Lagrange-Kreisel

Abb. 1: Realisierung eines Lagrange-Kreisels

Der Lagrange-Kreisel oder der schwere symmetrische Kreisel ist in der Kreiseltheorie ein symmetrischer Kreisel, dessen Schwerpunkt auf seiner Symmetrieachse liegt und auf den seine Gewichtskraft ein Drehmoment ausübt. Eine typische Kreiselbewegung zeigt Abb. 1. Joseph-Louis Lagrange konnte 1788 als erster die zugehörigen Bewegungsgleichungen lösen, weswegen Lagranges Name mit diesem Kreisel verbunden ist. Gegenüber dem kräftefreien Euler-Kreisel bekommt der Lagrange-Kreisel durch die auf der Erde allgegenwärtige Schwerkraft eine besondere Relevanz.

Die Bahnlinie eines Punktes auf der Symmetrieachse, kurz die Locuskurve, ähnelt einer Zykloide und kann Spitzen oder Schleifen besitzen, siehe Abb. 3 bis 5. Besondere Bewegungsformen des Lagrange-Kreisels sind die reguläre Präzession, bei der der Kreisel gleichförmig um die Vertikale kreist, siehe Abb. 1, 7 und 8. Die pseudoreguläre Präzession ist von der regulären zwar mit dem Auge nicht zu unterscheiden, führt aber auf kleinskaliger Ebene rasche Schwingungen aus. Paradox erscheint die reguläre oder pseudoreguläre Präzession mit horizontaler Symmetrieachse, die der Kreisel entgegen seiner Gewichtskraft beibehalten kann, siehe Abb. 2. Die Bewegung des lotrecht hängenden Kreisels ist immer stabil, bei der lotrecht aufrechten Position muss für die Stabilität eine kritische Winkelgeschwindigkeit überschritten werden. In dem Fall verlässt der Kreisel die Senkrechte nicht ohne Anlass und wird schlafender Kreisel genannt. Der nicht um seine Symmetrieachse drehende Lagrange-Kreisel ist ein sphärisches Pendel, das hier nicht Gegenstand ist.

Die Bewegungen des Lagrange-Kreisels sind neben denen des Euler- und Kowalewskaja-Kreisels eine der drei immer integrablen Fälle. Insbesondere die Locuskurve lässt sich analytisch untersuchen und gibt so Aufschluss über die Kreiselbewegung und ihre Stabilität gegenüber Störungen.

Der Lagrange-Kreisel wird durch einen typischen Spielzeugkreisel realisiert, wenn dessen Aufsetzpunkt wie in der Animation am Boden frei drehbar fixiert ist. Diese Forderung stellt nur eine kleine Einschränkung dar, denn jede Starrkörperbewegung lässt sich in Rotation und Translation zerlegen. Sofern letztere (näherungsweise) gleichförmig ist, spielt sie für die Kreiselbewegung keine Rolle.

Bezeichnungen am Lagrange-Kreisel

Hauptartikel: Kreiseltheorie

Zusätzlich zu den im Hauptartikel aufgeführten Bezeichnungen am symmetrischen Kreisel sind beim Lagrange-Kreisel die folgenden üblich:

Beim Lagrange-Kreisel stimmen zwei Hauptträgheitsmomente überein und die zugehörigen Hauptträgheitsachsen, oder kurz Hauptachsen, spannen eine Ebene, die äquatoriale Ebene, auf. Die äquatorialen Hauptträgheitsmomente Θ1,2 werden oft mit A bezeichnet. Die zur äquatorialen Ebene senkrechte Hauptachse ist die Figurenachse oder Symmetrieachse deren Hauptträgheitsmoment Θ3 das axiale Trägheitsmoment ist und das oft mit C bezeichnet wird. Die Bezeichnung der Hauptträgheitmomente mit A bzw. C wird auch hier verwendet. Beim Kugelkreisel sind alle drei Hauptträgheitsmomente gleich groß. Die Lotrichtung der Schwerkraft ist die vertikale oder senkrechte Präzessionsachse und die dazu parallele nach oben weisende Achse bezeichnet die z-Richtung. Die Präzessions- und Figurenachse spannen die Präzessionsebene auf. Die Knotenlinie oder Knotenachse steht senkrecht auf der Präzessionsebene, siehe auch Knoten. Ebenso steht das Moment der Gewichtskraft senkrecht auf der Präzessionsebene, weil sich beim Lagrange-Kreisel der Schwerpunkt auf der Figurenachse befindet, die in der Präzessionsebene liegt. Die Knotenachse ist so orientiert, dass sie gleichsinnig parallel zum Moment der Gewichtskraft ist.

Beim aufrechten oder gehobenen Kreisel weist die Figurenachse nach oben, bildet mit der Gewichtskraft also einen stumpfen Winkel, während beim hängenden oder gesenkten Kreisel dieser Winkel spitz ist und der Kreisel nach unten hängt.

Klassifizierung der Lagrange-Kreisel

Lagrange-Kreisel unterscheiden sich kreiseltheoretisch nur in drei Größen:

  1. dem axialen Trägheitsmoment C = Θ3 um die Figurenachse,
  2. dem äquatorialen Trägheitsmoment A = Θ1 = Θ2 um dazu senkrechte Achsen und
  3. dem Stützpunktmoment c0 = m g s, das sich aus dem Abstand s zwischen Stützpunkt und Schwerpunkt, der Masse m des Kreisels und der Schwerebeschleunigung g ergibt.

Bei der Bewegung des Lagrange-Kreisels bleiben die folgenden Größen konstant, die in der Kreiseltheorie Integrale genannt werden:

Gesamtenergie E des Kreisels
Sie setzt sich aus der Lage- und der Rotationsenergie zusammen. Das Schwerefeld der Erde ist konservativ und die Kreiselbewegung befolgt somit den Energieerhaltungssatz.
Drehimpuls Lz um die Lotlinie
Dieser ist konstant, weil die Lotlinie parallel zur Gewichtskraft ist, deren Moment daher den Drehimpuls Lz nicht verändern kann.
Axialer Drehimpuls L3 um die Figurenachse
Dieser ist konstant, weil der Schwerpunkt des Lagrange-Kreisels per definitionem auf der Figurenachse liegt und das Moment der Gewichtskraft senkrecht zu ihrem Hebelarm ist, der hier vom Stützpunkt zum Schwerpunkt weist. Weil die Kreiselwirkung der Zentrifugalkräfte {\displaystyle {\vec {K}}_{\text{Zentrifugal}}} keine Komponente in Richtung der Symmetrieachse besitzt, tritt auch im bewegten körperfesten System kein Moment in axialer Richtung auf. Somit ist die Komponente L3 im körperfesten System konstant.

Dissipative Einflüsse wie Reibung werden, wenn nicht ausdrücklich erwähnt, vernachlässigt. Alle Lagrange-Kreisel, die in A, C, c0, E, Lz und L3 übereinstimmen und aus gleichen Ausgangspositionen starten zeigen identisches Verhalten.

Homologe Kreisel

Um die Locuskurve zu analysieren, reicht es aus, Kugelkreisel mit A = Θ1 = Θ2 = Θ3 = C zu betrachten, deren Trägheitsmomente also gleich dem äquatorialen Trägheitsmoment A eines interessierenden Kreisels sind. Denn alle Kreisel die denselben Drehimpuls besitzen und in den Größen A, c0 sowie einer Konstanten k übereinstimmen, die potentielle- und kinetische Energien kombiniert, zeigen bei gleicher Ausgangsposition gleiche Locuskurven. Diese sich ähnelnden Kreisel – und dazu gehören auch besagte Kugelkreisel – werden einander homolog genannt. Die Analyse von Kugelkreiseln ist in dieser Hinsicht gleichzeitig einfacher und allgemeiner. Die Gemeinsamkeiten aller homologen Lagrange-Kreisel beschränken sich allerdings auf die Locuskurve und schließen insbesondere nicht den Drehwinkel φ um die Figurenachse ein. Die Differenz der entsprechenden Drehgeschwindigkeit \dot\varphi zwischen zwei homologen Kreiseln ist jedoch immer konstant. Diese Ähnlichkeiten in den Kreiselbewegungen fiel erstmals Gaston Darboux auf.

Phänomenologie der Kreiselbewegungen

Darstellung der Locuskurve

Zentral bei der Diskussion der Bewegungen eines Lagrange-Kreisels ist die Locuskurve, auf der sich der Durchstoßpunkt der Figurenachse durch die Einheitskugel um den Stützpunkt, der Locus der Figurenachse, bewegt. Als Orientierungshilfe werden an dieser Kugel Bezeichnungen aus der Geographie übernommen: Der obere Totpunkt liegt im Nordpol und der untere Totpunkt im Südpol der Kugel. Die horizontale Ebene durch den Stützpunkt schneidet die Kugel am Äquator und ein zu ihm paralleler Kleinkreis der Kugel wird Breitenkreis genannt. Ein halber Großkreis, der den Nordpol und Südpol verbindet heißt Meridian.

Zur Darstellung der Locuskurven von hängenden Kugelkreiseln in den Abbildungen 3 und 4 wurde eine stereografische Projektion verwendet. Das Projektionszentrum ist über dem Stützpunkt × und der Bildebene im Nordpol der Kugel.

Alternativ werden auch perspektivische Ansichten wie in Abb. 5 benutzt.

Die Kreiselwirkung des axialen Drehimpulses

 

Abb. 2: Waagerecht im Kreis (entlang der roten Ellipse R) präzedierendes Speichenrad (fett schwarz)

Bei der Bewegung des Lagrange-Kreisels folgt der axiale Drehimpuls L3 der Figurenachse. Dem Drallsatz zufolge entsteht daher beim Richtungswechsel der Figurenachse eine Kreiselwirkung, die dieser Bewegung genau entgegengesetzt ist.

Dieser Mechanismus ermöglicht die paradoxe Bewegung des waagerechten Kreisels, bei dem sich die Figurenachse in der horizontalen Ebene bewegt, siehe Abb. 2. Hier ist die besagte Kreiselwirkung horizontal orientiert und wenn diese gerade so groß ist, dass sie das immer horizontale Moment der Gewichtskraft ausgleicht, bleibt die Figurenachse in der horizontalen. Die Bedingung für diese besondere reguläre Präzession ist Lz · L3 = A · c0, siehe unten.

Im Allgemeinen besitzt die Kreiselwirkung jedoch eine horizontale und eine vertikale Komponente. Letztere wird durch kein äußeres Moment ausgeglichen, sodass der Kreisel durch die vertikale Kreiselwirkung ablenkt wird. Der Kreisel weicht dabei soweit aus, bis in der horizontalen ein dynamisches Gleichgewicht mit der Gewichtskraft gefunden ist.

Locuskurven beim hängenden Kreisel

 

Die Abb. 3 zeigt Kreiselbewegungen ohne vertikalen Drehimpuls, wo die Umrundung des Südpols ausschließlich durch die oben beschriebene Kreiselwirkung hervor gerufen wird. Im Fall L3 = 0 entspricht der Kreisel einem sphärischen Pendel, das zwischen den Punkten a, dem Südpol und c hin und her schwingt (senkrechte grüne Linie). Mit zunehmendem axialen Drehimpuls wird durch dessen Bewegung die Figurenachse immer stärker in Bewegungsrichtung rechts abgelenkt. Wird L3 größer als etwa 10, werden die durchlaufenen Bögen so klein, dass sie mit dem Auge nicht mehr als solche erkennbar sind. Diese dann regelmäßig erscheinende Bewegung wird pseudoreguläre Präzession genannt und führt hier am Äquator abcd entlang.

Durch einen Anstoß in horizontaler Richtung im Uhrzeigersinn bekommt das sphärische Pendel einen Drehimpuls Lz = -0,3, siehe Abb. 4 grüne Kurve. Bei L3 = -Lz schwingt der Kreisel durch den Südpol (gelbe Kurve). Die Schleifen, die bei L3 > -Lz auftreten, werden auch hier mit L3 > 10 so klein, dass sie mit dem Auge nicht mehr als solche erkennbar sind und der Kreisel eine pseudoreguläre Präzession entlang des Äquators zeigt. Bekommt der Kreisel einen Drehimpuls L3 < -Lz, dann wird er in Bewegungsrichtung so weit nach links abgelenkt, dass er den unteren Totpunkt verfehlt. Bei {\displaystyle L_{3}={\tfrac {Ac_{0}}{L_{z}}}=-3{\tfrac {1}{3}}} kann er in regulärer Präzession am Äquator adcb entlang laufen (schwarzer Kreis). Unterhalb dieses Wertes liegt die Locuskurve in der Nordhalbkugel, zeigt dort zunächst Wellen, später Spitzen und schließlich Schleifen. Ab L3 < -10 sind diese Schleifen wieder so klein, das eine pseudoreguläre Präzession entlang des Äquators stattfindet.

Locuskurven beim aufrechten Kreisel

 

Abb. 5: Locuskurven eines aufrechten Lagrange-Kugelkreisels[F 2]

Abbildung 5 zeigt Locuskurven eines aufrechten Lagrange-Kugelkreisels, dessen Bewegung beim schwarzen Pfeil beginnt. Die Locuskurven zeigen Schleifen (lila und gelb), Spitzen (hellrot und hellblau) oder Wellen (grün). Bei Lz ≈ 2,53 findet eine langsame reguläre Präzession statt (blauer Breitenkreis). Bei zunehmendem Lz > L3 umschlingen die Schleifen den Nordpol und die Kugel immer weiter und nähern sich von Norden dem blauen Breitenkreis an, in dem dann schließlich eine schnelle reguläre Präzession stattfindet. Weitere Zunahme von Lz liefert immer größere Schleifen, die den blauen Breitenkreis von süden und einen südlicheren Breitenkreis von Norden tangieren. Mit Lz → ∞ nähert sich der südliche tangierte Breitenkreis dem am Äquator gespiegelten blauen Breitenkreis an und die Locuskurve wird zu einem Großkreis, der diese beiden Breitenkreise tangiert.

Wenn der Drehimpuls hinreichend groß und nahe der Figurenachse ausgerichtet ist, findet auch beim aufrechten Kreisel eine pseudoreguläre Präzession statt.

Pseudoreguläre Präzession

Die pseudoreguläre Präzession ist der wichtigste Punkt der Theorie des Lagrange-Kreisels und hat ob der Häufigkeit seines Auftretens und seiner paradoxen Eigenschaften größtes Interesse seitens der Naturphilosophie auf sich gezogen. Die Phänomenologie zeigt, dass sich die Locuskurve des Lagrange-Kreisels oft zwischen zwei Breitenkreisen bewegt. Bei der pseudoregulären Präzession nähern sich die beiden Breitenkreise ohne zusammen zu fallen so weit an, dass sie mit dem Auge nicht mehr voneinander getrennt werden können. Die Bewegung sieht dann aus wie eine reguläre Präzession, ist aber keine und wird pseudoreguläre Präzession genannt. Die reguläre Präzession kann nur bei ganz bestimmten Anfangsbedingungen entstehen, wohingegen die pseudoreguläre beliebige Anfangsbedingungen erlaubt, solange der anfängliche Drehimpuls L nahe an der Figurenachse ausgerichtet ist und hinreichend groß, also etwa L² > 100 A c0, ist.

Abb. 6: Rotationskegel des Drehimpulses, der bei der pseudoregulären Präzession nahe der Figurenachse liegt

Die pseudoreguläre Präzession kann sinnfällig vereinfacht dargestellt werden.

Weil das Moment der Gewichtskraft immer senkrecht auf der Figurenachse steht, in deren Nähe der Drehimpuls angenommen wird, ist nach dem Drallsatz {\displaystyle {\vec {M}}={\dot {\vec {L}}}} die Änderungsgeschwindigkeit des Drehimpulses etwa senkrecht zu ihm. Daher bewegt sich der Drehimpuls in guter Näherung auf einem Kegel, dem Präzessionskegel, um die senkrechte Präzessionsachse mit einer Präzessions-Kreisfrequenz \vec\Omega gemäß

{\displaystyle {\vec {M}}={\dot {\vec {L}}}={\vec {\Omega }}\times {\vec {L}}}

Das ist analog zu {\displaystyle {\vec {v}}={\vec {\omega }}\times {\vec {r}}}, wo sich die Geschwindigkeit {\vec {v}} bei einer reinen Rotation mit Winkelgeschwindigkeit {\vec {\omega }} aus dem Abstand {\vec {r}} zu einem Fixpunkt auf der Drehachse ergibt. In Komponenten mit {\displaystyle {\vec {M}}=mgs\sin(\alpha ){\hat {e}}_{N},\;{\vec {\Omega }}=\Omega {\hat {e}}_{z},\;{\vec {L}}\approx C\omega _{3}{\hat {e}}_{3}} und {\displaystyle {\hat {e}}_{z}\times {\hat {e}}_{3}=\sin(\alpha ){\hat {e}}_{N}} schreibt sich das

{\displaystyle M=mgs\sin(\alpha )=\Omega C\omega _{3}\sin(\alpha )\quad \rightarrow \quad \Omega ={\frac {mgs}{C\omega _{3}}}}

Darin sind {\displaystyle {\hat {e}}_{N,z,3}} die Richtungsvektoren der Knotenlinie, der Lotlinie bzw. der Figurenachse. Die Präzessionsfrequenz Ω wächst also mit dem Moment und ist umso kleiner je größer der Drehimpuls um die Figurenachse ist. Weil sich die Figurenachse nur in der Nähe des Drehimpulsvektors befindet, umläuft sie diesen rasch auf engem Kegel. Diese Erzitterungen der Figurenachse werden nach einem der Astronomie entlehnten Wort Nutationen genannt. Der Umlauf der Figurenachse eines Kugelkreisels um den Drehimpulsvektor kann durch eine Zykloide in einer Tangentialebene an die Einheitskugel angenähert werden.

Schneller Lagrange-Kreisel

Beim schnellen Kreisel dominiert seine Rotationsenergie über seine potentielle Energie. Wenn bei gleichen Anfangsbedingungen des Kreisels die Winkelgeschwindigkeit um die Figurenachse auf das n-fache gesteigert wird, dann ist die Trajektorie des Kreisels identisch mit der des Kreisels mit der ursprünglichen Winkelgeschwindigkeit, bei dem die Schwerebeschleunigung jedoch durch n² geteilt wurde. Im ersteren Fall großer Winkelgeschwindigkeit wird die Trajektorie n-mal schneller durchlaufen. Entsprechend zeigt der schnelle schwere Kreisel asymptotisch für ω → ∞ das gleiche Verhalten wie der kräftefreie Euler-Kreisel.

Analytische Beschreibung der Bewegung

Bewegungsfunktion des Lagrange-Kreisels

Für die analytische Lösung der Bewegungsgleichungen wird die Kreiselbewegung mit Euler-Winkeln dargestellt, siehe Bezeichnungen beim Euler-Kreisel. Mit deren Ableitungen können die Winkelgeschwindigkeit, die Gesamtenergie und die konstanten Drehimpulse um die Figurenachse und die Lotlinie ausgedrückt werden. So liegen also drei Gleichungen in drei unbekannten Winkeln vor, die in diesem Fall gestatten den Neigungswinkel ϑ auszurechnen wobei elliptische Integrale entstehen, die von elliptischen Funktionen gelöst werden. Für die Lösung werden also weder die Kreiselgleichungen noch der Lagrange-Formalismus gebraucht.

Für den Winkel ϑ ergibt sich mit der Konstanten {\displaystyle k:=2AE+\left(1-{\tfrac {A}{C}}\right)L_{3}^{2}} und u := cosϑ die autonome Differentialgleichung

{\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u):={\frac {1}{A^{2}}}[(k-L_{3}^{2}-2c_{0}Au)(1-u^{2})-(L_{z}-L_{3}u)^{2}]}

Die Kreiselfunktion U ist ein Polynom dritten Grades in u. Das Vorzeichen von {\dot {u}} ergibt sich nach dem bei Schwingungen üblichen Verfahren. Die Variable u bewegt sich im Intervall [-1, 1] zwischen zwei Extremen, zwischen denen das Polynom U positiv ist und in denen U = 0 ist. In diesen Nullstellen wechselt {\dot {u}} sein Vorzeichen.

Die Bewegungsfunktion folgt nach Trennung der Variablen:

{\displaystyle {\begin{aligned}t(\vartheta )=&\int {\frac {\mathrm {d} u}{\sqrt {U(u)}}}\\\psi (\vartheta )=&\int {\underline {\frac {L_{z}-L_{3}u}{A(1-u^{2})}}}{\frac {\mathrm {d} u}{\sqrt {U(u)}}}\\\varphi (\vartheta )=&\int {\underline {\left[{\frac {L_{3}-L_{z}u}{A(1-u^{2})}}+L_{3}\left({\frac {1}{C}}-{\frac {1}{A}}\right)\right]}}{\frac {\mathrm {d} u}{\sqrt {U(u)}}}\end{aligned}}}

Der Bruch {\displaystyle {\tfrac {\mathrm {d} u}{\sqrt {U(u)}}}} ist das Differential der Zeit dt und die unterstrichenen Terme sind die Winkelgeschwindigkeiten zu den Winkeln ψ und φ. Der Winkel ϑ ergibt sich aus der Umkehrung der Funktion t( ϑ ). Auf den rechten Seiten stehen sogenannte elliptische Integrale, deren Lösungen elliptische Funktionen sind.

Die Wahl des Vorzeichens der Wurzel in den Nennern der Integranden hängt vom Integrationsintervall ab. Bei der Integration über ein nullstellenfreies Intervall [u0, u1] ist für die Wurzel in den Nennern das Vorzeichen der Differenz u1 - u0 zu nehmen. Deswegen liefern die Integrale über ein Intervall [u0, u1] dasselbe Ergebnis, wie bei Integration über das Intervall [u1, u0]. Das erklärt die Symmetrieeigenschaften der Locuskurven, die aus Stücken zusammengesetzt sind, die kongruent oder spiegelbildlich zueinander sind.

Der Neigungswinkel ϑ berechnet sich speziell aus

{\displaystyle {\begin{aligned}\cos \vartheta =&u=u_{0}+(u_{1}-u_{0})\operatorname {sn} ^{2}\left({\sqrt {\frac {c_{0}(u_{2}-u_{0})}{2A}}}(t-t_{0});k\right)\\K(k)=&\int _{0}^{\frac {\pi }{2}}{\frac {\mathrm {d} x}{\sqrt {1-k^{2}\sin ^{2}(x)}}}\\T=&2K(k){\sqrt {\frac {2A}{c_{0}(u_{2}-u_{0})}}}\end{aligned}}}

Darin sind sn(z; k) die Jacobische elliptische Funktion sinus amplitudinis, u0,1,2 die drei nach Größe sortierten Nullstellen der Kreiselfunktion und {\displaystyle k:={\sqrt {\tfrac {u_{1}-u_{0}}{u_{2}-u_{0}}}}} das elliptische Modul. Das dimensionslose elliptische Modull tritt nur im vollständigen elliptischen Integral K und der elliptischen Funktion sn auf und darf nicht mit der kinetischen Konstante k verwechselt werden, die die Dimension M2 L4 T –2 besitzt. Die Funktion sn(z; k) hat die Periode 4K und der Winkel ϑ die Periode T. Diese Zeit verstreicht zwischen zwei Berührungen der Locuskurve mit dem südlichen Breitenkreis bei {\displaystyle \cos \vartheta =u_{0}}. Die Winkel ψ und φ ergeben sich als Linearkombination zweier Legendre-Integrale Π der dritten Art.

Herleitung der autonomen Differentialgleichung
Mit den Bezeichnungen beim Euler-Kreisel werden die Vektorkomponenten und Winkelgeschwindigkeiten mit den Euler-Winkeln ausgedrückt und in die Konstanten eingesetzt:
{\displaystyle {\begin{aligned}L_{3}=&C\omega _{3}=C({\dot {\psi }}\cos(\vartheta )+{\dot {\varphi }})\\L_{z}=&(A\omega _{1}{\hat {e}}_{1}+A\omega _{2}{\hat {e}}_{2}+C\omega _{3}{\hat {e}}_{3})_{z}=A{\dot {\psi }}\sin ^{2}(\vartheta )+L_{3}\cos(\vartheta )\end{aligned}}}

Die Indizes 1, 2 und 3 beziehen sich auf das Hauptachsensystem. So resultieren die Winkel ψ und φ als Funktion des Winkels ϑ:

{\displaystyle {\begin{aligned}{\dot {\psi }}=&{\frac {L_{z}-L_{3}\cos(\vartheta )}{A\sin ^{2}(\vartheta )}}\\{\dot {\varphi }}=&{\frac {L_{3}}{C}}-{\dot {\psi }}\cos(\vartheta )=L_{3}\left({\frac {1}{C}}-{\frac {1}{A}}\right)+{\frac {L_{3}-L_{z}\cos(\vartheta )}{A\sin ^{2}(\vartheta )}}\end{aligned}}}

Die Gesamtenergie lässt sich nun allein als Funktion des Winkels ϑ darstellen:

{\displaystyle {\begin{aligned}2E=&A\omega _{1}^{2}+A\omega _{2}^{2}+C\omega _{3}^{2}+2c_{0}\cos(\vartheta )\\=&A{\dot {\psi }}^{2}\sin(\vartheta )^{2}+A{\dot {\vartheta }}^{2}+{\frac {L_{3}^{2}}{C}}+2c_{0}\cos(\vartheta )\\\rightarrow {\dot {\vartheta }}^{2}=&{\frac {2E}{A}}-{\frac {L_{3}^{2}}{AC}}-{\frac {2c_{0}}{A}}\cos(\vartheta )-{\frac {[L_{z}-L_{3}\cos(\vartheta )]^{2}}{A^{2}\sin ^{2}(\vartheta )}}\end{aligned}}}

Mit der Substitution

{\displaystyle u:=\cos(\vartheta )\rightarrow {\dot {u}}=-{\dot {\vartheta }}\sin(\vartheta )\rightarrow {\dot {\vartheta }}^{2}={\frac {{\dot {u}}^{2}}{\sin ^{2}(\vartheta )}}={\frac {{\dot {u}}^{2}}{1-u^{2}}}}

und der Konstanten {\displaystyle k:=2AE+\left(1-{\tfrac {A}{C}}\right)L_{3}^{2}} wird daraus

{\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u):={\frac {1}{A^{2}}}[(k-L_{3}^{2}-2c_{0}Au)(1-u^{2})-(L_{z}-L_{3}u)^{2}]}

Die Bewegung lässt sich nach Trennung der Variablen mit obigen Ausdrücken für {\displaystyle {\dot {\psi }},{\dot {\varphi }}} mit den genannten elliptischen Integralen für t, ψ und φ als Funktion des Winkels ϑ darstellen, deren Lösungen elliptische Funktionen sind.

Darstellung des Neigungswinkels mit elliptischen Funktionen
Darstellung des Neigungswinkels mit dem sinus amplitudinis sn
Die Kreiselfunktion wird durch ihre drei Nullstellen u0,1,2 ausgedrückt, für die -1 < u0 < u1 < +1 < u2 angenommen wird:
{\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u)={\frac {2c_{0}}{A}}(u-u_{0})(u-u_{1})(u-u_{2})}

Im Bereich -∞ < u ≤ u0 sowie u1 ≤ u < u2 ist die Kreiselfunktion negativ ansonsten positiv. Im Intervall u ∈ [ u0, u1 ] liefert die Substitution {\displaystyle \sin ^{2}(v):={\tfrac {u-u_{0}}{u_{1}-u_{0}}}} die Faktoren

{\displaystyle {\begin{aligned}u-u_{0}=&(u_{1}-u_{0})\sin ^{2}(v)\\u-u_{1}=&-(u_{1}-u_{0})\cos(v)^{2}\\u-u_{2}=&-(u_{2}-u_{0})\left(1-{\frac {u_{1}-u_{0}}{u_{2}-u_{0}}}\sin ^{2}(v)\right)\end{aligned}}}

und mit dem elliptischen Modul {\displaystyle k^{2}={\tfrac {u_{1}-u_{0}}{u_{2}-u_{0}}}} (nicht zu verwechseln mit der kinetischen Konstante k) die Zeitableitungen

{\displaystyle {\begin{aligned}{\dot {u}}=&{\sqrt {U(u)}}=(u_{1}-u_{0})\sin(v)\cos(v){\sqrt {{\frac {2c_{0}}{A}}(u_{2}-u_{0})\left(1-k^{2}\sin ^{2}(v)\right)}}\\2\sin(v)\cos(v){\dot {v}}=&{\frac {\mathrm {d} }{\mathrm {d} t}}\sin ^{2}(v)={\frac {\dot {u}}{u_{1}-u_{0}}}\\\rightarrow {\dot {v}}=&{\sqrt {{\frac {c_{0}}{2A}}(u_{2}-u_{0})\left(1-k^{2}\sin ^{2}(v)\right)}}\end{aligned}}}

Das führt nach Trennung der Variablen auf die Legendre-Form eines elliptischen Integrals erster Art:

{\displaystyle {\begin{aligned}z(v):=&\int _{0}^{v}{\frac {\mathrm {d} \vartheta }{\sqrt {1-k^{2}\sin(\vartheta )^{2}}}}={\sqrt {{\frac {c_{0}}{2A}}(u_{2}-u_{0})}}(t-t_{0})\end{aligned}}}

Hier wurde angenommen, dass der Kreisel zur Zeit t0 am Breitenkreis u = u0, also mit v=0, startet. Die Jacobische elliptische Funktion sn hat die Eigenschaft sn(z(v);k) = sin(v) was die im Text stehende Lösungsfunktion ergibt.

Darstellung des Neigungswinkels mit der Weierstraßschen ℘-Funktion
Die Differentialgleichung {\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u)} lässt sich mittels {\displaystyle u=-{\tfrac {2A}{c_{0}}}x-{\tfrac {k}{6Ac_{0}}}} in die Form
{\displaystyle {\dot {x}}^{2}=4x^{3}-g_{2}x-g_{3}}

bringen, die durch die Weierstraß’sche ℘-Funktion erfüllt wird. Darin sind

{\displaystyle {\begin{aligned}g_{2}=&{\frac {c_{0}^{2}A^{2}+{\frac {k^{2}}{12}}+c_{0}AL_{z}L_{3}}{A^{4}}}\\g_{3}=&{\frac {\left({\frac {k^{2}}{18}}+c_{0}AL_{z}L_{3}+c_{0}^{2}A^{2}\right)k+3(L_{z}^{2}+L_{3}^{2}-k)c_{0}^{2}A^{2}}{12A^{6}}}\end{aligned}}}

Konstanten der Bewegung.

Entstehung der Wellen, Spitzen und Schleifen in der Locuskurve

Im physikalisch relavanten Bereich muss U(u) ≥ 0 und |u| ≤ 1 sein. Falls L3 und Lz betraglich gleich sind, ist u = 1 oder u = -1 eine Nullstelle von U und somit kann die Figurenachse die Senkrechte erreichen. Wenn LzL3, ist wegen U(1) < 0 und U(∞) > 0 eine Nullstelle größer als eins. Nur die beiden anderen Nullstellen u1,2 = cosϑ1,2 können den Locus bestimmen, der sich entsprechend zwischen zwei Extremen aufhält. In diesen Extremen ist U = 0.

Wegen {\displaystyle {\dot {\psi }}={\tfrac {L_{z}-L_{3}u}{A(1-u^{2})}}} bestimmt die Nullstelle e des Zählers, mit Lz - L3e = 0, die Form der Locuskurve:

  1. Liegt e außerhalb des physikalisch erreichbaren Bereichs, dann ist überall {\displaystyle {\dot {\psi }}<0} oder {\displaystyle {\dot {\psi }}>0} und die Locuskurve ist wellenförmig und ähnelt einer verkürzten Zykloide.
  2. Ist e innerhalb des physikalisch erreichbaren Bereichs, dann wechselt dort {\dot  \psi } das Vorzeichen und die Locuskurve gleicht einer verlängerten Zykloide mit Schleifen.
  3. Fällt e mit einer der Nullstellen von U zusammen, dann ist dort {\displaystyle {\dot {\psi }}={\dot {\vartheta }}=0} und die Locuskurve erscheint wie eine gewöhnliche Zykloide mit Spitzen. Das entspricht dem Fall, wo die Figurenachse aus der Ruhe losgelassen wird.

Reguläre Präzession

Bei der regulären Präzession ist ϑ genauso wie die Winkelgeschwindigkeiten {\displaystyle {\dot {\psi }},{\dot {\varphi }}} konstant. Demnach ist {\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u)=0} und die zwei physikalischen Nullstellen u1,2 := e fallen zusammen, weswegen dort auch {\displaystyle {\tfrac {\mathrm {d} U}{\mathrm {d} u}}=0} ist. Das lässt sich kombinieren zu

{\displaystyle u\,U+{\frac {1-u^{2}}{2}}{\frac {\mathrm {d} U}{\mathrm {d} u}}={\frac {L_{z}-L_{3}u}{A}}{\frac {L_{3}-L_{z}u}{A}}-{\frac {c_{0}}{A}}(1-u^{2})^{2}}

Bei u = e, wo die linke Seite verschwindet, ergibt sich die Bedingung für die reguläre Präzession:

{\displaystyle A{\frac {L_{z}-L_{3}e}{A(1-e^{2})}}\cdot {\frac {L_{3}-L_{z}e}{A(1-e^{2})}}=C{\dot {\psi }}{\dot {\varphi }}+(C-A){\dot {\psi }}^{2}e=c_{0}}

Bei der regulären Präzession erfüllen die Konstanten diese Bedingung. Die Bedingung ist symmetrisch in L3 und Lz, denn die Bedingung bleibt erfüllt, wenn die beiden Drehimpulse ihre Werte tauschen. Die Bewegungsgleichungen können bei der regulären Präzession nicht mit den elliptischen Integralen oben gelöst werden, weil die Integrationsintervalle null Ausdehnung besitzen. Jedoch können die Winkelgeschwindigkeiten {\displaystyle {\dot {\psi }},{\dot {\vartheta }},{\dot {\varphi }}} weil sie konstant sind direkt integriert werden zu

{\displaystyle {\begin{aligned}\vartheta =&\arccos(e)\\\psi =&{\frac {L_{z}-L_{3}e}{A(1-e^{2})}}t+\psi _{0}\\\varphi =&L_{3}\left({\frac {1}{C}}-{\frac {1}{A}}\right)t+{\frac {L_{3}-L_{z}e}{A(1-e^{2})}}t+\varphi _{0}\end{aligned}}}

worin ψ0 und φ0 der Anpassung an Anfangsbedingungen bei t = 0 dienen.

Die reguläre Präzession ist eine stabile Bewegungsform.

Langsame und schnelle reguläre Präzession oder Nutation

 

Zu gegebener Nullstelle e und Drehimpuls L3 um die Figurenachse gibt es höchstens zwei Winkelgeschwindigkeiten {\dot  \psi }, die mit einer regulären Präzession verträglich sind.

Denn dann ist die Bedingung {\displaystyle c_{0}=C{\dot {\psi }}{\dot {\varphi }}+(C-A){\dot {\psi }}^{2}e} wegen {\displaystyle {\dot {\varphi }}=\omega _{3}-e{\dot {\psi }}} eine quadratische Gleichung in {\dot  \psi } mit den Lösungen:

{\displaystyle {\dot {\psi }}_{1,2}={\frac {L_{3}}{2Ae}}\left(1\pm {\sqrt {1-{\frac {4c_{0}Ae}{L_{3}^{2}}}}}\right)\approx {\begin{cases}{\frac {L_{3}}{Ae}}\\{\frac {c_{0}}{L_{3}}}\end{cases}}}

Die rechte Näherung gilt für den schnellen Kreisel, wo {\displaystyle L_{3}^{2}\gg 4Ac_{0}e} ist. Die schnelle Präzession des ersten Falls entspricht demnach der Nutation des kräftefreien Euler-Kreisels, die proportional zum axialen Drehimpuls ist, siehe Abb. 7. Bei der langsamen Präzession im zweiten Fall ist die Präzessionsgeschwindigkeit umgekehrt proportional zum axialen Drehimpuls, siehe Abb. 8.

Euler-Poisson-Gleichungen

Hauptartikel: Eulersche Gleichungen (Kreiseltheorie)

Die Euler-Poisson-Gleichungen sind die spezifischen Kreiselgleichungen für den schweren Kreisel. Der Fall des symmetrischen schweren Kreisels wurde von Joseph-Louis Lagrange und erst ein wenig später von Siméon Denis Poisson analytisch gelöst. Trotzdem sind die Gleichungen nach Poisson benannt. Beim symmetrischen Lagrange-Kreisel spezialisieren sich die Gleichungen unter Verwendung der Euler-Winkel zu

{\displaystyle {\begin{aligned}c_{0}\sin(\vartheta )\cos(\varphi )=&A{\dot {\omega }}_{1}+(C-A)\omega _{2}\omega _{3}\\-c_{0}\sin(\vartheta )\sin(\varphi )=&A{\dot {\omega }}_{2}+(A-C)\omega _{3}\omega _{1}\\0=&C{\dot {\omega }}_{3}\end{aligned}}}

Darin sind c0 = m g s, m die Masse, g die Schwerebeschleunigung in -z-Richtung und s der Abstand des Schwerpunkts vom Stützpunkt auf der Figurenachse. Einsetzen der Winkelgeschwindigkeiten und -beschleunigungen liefert Differentialgleichungen zweiter Ordnung in den Winkeln:

{\displaystyle {\begin{aligned}{\ddot {\psi }}=&{\frac {-2A{\dot {\psi }}\cos(\vartheta )+C({\dot {\varphi }}+{\dot {\psi }}\cos(\vartheta ))}{A\sin(\vartheta )}}{\dot {\vartheta }}={\frac {-2A{\dot {\psi }}\cos(\vartheta )+C\omega _{3}}{A\sin(\vartheta )}}{\dot {\vartheta }}\\{\ddot {\vartheta }}=&{\frac {(A-C){\dot {\psi }}^{2}\cos(\vartheta )-C{\dot {\psi }}{\dot {\varphi }}+c_{0}}{A}}\sin(\vartheta )={\frac {A{\dot {\psi }}^{2}\cos(\vartheta )-C\omega _{3}{\dot {\psi }}+c_{0}}{A}}\sin(\vartheta )\\{\ddot {\varphi }}=&{\dot {\psi }}{\dot {\vartheta }}\sin(\vartheta )-{\ddot {\psi }}\cos(\vartheta )\end{aligned}}}

Die Winkelbeschleunigungen {\displaystyle {\ddot {\psi }},{\ddot {\varphi }}} sind proportional zur Winkelgeschwindigkeit {\displaystyle {\dot {\vartheta }}}. Wo der Winkel ϑ momentan stillsteht – wie beispielsweise bei der regulären Präzession – sind die Winkelgeschwindigkeiten {\displaystyle {\dot {\psi }},{\dot {\varphi }}} konstant.

Lotrechte Lagrange-Kreisel

Bei einem lotrechten Lagrange-Kreisel ist die Figurenachse anfänglich parallel zur Lotlinie und der Locus liegt beim aufrechten Kreisel im höchsten oder beim hängenden im tiefsten Punkt der Einheitskugel. In diesen Punkten ist Lz = ±L3 je nachdem die Figurenachse parallel oder antiparallel zur Lotrichtung ist. Entsprechend haben diese Kreisel das Drehimpulsbetragsquadrat

{\displaystyle |{\vec {L}}|^{2}=L^{2}=L_{z}^{2}=L_{3}^{2}=C^{2}\omega _{3}^{2}}

Lotrechter aufrechter Kreisel

Abb. 9: Locuskurve (rot) mit ihrer senkrechten Projektion auf die horizontale Ebene (blau) beim aufrechten Kreisel

Bei einem Kreisel, der im oberen Totpunkt rotiert, ist Lz = L3. Der aufrechte Kreisel dreht im oberen Totpunkt nur um die Figurenachse und die Kreiselfunktion vereinfacht sich zu

{\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u)={\frac {2c_{0}}{A}}\left(u+{\frac {2Ac_{0}-L^{2}}{2Ac_{0}}}\right)(1-u)^{2}}

Um den oberen Totpunkt u = 1 kann der Kreisel beständig rotieren. Wenn

L2 > 4 A c0

ist, dann ist unter realen Umständen U ≤ 0 und der Kreisel kann die Senkrechte u = 1 ohne äußere Einwirkungen nicht verlassen. Ein solcher Kreisel wird schlafender Kreisel genannt und seine Bewegung ist eine stabile.

Nach einer Weile kann der Drehimpuls infolge Reibung soweit abnehmen, dass L2 < 4 A c0 wird. Dann wird der obere Totpunkt eine instabile Gleichgewichtslage und der Kreisel kann aus der Senkrechten ausbrechen. Bei einem geringfügigen Anstoß verlässt der Kreisel den oberen Totpunkt, fällt zum Breitenkreis mit {\displaystyle u={\tfrac {L^{2}-2Ac_{0}}{2Ac_{0}}}=:e} ab und kehrt zurück. Für diese Bewegung zum Breitenkreis e und zurück zum Ausgangspunkt nahe dem oberen Totpunkt kann die Locuskurve analytisch berechnet werden:

{\displaystyle \psi =\arctan {\sqrt {\frac {u-e}{1+e}}}+{\frac {1}{2}}{\sqrt {\frac {1+e}{1-e}}}\ln {\frac {{\sqrt {1-e}}+{\sqrt {u-e}}}{{\sqrt {1-e}}-{\sqrt {u-e}}}}}

Darin ist arctan der Arcus-Tangens und ln der natürliche Logarithmus. Die Kurve ist eine Art sphärische logarithmische Spirale die den Breitenkreis e tangiert und sich unendlich oft um den oberen Totpunkt windet, siehe Abb. 9.

Lotrecht hängender Kreisel

Bei einem Kreisel, der um den unteren Totpunkt rotiert, ist Lz = -L3 und die Kreiselfunktion vereinfacht sich zu

{\displaystyle {\dot {u}}^{2}=U(u)=-{\frac {1}{A^{2}}}[2Ac_{0}(1-u)+L^{2}](1+u)^{2}}

Um den unteren Totpunkt u = -1 kann der Kreisel beständig rotieren. Weil jedoch U unter keinen realen Umständen positiv wird, kann der senkrecht nach unten hängende, rotierende Lagrange-Kreisel die Lotlinie ohne äußere Einwirkungen nicht verlassen. Der untere Totpunkt ist eine jedenfalls stabile Gleichgewichtslage.

Das ist im Gegensatz zum gleichmäßig rotierenden Pendel, bei dem der untere Totpunkt bei einer kritischen Drehzahl instabil wird. Dort wird jedoch die Winkelgeschwindigkeit um die Lotlinie künstlich konstant gehalten, was beim sich selbst überlassenen Lagrange-Kreisel nicht der Fall ist. Dem Pendel wird, sobald es minimal von der Lotlinie abweicht, unablässig Drehimpuls zugeführt bis eine Position gefunden ist, in der das Moment der Fliehkraft mit dem Moment der Gewichtskraft im Gleichgewicht ist.

Stabilitätsanalyse

Die Stabilität der Bewegung des Lagrange-Kreisels muss, anders als beim Euler-Kreisel, für jede seiner Bewegungen einzeln überprüft werden. Dabei werden die Trajektorien des Kreisels ohne und mit kleiner Störung verglichen. Sind die Trajektorien benachbart, so gilt die Bewegungsform als stabil, andernfalls als instabil.

Die Stabilität ergibt sich oftmals aus anschaulichen Überlegungen, wie beispielsweise bei der regulären Präzession. Bei der regulären Präzession hat die Kreiselfunktion eine doppelte Nullstelle und die beiden Breitenkreise, zwischen denen sich normalerweise die Kreiselspitze bewegt, liegen aufeinander. Wird der Kreisel gestört, dann rücken die Breitenkreise ein wenig auseinander, aber jedenfalls um so weniger, je kleiner die Störung ausfällt. Entsprechend geht der Kreisel in eine Bewegung über, die sich um so weniger von der ursprünglichen unterscheidet, je geringer die Störung war. So wird nachgewiesen, dass die reguläre Präzession des Lagrange-Kreisels eine stabile Bewegung ist. Dies gilt zumindest solange, wie die doppelte Nullstelle nicht an den Grenzen des physikalisch zugänglichen Intervalls [-1,1] liegt. Der lotrechte Kreisel bedarf der Sonderbehandlung. Die Störung des Kreisels kann in einer oder mehreren der Größen L3, Lz oder E angenommen werden.

Wenn eine instabile Lage vorliegt, die jedoch fast stabil ist, wie beispielsweise beim lotrecht hängenden Kreisel, wenn L2 - 4 A c0 nur geringfügig negativ ist, dann kann die Bewegung immer noch stabil sein. Sie ist dann theoretisch labil aber praktisch stabil. Grund hierfür ist, dass bei der Stabilitätsanalyse eine kleine Störung ε angenommen wird und dann häufig unterstellt wird, dass Terme höherer Ordnung in ε vernachlässigt werden können. Wenn die labile Lage jedoch auch in einer ε-Umgebung einer stabilen Lage ist, dann reicht die Kleinheit der Störung nicht mehr aus, um den Fehler in den gemachten Annahmen ebenfalls klein zu halten.

Einfluss der Reibung

Beim schnellen Kreisel kann der Einfluss der Reibung näherungsweise abgeschätzt werden. Der Einfluss richtet sich nach der Art der Lagerung des Kreisels, von der die Kardanische Aufhängung und die Einbettung der Kreiselspitze in einem nach oben offenen Kegel gebräuchlich sind.

Kardanische Aufhängung

Die Reibung in den Drehlagern der Aufhängung bewirken folgendes:

Wenn der Drehimpuls so weit abnimmt, dass der Kreisel aufhört ein schneller zu sein, noch ehe die Figurenachse merklich abwärts weist, so wird die Wirkung der Reibung verwickelter.

In einer Kegelpfanne tanzender Kreisel

Diesem Fall liegt die Annahme zugrunde, dass die Figurenachse im Stützpunkt in einer Halbkugel ausläuft, die sich in der Spitze eines nach oben offenen Kegeltrichters befindet und durch die Gewichtskraft dort festgehalten wird. Der Stützpunkt befindet sich hier im Mittelpunkt der Halbkugel, die bei der Drehung des Kreisels im Kegel mit Schlupf gleitet. Die Reibkraft wirkt etwa senkrecht zur Präzessionsebene in horizontaler Richtung und entgegengesetzt zur Tangentialgeschwindigkeit der Berührungspunkte auf der Halbkugel. Entsprechend übt die Reibkraft ein Drehmoment aus, das in der Präzessionsebene etwa waagerecht orientiert ist und mit der Figurenachse einen stumpfen Winkel einschließt. Dieses Reibmoment besitzt eine axiale und eine äquatoriale Komponente bezüglich des Kreisels. Die axiale Komponente vermindert unablässig den axialen Drehimpuls wodurch dann wieder die Präzessionsgeschwindigkeit zunimmt. Die äquatoriale Komponente in der Präzessionsebene hebt oder senkt die Figurenachse, je nachdem der Schwerpunkt des Kreisels höher oder tiefer als der Stützpunkt liegt. Wenn sie, wie üblich, höher liegt, dann nähert sich die Kreiselspitze in einer archimedischen Spirale in der Zeit {\displaystyle t={\tfrac {L_{3}}{c_{0}}}\sin \vartheta } der Lotlinie. Anders als bei der kardanischen Aufhängung richtet sich hier der Kreisel auf.

Anmerkungen

  1. a b Simulierte Locuskurven mit A = c0 = 1, cosϑ0 = 0.
  2. Simulierte Locuskurven mit A = c0 = 1, cosϑ0 = 0,8.
Trenner
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
Seitenende
Seite zurück
©  biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 11.12. 2021