Gleichmäßige Konvergenz
In der Analysis beschreibt
gleichmäßige Konvergenz die Eigenschaft einer Funktionenfolge ,
mit einer vom Funktionsargument unabhängigen „Geschwindigkeit“ gegen eine
Grenzfunktion
zu konvergieren.
Im Gegensatz zu punktweiser
Konvergenz erlaubt der Begriff der gleichmäßigen Konvergenz, wichtige
Eigenschaften der Funktionen
wie Stetigkeit
und Riemann-Integrierbarkeit,
auf die Grenzfunktion
zu übertragen.
Geschichte
Der Begriff wird üblicherweise Karl Weierstraß in den 1840er Jahren zugeschrieben (zuerst in einer Schrift 1841, die aber erst 1894 publiziert wurde), der ihn wiederum schon bei seinem Lehrer Christoph Gudermann (1838) angedeutet fand, und fehlte noch im ursprünglichen Aufbau der Analysis nach Augustin-Louis Cauchy. Das führte zu einigen Fehlern in Cauchys Cours d’Analyse von 1821, insbesondere beim sogenannten Cauchyschen Summensatz. Cauchy behauptete bewiesen zu haben, dass eine konvergente Reihe stetiger Funktionen stetig ist, wozu aber schon bald darauf 1826 Niels Henrik Abel ein Gegenbeispiel gab. Dass der Satz gilt, wenn punktweise Konvergenz durch gleichmäßige Konvergenz ersetzt wird (nach heutigem Verständnis), bewiesen unabhängig Philipp Ludwig Seidel (unendlich langsame Konvergenz) und George Gabriel Stokes 1847 (infinitely slow convergence, Punkte mit non uniform convergence). Seidel knüpfte dabei direkt an Cauchy und an Peter Gustav Lejeune Dirichlet an, der Beispiele von Fourierreihen gegeben hatte, die gegen unstetige Funktionen konvergieren. Stokes dagegen bezog sich nicht auf Cauchy, sondern auf einen Aufsatz über Potenzreihen von John Radford Young von 1846. Nach Ivor Grattan-Guinness kam möglicherweise der Schwede Emanuel G. Björling (1846/47) zu den beiden als Urheber des Konzepts hinzu. Es gab auch eine Diskussion darüber (Pierre Dugac 2003), ob Cauchy den Begriff (und den verwandten der gleichmäßigen Stetigkeit) schon wenig später 1823 in einem weiteren Lehrbuch kannte und implizit benutzte. Eine Gruppe von Mathematikhistorikern und Mathematikern wie Detlef Laugwitz und Abraham Robinson versuchte Cauchys Beweis später zu retten, indem die Idee verfolgt wurde, Cauchy, der selbst unendlich kleine Größen explizit in seinem Lehrbuch einführte, hätte eine Form von Nichtstandardanalysis benutzt, was sich aber bei den meisten Cauchy-Forschern nicht durchsetzte und als Beispiel einer aus moderner Sichtweise aufgezwungenen Interpretation der Mathematikgeschichte gewertet wurde. Klaus Viertel kam in seinem Buch zu einem differenzierteren Bild einer erst allmählichen Ausprägung der Begriffe von Stetigkeit und Konvergenz im heutigen Sinn selbst im Rahmen der Weierstraß-Schule, wo der Begriff ebenfalls im Lauf der Zeit einem Wandel unterworfen war. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es bereits verschiedene Weiterentwicklungen des Begriffs (Quasi-Konvergenz bei Godfrey Harold Hardy 1918, William Henry Young 1903, 1907).
Definition
Gegeben seien eine Funktionenfolge
,
die jeder natürlichen Zahl
eine reellwertige Funktion zuordnet, und eine Funktion
.
Alle
sowie
seien auf derselben Definitionsmenge
definiert. Die Folge
konvergiert genau dann gleichmäßig gegen
,
wenn
Man betrachtet hier die absolute Differenz von
und
für alle
aus dem Definitionsbereich.
Die Menge dieser Differenzen ist entweder unbeschränkt oder hat eine kleinste
obere Schranke, ein Supremum.
Gleichmäßige Konvergenz von
gegen
bedeutet, dass dieses Supremum für fast
alle
existiert und gegen Null geht, wenn
gegen unendlich strebt.
Man kann diesen Sachverhalt auch anders definieren: Alle Bezeichnungen seien
wie oben. Dann konvergiert
gleichmäßig gegen
genau dann, wenn für alle
ein
existiert, so dass für alle
und für alle
gilt:
Beispiel
Es sei
eine reelle Zahl. Die Funktionenfolge
konvergiert für
gleichmäßig gegen die Nullfunktion
.
Dafür ist zu zeigen, dass
.
Jedes der
ist auf
nicht-negativ und monoton
steigend, also
und wegen
geht dies gegen
.
Die Angabe des Konvergenzbereiches ist hierbei unerlässlich: Die Folge
konvergiert auf dem rechtsoffenen
Einheitsintervall
zwar immer noch punktweise gegen die Nullfunktion, jedoch nicht mehr
gleichmäßig. Es gilt nun
,
insbesondere ist also
.
Vergleich zwischen gleichmäßiger und punktweiser Konvergenz
Die Wahl von
bei gleichmäßiger Konvergenz hängt nur von
ab. Im Gegensatz dazu hängt bei punktweiser
Konvergenz
sowohl von
als auch von
ab. Formuliert man beide Konvergenzbegriffe mithilfe von Quantoren, so sieht
man, dass sie sich in der Reihenfolge der „Einführung“ von
und
und damit der Abhängigkeit der zwei Variablen voneinander unterscheiden (siehe
das Unterstrichene):
punktweise Konvergenz: | |
gleichmäßige Konvergenz: |
d.h., für punktweise Konvergenz muss es für jedes
und für jedes
eine natürliche Zahl
geben, so dass für alle
gilt:
.
Aus der gleichmäßigen Konvergenz folgt die punktweise Konvergenz, aber nicht
umgekehrt. Beispielsweise konvergiert die Funktionenfolge
definiert durch
punktweise gegen die Nullfunktion
für jedes
,
ist aber keine gleichmäßig konvergente Folge.
Bezeichnung
Für die gleichmäßige Konvergenz einer Funktionenfolge ,
die gegen
strebt, wird meistens eine der folgenden Bezeichnungen verwendet
oder
oder
Gleichmäßige Konvergenz in einem Punkt
Eine Funktionenfolge
heißt in dem Punkt
gegen
gleichmäßig konvergent, wenn
Wenn statt für alle
die Gültigkeit der Ungleichung
für mindestens ein
verlangt wird, dann heißt die Konvergenz uniform. Gleichmäßig konvergente
Folgen sind auch uniform konvergent. Die uniforme Konvergenz impliziert keine
punktweise Konvergenz.
Sei
die Klasse der gleichmäßig konvergenten Funktionenfolgen,
die Klasse der in jedem Punkt gleichmäßig konvergenten Funktionenfolgen und
die Klasse der in jedem Punkt punktweise konvergenten Funktionenfolgen.
Damit gilt: .
Die oben
erwähnte Funktionenfolge
liegt in
,
ist also in jedem Punkt gleichmäßig konvergent, aber nicht global.
Ein Beispiel für eine Funktionenfolge aus
ist
definiert durch
Die Funktionenfolge
konvergiert punktweise gegen die Nullfunktion. Denn jede rationale Zahl
liegt in allen
,
deren
gleich oder größer ist als der Nenner in der vollständig
gekürzten Darstellung des Bruches
.
Andererseits liegen im Schnitt
einer
und einem beliebigen Intervall
immer nur endlich viele rationale Zahlen. Daher gibt es zu jedem
und jeder Zahl
stets (unendlich viele rationale) Zahlen, deren Abstand zu
beliebig klein ist und die nicht in
liegen. Also konvergiert die Folge
in keinem Punkt gleichmäßig.
Folgerungen
Wie schon erwähnt, ermöglicht der Begriff der gleichmäßigen Konvergenz
ausgehend von Eigenschaften der Folge Aussagen über die Grenzfunktion, was bei
punktweiser Konvergenz nicht möglich ist. Im Folgenden seien die Bezeichnungen
wie bei der Definition oben,
sei ein reelles Intervall.
Es ergeben sich folgende Sätze:
Stetigkeit
- Es sei
eine Folge stetiger Funktionen. Wenn
gleichmäßig gegen
konvergiert, dann ist
stetig. Anstatt gleichmäßige Konvergenz zu fordern, ist es auch ausreichend, von einfach-gleichmäßiger Konvergenz auszugehen.
- Sei
eine gegen
punktweise konvergente Funktionenfolge. Alle
seien noch dazu in
stetig.
ist in
stetig genau dann, wenn
in dem Punkt
uniform konvergent ist.
- Die Menge der Punkte gleichmäßiger Konvergenz sowie die Menge der Punkte uniformer Konvergenz einer überall punktweise konvergenten Funktionenfolge sind jeweils Gδ-Mengen.
- Die gleichmäßig konvergenten Funktionenfolgen mit kompaktem Definitionsbereich sind alle gleichgradig stetig.
- Sei
ein kompaktes Intervall und
eine auf
gleichgradig stetige Folge. Wenn
punktweise gegen
konvergiert, dann konvergiert sie auch gleichmäßig.
- Sei
eine Funktionenfolge mit kompaktem Definitionsbereich
.
besitzt genau dann eine gleichmäßig konvergente Teilfolge, wenn
gleichgradig stetig ist und in jedem Punkt von
beschränkt ist (Satz von Arzelà-Ascoli).
Differenzierbarkeit
- Für die Differenzierbarkeit der Grenzfunktion ergibt sich kein derart
starkes Resultat wie für die Stetigkeit. Es seien die
differenzierbar auf
und gleichmäßig konvergent gegen
. Im Allgemeinen braucht die Grenzfunktion nicht einmal differenzierbar zu sein, und wenn sie es ist, muss ihre Ableitung keineswegs gleich dem Grenzwert der Ableitungen der Folge sein. So konvergiert z.B. die durch
definierte Funktionenfolge gleichmäßig gegen 0, die Folge der Ableitungen
aber nicht.
- Allgemein kann man sagen: Es seien alle
differenzierbar. Wenn
in einem Punkt konvergiert und die Folge der Ableitungen
gleichmäßig gegen
konvergiert, dann konvergiert
punktweise (sogar lokal gleichmäßig) gegen ein
und
ist differenzierbar mit der Ableitung
.
Integrierbarkeit
Für das Riemann-Integral auf Intervallen kann bei gleichmäßiger Konvergenz Integration und Grenzwertbildung vertauscht werden:
- Es seien alle
(Riemann-)integrierbar. Wenn
gleichmäßig gegen
konvergiert, dann ist
Riemann-integrierbar, und das Integral von
ist der Grenzwert der Integrale der
.
Ein Beispiel für eine punktweise, jedoch nicht gleichmäßig konvergente
Funktionenfolge, bei der das Integral nicht mit dem Grenzwert vertauscht werden
kann, liefert diese Funktionenfolge: Für jedes
ist die Funktion
definiert durch
stetig und daher Riemann-integrierbar. Für das Integral gilt
.
Die Funktionenfolge
konvergiert punktweise gegen die Nullfunktion
für alle
.
Somit ist
Punktweise Konvergenz reicht also nicht aus, damit Grenzwert und Integralzeichen vertauscht werden dürfen.
Satz von Dini
Wenn
ein kompaktes
Intervall und
eine monotone
Folge stetiger Funktionen ist (d.h.
≥
oder
≤
für jedes
und beliebiges
),
die punktweise gegen eine ebenfalls stetige Funktion
konvergiert, dann konvergiert
auch gleichmäßig.
Verallgemeinerungen
Gleichmäßige Konvergenz komplexer Funktionenfolgen
Definition
Die gleichmäßige Konvergenz für komplexe Funktionenfolgen wird genau so wie im Falle von reellen Funktionenfolgen definiert. Eine Funktionenfolge
heißt gegen
gleichmäßig konvergent, wenn
Chordal gleichmäßige Konvergenz
heißt chordal gleichmäßig konvergent, wenn
wobei
die Bezeichnung für chordalen Abstand ist.
Sei
die Klasse der auf
gleichmäßig konvergenten Funktionenfolgen,
die Klasse der auf
chordal gleichmäßig konvergenten Funktionenfolgen und
die Klasse der auf
gegen eine in
beschränkte Funktion punktweise konvergenten Funktionenfolgen.
Es gilt
Eigenschaften
Ähnlich wie bei der gleichmäßigen Konvergenz reeller Funktionenfolgen können auch im Komplexen der gleichmäßige Grenzwert mit dem Differential oder dem Kurvenintegral vertauscht werden.
Gleichmäßige Konvergenz μ-fast überall
Die gleichmäßige Konvergenz μ-fast überall ist eine maßtheoretische
Abwandlung der gleichmäßigen Konvergenz. Sie fordert die gleichmäßige
Konvergenz nur auf fast allen Punkten. Auf einer Nullmenge
muss also keine gleichmäßige Konvergenz oder sogar überhaupt keine Konvergenz
vorliegen. Die gleichmäßige Konvergenz entspricht der Konvergenz im
p-ten Mittel für den Grenzfall
und kann damit über die entsprechenden Integralnormen mittels des wesentlichen
Supremums in die Theorie der Lp-Räume
eingebettet werden. Man spricht dann auch von der Konvergenz in
.
Fast gleichmäßige Konvergenz
Wie auch die gleichmäßige Konvergenz μ-fast überall ist die fast gleichmäßige Konvergenz eine Maßtheoretische Variante der gleichmäßigen Konvergenz. Sie fordert, dass auf dem Komplement einer Menge beliebig kleinen Maßes gleichmäßige Konvergenz vorliegt. Dies ist eine echte Verschärfung der gleichmäßigen Konvergenz μ-fast überall.
Gleichmäßige Konvergenz in metrischen Räumen
Sei
eine Menge,
ein metrischer
Raum und
eine Funktionenfolge. Diese Funktionenfolge heißt gleichmäßig konvergent gegen
,
wenn für alle
ein
existiert, so dass
gilt.
Gleichmäßige Konvergenz in uniformen Räumen
Völlig analog lässt sich gleichmäßige Konvergenz für Funktionen in einen uniformen Raum
mit einem System von Nachbarschaften
definieren: Ein Filter
(oder allgemeiner eine Filterbasis)
auf der Menge der Funktionen
für eine Menge
konvergiert genau dann gegen eine Funktion
,
wenn für jede Nachbarschaft
ein
existiert, sodass
.
Siehe auch
- Der Begriff der gleichmäßigen Konvergenz ist für den Spezialfall beschränkter Funktionen derselbe wie der der Konvergenz bezüglich der Supremumsnorm.
- Kompakte Konvergenz
- Lokal gleichmäßige Konvergenz
Literatur
- Klaus Viertel: Geschichte der gleichmäßigen Konvergenz. Springer 2014
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 01.09. 2022