Scherung (Geometrie)
 
  
Unter einer Scherung oder auch Transvektion versteht man ursprünglich in der Geometrie der Ebene bestimmte affine Abbildungen der Ebene auf sich selbst, bei denen der Flächeninhalt erhalten bleibt. Bei einer Scherung bleibt eine Gerade der Ebene (die Fixpunktgerade oder Achse der Scherung) fix, das heißt, jeder Punkt dieser Geraden wird auf sich abgebildet. Alle anderen Punkte der Ebene werden parallel zur Achse verschoben, dabei ist die Länge des Verschiebungsvektors eines Punktes proportional zum Abstand dieses Punktes von der Achse. Alle Geraden, die parallel zur Achse sind, werden auf sich abgebildet, sind also Fixgeraden. Strecken auf diesen Geraden werden längentreu abgebildet.
Bei einer Scherung bleibt also der Abstand jedes Punktes zur Achse unverändert. Damit werden Rechtecke und Dreiecke, bei denen eine Seite parallel zur Achse ist, auf Parallelogramme bzw. Dreiecke abgebildet, die (lotrecht zu der Seite, die parallel zur Achse ist) eine gleich lange Höhe haben (vgl. die Abbildung).
Der Begriff der (ebenen) Scherung kann unterschiedlich auf Affinitäten im Raum und in höheren Dimensionen verallgemeinert werden. Zwei Möglichkeiten, bei denen die verallgemeinerte Scherung das Volumen der abgebildeten Figuren nicht ändert, werden hier dargestellt.
Die Hintereinanderausführung einer Scherung und einer zentrischen Streckung (in beliebiger Reihenfolge) ergibt eine Scherstreckung, bei der im Allgemeinen Flächen- und Rauminhalte nicht gleich bleiben.
Scherungen in der Ebene
Eine Affinität 
 
eines zweidimensionalen affinen 
Raumes 
 
(der "Ebene") ist genau dann eine Scherung, wenn 
- es zwei verschiedene Fixpunkte und gibt, formal: 
- und einen beliebigen Punkt , der nicht auf der Verbindungsgeraden der zwei Fixpunkte aus (1) liegt, unter Fixpunkt ist oder parallel zu verschoben wird. formal: - . 
 
Aus der ersten Bedingung folgt mit den Eigenschaften einer Affinität, dass 
die Verbindungsgerade der beiden Fixpunkte eine Fixpunktgerade (Achse ) 
ist. Die zweite Bedingung lässt (mit der Möglichkeit eines dritten Fixpunktes 
außerhalb von 
) 
auch die identische Abbildung als Scherung zu oder erzwingt, dass mit einem 
Punkt außerhalb der Fixpunktgeraden alle Punkte außerhalb von 
 
parallel zu 
 
verschoben werden. 
Allgemein ist eine Affinität in der Ebene eindeutig bestimmt, wenn zu drei Punkten, die nicht auf einer Geraden liegen, jeweils die nicht auf einer Geraden liegenden Bildpunkte angegeben werden.
Eigenschaften
Bemerkenswert ist, dass zur Charakterisierung einer Scherung keine Abstands- oder Flächeninhaltsbegriffe benutzt werden müssen. Scherungen lassen sich so in jeder affinen Ebene definieren. Die in der Einleitung genannten Eigenschaften sind dann so zu präzisieren:
Ist in der Ebene ein euklidischer 
Abstand und ein mit diesem Abstand verträglicher Flächeninhalt definiert, 
dann bleiben bei einer Scherung mit Achse  
- der Abstand zwischen zwei Punkten, die auf oder Parallelen zu liegen, 
- der Abstand zwischen zwei zu parallelen Geraden und 
- der (orientierte) Flächeninhalt jeder messbaren Fläche
erhalten.
In der reellen Ebene kann man durch Wahl einer "Einheitsellipse" oder gleichwertig durch Wahl eines affinen Koordinatensystems als Orthonormalbasis unterschiedliche euklidische Strukturen, d.h. unterschiedliche Winkel- und Abstandsbegriffe einführen. Eine Scherung hat nun die genannten Invarianzeigenschaften in Bezug auf jede dieser Strukturen, während zum Beispiel eine Drehung bezüglich einer euklidischen Struktur bezüglich einer anderen keine Drehung zu sein braucht. Diese Unabhängigkeit von der euklidischen Struktur teilen die Scherungen mit den Parallelverschiebungen.
Bildkonstruktion
 
  
Eine Scherung in der Ebene ist festgelegt, wenn ihre Achse  
und für einen gegebenen Punkt 
 
außerhalb der Achse sein Bildpunkt 
 
gegeben sind. Dann kann das Bild eines weiteren Punktes 
, 
der nicht auf der Achse und nicht auf der Verbindungsgeraden 
 
liegt, folgendermaßen konstruiert werden, die Abbildung rechts zeigt die 
Schritte (rot) der Konstruktion: 
- Konstruiere die Parallele zu durch . 
- Zeichne die Verbindungsgerade . Sie schneidet die Achse in einem Fixpunkt . 
- Zeichne die Verbindungsgerade . Sie ist das Bild der Gerade . Daher ist der Schnittpunkt von mit der gesuchte Bildpunkt. 
Wenn der abzubildende Punkt  
auf der Achse liegt, ist er selbst Fixpunkt. Liegt er auf der Verbindungsgeraden 
, 
dann muss entweder nach obigem Konstruktionstext zuerst für einen Hilfspunkt 
 
außerhalb von 
 
und der Achse der Bildpunkt bestimmt werden, oder man verwendet für die 
Bildkonstruktion die Tatsache, dass die Scherung auf 
 
als Verschiebung operiert. 
Matrixdarstellung
Wählt man in der Ebene ein kartesisches 
Koordinatensystem, bei dem die -Achse 
mit der Achse der Scherung zusammenfällt, dann wird diese Scherung durch die 
lineare Abbildung 
mit der Abbildungsmatrix
dargestellt. Ist die Achse der Scherung hingegen die -Achse, 
tauschen 
 
und 
 
in der Abbildungsmatrix ihre Plätze. Beide Abbildungen verändern den Winkel 
zwischen den Koordinatenachsen jeweils um 
. 
Ist eine affine Abbildung  
der Ebene durch ihre Abbildungsmatrix 
 
und ihre Verschiebung 
 
gegeben, 
- , 
dann ist  
genau dann eine Scherung, wenn 
- die Fixpunktgleichung eine Lösung hat 
- und die Matrix das charakteristische Polynom hat. Dabei ist die Determinante gegeben als - . 
 
Für algebraische Untersuchungen ist es bequem, die betrachteten affinen Abbildungen als 3×3-Matrizen (erweiterte Abbildungsmatrizen) bezüglich einer festen Basis darzustellen. Das entspricht einer Darstellung der affinen Abbildung in homogenen Koordinaten: Statt
schreibt man dann
- . 
Algebraische Struktur
Die Verkettung 
zweier Scherungen ist im Allgemeinen keine Scherung mehr. Die Menge aller 
Scherungen der Ebene bildet also insbesondere keine Gruppe. Ihre 
erweiterten Abbildungsmatrizen sind eine Teilmenge der Gruppe der 
Verschiebungsmatrizen in der Speziellen 
linearen Gruppe . 
Das ist eine Gruppe. (Sie besteht aus den Matrizen der Form 
- , 
deren Determinante 1 ist. Genau die erweiterten Abbildungsmatrizen flächentreuer und orientierungserhaltender Affinitäten bilden diese Gruppe.)
Die Menge der Scherungen mit einer gemeinsamen Achse bildet eine abelsche Gruppe. Sie 
ist isomorph zur Gruppe der Verschiebungen in eine feste Richtung, denn man kann 
ein affines bzw. kartesisches Koordinatensystem wählen (mit der gemeinsamen 
Achse als -Achse), 
in der sie alle eine Darstellung der Form 
haben. Für die Darstellung der Scherung kommt es auf die Lage des Ursprungs auf der Achse nicht an.
Für Scherungen, deren Achsen parallel sind, kann man ein gemeinsames affines bzw. kartesisches Koordinatensystem wählen, in dem ihre erweiterten Abbildungsmatrizen die Form
haben. (Der Verschiebungsanteil  
muss verschwinden, da sonst die Fixpunktgleichung keine Lösung hat.)
 Multipliziert man zwei dieser erweiterten Matrizen, so ergibt sich: 
- . 
Daraus wird offensichtlich:
- Die Verkettung zweier Scherungen mit parallelen Achsen ist wieder eine Scherung mit einer Achse, die parallel zu den ursprünglichen Achsen ist.
- Die Menge der Scherungen mit Achsen in einer festen Richtung bildet eine abelsche Gruppe.
- Die Gruppe wird erzeugt von der Gruppe der Scherungen mit einer festen Achse (aus der Parallelenschar) und der Gruppe der Verschiebungen parallel zu dieser Achse. Sie ist sogar das direkte Produkt dieser Gruppen.
- Die Gruppe ist isomorph zur Gruppe der Parallelverschiebungen der Ebene (also letztlich zum zweidimensionalen Vektorraum über dem Grundkörper als abelsche Gruppe).
Scherungen in höherdimensionalen Räumen
 
  
In einem -dimensionalen 
Raum ist eine Scherung eine Affinität, 
die eine Fixpunkthyperebene hat und 
durch die alle nicht auf dieser Hyperebene liegenden Punkte in eine feste 
Richtung parallel zur Fixpunkthyperebene verschoben werden. Die Länge eines 
Verschiebungsvektors ist dabei wieder proportional zum Abstand von der 
Fixpunkthyperebene. 
 
  
In der Abbildung rechts ist dargestellt, wie das Bild eines Quaders bei einer solchen Abbildung zu einem schiefen Prisma verformt wird, wenn die Grundseite (rot) in der Fixpunktebene liegt und die Scherung parallel zur Vorderseite (gelb) wirkt. Im Bild bleiben die rote und die hellblaue Seite und die jeweils gegenüberliegenden Seiten Rechtecke.
Die Verallgemeinerung auf höherdimensionale Räume ist aber in der Literatur 
nicht einheitlich. Als Scherung des -dimensionalen 
Raumes wird auch allgemeiner jede Affinität bezeichnet, die eine 
Matrixdarstellung der Form 
zulässt (bei Wahl einer geeigneten Basis). Dabei sind  
Einheitsmatrizen und 
 
ist eine beliebige Matrix. Bei einer solchen Scherung ist der fixierte Raum ein 
linearer Raum der Dimension 
 
(s. Rang 
(Mathematik)). 
Die Abbildung rechts zeigt die Wirkung der allgemeineren Form einer Scherung auf einen Quader im dreidimensionalen Raum. Das gezeigte Parallelepiped ist durch eine solche Scherung aus einem Quader hervorgegangen. Das (orientierte) Volumen des Parallepipeds stimmt mit dem des ursprünglichen Quaders überein.
Beide Übertragungen des Begriffs Scherung in der ebenen Geometrie auf 
höhere Dimensionen beschreiben inhaltstreue Affinitäten, die einen mindestens 
eindimensionalen affinen Teilraum punktweise fest lassen. Jede Scherung eines 
-dimensionalen 
Raumes im allgemeineren Sinn (mit einer Fixpunktgeraden) lässt sich als 
Hintereinanderausführung von (höchstens) 
 
Scherungen im spezielleren Sinn (mit je einer Fixpunkthyperebene) darstellen. 
Dabei enthalten alle Fixpunkthyperebenen der spezielleren Scherungen die 
Fixpunktgerade der allgemeineren. Gibt es in dem 
-dimensionalen 
Raum ein Skalarprodukt 
und besitzt die verallgemeinerte Scherung die oben genannte Matrixdarstellung 
bezüglich einer Orthonormalbasis 
des Raumes, dann können für die speziellen Scherungen, aus denen die allgemeine 
zusammengesetzt wird, die Fixpunkthyperebenen orthogonal zueinander gewählt 
werden. 
Scherstreckung
Eine Scherstreckung entsteht, wenn eine zentrische Streckung und eine 
Scherung nacheinander (in beliebiger Reihenfolge) ausgeführt werden. In der 
Ebene kann sie durch Wahl geeigneter Koordinaten auf die Normalform 
 gebracht werden (siehe den Hauptartikel  Jordansche 
Normalform). Sie hat keine Achse (Fixpunktgerade), aber ein eindeutiges 
Zentrum (Fixpunkt). Wird zusätzlich noch eine Verschiebung ausgeführt, so 
entsteht wieder eine Scherstreckung, wobei sich das Zentrum ändern kann. 
Zusammenhang mit dem Begriff Scherung in der Mechanik
In der Mechanik, speziell der Kontinuumsmechanik bezeichnet man als Scherung bestimmte Verformungen eines dreidimensionalen Körpers. Dabei werden Massenelemente des Körpers in eine gemeinsame Richtung parallel zu einer festen Ebene im Körper verschoben und die Länge des Verschiebungsvektors ist proportional zum Abstand des Massenelementes von der festen (Fixpunkt-)Ebene. Der Begriff deckt sich also (als Abbildung) mit der spezielleren Verallgemeinerung auf drei Dimensionen, die weiter oben beschrieben ist. Wählt man das Koordinatensystem so, dass die unverschobene Ebene die xy-Ebene des kartesischen Koordinatensystems bildet und alle Verschiebungen parallel zur x-Achse erfolgen, dann lässt sich die dreidimensionale Scherung durch die lineare Abbildung
beschreiben. Dabei ist  
die Verschiebung eines Massenelementes im Abstand 
 
von der Fixpunktebene. Ausgeführt wird dies im Hauptartikel Scherung 
(Mechanik). 
Literatur>
- H. Schupp: Elementargeometrie. UTB Schöningh, 1977, ISBN 3-506-99189-2.
- Hermann Schaal: Lineare Algebra und analytische Geometrie. 2. Auflage. Vieweg, Braunschweig 1980 (3 Bände: ISBN 3129228217, ISBN 3528130571, ISBN 3-528-13058-X).

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 27.12. 2020