Transfinite Induktion
Transfinite Induktion ist eine Beweistechnik in der Mathematik, die die von den natürlichen Zahlen bekannte Induktion auf beliebige wohlgeordnete Klassen verallgemeinert, zum Beispiel auf Mengen von Ordinalzahlen oder Kardinalzahlen, oder sogar auf die echte Klasse aller Ordinalzahlen. Entsprechend ist die transfinite Rekursion ein Definitionsprinzip, das die Rekursion bei natürlichen Zahlen verallgemeinert. Die erste transfinite Rekursion führte Georg Cantor 1897 durch. Felix Hausdorff erhob sie zum allgemeinen Definitionsprinzip und führte auch die transfinite Induktion als Beweisprinzip ein.
Definition
Als transfinite Induktion gilt das folgende für eine wohlgeordnete
Klasse
erklärte Beweisschema:
- Will man beweisen, dass für alle
die Aussage
gilt, so genügt es, die folgende Induktionsaussage zu beweisen:
- Wenn
ist und für alle
mit
die Aussage
gilt, dann gilt auch
.
Dass diese bewiesene Induktionsaussage tatsächlich genügt, sieht man so ein:
Sei ,
das ist die Klasse aller Elemente von
,
für die
nicht zutrifft. Angenommen
sei nicht leer, dann gäbe es wegen der Wohlordnung ein
kleinstes Element
(welches o.B.d.A. auch das Element ist, das die Aussage für kleinere Elemente
beweist), und es gälte für jedes
mit
auch
,
nach Definition von
also
.
Dann gilt aber nach der bewiesenen Induktionsaussage auch
.
Andererseits folgt jedoch aus
sofort auch
.
Wegen dieses Widerspruchs war die Annahme,
sei nicht leer, falsch, so dass tatsächlich
für alle Elemente von
zutrifft.
Anwendung
Wenn
die Klasse der Ordinalzahlen ist, zerlegt man den Beweis oft in folgende drei
Beweisschritte:
ist wahr.
- Ist
eine Ordinalzahl, so folgt aus
auch
.
- Ist
eine Grenzzahl und gilt
für jede Ordinalzahl
, so gilt auch
.
Die ersten beiden Schritte decken sich mit der vollständigen Induktion für natürliche Zahlen, denn die Menge der natürlichen Zahlen ist der bis an die erste Grenzzahl reichende Abschnitt der Klasse der Ordinalzahlen.
Transfinite Rekursion
Als transfinite Rekursion gilt folgendes Definitionsverfahren in einer
wohlgeordneten Klasse :
- Kann
ausschließlich durch die Werte
an Stellen
definiert werden, so ist bereits hierdurch
auf ganz
definiert.
Dieses Rekursionsprinzip wird nun formalisiert für Ordinalzahlen.
Rekursionssatz:
sei die Klasse der Ordinalzahlen,
die Klasse
aller Mengen und
ein Term als
Rekursionsvorschrift. Dann gibt es genau eine transfinite
Folge
,
so dass für alle Ordinalzahlen
die Aussage
gilt.
Beweisidee: Man „vereinigt“ alle rekursiv definierten
ordinalen Folgen mit derselben Rekursionsvorschrift zu einer transfiniten Folge.
Die Rekursion für eine Ordinalzahl
erfasst folgende als
bezeichnete Aussage:
- Es gibt genau eine Abbildung
, so dass für alle
die Aussage
gilt.
Diese Abbildungen
erfüllen also dieselbe Rekursionsvorschrift, sind aber jeweils nicht auf der
ganzen Klasse der Ordinalzahlen definiert. Aus der Eindeutigkeit ergibt sich
jedoch, dass diese Funktionen Fortsetzungen voneinander sind und zu einer
einzigen transfiniten Folge vereinigt werden können. Die Gültigkeit von
für alle Ordinalzahlen
zeigt man durch transfinite Induktion, und zwar wie oben angemerkt in drei
Teilaussagen (es sei daran erinnert, dass für Ordinalzahlen
gleichbedeutend ist mit
und dass
):
- Die Aussage
ergibt sich unmittelbar, da es gar keine Ordinalzahlen
gibt und die Rekursionsvorschrift trivialerweise gilt und da es ohnehin nur eine Abbildung
gibt.
- Gilt
, dann gilt auch
: Die Existenz von
ergibt sich aus
, indem man
setzt, falls
, sowie (notwendigerweise)
. Ist
eine Funktion nach denselben Bedingungen, so folgt zunächst
aus der Eindeutigkeitsaussage in
und dann aus der Rekursionsvorschrift auch
, also insgesamt
.
- Ist
Grenzzahl und gilt
für alle
, dann gilt auch
: Ist
, so gibt es
mit
. Man setze
. Dies ist wohldefiniert, da für
mit
wegen der voraussetzbaren Aussagen
gewiss
gilt. So ergibt sich auch die Eindeutigkeit.
Somit gilt die Aussage
für alle Ordinalzahlen
.
Man kann jetzt
definieren, indem man
für ein beliebiges
setzt. Dies ist wohldefiniert (also unabhängig von der Wahl von
),
so dass man einfach auch
wählen kann.
Anwendung
Wie bei der transfiniten Induktion kann man auch bei der transfiniten
Rekursion statt mit einer Rekursionsvorschrift mit dreien arbeiten: mit einem
Anfangsfunktionswert ,
einer Regel
für Nachfolgerzahlen (oft in der einfacheren Form
)
und einer Regel
für Grenzzahlen. Die beiden ersten Rekursionsschritte decken sich mit der
üblichen Rekursion für natürliche Zahlen.
Beispiele
- Sei
eine fest gewählte Ordinalzahl und die Rekursionsvorschrift
folgendermaßen gewählt: Falls
der Graph einer Funktion ist, sei
die kleinste nicht in
auftauchende Ordinalzahl (und ansonsten beliebig). Die hierdurch rekursiv (in Abhängigkeit von
) definierte Funktion
liefert stets eine Ordinalzahl (folgt durch transfinite Induktion) und es gilt
,
usw. Man schreibt
für
und definiert so die Addition von Ordinalzahlen.
- Die Addition kann auch – leichter nachvollziehbar – durch drei
Rekursionsschritte definiert werden:
,
sowie
, falls
Grenzzahl ist.
- Mit transfiniter Rekursion kann gezeigt werden: Jede wohlgeordnete Menge
ist ordnungsisomorph zu einer Ordinalzahl. Beweisidee: Man versucht
mittels der Rekursionsvorschrift
zu definieren. Hierbei wäre
automatisch injektiv, was aber nicht sein kann, da
keine echte Klasse ist. Für die kleinste Ordinalzahl, an der die Rekursion scheitert, ergibt sich ein Ordnungsisiomorphismus mit
.
- Durch transfinite Rekursion wird auch die kumulative Hierarchie von Mengen definiert.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.04. 2021