Kramers-Kronig-Beziehungen
Die Kramers-Kronig-Beziehungen, auch Kramers-Kronig-Relation (nach ihren Entdeckern Hendrik Anthony Kramers und Ralph Kronig), setzen Real- und Imaginärteil bestimmter meromorpher Funktionen in Form einer Integralgleichung miteinander in Beziehung. Sie stellen damit einen Spezialfall der Hilbert-Transformation dar.
Eine wichtige Anwendung ist der Zusammenhang zwischen der Absorption und der Dispersion eines sich in einem Medium ausbreitenden „Lichtstrahls“. Weitere Anwendungen gibt es in der Hochenergiephysik und in den Ingenieurwissenschaften.
Mathematische Formulierung
Sei
eine meromorphe
Funktion, deren Polstellen in der unteren Halbebene
liegen. Dieser Forderung an die Lage der Polstellen entspricht physikalisch das
Kausalitätspostulat. Ferner seien
bzw.
Real- und Imaginärteil der Funktion
.
Es sei vorausgesetzt, dass diese beiden Funktionen gerade bzw. ungerade sind.
Das bedeutet, dass
durch Fourierintegration nicht aus einer beliebigen komplexen, sondern aus einer
reellen Funktion gebildet werden kann.
In der Physik betrachtet man oft statt
die Funktion
,
wodurch sich die Voraussetzungen bezüglich gerade und ungerade vertauschen.
Schließlich sei .
Dann gelten für
die folgenden als Kramers-Kronig-Beziehungen bezeichnete Gleichungen:
bezeichnet den cauchyschen
Hauptwert des auftretenden Integrals.
Real- und Imaginärteil der Funktion
bedingen sich also gegenseitig durch Integration. Dies findet Anwendungen in der
Optik und in der Systemtheorie wenn
die Suszeptibilität eines Systems angibt, siehe Kausalität.
Anwendungen finden sich auch in der Hochenergie-Physik bei den Dispersionsrelationen
der S-Matrix.
Motivation (Ein Randwertproblem)
Auf der reellen Achse
sei eine stetige reelle Funktion
vorgegeben, die analog zu
als gerade vorausgesetzt werden soll. Dazu soll eine in der ganzen oberen
Halbebene holomorphe
komplexe(!) Funktion
so konstruiert werden, dass
gilt.
Es soll also ein Randwertproblem
gelöst werden, wobei im Innern des betrachteten Gebietes ,
d.h. oberhalb von
,
wegen der Holomorphie-Bedingung die cauchy-riemannschen
Differentialgleichungen erfüllt werden müssen und auf dem Rand,
eine stetige reelle Funktion,
,
vorgegeben ist, die dort angenommen werden soll.
Eine holomorphe Funktion kann nach dem Residuensatz dargestellt werden als:
,
wobei
den (positiv orientierten) Halbkreis in der oberen Halbebene mit Zentrum
und Radius
bezeichnet. Fällt nun
im Unendlichen schnell genug ab, so reduziert sich im Grenzübergang
die Darstellung zu einem Integral über der reellen Achse, also:
Im Falle ,
und weil
bzw.
eine gerade
Funktion sein soll, ergibt sich schließlich
,
wobei das auftretende Integral als cauchyscher Hauptwert zu interpretieren
ist (Singularität für )
und mit der Hilbert-Transformation
von
übereinstimmt. Der Residuensatz wird hierbei auf den Integrationsweg
angewendet. Diese Gleichung entspricht der einen Kramers-Kronig-Beziehung.
Man braucht jetzt zur Lösung des Randwertproblems nur die Beziehung
einzusetzen.
Für ungerade Funktionen
verfährt man analog und erhält die andere Kramers-Kronig-Beziehung. Eine
beliebige Funktion kann immer durch die Vorschrift
,
mit
,
in einen geraden bzw. ungeraden Anteil zerlegt werden. Der einfachste Fall einer
meromorphen Funktion
mit den vorausgesetzten Eigenschaften ist die lineare
Antwortfunktion des gedämpften harmonischen Oszillators,
mit positiver Dämpfungskonstante
und positiver charakteristischer Oszillator-Kreisfrequenz
Anwendungen
Die Kramers-Kronig-Beziehungen werden dort angewendet, wo eine reelle gerade
Funktion
– evtl. ungerade gemacht durch einen Zusatzfaktor
– zu einer holomorphen
Funktion
ergänzt werden soll. Dies dient meistens der Vereinfachung der auftretenden
Rechnungen, insbesondere bei Wellenfunktionen,
also hauptsächlich in der Signalverarbeitung
und in der Optik, aber auch in der Statistischen
Physik im Zusammenhang mit dem
Fluktuations-Dissipations-Theorem.
Auf diese Weise hängt die Absorption
elektromagnetischer
Wellen in einem Medium mit dem Brechungsindex
zusammen. Es reicht also, die Abhängigkeit einer der beiden Größen von der Frequenz zu
kennen, um die andere berechnen zu können.
Die von der Kreisfrequenz
abhängige Permittivität
lässt sich ausdrücken als Integral der von der Kreisfrequenz abhängigen Absorption:
wobei
- die reelle Kreisfrequenz
die Integrationsvariable ist
- die ebenfalls reelle Variable
eine charakteristische System-Kreisfrequenz darstellt
- die Abkürzung
für den cauchyschen Hauptwert (engl. Cauchy principal value) des Integrals steht (
ist gerade,
ungerade).
Eine alternative Betrachtungsweise ergibt sich mit dem Absorptionskoeffizienten
,
dem Brechungsindex
und der Lichtgeschwindigkeit
:
Dadurch lässt sich vor allem in der nichtlinearen Optik aus einer einfachen Absorptionsmessung die komplexe Form des Brechungsindex ableiten. Auch der Name der Dispersionsrelationen der Hochenergiephysik bezieht sich auf dieses Beispiel.
In den Ingenieurswissenschaften kommen die Kramers-Kronig-Beziehungen vor allem im Rahmen von impedanzspektroskopischen Messungen zum Einsatz, wo aus ihrer Nichterfüllung auf eine fehlerhafte Messung des Frequenzganges geschlossen wird.
Die Einschränkung der allgemeiner gültigen Kramers-Kronig-Beziehungen auf Zweipol-Systeme führt zum ZHIT-Algorithmus, der zur Validierung von Impedanzspektren elektrochemischer Systeme (Elektrochemische Impedanzspektroskopie) angewandt werden kann.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.07. 2021