Axiomensysteme der Allgemeinen Topologie
Die Allgemeine Topologie behandelt die Topologie auf
Grundlage eines Axiomensystems
im Kontext der Mengenlehre.
Man nennt sie daher auch Mengentheoretische
Topologie. Wie sich gezeigt hat, gibt es in diesem Rahmen eine Anzahl von
gleichwertigen Möglichkeiten, die Struktur der topologischen Räume
axiomatisch festzulegen. Stets wird dabei eine Grundmenge
vorausgesetzt, deren Elemente
oft Punkte genannt werden. Die Menge
wird dann auch als Punktmenge
bezeichnet. Die axiomatische Festlegung der topologischen
Struktur erfolgt entweder dadurch, dass gewisse Teilmengensysteme
innerhalb der zugehörigen Potenzmenge
ausgezeichnet werden, oder auf dem Weg über die Festlegung gewisser Mengenoperatoren auf
,
wobei jeweils das Erfülltsein einer Anzahl von Bedingungen, Axiome genannt, gefordert wird.
Offene Menge, Topologien, Axiome der offenen Mengen
Unter einem topologischen
Raum versteht man nach heutiger Auffassung ein Paar
mit einer Menge
sowie einem Teilmengensystem
von offenen Mengen, so dass die folgenden Axiome
gelten:
- (O1)
- (O2)
- (O3)
- (O4)
Man nennt
auch das System der
- offenen Mengen. Statt von einer
- offenen Menge spricht man auch nur von einer offenen Menge, wenn
vorausgesetzt werden kann, dass aus dem Kontext klar ist, um welchen
topologischen Raum
es sich handelt.
Unter dieser Konvention lassen sich diese Axiome auch so angeben:
- (O1)` Die leere Menge ist offen.
- (O2)` Die Grundmenge
ist offen.
- (O3)` Beliebige Vereinigungen offener Mengen sind offen.
- (O4)` Beliebige endliche Durchschnitte offener Mengen sind offen.
Der Begriff der offenen Menge gilt heute als Grundbegriff der Axiomatik topologischer Räume. Die meisten modernen Autoren verstehen unter einer Topologie (engl. topology) das System der offenen Mengen eines topologischen Raumes. Es gibt jedoch auch Ausnahmen.
Abgeschlossene Menge, Axiome der abgeschlossenen Mengen, Dualität
Die abgeschlossenen
Mengen der Topologie
entstehen aus den offenen Mengen durch Komplementbildung
und umgekehrt.
Das heißt:
- (O-A)
ist eine
- abgeschlossene Menge beziehungsweise - gemäß Konvention (s. o.) - eine abgeschlossene Menge dann und nur dann, wenn
eine
- offene Teilmenge beziehungsweise offen ist.
Da nun Komplementbildung involutorisch
auf der Potenzmenge
wirkt, ist das Axiomensystem (O1) - (O4) bezüglich des Systems
der offenen Mengen
in ein äquivalentes Axiomensystem bezüglich
,
des Systems der abgeschlossenen Mengen, übertragbar und umgekehrt.
Man hat damit die folgenden vier Axiome der abgeschlossenen Mengen:
- (A1)
- (A2)
- (A3)
- (A4)
In Worten lässt sich das Axiomensystem (A1) - (A4) auch so ausdrücken:
- (A1)` Die Grundmenge
ist abgeschlossen.
- (A2)` Die leere Menge ist abgeschlossen.
- (A3)` Beliebige Durchschnitte abgeschlosser Mengen sind abgeschlossen.
- (A4)` Beliebige endliche Vereinigungen abgeschlosser Mengen sind abgeschlossen.
Ist also ein System abgeschlossener Mengen, welches das Axiomensystem (A1) - (A4) erfüllt, gegeben, so gewinnt man ein System von offenen Mengen, also die zugehörige Topologie, als Komplemente der abgeschlossenen Mengen:
- (A-O)
Die Axiomensysteme (O1) - (O4) und (A1) - (A4) sind also in einem dualen Sinne gleichwertig. Das heißt: Die beiden Axiomensysteme sind über die Komplementbildung umkehrbar eindeutig aufeinander bezogen und miteinander verknüpft. Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von der Dualität zwischen offenen und abgeschlossenen Mengen.
Abgeschlossene Hülle, Kuratowskischer Hüllenoperator, Axiome von Kuratowski
Der Zugang zur Allgemeinen Topologie auf dem Wege über Hüllenoperatoren
geht auf den polnischen Mathematiker Kazimierz
Kuratowski zurück.
Dieser Axiomatik
zu Grunde liegt ein Mengenoperator
auf ,
welcher dadurch ausgezeichnet ist, dass er für Teilmengen
und
den folgenden vier Bedingungen genügt:
- (AH1)
- (AH2)
- (AH3)
- (AH4)
Man nennt diese vier Bedingungen Axiome von Kuratowski oder Kuratowskische Hüllenaxiome (engl. Kuratowski closure axioms) und einen diesen Bedingungen genügenden Mengenoperator einen Kuratowskischen Hüllenoperator .
Die Axiome von Kuratowski lassen sich zusammenfassen wie folgt:
- (AH)` Ein Kuratowskischer Hüllenoperator auf
ist ein Hüllenoperator, welcher die Bedingungen (AH2) und (AH4) erfüllt.
Ist ein Kuratowskischer Hüllenoperator gegeben, so sagt man:
- (AH-A)
ist eine abgeschlossene Menge bzw. abgeschlossen genau dann, wenn
ist.
Das Teilmengensystem der (in diesem Sinne) abgeschlossenen Mengen ist das dem
Hüllenoperator
zugehörige Hüllensystem und genügt dem obigen Axiomensystem (A1) - (A4),
führt folglich wie oben zu einer Topologie
auf
.
Dabei gilt:
- (AH-O)
- (AH-A)`
Diese Betrachtung lässt sich umkehren:
Ist eine Topologie
auf
gegeben und dazu das Teilmengensystem
,
welches dem Axiomensystem
(A1) - (A4) genügt, also wie beschrieben das System der abgeschlossenen
Mengen des topologischen Raums
,
so liegt damit ein Hüllensystem auf
vor und den zugehörigen Hüllenoperator gewinnt man zurück durch:
- (A-AH)
(
)
Dieser Hüllenoperator erfüllt dann die Axiome (AH1) - (AH4), ist also ein Kuratowskischer Hüllenoperator.
In dieser Weise ist die Beziehung des Kuratowskischen Hüllenoperators
zu
,
dem System der abgeschlossenen Mengen des topologischen Raums
,
und genauso zu der Topologie
jeweils umkehrbar
eindeutig.
Für eine Teilmenge
heißt
die abgeschlossene
Hülle, manchmal auch der Abschluss von
.
Ihre Elemente werden Berührungspunkte
oder Berührpunkte von
genannt. Gemäß (A-AH) ist die abgeschlossene Hülle
von
die bezüglich der Inklusionsrelation
kleinste abgeschlossene Obermenge von
innerhalb des topologischen Raums
.
Inneres, Kernoperator, Axiome des Inneren
Ausgehend von der Dualität zwischen offenen und abgeschlossenen Mengen erhält
man in Übertragung von (A-AH) den zum topologischen Raum
gehörigen Kernoperator
auf
mittels :
- (O-OK)
(
)
zurück.
Der Kernoperator genügt für
und
den folgenden vier Axiomen:
- (OK1)
- (OK2)
- (OK3)
- (OK4)
ist wegen (O-OK) die bezüglich der Inklusionsrelation
größte offene Teilmenge von
innerhalb des topologischen Raums
.
Ihre Elemente werden innere
Punkte von
genannt. Zusammengenommen bilden also die inneren Punkte von
die Menge
,
welche auch als das Innere oder der offene Kern von
bezeichnet wird.
Die Beziehungen zwischen dem Kernoperator und der Topologie
und
,
dem System der abgeschlossenen Mengen von
und schließlich dem zugehörigen Kuratowskischen Hüllenoperator sind
paarweise umkehrbar eindeutig und dabei gilt:
- (OK-O)
- (OK-A)
- (AH-OK)
(
)
- (OK-AH)
(
)
Rand, Randbildungsoperator, Axiome des Randes
Für eine Teilmenge
des topologischen Raums
ist der Rand
(auch als Grenze
oder als Begrenzung
bezeichnet; englisch frontier
oder auch boundary)
von
gegeben durch:
- (AH-R)
Die Elemente von
werden Randpunkte
von
genannt. Ein Randpunkt von
zeichnet sich demnach dadurch aus, dass er sowohl Berührpunkt von
ist als auch Berührpunkt von
.
Andererseits ist ein jeder Berührpunkt von
entweder Element von
oder Randpunkt von
,
und damit gilt:
- (R-AH)
(
)
Für den topologischen
Raum
stellt also das Bilden des Randes einen Mengenoperator auf
dar. Dieser so zu
gehörige Randbildungsoperator
erfüllt für Teilmengen
und
von
stets die folgenden vier Regeln:
- (R1)
- (R2)
- (R3)
- (R4)
Ausgehend vom Begriff des Randes kann nun die gesamte Axiomatik der
Allgemeinen Topologie aufgebaut werden, indem man die vier Regeln (R1) -
(R4) als Axiome versteht.
Damit ist die Struktur des topologischen Raum
unzweideutig festgelegt. Der mittels der Gleichung (R-AH) definierte Mengenoperator
auf
erweist sich nämlich als Kuratowskischer Hüllenoperator und ist in
Verbindung mit (AH-R) umkehrbar eindeutig mit diesem und damit auch mit
dem zugehörigen topologischen Raum
verknüpft.
Dabei ergeben sich bezüglich
folgende Gleichungen:
- (R-O)
- (R-A)
- (OK-R)
(
)
Derivierte, Deriviertenoperator, Axiome der Derivierten
Eng verknüpft mit dem Kuratowskischen Hüllenoperator eines topologischen Raums
- ähnlich wie der Randbildungsoperator
- ist der Deriviertenoperator
, welcher einer Teilmenge
von
ihre Derivierte
(englisch derived set)
zuordnet. Statt von der Derivierten redet man auch von der Ableitung
von
und schreibt
oder
anstelle von
.
Für eine Teilmenge
ist die Derivierte
von
gleich der Menge ihrer Häufungspunkte
(englisch accumulation points),
lässt sich also in Formeln darstellen als:
- (AH-D)
IMG class="text" style="width: 9.32ex; height: 2.84ex; vertical-align: -0.83ex;" alt="(W\subseteq X)" src="/svg/31f92dd429aacfa4ed5f596909f1dd10898d4dbe.svg">
Wie beim Rand
von
gilt:
- (D-AH)
Für den topologischen
Raum
genügt dieser Mengenoperator
auf
für Teilmengen
und
von
stets den folgenden vier Regeln:
- (D1)
- (D2)
- (D3)
- (D4)
Ausgehend vom Begriff der Derivierten und von (D1) - (D4) als
Axiomensystem kann die
Allgemeinen Topologie vollständig entwickelt werden.
Denn damit ist die Struktur des topologischen
Raum
unzweideutig festgelegt. Der mittels der Gleichung (D-AH)
definierte Mengenoperator
auf
ist ein Kuratowskischer Hüllenoperator und so in Verbindung mit
(AH-D) umkehrbar
eindeutig mit diesem und damit auch mit dem zugehörigen topologischen Raum
verknüpft.
Dabei ergeben sich bzgl.
die folgenden Gleichungen:
- (D-O)
- (D-A)
- (OK-D)
Umgebung, Umgebungsfilter, Umgebungsaxiome
Der axiomatische
Aufbau der Allgemeinen Topologie unter Zugrundelegung des Begriffs der
Umgebung eines Punktes geht auf Felix
Hausdorff und seine Grundzüge
der Mengenlehre zurück.
Dieser klassische Ansatz benutzt als wichtigste Strukturen Umgebungssysteme.
Hierbei ist jedem
ein Teilmengensystem
zugeordnet, für das jeweils die folgenden Regeln, genannt
Umgebungsaxiome, als gegeben vorausgesetzt werden:
- (U1)
ist ein Filter innerhalb
.
- (U2)
- (U3)
Für
nennt man
auch den Umgebungsfilter von
und jedes
eine Umgebung
von
. Dabei ist stets
, also
.
In einer weniger formalisierten Weise lassen sich die Umgebungsaxiome
in Bezug auf einen beliebigen Punkt
auch folgendermaßen ausdrücken:
- (U1)` Die Grundmenge
ist Umgebung von
.
- (U2)`
ist in jeder seiner Umgebungen als Punkt enthalten.
- (U3)` Jede Obermenge einer Umgebung von
ist ihrerseits Umgebung von
.
- (U4)` Der Durchschnitt endlich vieler Umgebungen von
ist Umgebung von
.
- (U5)` Ist
Umgebung von
, so umfasst
eine weitere Umgebung
von
derart, dass
selbst zu den Umgebungen eines jeden Punktes
gehört.
Die oben beschriebene Struktur
wird auch als Umgebungsraum bezeichnet.
Ein solcher Umgebungsraum über
ist nun umkehrbar
eindeutig verknüpft mit dem topologischen
Raum
, wenn man unter einer im Umgebungsraum offenen Menge
folgendes versteht:
- (U-O) Die Teilmenge
ist offen dann und nur dann, wenn sie Umgebung jedes ihrer Punkte ist.
Also:
- (U-O)`
Hierbei lassen sich die zum topologischen
Raum
gehörigen Umgebungsfilter
zurückgewinnen durch:
- (O-U) Eine Teilmenge
ist Umgebung von
dann und nur dann, wenn eine offene Teilmenge
, also ein
, existiert mit
.
Also:
- (O-U)`
Die Beziehungen zu den übrigen Strukturelementen sind wie folgt:
- - in Hinblick auf die abgeschlossenen Mengen:
- (U-A)
ist abgeschlossen genau dann, wenn für
aus der Tatsache, dass jede Umgebung
eine nicht-leere Schnittmenge mit
hat, schon
folgt.
Also:
- (U-A)`
- - in Hinblick auf den Kuratowskischen Hüllenoperator :
- (U-AH)
- - in Hinblick auf den Kernoperator :
- (U-OK)
- - in Hinblick auf den Randbildungsoperator :
- (U-R)
- - in Hinblick auf den Deriviertenoperator :
- (U-D)
Literatur
- Thorsten Camps, Stefan Kühling, Gerhard Rosenberger: Einführung in die mengentheoretische und die algebraische Topologie (= Berliner Studienreihe zur Mathematik. Band 15). Heldermann Verlag, Lemgo 2006, ISBN 3-88538-115-X.
- Felix Hausdorff: Grundzüge der Mengenlehre. Reprint. First edition, Berlin, 1914. Chelsea Publishing Company, Ney York 1965, ISBN 0-8284-0061-X.
- Kazimierz Kuratowski: Topology. Volume I. Academic Press, New York u. a. 1966.
- Boto von Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 3., neu bearb. und erw. Auflage. Springer-Verlag, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-540-67790-9.
- Willi Rinow: Lehrbuch der Topologie. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 17.07. 2021