Multipolentwicklung
Die Multipolentwicklung ist in der Physik ein Verfahren zur Lösung der Poisson-Gleichung in drei Raumdimensionen, bei der die Lösungsfunktion als Laurent-Reihe entwickelt wird. Die Entwicklungskoeffizienten dieser Laurent-Reihe heißen Multipolmomente. Sie wird hauptsächlich in der Elektrostatik und der Magnetostatik verwendet, kann aber auf jedes andere Gebiet der Physik, in dem die Poisson-Gleichung auftritt, verallgemeinert werden.
Die Motivation der Multipolentwicklung liegt darin, das Verhalten von elektrischem Potential und magnetischem Vektorpotential (oder beliebigen anderen Potentialen wie dem Gravitationspotential) in großer Entfernung von Ladungen oder Strömen zu betrachten. Dazu wird angenommen, dass diese das Potential induzierenden Ladungen oder Ströme nur auf einen kleinen Bereich des Raumes beschränkt sind, und die Greensche Funktion des Laplace-Operators, der in der Poisson-Gleichung auftritt, als Taylor-Reihe entwickelt.
Grundlagen
Die Poisson-Gleichung lässt sich allgemein als
schreiben, wobei
der Laplace-Operator,
eine Dichte und
ein Potential ist (das Minus ist Konvention). Die formale Lösung dieser
Gleichung ist:
Ist
in einem Volumen lokalisiert, kann für Orte
,
die weit außerhalb dieses Volumens liegen,
,
der Bruch in einer Taylor-Reihe in
um
entwickelt werden:
Dabei bedeutet ,
dass der Nablaoperator
nur auf die gestrichenen Koordinaten
und nicht auf
wirkt. Nach Bilden der Ableitungen wird diese an der Stelle
ausgewertet. Durch Umformen erhält man:
Aus dimensionalen Überlegungen ergibt sich, dass jeder Term in der
Taylor-Reihe in
zu einem Term
im Hauptteil der Laurent-Reihe in
führt. Mit anderen Worten, mit zunehmendem Abstand vom betrachteten Volumen,
werden die höheren Ordnungen der Multipolmomente immer vernachlässigbarer, da
sie immer stärker abfallen.
Die genaue Form der Entwicklung und der Multipole hängt davon ab, in welchem Koordinatensystem sie betrachtet werden.
Kartesische Multipolentwicklung
Bei der kartesischen Multipolentwicklung wird die Entwicklung in kartesischen Koordinaten durchgeführt. Dort ist
,
wobei Einsteinsche
Summenkonvention verwendet wird. Dann muss bei einem Summanden -ter
Ordnung ein Tensor
-ter
Stufe, nämlich
berechnet werden:
Das Symbol
repräsentiert das sogenannte Kronecker-Delta.
Die formale Lösung
der Poisson-Gleichung, ist unter Verwendung der Identität
wie folgt darstellbar:
Sphärische Multipolentwicklung
In der sphärischen Multipolentwicklung wird nicht in den einzelnen Koordinaten entwickelt, sondern im Abstand. Dazu wird der Term in Kugelkoordinaten umgeschrieben. Es ist
und
.
Da dies die erzeugende
Funktion der Legendre-Polynome
ist, kann die Entwicklung damit geschlossen angegeben werden:
Mithilfe des Additionstheorems
für Kugelflächenfunktionen lässt sich das Legendre-Polynom in
als Summe über Kugelflächenfunktionen
schreiben und damit in
und
entkoppeln:
Das Einsetzen in die Gleichung für
führt zu:
Das sphärische Multipolmoment
ist dann definiert als
.
Durch Koeffizientenvergleich
sieht man, dass der Term
zum Monopolmoment korrespondiert, der Term
zum Dipolmoment et cetera.
Umrechnung
Die Umrechnung zwischen kartesischen und sphärischen Multipolmomenten erfolgt, indem die Kugelflächenfunktionen in kartesischen Koordinaten ausgedrückt werden. Für das Monopolmoment erhält man
und für die drei Dipolmomente
.
Für höhere Momente ist die Umrechnung nichttrivial, da in der sphärischen
Multipolentwicklung
Terme auftreten, der korrespondierende Tensor jedoch
Komponenten hat. Da die Anzahl der Freiheitsgrade
unabhängig vom Koordinatensystem sein muss, sieht man dadurch, dass nicht alle
kartesischen Multipolmomente unabhängig voneinander sind. Unter anderem ist der
Quadrupoltensor symmetrisch
und spurfrei,
was die Freiheitsgrade einschränkt. Da die Anzahl der sphärischen
Multipolmomente nur linear anwächst und die der kartesischen exponentiell, ist
für höhere Momente die Angabe der kartesischen Multipolmomente nicht
zweckdienlich.
Anwendungen
Elektrostatik
In der Elektrostatik lässt sich die Poisson-Gleichung für das Potential aus der ersten Maxwell-Gleichung ableiten. In der Coulomb-Eichung lautet sie
mit dem elektrischen
Potential ,
der (elektrischen) Ladungsdichte
und der elektrischen
Feldkonstante
.
Die ersten drei Momente des elektrostatischen Potentials sind die Gesamtladung
,
das elektrische
Dipolmoment
und die Quadruplmomente
.
Magnetostatik
In der Magnetostatik
führen die Maxwell-Gleichungen in Coulomb-Eichung zu Poisson-Gleichungen für das
Vektorpotential
mit der elektrischen
Stromdichte
und der Permeabilität
des Vakuums
.
Der magnetische Monopol verschwindet, da in einer räumlich lokalisierten
Stromverteilung immer genauso viel hinein wie hinaus fließt. Der Term führender
Ordnung ist daher das magnetische
Dipolmoment. Um die Tensorstruktur im Dipolmoment zu vereinfachen, kann die
Identität
verwendet werden. Damit wird
mit dem magnetischen Dipolmoment
.
Gravitation
In der Gravitation ergibt es sich, dass keine negativen Massen als Ladungen existieren. Dennoch können formal gravitative Multipole definiert werden. Beginnend mit der Poisson-Gleichung aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz
mit der Gravitationskonstante
und der Massendichte
ist der gravitative Monopol die Gesamtmasse
und der gravitative Dipol der Massenmittelpunkt
.
Literatur
- T. Fließbach: Elektrodynamik. Spektrum Akademischer Verlag, ISBN 3-8274-2021-0.
- J. D. Jackson: Klassische Elektrodynamik. de Gruyter Verlag, ISBN 3-11-018970-4.>
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 01.01. 2022