Möbius-Ebene
Eine Möbius-Ebene, benannt nach August
Ferdinand Möbius, ist im klassischen Fall eine Inzidenzstruktur, die
im Wesentlichen die Geometrie der Geraden und Kreise in der reellen
Anschauungsebene beschreibt: Eine Gerade ist durch 2 Punkte, ein Kreis durch 3
Punkte eindeutig bestimmt. Eine Gerade oder Kreis schneidet/berührt einen Kreis
in 0, 1 oder 2 Punkten. Um die besondere Rolle der Geraden aufzuheben, fügt man
jeder Geraden einen gemeinsamen neuen Punkt
hinzu und nennt Kreise und die so erweiterten Geraden Zykel. Die neue
Inzidenzstruktur hat jetzt die einfacheren Eigenschaften:
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- (A1): Zu je 3 Punkten
gibt es genau einen Zykel
, der diese enthält. (Liegen die Punkte auf einer Geraden
, so ist die um
erweiterte Gerade der gesuchte Zykel, liegen sie nicht auf einer Geraden, so gibt es genau einen Kreis durch
.)
- (A2): Zu einem Zykel
, einem Punkt
auf
und einem Punkt
nicht auf
gibt es genau einen Zykel
durch
und
, der
in
berührt. (Um diese Eigenschaft nachzuweisen, muss man die verschiedenen Möglichkeiten für
durchspielen, was allerdings ohne Mühe möglich ist (s. Bild).)
Es ist aber nicht zu erwarten, dass die hier beschriebene Geometrie der
erweiterten Geraden und Kreise die einzige Inzidenzstruktur ist, die die
Eigenschaften (A1), (A2) besitzt. Ersetzt man die reellen Zahlen durch die
rationalen Zahlen ,
so bleiben (A1), (A2) gültig. Allerdings geht die Gültigkeit von (A1), (A2) bei
Verwendung der komplexen Zahlen (statt der reellen) verloren. Das heißt, nur die
Verwendung gewisser Zahlkörper
(s.u.) erhält die Eigenschaften (A1), (A2).
Neben dem formal inhomogenen Modell (es gibt Geraden und Kreise) erhält man mit Hilfe der Umkehrung einer geeigneten stereografischen Projektion ein homogenes räumliches Modell: Die Punkte der neuen Inzidenzstruktur sind die Punkte auf der Kugeloberfläche und die Zykel sind die Kreise auf der Kugel. Die klassische reelle Möbius-Ebene kann also auch als die Geometrie der ebenen Schnitte (Kreise) auf einer Kugel aufgefasst werden. Der Nachweis von (A1) und (A2) verlangt im räumlichen Modell keine lästigen Fallunterscheidungen.
Eine Möbius-Ebene ist eine der drei Benz-Ebenen: Möbius-Ebene, Laguerre-Ebene und Minkowski-Ebene. Die klassische Laguerre-Ebene ist die Geometrie der Parabeln und die klassische Minkowski-Ebene die Geometrie der Hyperbeln.
Die Axiome einer Möbius-Ebene
Aufgrund der Inzidenzeigenschaften (A1), (A2) der klassischen reellen Möbius-Ebene definiert man:
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Eine Inzidenzstruktur
mit der Menge der Punkte
und der Menge der Zykeln
heißt Möbius-Ebene, wenn die folgenden Axiome erfüllt sind:
- (A1): Zu je 3 Punkten
gibt es genau einen Zykel
, der
enthält.
- (A2): (Berühraxiom) Zu einem beliebigen Zykel
und zwei beliebigen Punkten
,
gibt es genau einen Zykel
durch
der
in
berührt, d.h. mit
.
- (A3): Jeder Zykel enthält wenigstens 3 Punkte. Es gibt wenigstens einen Zykel.
Vier Punkte
heißen konzyklisch, wenn es einen Zykel
gibt, der
enthält.
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Wie oben schon erwähnt, erfüllt nicht nur die klassische reelle Möbius-Ebene die Axiome (A1), (A2), (A3). Es gibt sehr viele Beispiele von Möbius-Ebenen, die vom klassischen Modell verschieden sind (s.u.). Ähnlich zum Minimalmodell einer affinen oder projektiven Ebene gibt es auch ein Minimalmodell einer Möbius-Ebene. Es besteht aus 5 Punkten:
Also ist .
Die enge Beziehung der klassischen Möbius-Ebene zur reellen affinen Ebene ist auch zwischen dem Minimalmodell einer Möbius-Ebene und dem Minimalmodell einer affinen Ebene zu erkennen. Diese enge Beziehung ist sogar typisch für Möbius-Ebenen:
Für eine Möbius-Ebene
und
definieren wir die Inzidenzstruktur
und nennen sie Ableitung
im Punkt P.
Beim klassischen Modell ist die Ableitung
am Punkt
die zugrunde liegende reelle affine Ebene (s.u.). Die große Bedeutung
einer Ableitung in einem Punkt besteht in der leicht zu beweisenden Aussage:
- Jede Ableitung einer Möbius-Ebene ist eine affine Ebene.
Diese Eigenschaft erlaubt die Verwendung vieler Resultate über affine Ebenen und ist auch der Grund für eine alternative Definition einer Möbius-Ebene:
Satz: Eine Inzidenzstruktur
ist genau dann eine Möbius-Ebene, wenn gilt:
- A’: Für jeden Punkt
ist die Ableitung
eine affine Ebene.
Für endliche Möbius-Ebenen, d.h. ,
gilt (ähnlich wie bei affinen Ebenen):
- Je zwei Zykel enthalten dieselbe Anzahl von Punkten.
Diese Eigenschaft gibt Anlass zur folgenden Definition:
- Für eine endliche Möbius-Ebene
und einen Zykel
heißt die natürliche Zahl
die Ordnung von
.
Aus kombinatorischen Überlegungen ergibt sich:
- Für eine endliche Möbius-Ebene
der Ordnung
gilt:
- a) Jede Ableitung
ist eine affine Ebene der Ordnung
- b)
- c)
Die klassische reelle Möbius-Ebene
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Wir gehen von der reellen affine Ebene
aus und erhalten mit der quadratischen
Form
die reelle Euklidische
Ebene:
ist die Menge der Punkte, Geraden werden durch Gleichungen
oder
beschrieben und ein Kreis ist eine Punktmenge, die eine Gleichung
erfüllt.
Die Geometrie der Geraden und Kreise kann homogenisiert werden (ähnlich der
Erweiterung einer affinen Ebene zu einer projektiven Ebene), indem man sie
einbettet in die Inzidenzstruktur
mit
als Menge der Punkte und
als Menge der Zykel.
heißt die klassische reelle Möbius-Ebene.
Innerhalb der neuen Inzidenzstruktur spielen die erweiterten Geraden
geometrisch keine Sonderrolle mehr und
erfüllt die Axiome (A1) und (A2).
Die übliche Beschreibung der reellen Ebene durch komplexe Zahlen (z bezeichnet jetzt keine Zykel!)
liefert die folgende Beschreibung von
(
ist die zu
konjugiert komplexe Zahl):
Der große Vorteil dieser Beschreibung ist die einfache Möglichkeit,
Automorphismen (Permutationen von ,
die Zykel auf Zykel abbilden) anzugeben. Die folgenden Abbildungen sind
Automorphismen von
- (1)
mit
(Drehstreckung)
- (2)
mit
(Translation)
- (3)
(Spiegelung an
)
- (4)
(Spiegelung an der reellen Achse)
Betrachtet man
als die projektive Gerade über den komplexen Zahlen
,
so erkennt man, dass die Abbildungen (1)–(3) die Gruppe
der Möbiustransformationen
erzeugen. Die Geometrie
ist also eine sehr homogene Struktur. Z.B. kann man die reelle Achse mit
einem Automorphismus auf jeden anderen Zykel abbilden. Zusammen mit der
Abbildung (4) ergibt sich:
An jedem Zykel gibt es eine Spiegelung, auch Inversion genannt. Zum
Beispiel:
ist die Inversion
am Einheitskreis
.
Diese Eigenschaft begründet den in der englischen Literatur gebräuchlichen Namen
inversive plane.
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Ähnlich dem räumlichen Modell einer projektiven
Ebene gibt es auch ein räumliches Modell der klassischen Möbius-Ebene ,
das den formalen Unterschied zwischen Kreisen und erweiterten Geraden aufhebt:
Die Geometrie
ist isomorph
zur Geometrie der Kreise auf einer Kugel. Den zugehörigen Isomorphismus
vermittelt eine geeignete stereografische
Projektion. Zum Beispiel:
projiziert vom Punkt
aus
- die x-y-Ebene auf die Kugel mit der Gleichung
. Diese Kugel hat den Mittelpunkt
und den Radius
.
- den Kreis mit der Gleichung
in die Ebene
. D.h., das Bild des Kreises ist ein ebener Schnitt mit der Kugel und damit wieder ein Kreis (auf der Kugel). Die Abbildung
ist also kreistreu. Die Kreisebenen gehen alle nicht durch das Projektionszentrum
.
- die Gerade
in die Ebene
. D.h., eine Gerade wird auf einen um den Punkt
verminderten Kugelkreis in einer Ebene durch das Projektionszentrum
abgebildet.
Für die Umkehrabbildung (von der in N punktierten Kugel auf die x-y-Ebene) gilt:
Miquelsche Möbius-Ebenen
Bei der Suche nach weiteren Beispielen einer Möbius-Ebene lohnt es sich, das
klassische Modell zu verallgemeinern: Wir gehen von einer affinen Ebene
über einem Körper
und einer geeigneten quadratischen Form
auf
aus, um Kreise zu definieren. Aber einfach die reellen Zahlen
durch einen beliebigen Körper
zu ersetzen und die klassische quadratische Form
zur Beschreibung der Kreise beizuhalten, funktioniert nicht immer. Nur für
geeignete Paare von Körpern und quadratischen Formen erhält man
Möbius-Ebenen
.
Diese sind (wie das klassische Modell) durch eine große Homogenität (viele
Automorphismen) und den folgenden Satz von Miquel ausgezeichnet.
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Satz (MIQUEL):
- Für eine Möbius-Ebene
gilt:
- Wenn für beliebige 8 Punkte
, die so den Ecken eines Würfels zugeordnet werden können, dass 4 Punkte zu 5 Seitenflächen jeweils auf einem Kreis liegen, so ist dies auch für die 4 Punkte der 6. Seitenfläche der Fall (s. Bild).
Die Stärke dieser Schließungsfigur zeigt sich in der Gültigkeit der Umkehrung des Satzes von Miquel:
Satz (CHEN):
- Nur Möbius-Ebenen der Form
erfüllen den Satz von Miquel.
Aufgrund des letzten Satzes nennt man eine Möbius-Ebene
miquelsch.
Bemerkung: Das Minimalmodell einer Möbius-Ebene ist miquelsch. Es ist isomorph zur Möbius-Ebene
mit
(Körper
) und
- (Z.B. beschreibt
die Punktmenge
.)
Bemerkung:
- Im Fall
ist auch
geeignet. Die „Kreise“ sind hier Ellipsen.
- Im Fall
(der Körper der rationalen Zahlen) ist
geeignet.
- Im Fall
ist auch
geeignet.
- Ist
der Körper der komplexen Zahlen, so gibt es überhaupt keine geeignete quadratische Form.
Bemerkung:
- Eine stereografische Projektion zeigt:
ist isomorph zur Geometrie der ebenen Schnitte einer Kugel (projektive Quadrik vom Index 1) im 3-dimensionalen projektiven Raum über dem Körper
- Eine miquelsche Möbius-Ebene
lässt sich, analog zum klassischen reellen Fall, immer als projektive Gerade über einem Erweiterungskörper von
beschreiben.
Bemerkung: Im klassischen Fall lässt sich der Satz von Miquel mit elementaren Mitteln (Kreisviereck) beweisen, s. Satz von Miquel.
Ovoidale Möbius-Ebenen
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Es gibt viele Möbius-Ebenen, die nicht miquelsch sind. Eine große Klasse von Möbius-Ebenen, die die miquelschen enthält, bilden die ovoidalen Möbius-Ebenen. Eine ovoidale Möbius-Ebene ist die Geometrie der ebenen Schnitte auf einem Ovoid. Ein Ovoid ist eine quadratische Menge und besitzt dieselben geometrischen Eigenschaften wie eine Kugel im reellen 3-dimensionalen Raum: 1) Eine Gerade trifft ein Ovoid in 0, 1 oder 2 Punkten. 2) Die Menge der Tangenten in einem Punkt überdeckt eine Ebene (die Tangentialebene in diesem Punkt). Im reellen 3-dimensionalen Raum kann man z.B. eine Halbkugel in geeigneter Weise glatt mit einer Hälfte eines Ellipsoids verkleben, um ein Ovoid zu erhalten, das keine Quadrik ist. Selbst im endlichen Fall gibt es Ovoide, die keine Quadriken sind (s. quadratische Menge). Für die Klasse der ovoidalen Möbius-Ebenen gibt es einen dem Satz von Miquel ähnlichen Schließungssatz, den Büschelsatz (engl.: Bundle Theorem). Er charakterisiert die ovoidalen Möbius-Ebenen. Der Satz von Miquel und der Büschelsatz haben für Möbius-Ebenen eine ähnliche Bedeutung wie die Sätze von Pappos und Desargues für projektive Ebenen.
Klassifikation der Möbiusebenen
1965 publizierte Christoph Hering eine zur Klassifikation der projektiven Ebenen analoge Klassifikation der Möbiusebenen, die auf der Reichhaltigkeit der jeweiligen Automorphismengruppe beruht.
Literatur
- W. Benz: Vorlesungen über Geometrie der Algebren. Springer, 1973,
- Albrecht Beutelspacher: Einführung in die endliche Geometrie. Bd. 2: Projektive Räume. Bibliographisches Institut, Mannheim u.a. 1983, ISBN 3-411-01648-5.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 22.10. 2021