- ↑ Bezüglich der Mitnahme des Faktors 1/2 gibt es unterschiedliche Konventionen (oft wird er fortgelassen)
- ↑
Sofern die Begrenzungsfläche Nukleation nicht
direkt begünstigt (
), ist die einzige Änderung, die man für die derart geänderte Hamiltonfunktion durchführen muss, den Spin aller Atome, die zur Wand gehören, auf 0 zu ändern.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Barry Cipra: An introduction to the Ising model, American Mathematical Monthly, Band 94, 1987, S. 937–959, pdf
- Barry McCoy, Tai Tsun Wu: The two dimensional Ising model, Harvard University Press 1973
- John Kogut: An introduction to lattice gauge theory and spin systems, Rev. Mod. Phys., Band 51, 1979, S. 659–713
- Richard Feynman: Statistical mechanics, Benjamin 1972
- Kerson Huang: Statistical mechanics, Wiley 1987
- Stephen G. Brush: History of the Lenz-Ising model, Rev. Mod. Phys., Band 39, 1967, S. 883–893
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 04.02. 2025