Ersetzungsaxiom
Das Ersetzungsaxiom ist ein Axiom, das Abraham Fraenkel 1921 als Ergänzung zur Zermelo-Mengenlehre von 1907 vorschlug und später ein fester Bestandteil der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ZF wurde. Es besagt informell, dass die Bilder von Mengen ebenfalls Mengen sind. In der prädikatenlogischen Sprache wird das Ersetzungsaxiom präzisiert als Axiomenschema, das unendlich viele Axiome umfasst. Daher wird es heute auch oft als Ersetzungsschema bezeichnet.
Formulierung
In den heute üblichen Formulierungen innerhalb der Prädikatenlogik lautet es
als Schema wie folgt: Für jedes Prädikat ,
in dem die Variable
nicht vorkommt, ergibt das Schema das Axiom
.
Alle Axiome dieser Form sind Axiome der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre. Die
Bedingung
im Axiom besagt, dass das zweistellige Prädikat
rechtseindeutig
(funktional) ist, das heißt, zu jedem
gibt es höchstens ein
mit
.
Der Teilausdruck
formalisiert, dass
das Bild von
unter
ist.
Die Menge ,
deren Existenz das Ersetzungsaxiom garantiert, ist aufgrund des Extensionalitätsaxioms
eindeutig bestimmt.
Bedeutung zur Konstruktion „großer Mengen“
Die Existenz einer Menge der Form
lässt sich in der Zermelo-Mengenlehre nicht beweisen, wie Fraenkel in seiner
Veröffentlichung von 1921 bemerkte. Dies gilt auch dann, wenn man Fundierungsaxiom und
Auswahlaxiom hinzunimmt. Ebenso wenig lässt sich die Existenz einer Menge größer
als jedes
mit
beweisen (also die Existenz einer Menge mindestens der Mächtigkeit
,
siehe Beth-Funktion),
und schon die Existenz einer Ordinalzahl
(das heißt einer Menge
)
lässt sich nicht zeigen. Dies folgt daraus, dass
in ZFC ein Modell der Zermelo-Mengenlehre mit Fundierungsaxiom und Auswahlaxiom
ist (Skolem bemerkte dies 1922).
In diesem Modell ist die Kardinalität jeder Menge durch ein
mit
beschränkt, jede Ordinalzahl der Form
oder
mit
.
Das Ersetzungsaxiom erlaubt die Konstruktion all dieser „großen Mengen“.
Beziehung zu anderen Axiomen und äquivalente Prinzipien
Erlaubt man, wie in der obigen Formulierung, dass
nicht alle Mengen auf eine weitere abbilden muss, ergibt sich aus dem
Ersetzungsschema direkt das Aussonderungsschema:
Jede Menge
für ein Prädikat
ist gerade das Bild von
unter dem Prädikat
.
Das Ersetzungsaxiom erlaubt es, das Prinzip der transfiniten Rekursion zu beweisen. In ZFC ohne das Ersetzungsaxiom ist dieses Prinzip äquivalent zum Ersetzungsaxiom. Transfinite Rekursion erlaubt direkt die Konstruktion der Ordinalzahlarithmetik, der Aleph-Funktion, der Beth-Funktion und der Von-Neumann-Hierarchie sowie den Beweis, dass jede Wohlordnung isomorph zu einer Ordinalzahl ist.
Azriel Levy zeigte 1960 die
Äquivalenz des Ersetzungsaxioms zum Levy-Montague-Reflexionsprinzip
unter Voraussetzung der übrigen Axiome. Dies erübrigt das Ersetzungsaxiom im Scottschen
Axiomensystem. Dieses zeigt auch, dass endlich viele Instanzen des
Axiomenschemas nicht ausreichen, um ZF zu axiomatisieren: Für jede solche
endliche Menge von Axiomen findet sich ein ,
das Modell von Z mit Fundierungsaxiom und dieser endlichen Menge ist.
Insbesondere lässt sich die Widerspruchsfreiheit
von ZFC nicht aus der Widerspruchsfreiheit irgendeiner Teilmenge der ZFC-Axiome
mit nur endlich vielen Instanzen des Ersetzungsschemas ableiten.
Bedeutung in der Mathematik
Die Bedeutung des Ersetzungsaxioms außerhalb der Mengenlehre wird mitunter
infrage gestellt.
Es wird nicht für jegliche Bildung einer Bildmenge benötigt: Ist bekannt, dass
oder
eine Menge ist (wie es etwa der Fall ist, wenn
als Funktion von einer Menge in eine andere gegeben ist), so genügt das
Aussonderungsaxiom, um das Bild von
als Menge zu bilden.
Die Mengenlehre, die Nicolas
Bourbaki 1949 zur Grundlegung der gesamten Mathematik in einem Aufsatz
vorschlug und die als Teilsystem der Zermelo-Mengenlehre mit Auswahlaxiom
gesehen werden kann, verzichtet auf das Ersetzungsaxiom. Der 1954 erstmals (und
dann überarbeitet 1970) erschienene Teil des Bandes Théorie des ensembles
zur Begründung der Élements de mathématique enthielt dann eine Variante
des Ersetzungsaxioms, genannt «schéma de sélection et
réunion» (deutsch: „Schema der Aussonderung und Vereinigung“).
Unter Verwendung der hier gewählten Formelzeichen lautet die Variante so, dass
von
nicht angenommen wird, dass es funktional ist, sondern nur, dass für jedes
eine Menge aller
mit
existiert.
Auch die kategorientheoretische
Axiomatisierung der Mengenlehre über eine Elementary
theory of the category of sets verzichtet auf ein dem Ersetzungsaxiom
entsprechendes Prinzip, während das System gleichwertig zu ZFC ohne das
Ersetzungsaxiom ist.
Ein Beispiel für einen Satz mit direkten Berührungspunkten zu anderen Teilgebieten der Mathematik, der sich in der Zermelo-Mengenlehre (auch mit Fundierungs- und Auswahlaxiom) nicht beweisen lässt, ist die Borel-Determiniertheit (das heißt, dass in gewissen Spielen, deren Gewinnbedingung eine Borel-Menge ist, stets ein Spieler eine Gewinnstrategie besitzt). Der Beweis der Borel-Determiniertheit in ZFC erfolgt per Rekursion über die Borel-Hierarchie.
Zwar baut die moderne Theorie der Ordinalzahlen und der Kardinalzahlen, die
nach John
von Neumann als bestimmte durch die Elementrelation geordnete Mengen
definiert werden, auf dem Ersetzungsaxiom auf, Teile der Ordinalzahlarithmetik
beispielsweise lassen sich jedoch auch ohne Ersetzungsaxiom rekonstruieren, wenn
man Ordinalzahlen als Isomorphieklassen von Wohlordnungen auffasst. Die
Ordinalzahl
ergibt sich dann beispielsweise als ordnungstheoretische
Summe von zwei Wohlordnungen (anschaulich gesprochen durch
„Aneinanderhängen“). Ein globales
Auswahlaxiom erlaubt die Wahl eines kanonischen Repräsentanten für jede
Ordinalzahl.
Das Ersetzungsaxiom in Mengenlehren mit echten Klassen
In der Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre
wird das Ersetzungsaxiom als ein Axiom formuliert, in dem über eine Klasse
quantifiziert wird, anstatt für
Prädikate einzusetzen. In der Formulierung von John
von Neumann von 1925 folgt dieses Axiom neben anderen aus der limitation
of size, oder spezieller daraus, dass eine Klasse genau dann echt ist,
wenn eine Surjektion auf die Allklasse
existiert.
Analoges gilt für die stärkere Morse-Kelley-Mengenlehre.
Pendant in kategorialer Mengenlehre
Die Elementary theory of the category of sets (ETCS) lässt sich um ein
Pendant des Ersetzungsaxioms erweitern, sodass in der resultierenden Theorie ZFC
interpretierbar
wird und umgekehrt. Eine Möglichkeit lautet wie folgt: Für jede
prädikatenlogische Formel
(über Morphismen
und Objekte
)
ist die folgende Aussage ein Axiom: Ist
ein Objekt, sodass für alle Elemente
bis auf Isomorphie genau ein Objekt
existiert mit
,
so existiert ein Objekt
und ein Morphismus
,
sodass für alle Elemente
die Faser
von
unter
(„
“,
kategorientheoretisch formulierbar als Pullback)
ist.
Eine frühere Formulierung findet sich in einem Aufsatz von Gerhard Osius aus dem Jahr 1973, auf William Lawveres 1964 veröffentlichte Einführung der ETCS verweisend.
Geschichte
Georg Cantor schrieb 1899 an Richard Dedekind:
„Zwei äquivalente Vielheiten sind entweder beide ‚Mengen‘, oder beide inkonsistent.“
In moderner (klassentheoretischer) Sprache formuliert: Existiert eine Bijektion zwischen zwei Klassen, so sind entweder beide Mengen oder beide echte Klassen. Colin McLarty zieht diese Forderung als Motivation seiner kategorialen Formulierung des Ersetzungsaxioms heran. Cantors Forderung lässt sich laut McLarty dahingehend vereinfachen, dass eine Klasse, die Bild einer Menge ist, auch eine Menge ist.
Fraenkel formulierte 1921 das Axiom wie folgt:
„Ist
eine Menge und wird jedes Element von
durch ein ‚Ding des Bereiches
‘ […] ersetzt, so geht
wiederum in eine Menge über.“
Er sah in der Unmöglichkeit, etwa die oben genannte Menge
zu konstruieren, eine Unzulänglichkeit der Zermelo-Mengenlehre zur Begründung
der Cantorschen
Mengenlehre.
Thoralf Skolem bestätigte diese Unmöglichkeit und gab 1922 eine Formulierung als Axiomenschema. In seiner Formulierung wird auch nicht mehr gefordert, dass das Prädikat jede Menge auf eine weitere abbildet.
In Zermelos Formulierung der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre von 1930 lautete das Ersetzungsaxiom:
„Ersetzt man die Elemente
einer Menge
eindeutig durch beliebige Elemente
des Bereiches, so enthält dieser auch eine Menge
, welche alle diese
zu Elementen hat.“
Er bemerkte auch, dass aus dem Ersetzungsaxiom das Aussonderungsaxiom und das Paarmengenaxiom ableitbar sind.
Von Neumann nannte das Axiom auch Axiom von Fraenkel.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 31.03. 2021