Die Taylor-Formel (auch Satz von Taylor) ist ein Resultat aus dem mathematischen Teilgebiet der Analysis. Sie ist benannt nach dem Mathematiker Brook Taylor. Man kann diese Formel verwenden, um Funktionen in der Umgebung eines Punktes durch Polynome, die sogenannten Taylorpolynome, anzunähern. Man spricht auch von der Taylor-Näherung. Die Taylor-Formel ist aufgrund ihrer relativ einfachen Anwendbarkeit und Nützlichkeit ein Hilfsmittel in vielen Ingenieur-, Sozial- und Naturwissenschaften geworden. So kann ein komplizierter analytischer Ausdruck durch ein Taylorpolynom geringen Grades (oftmals gut) angenähert werden, z.B. in der Physik oder bei der Ausgleichung geodätischer Netze: So ist die oft verwendete Kleinwinkelnäherung des Sinus eine nach dem ersten Glied abgebrochene Taylorreihe dieser Funktion.
Eng verwandt mit der Taylor-Formel ist die sogenannte Taylorreihe (Taylor-Entwicklung).
Eine Näherung für eine differenzierbare Funktion
an einer Stelle
durch eine Gerade, also durch ein Polynom
1. Grades, ist gegeben durch die Tangente
mit der Gleichung
Sie lässt sich dadurch charakterisieren, dass an der Stelle
die Funktionswerte und die Werte der 1. Ableitung (= Steigung) von
und
übereinstimmen:
.
Wenn man den Rest
definiert, so gilt
.
Die Funktion
approximiert
in der Nähe der Stelle
in dem Sinne, dass für den Rest gilt
Man kann vermuten, dass man für zweimal differenzierbares
eine noch bessere Näherung erhält, wenn man dazu ein quadratisches
Polynom
verwendet, von dem man verlangt, dass zusätzlich noch
gilt. Der Ansatz
führt durch Berechnung der Ableitungen auf
und
,
also
Diese Näherungsfunktion bezeichnet man auch als Schmiegparabel.
Man definiert nun dazu den passenden Rest ,
sodass wieder
.
Dann erhält man, dass die Schmiegparabel die gegebene Funktion bei
in der Tat besser approximiert, da nun (mit der Regel
von L’Hospital):
gilt.
Dieses Vorgehen lässt sich nun leicht auf Polynome -ten
Grades
verallgemeinern: Hier soll gelten
Es ergibt sich
Mit der Regel von L’Hospital finden wir außerdem:
Daher ergibt sich mit vollständiger
Induktion über ,
dass für
gilt:
Ist
-mal
differenzierbar, so folgt sofort aus der obigen Betrachtung, dass
wobei
für die Landau-Notation
steht. Diese Formel nennt man „qualitative Taylorformel“.
Je näher
bei
liegt, desto besser approximiert also
(das sog. Taylorpolynom, siehe unten)
an der Stelle
die Funktion
.
Im Folgenden wird die Taylor-Formel mit Integralrestglied vorgestellt. Die Taylor-Formel existiert auch in Varianten mit anderem Restglied; diese Formeln folgen jedoch aus der Taylor-Formel mit Integralrestglied. Sie stehen unten im Abschnitt Restgliedformeln.
Sei
ein Intervall
und
eine
-mal
stetig
differenzierbare Funktion.
In den folgenden Formeln stehen
für die erste, zweite, …,
-te
Ableitung der Funktion
.
Das -te
Taylorpolynom an der Entwicklungsstelle
ist definiert durch:
Das -te
Integralrestglied ist definiert durch:
Für alle
und
aus
gilt:
Der Beweis der Taylor-Formel mit Integralrestglied erfolgt durch vollständige
Induktion über .
Der Induktionsanfang
entspricht dabei genau dem Fundamentalsatz
der Analysis angewendet auf die einmal stetig differenzierbare Funktion
:
Der Induktionsschritt
(es ist zu zeigen, dass die Formel stets auch für
gilt, falls sie für ein
gilt) erfolgt durch partielle
Integration. Für
-mal
stetig differenzierbares
ergibt sich:
und somit
Es gibt außer der Integralformel noch andere Darstellungen des Restgliedes.
Nach dem Mittelwertsatz
der Integralrechnung ergibt sich für jede natürliche Zahl
mit
,
dass es ein
zwischen
und
gibt, sodass:
Damit folgt die Schlömilchsche Restgliedform:
für ein
zwischen
und
.
Ein Spezialfall, nämlich der mit ,
ist die Form nach Cauchy:
für ein
zwischen
und
.
Im Spezialfall
erhalten wir das Lagrangesche
Restglied:
für ein
zwischen
und
.
Bei dieser Darstellung braucht die
-te
Ableitung von
nicht stetig zu sein.
Mit der Taylorformel mit Lagrange-Restglied erhält man für -mal
stetig differenzierbares
außerdem:
Darum kann man als Restglied auch
verwenden, wobei
hier nur
-mal
stetig differenzierbar sein muss. Dieses Restglied nennt man
Peano-Restglied.
Setzt man ,
das heißt
,
so erhält die Lagrangesche Darstellung die Form
die Schlömilchsche
und die Cauchysche
jeweils für ein
zwischen 0 und 1.
Liegt das Intervall
in
(der Definitionsbereich von
),
kann man mit dem Restglied von Lagrange (siehe im Abschnitt Restgliedformeln)
für alle
und ein
zwischen
und
(und somit auch
)
folgende Abschätzung herleiten:
Gilt
für alle
,
so gilt daher für das Restglied die Abschätzung
Eine Anwendung der Taylorformel sind Näherungsformeln, hier vorgestellt am Beispiel Sinus und Kosinus (wobei das Argument im Bogenmaß angegeben wird).
Für
gilt
,
also lautet das 4. Taylorpolynom der Sinusfunktion an der Entwicklungsstelle
0
Aus
ergibt sich für das Restglied von Lagrange
mit
zwischen 0 und
.
Wegen
folgt die Restgliedabschätzung
.
Liegt
zwischen
und
,
dann liegt die relative Abweichung
von
zu
bei unter 0,5 %.
Tatsächlich genügt für die Annäherung des Sinus auf diese Genauigkeit sogar
schon das Taylorpolynom 3. Ordnung, da
für
,
und daher
.
Daraus ergibt sich auch folgende weitere Abschätzung für drittes und viertes
Taylorpolynom, die bei sehr großen x genauer ist:
Die folgende Abbildung zeigt die Graphen einiger Taylorpolynome des Sinus um
Entwicklungsstelle 0 für .
Der Graph zu
gehört zur Taylorreihe,
die mit der Sinusfunktion übereinstimmt.
Das vierte Taylorpolynom
der Kosinusfunktion an der Entwicklungsstelle 0 hat im Horner-Schema diese
Gestalt:
Liegt x zwischen
und
,
dann liegt die relative Abweichung
bei unter 0,05 %.
Auch für Kotangens und Tangens kann man diese Formeln nutzen, denn es ist
mit einer relativen Abweichung von unter 0,5 % für ,
und
mit derselben relativen Abweichung (dabei ist
kein Taylorpolynom des Tangens).
Braucht man eine noch höhere Genauigkeit für seine Näherungsformeln, dann kann man auf höhere Taylorpolynome zurückgreifen, die die Funktionen noch besser approximieren.
Sei nun im Folgenden
eine
-mal
stetig differenzierbare Funktion und
.
Sei ferner
,
,
wobei
.
Sei ferner wie in der Multiindex-Notation .
Im folgenden Abschnitt wird die Multiindex-Notation
verwendet, damit man sofort sieht, dass der mehrdimensionale Fall für
tatsächlich dieselben Formeln ergibt wie der eindimensionale Fall.
Mit der mehrdimensionalen Kettenregel und Induktion erhält man, dass
wobei
der Multinomialkoeffizient ist, siehe Multinomialtheorem.
Stellt man
im Punkt 1 durch ein Taylorpolynom mit Entwicklungsstelle 0 dar, so erhält man
durch diese Formel die Definition des mehrdimensionalen Taylorpolynoms von
an der Entwicklungsstelle
:
Hierbei hat man verwendet, dass .
Das zweite Taylorpolynom einer skalarwertigen Funktion in mehr als einer Variable kann bis zur zweiten Ordnung kompakter geschrieben werden als:
Dabei ist
der Gradient
und
die Hesse-Matrix von
jeweils an der Stelle
.
Das zweite Taylorpolynom nennt man auch Schmiegquadrik.
Ebenso definiert man das mehrdimensionale Restglied mithilfe der Multiindex-Notation:
Aus der eindimensionalen Taylor-Formel folgt, dass
Nach der obigen Definition von
erhält man daher:
Man kann auch die eindimensionalen Nicht-Integral-Restgliedformeln mithilfe
der Formel für
für den mehrdimensionalen Fall verallgemeinern.
Das Schlömilch-Restglied wird so zu
das Lagrange-Restglied zu
und das Cauchy-Restglied zu
für jeweils ein .
Nach der mehrdimensionalen Taylorformel ergibt sich mit dem Lagrange-Restglied:
Wegen
erhalten wir ferner:
Der letzte Teil geht gegen null, da die partiellen Ableitungen vom Grad
nach Voraussetzung alle stetig sind und
sich zwischen
und
befindet und somit auch nach
konvergiert, falls
.
Wir erhalten folgende Abschätzung, welche „(mehrdimensionale) qualitative Taylorformel“ genannt wird:
für ,
wobei
für die Landau-Notation
steht.
Es soll die Funktion
um den Punkt
entwickelt werden.
In diesem Beispiel soll die Funktion bis zum zweiten Grad entwickelt werden,
d. h. man will ein Taylorpolynom zweiter Ordnung berechnen, also die sog. Schmiegquadrik.
Es gilt also .
Wegen
müssen, gemäß der Multiindexschreibweise,
die Tupel
,
,
,
,
und
berücksichtigt werden. Dabei gilt wegen des Satzes
von Schwarz, dass
Die partiellen Ableitungen der Funktion lauten:
Es folgt mit der mehrdimensionalen Taylor-Formel:
Benutzt man die alternative Darstellung mit Hilfe des Gradienten und der Hesse-Matrix, so erhält man: